Frauensession 2021

Bern, 29.10.2021 - Rede von Bundesrätin Simonetta Sommaruga

(Es gilt das gesprochene Wort.) 

Liebe Frauen – Care Donne – Chères Femmes – Charas Dunnas

Es gibt Fragen, die man mir als Frau immer wieder stellt.
Die Frage zum Beispiel: «Sind Sie in Ihrem Leben schon einmal diskriminiert worden?»
Ja, das wurde ich.
Bei einer meiner ersten Stelle verdiente ich deutlich weniger als mein männlicher Vorgänger. Ich sah seinen Lohnausweis. Aber ich dachte, ich müsse zuerst beweisen, dass ich gut bin. Nach zwei Jahren wagte ich, mehr Lohn zu fordern. Ich bekam mehr, aber immer noch weniger als mein Vorgänger.
Ein Mann hätte sicher härter verhandelt. Es wird uns Frauen ja vorgeworfen, dass wir das viel zu wenig tun. Aber ich wollte nicht «stürme» - so nennt man das ja, sobald eine Frau „hart verhandelt“. Das ist übrigens nicht nur in der Deutschschweiz so, sondern in allen unseren Landessteilen:
· Les hommes négocient durement; les femmes se plaignent.
· Gli uomini negòziano; le donne si lamèntano.
· Ils umens negozieschan, las dunnas fan in teater.

Es gibt noch eine andere Frage, die man mir immer wieder stellt: «Sind Sie in Ihrem Leben schon einmal sexuell belästigt worden?»
Ich frage zurück: Gibt es in diesem Saal eine Frau, die in ihrem Leben noch nie oder nur einmal dumm angemacht wurden?
Mee too.

Ich werde auch oft gefragt: Was wollten Sie als Kind werden?
Man hatte es mir damals nicht explizit gesagt, aber ich wusste es: Mädchen lernen einen schönen Beruf und arbeiten später Teilzeit.
Jetzt bin ich halt nur Bundesrätin geworden.


Liebe Frauen – Care Donne – Chères Femmes – Charas Dunnas

Was ist das Beste, was wir gegen Diskriminierungen, Belästigungen und Rollenklischees tun können?
Wir alle wissen es. Es braucht mehr Chefinnen und mehr Frauen im Kader.
Und es braucht mehr Männer, die auch das tun, was klassischerweise die Frauen erledigen: Windeln wechseln, schöppelen, dafür sorgen, dass es am nächsten Morgen frisches Brot hat, für die Schwiegermutter die Einkäufe erledigen, Wäsche sortieren und ständig aufräumen.

Damit sich in den Köpfen etwas ändert, braucht es aber zuallererst gleiche Löhne.
Denn solange Frauen weniger verdienen, nur weil sie eine Frau sind, so lange sagt man den Frauen, dass sie weniger wert sind. Das ist der Nährboden für Sexismus und Diskriminierung.

Bei meinem Start als Bundesrätin waren wir vier Frauen. Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes gab es eine Frauenmehrheit im Bundesrat. Diese Mehrheit hat erfolgreich, kollegial und vorausschauend regiert und deshalb unter anderem auch den Atomausstieg beschlossen.
Im Moment sind wir drei Frauen im Bundesrat - und es ist noch immer ein bisschen so, als ob wir eine Mehrheit hätten. Natürlich nicht rechnerisch. Aber faktisch können wir auch jetzt das Heft in Frauenhand nehmen: Wenn wir Drei zusammenspannen, finden wir immer einen Kollegen, der uns unterstützt.

Als frisch gewählte Bundesrätin kam ich damals ins EJPD. Ich war in diesem Departement sehr schnell zuhause. Denn dort geht es um Gleichstellung, aber auch um Themen, die leider oft verdrängt werden.
Ich denke zum Beispiel an den Frauenhandel. Das war damals ein blinder Fleck. Alle wussten, dass es ihn gibt, dass Frauen versteckt und eingesperrt werden, missbraucht und ausgebeutet – ja! auch bei uns in der Schweiz, und zwar in allen Kantonen. Aber niemand wollte darüber sprechen.
Für mich war das unerträglich. Ich lancierte einen Aktionsplan gegen Menschenhandel. Zwei Jahre später führte die Schweiz besseren Opferschutz und mehr Prävention ein und verschärfte die Strafverfolgung.
Und natürlich lag mir die Gleichstellung am Herzen. Ich habe deshalb im Aktienrecht für grosse Firmen eine sanfte Frauenquote verankert und ebenfalls dafür gesorgt, dass Mütter und Väter in der Bundesverwaltung ihr Arbeitspensum um 20 Prozent reduzieren und gleichzeitig ihre Funktion behalten können.

Die Lohndiskriminierung habe ich bereits erwähnt. Hier vorwärts zu machen, war kein leichtes Unterfangen, das kann ich Ihnen versichern. Aber einen wichtigen Schritt vorwärts haben wir gemacht: Heute müssen alle grossen Firmen die Löhne auf Diskriminierung hin überprüfen und darüber Bericht erstatten.
Diese Transparenz ist zwar keine Revolution, aber sie wirkt. Denn welcher Arbeitgeber will hinstehen und sagen: In unserer Firma bekommen Frauen für die gleiche Arbeit einen tieferen Lohn, nur weil sie eine Frau sind?

Die Diskriminierung in finanziellen Dingen fängt übrigens schon viel früher an. Haben Sie gewusst, dass Mädchen im Durchschnitt 11 Prozent weniger Taschengeld bekommen als Buben? Die Zahl stammt nicht aus dem letzten Jahrhundert, sondern aus dem Jahr 2021…

Ja, wir sind in Sachen Gleichstellung noch nicht am Ziel. Aber ich weiss (und freue mich sehr darüber!), dass meine Nachfolgerin im Justizdepartement gerade die Themen Frauenhandel und Gewalt an Frauen weit oben auf ihrer Agenda behält.
Es ist schon so: Die meisten Frauen setzen sich für die Anliegen von Frauen ein – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit.
· Elisabeth Kopp hat für das Neue Eherecht gekämpft und es erfolgreich eingeführt.
· Ruth Dreifuss haben wir die Betreuungsgutschriften in der AHV zu verdanken.
· Ruth Metzler hat sich mutig für die Fristenregelung eingesetzt.

Ich bin nun seit gut zwei Jahren im UVEK: dem Umwelt-, Verkehrs- und Energiedepartement. Ziemlich technisch, könnte man meinen.
Ich habe jeden Tag mit Asphalt und Stahl, mit Gas und Öl und Strom zu tun.
Was soll das Frauen interessieren? fragen Sie sich vielleicht.
Viel, sehr viel sogar.

Wir alle (und das sind fast 9 Millionen Schweizerinnen und Schweizer) haben jeden Tag mehrmals mit dem UVEK zu tun. Auf der Autobahn, im Bus oder im Zug, bei der Steckdose und am Handy, vor dem Fernseher, im Wald, bei den Stauseen und unterwegs zu Fuss oder mit dem Velo.

In diesem gebauten Alltag spricht man vom «Patriarchat der Dinge»: Zum Beispiel all die schrecklichen Unterführungen, die wir Frauen meiden – aus gutem Grund.
Männer machen das ja nicht absichtlich. Es ist einfach so, dass ihnen gewisse Erfahrungen fehlen – jedenfalls heute noch. Frauen mit ihrer Erfahrungswelt merken sehr schnell, was funktioniert, was praktisch ist und was gefährlich.
Ich erlebe bei meiner Arbeit, dass Frauen häufig etwas hinterfragen. Das kann zwar anstrengend sein, aber es hilft, neue und überraschende Lösungen zu finden. Frauen schauen in die Zukunft und fragen sich, was langfristig „verhäbt“. Darum stehen für Frauen die Bedürfnisse der Kinder und der Umwelt häufig zuvorderst.

Es waren die Schweizer Frauen, die vor einem Vierteljahrhundert mit ihren Ja-Stimmen zur Alpenschutz-Initiative den Ausschlag dafür gegeben haben, dass wir in der Schweiz Güter wenn immer möglich auf der Schiene und nicht auf der Strasse transportieren. Heute beneiden uns viele Staaten um das viele CO2, das wir so vermeiden. Und ganz Europa kopiert unsere umweltverträgliche Verkehrspolitik. Sogar den damaligen US-Präsidenten Trump konnte ich am WEF in Davos mit unserem weltweit längsten Bahntunnel beeindrucken.

Im UVEK wird die Zukunft vorgespurt, es ist das Zukunftsdepartement. Hier entstehen die langfristigen Antworten auf die noch ungelösten Fragen von heute. Im UVEK sorgen wir dafür, dass unsere Kinder auch als Erwachsene noch Strom haben und in geheizten Räumen leben können – und trotzdem gesunde Luft atmen dürfen.
Im UVEK spuren wir vor, dass auch unsere Kinder mobil sein können und gleichzeitig der Planet geschont wird. Im UVEK arbeiten wir an Massnahmen, die den Bienen und mit ihnen den meisten unserer Pflanzen und Ernten ein Überleben möglich machen. Und wir arbeiten daran, dass die Menschen möglichst keine Angst haben müssen vor Bergstürzen, Überschwemmungen und Hitzewellen.

Ihr merkt es: Ich nutze gerade die Gelegenheit für einen Werbespot. Ich brauche im UVEK viel mehr Ingenieurinnen und Umweltwissenschafterinnen, Architektinnen und Gebäude-Technikerinnen.
Denn ich möchte, dass die Zukunft unseres Landes von Männern und von Frauen gestaltet wird. Deshalb meine Bitte an Sie: Melden Sie sich. Und motivieren Sie Ihre Töchter und Grosstöchter, in die Infrastruktur-Branche zu gehen!
Hier entscheidet sich, wie der Alltag der Zukunft aussieht. Für Männer und Frauen und für Kinder.


Liebe Frauen – Care Donne – Chères Femmes – Charas Dunnas

Wir Frauen sind nicht die besseren Menschen.
Aber wenn es um unsere Zukunft geht, dann müssen wir diese auch aus unserer Warte mitsteuern. Diese Arbeit können und dürfen wir nicht delegieren!

Sie alle, die an der Frauen-Session teilnehmen, und ganz viele weitere Frauen in unserem Land sind der beste Beweis dafür, dass wir Frauen erfolgreich mitreden, mitregieren, mitbestimmen – in der Politik, in der Arbeitswelt und zuhause.

Ich habe Ihr Sessions-Programm und die Vorstösse gesehen – und habe die Kraft dahinter gespürt.
Ich danke Ihnen allen von Herzen dafür. Ihr Power gibt auch uns Frauen im Bundesrat Power. Zusammen ist noch viel möglich.


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