Berufliche Vorsorge: Gutes Anlagejahr 2021 und wenig Umverteilung / Bilanz nach zehn Jahren Strukturreform

Bern, 17.05.2022 - Ein sehr gutes Anlagejahr 2021 hat die finanzielle Lage der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen weiter verbessert. Diese erzielten im Jahr 2021 eine durchschnittliche Netto-Vermögensrendite von 8,0 % (Vorjahr: 4,4%). Die ausgewiesenen Deckungsgrade erreichten per Ende 2021 mit durchschnittlich 118,5% (gegenüber 113,5% Ende 2020) einen neuen Höchstwert. Die aktiv Versicherten erhalten mit 3,69% eine deutlich höhere durchschnittliche Verzinsung ihrer Vorsorgekapitalien (Vorjahr: 1,84%). Dadurch kam es im Jahr 2021 praktisch zu keiner Umverteilung von den aktiven Versicherten zu den Rentenbeziehenden. Der für das Jahr 2021 geschätzte Wert beträgt 0,2 Milliarden Franken (Vorjahr: 4,4 Milliarden Franken). Die OAK BV erwartet, dass die jährliche Umverteilung auch künftig tiefer als der aktuelle Fünfjahresdurchschnitt von 4,7 Milliarden Franken ausfallen wird. Die Vorsorgeeinrichtungen sind nun gefragt, für einen Ausgleich zwischen den in den letzten Jahren unterschiedlich behandelten Jahrgängen zu sorgen.

Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) veröffentlichte am 17. Mai 2022 neben ihrem jährlichen Tätigkeitsbericht die aktuellen Zahlen zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen. Die für die ganze Schweiz einheitliche und risikoorientierte Früherhebung bei Vorsorgeeinrichtungen ermöglicht eine aktuelle Gesamtsicht über die finanzielle Lage des Systems der beruflichen Vorsorge mit Stichtag 31. Dezember 2021. 

Die Anzahl der Vorsorgeeinrichtungen hat im Berichtsjahr erneut abgenommen (1 514 gegenüber 1 552 im Vorjahr). Der Konzentrationsprozess in der zweiten Säule setzt sich damit fort. Bis Mitte April 2022 haben 95,6 % der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen mit einer Bilanzsumme von 1 222 Milliarden Franken (Vorjahr: 1 129 Milliarden Franken) an der Umfrage teilgenommen.

Deckungssituation erreicht Rekordwert, aber volatile Marktsituation

Die Schweizer Vorsorgeeinrichtungen wiesen per Ende 2021 die höchsten durchschnittlichen Deckungsgrade seit Jahren auf. Die Verbesserung ist hauptsächlich auf die Höherbewertungen an den Aktienmärkten zurückzuführen. Die durchschnittliche erwirtschaftete Netto-Vermögensrendite der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie und ohne Vollversicherungslösung betrug im Jahr 2021 8,0 % (Vorjahr: 4,4 %) und bei den Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie 8,3 % (Vorjahr: 4,2 %). Die individuell ausgewiesenen Deckungsgrade der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie und ohne Vollversicherungslösung erhöhten sich dadurch im Durchschnitt auf 118,5 % (gegenüber 113,5 % Ende 2020). Bei den öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie stiegen die Werte auf neu 89,3 % (gegenüber 85,8 % Ende 2020). 

Nachdem per Ende 2021 die Deckungssituation der Vorsorgeeinrichtungen im Durchschnitt sehr positiv ausfiel und mittlerweile bereits 51 % (Vorjahr: 30 %) der Vorsorgeeinrichtungen ihre Wertschwankungsreserven für Turbulenzen an den Finanzmärkten vollständig aufgebaut haben, zeichnen sich seit Anfang 2022 negative Entwicklungen ab: Einerseits fällt die Inflation inzwischen so stark aus, dass für das Jahr 2022 weitere Zinsanstiege zu erwarten sind. Andererseits dürften der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland die Inflation erhöhen und negativ auf die konjunkturelle Entwicklung wirken. Gemäss Hochrechnungen der OAK BV, die auf den individuellen Anlagestrategien der Vorsorgeeinrichtungen sowie der effektiven Entwicklung der Anlagemärkte fussen, sank der durchschnittliche Deckungsgrad der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie und ohne Vollversicherungslösung von 118,5 % per Ende 2021 auf 112,9 % per Ende März 2022. 

Deutlich höhere Verzinsung der Vorsorgekapitalien der aktiven Versicherten

Das obligatorische BVG-Altersguthaben gemäss Art. 15 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40) war im Berichtsjahr mit mindestens 1,00 % (Vorjahr: 1,00 %) zu verzinsen. Die aktiv Versicherten erhalten aufgrund der guten Anlagerenditen eine deutlich höhere durchschnittliche Verzinsung ihrer Vorsorgekapitalien. Im Durchschnitt betrug diese 3,69 % (Vorjahr: 1,84 %) bei den Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie und ohne Vollversicherungslösung sowie 3,08 % (Vorjahr: 2,10 %) bei den Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie. 

Deutlich reduzierte Umverteilung, aber einseitige Lastenverteilung

Die hohen Verzinsungen im Berichtsjahr haben dazu geführt, dass 2021 nur noch geschätzte 0,2 Milliarden Franken von den aktiven Versicherten zu den Rentenbeziehenden umverteilt wurden (Vorjahr: 4,4 Milliarden Franken). Der Fünfjahres-Durchschnitt liegt dadurch aktuell bei 4,7 Milliarden Franken (Vorjahr: 6,3 Milliarden Franken) Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Umverteilung auch künftig weniger stark ausfallen dürfte, da die Vorsorgeeinrichtungen in den letzten Jahren die technischen Zinssätze kontinuierlich gesenkt und somit die laufenden Renten nachfinanziert haben. Durch das weitgehende Schliessen dieser Finanzierungslücke sind die technischen Parameter ökonomisch respektive aktuariell wieder deutlich realistischer geworden.

Gleichwohl wurden allein von 2014 bis 2021 gemäss den Schätzungen der OAK BV insgesamt 45,3 Milliarden Franken von den aktiven Versicherten zu den Rentenbeziehenden umverteilt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Umverteilung bereits vor 2014 ein beträchtliches Ausmass erreicht hatte, sind diese Werte umso bedeutender.

Getragen wurde diese Umverteilung von denjenigen aktiven Versicherten, die über Jahre mit einer tiefen Verzinsung und gleichzeitig teilweise markant gesunkenen Umwandlungssätzen konfrontiert waren und sind. Die Solidaritätsmechanismen des BVG-Systems wurden damit einseitig strapaziert. Die obersten Organe sind deshalb gefordert, bei künftigen Überschüssen für einen Ausgleich zwischen den unterschiedlich behandelten Jahrgängen zu sorgen. Die notwendigen Entscheidungen haben eine grosse kassenindividuelle Komponente und können somit nur auf Ebene der einzelnen Vorsorgeeinrichtung erfolgen.

Reformen aufgrund veränderter Vorsorgelandschaft notwendig

Zehn Jahre nach Inkrafttreten der BVG-Strukturreform und ihrer eigenen Gründung zieht die OAK BV eine positive Bilanz, mahnt aber zu raschen politischen Reformen.

Robustere finanzielle Lage

Auf finanzieller Ebene sind die Vorsorgeeinrichtungen in den letzten zehn Jahren insgesamt robuster geworden. Die mehrheitlich positiven Nettorenditen liessen die Deckungsgrade der Vorsorgeeinrichtungen ansteigen. Die Vorsorgeeinrichtungen haben in dieser Zeit in allen Bereichen Anpassungen vorgenommen, um der gestiegenen Lebenserwartung und dem tiefen Zinsniveau Rechnung zu tragen. Entsprechende Anpassungen bei den gesetzlichen Vorgaben für den obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge fehlen jedoch weiterhin. 

Anhaltender Konzentrationsprozess


Auf Ebene der Aufsicht sorgte die OAK BV in Zusammenarbeit mit den regionalen Aufsichtsbehörden und den Fachverbänden der zweiten Säule für eine erhöhte Transparenz und Qualitätssicherung in der beruflichen Vorsorge. Das Aufsichtssystem steht nach zehn Jahren Strukturreform jedoch vor wachsenden Herausforderungen: Zwischen 2014 und 2021 hat sich die Anzahl der Vorsorgeeinrichtung von rund 2 000 auf 1 500 reduziert, während die Bilanzsumme von rund 800 auf rund 1 200 Milliarden Franken gestiegen ist. Dieser Konzentrationsprozess hat Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen wachsen lassen. Obwohl diese nur 18 % der Vorsorgeeinrichtungen ausmachen, sind 72 % der aktiven Versicherten bei ihnen versichert. Bei diesen stellen sich für die obersten Organe grosse Herausforderungen im Bereich Governance und finanzielle Stabilität. Viele dieser Einrichtungen sind zudem von ihrer Grösse und Komplexität her vergleichbar mit grossen Versicherungsgesellschaften, die viel strenger reguliert sind.

Limitierte Aufsichtsinstrumente 

Im Gesetz wurde dieser veränderten Vorsorgelandschaft bisher nicht Rechnung getragen. Das BVG geht grundsätzlich vom Modell der Firmen-Vorsorgeeinrichtung aus. Die Aufsichtsinstrumente sind im Vergleich zur Banken- und Versicherungsaufsicht, aber auch zur Aufsicht über die sozialen Krankenversicherer deutlich limitiert. Zudem erschwert das dezentrale Aufsichtssystem mit regionalen Behörden, die bezüglich Kompetenzen und Ressourcen teilweise sehr unterschiedlich aufgestellt sind, die notwendige Weiterentwicklung der Aufsicht im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung.

Der Handlungsspielraum der OAK BV ist sowohl gegenüber den regionalen Aufsichtsbehörden als auch gegenüber den Vorsorgeeinrichtungen beschränkt. Dadurch kann die OAK BV die in der Botschaft zur Strukturreform formulierte Zielsetzung, wonach die neue Oberaufsichtsbehörde sicherstellen soll, «dass das System der beruflichen Vorsorge als Ganzes sicher und zuverlässig funktioniert», nur bedingt sicherstellen. 

Der Stau bei den Reformen des BVG hat dazu geführt, dass auch Anpassungen in der Aufsicht der beruflichen Vorsorge nicht in Angriff genommen wurden. Nach zehn Jahren Erfahrungen mit der Strukturreform ist es nun angezeigt, auch im Aufsichtsbereich die notwendigen Anpassungen in Angriff zu nehmen, um auch künftig die Interessen der Destinatäre wirkungsvoll zu schützen. Es ist deshalb sehr zu begrüssen, dass das Parlament eine Überprüfung des Aufsichtssystems in Auftrag gegeben hat.

Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV)
Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge OAK BV ist eine unabhängige Behördenkommission. Sie wird vollständig über Abgaben und Gebühren finanziert. Für die Direktaufsicht der Vorsorgeeinrichtungen sind die insgesamt acht regionalen Aufsichtsbehörden am Sitz der jeweiligen Einrichtung zuständig. Deren Oberaufsicht durch die OAK BV erfolgt unabhängig von Weisungen des Parlamentes und des Bundesrates. Direkt von der OAK BV beaufsichtigt werden hingegen die Anlagestiftungen sowie der Sicherheitsfonds und die Auffangeinrichtung. Zudem ist die OAK BV Zulassungsbehörde für die Experten für berufliche Vorsorge.
Mit Blick auf das Ziel, die finanziellen Interessen der Versicherten verantwortungsbewusst und zukunftsgerichtet zu schützen, operiert die OAK BV auf der Basis einer einheitlichen und risikoorientierten Aufsicht. Mit ihren in einen volkswirtschaftlichen und langfristig ausgerichteten Kontext eingebetteten Massnahmen und Entscheiden will die Behörde zu einer konsequenten Verbesserung der Systemsicherheit sowie zu Rechtssicherheit und Qualitätssicherung beitragen.
Für den Schutz der Vorsorgegelder der Versicherten ist im Gesetz die risikoorientierte Führung der Vorsorgeeinrichtungen verankert. Entsprechend ist die Aufsichtstätigkeit auszurichten. Das Gesetz stellt hier der OAK BV das Instrument der Weisung zur Verfügung. So kann die OAK BV Weisungen für die Tätigkeit der Experten für berufliche Vorsorge, der Revisionsstellen sowie für die Aufsichtsbehörden erlassen. 


Adresse für Rückfragen

Manfred Hüsler
Direktor Sekretariat OAK BV
Tel. Nr. 058 462 94 93
manfred.huesler@oak-bv.admin.ch



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Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge
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