Zukunft der Mobilität

Bern, 25.10.2021 - Rede von Bundesrätin Simonetta Sommaruga anlässlich der VöV-Tagung zur Zukunft der Mobilität

Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrter Direktor
Geschätzte Vertreterinnen und Vertreter der öV-Branche
Geschätzte Anwesende

Gestern ist hier in der Bernexpo-Halle die Weinmesse zu Ende gegangen.

Ich finde, das ist ein gutes Omen für Ihre Branche. Bekanntlich sollte, wer Wein trinkt, besser mit dem öffentlichen Verkehr nach Hause fahren. Ob mehr Weintrinken genügt, um den Modal-Split zu Gunsten des öV zu erhöhen, ist allerdings wissenschaftlich noch nicht erhärtet…

Sie halten in Ihrer Einladung zur heutigen Tagung fest, dass der Modalsplit seit 2005 nur marginal gewachsen sei. Das stimmt. Dabei spricht vieles für den öV. Er ist klimafreundlich, er spart Platz, und er ist unschlagbar effizient, wenn es um den Transport von vielen Menschen gleichzeitig geht.

Zumindest klimapolitisch gesehen bekommt der öV nun aber zusätzliche Konkurrenz. Das muss nicht schlimm sein. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft.

Eine der Konkurrentinnen für den öV ist die Elektromobilität: Auch wenn der öV in Bezug auf die Energieeffizienz unschlagbar effizient bleibt und wenig Fläche braucht, wird der motorisierte Individualverkehr mit der Elektrifizierung leiser und weniger umweltbelastend als bisher. Dasselbe gilt für den Transport von Gütern. Wenn im Strassengüterverkehr zunehmend alternative Antriebe zum Einsatz kommen, stellt sich die Frage, ob der Druck auf die Verlagerung auf die Schiene sinkt.

Ein anderer Konkurrent ist das Velo: Gerade in Städten ist man heute mit dem Fahrrad in vielen Situationen am schnellsten unterwegs – schneller als mit dem öV. Velowege, Velobahnen, eine eigene Infrastruktur für den Langsamverkehr und insbesondere fürs Velo. Diese Überlegungen sind in vielen Städten und Agglomerationen heute weit oben auf der Agenda. Ganz einfach: weil die Bevölkerung dies erwartet.

Zeit also, Vorschläge zu präsentieren, wie der öV auch in Zukunft seine Stärken in der Mobilität – und zwar beim Personen- wie beim Gütertransport – einbringt und wie sich der öV weiterentwickeln soll.

Der öV hat in Bezug auf die Dekarbonisierung auch heute einen massiven Startvorteil: Die Bahn ist ein umweltfreundlicher Verkehrsträger. Die Bahn wurde vor 100 Jahren dekarbonisiert. Im Strassenverkehr hat diese Entwicklung erst jetzt angefangen. Diesen Startvorteil muss die Bahn nutzen und aufzeigen, dass sie in der Klimapolitik „unverzichtbarer Teil der Lösung“ ist.

Der öV hat aber auch ein paar Hausaufgaben anzupacken:
Die Auslastung des öV ist sehr unterschiedlich, zum Teil aber sehr tief: Es besteht Potenzial, mit den richtigen Massnahmen mehr Personen in den öV zu bringen. Dazu sind nicht nur Ausbauten nötig – auch eine geschickte Kombination der verschiedenen Verkehrsträger muss zur Strategie der Weiterentwicklung des öV gehören. Die „Verkehrsdrehschreiben“ sind ein Modell der Zukunft für Städte und Agglomerationen, genauso wie für ländliche Gebiete, sie müssen aber sorgfältig geplant und auf die lokalen und regionalen Bedürfnisse gut abgestimmt sein.

Vor allem brauchen wir einen öV, der sich durch Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit auszeichnet. Das sind letztlich DIE zentralen Qualitäten und Vorteile des öV. Sie haben in letzter Zeit zu wünschen übrig gelassen, die Transportunternehmen wissen das selber - und es ist gut, dass sie diese Herausforderung mit aller Kraft angehen. Auch beim Tarifdschungel lässt sich noch einiges entwirren und vereinfachen – das gilt übrigens auch für die internationalen Buchungssysteme.

Der öV hat auch noch Potenzial, insbesondere bei Verbindungen, wo der öV heute deutlich schlechter ist als die Strasse, aber auch in den Agglomerationen und in den grenzüberschreitenden Verbindungen – und zwar sowohl im S-Bahn-Bereich wie auch in Verbindung zu ausländischen Städten.

Eine der grossen Stärken des öV in der Schweiz – und da unterscheiden wir uns von sehr vielen anderen Ländern –  ist, dass wir nicht nur gute Verbindungen in und rund um die Städte und auf den Fernverkehrsstrecken haben, sondern dass unser öV auch die ländlichen Gebiete erschliesst. Wenn wir den öV weiterentwickeln, dann muss er nicht nur flexibler werden und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen besser eingehen. Wir wollen einen öV, der auch der ländlichen Bevölkerung mehr bietet. Dafür muss der öV näher zu den Menschen, er muss sie abholen, nach Hause bringen, Angebote entwickeln, die den Bedürfnissen der Menschen entsprechen. Ich weiss, die Schiene ist nur beschränkt flexibel – aber dann muss die Schiene kombiniert werden mit einem Angebot, das noch viel näher zu den Menschen geht als bisher.

Les transports publics ont encore du potentiel, et pas seulement dans les villes et les agglomérations. Nous voulons une meilleure offre de transports publics aussi pour les personnes qui vivent dans les régions rurales. Les transports publics doivent se rapprocher des gens, ils doivent aller les chercher et les ramener à leur domicile. Ils doivent développer des offres qui répondent aux besoins de la population.

Gerade in einer alternden Gesellschaft muss sich auch der öV überlegen, wie er den Menschen „entgegen-kommt“.

Ein Beispiel dafür ist „mybuxi“. Die Firma beschreitet neue Pfade, indem sie in Gebieten mit schwächerem öV-Service auf Bestellung ein Auto oder einen Kleinbus losschickt für die Reisenden – und diese dann zum Bahnhof bringt. Sie bietet dies z.B. im Emmental oder in der Region Andermatt an. So kann die Bevölkerung auf ein eigenes Auto verzichten, ist aber dennoch rasch am Ziel. Diverse konzessionierte Transportunternehmen testen ähnliche Ideen, z.B. Postauto im Verzascatal.

Auch der Bund kümmert sich um den öV. Wir setzen uns aktuell gleich mit mehreren Vorlagen sehr aktiv für die Förderung des öV und des Schienengüterverkehrs ein:

Der Verpflichtungskredit für den RPV für die nächsten vier Jahre haben wir um 250 Mio. aufgestockt. Er beträgt 4,35 Mrd. Franken und ist im Parlament erfreulicherweise nicht bestritten – der Nationalrat hat die Vorlage in der Herbstsession bereits verabschiedet.

  • Wir unterstützen den öV und den Schienengüterverkehr mit einem weiteren Hilfspaket für die coronabedingten Einnahmenausfälle.
  • Mit der Revision des Personenbeförderungsgesetzes schaffen wir zeitgemässe Rechtsgrundlagen für den öV. Das Projekt kommt bereits in der Wintersession ins Parlament.
  • Mit der Vorlage zur vernetzten Mobilität sorgen wir für einen besseren Austausch der Daten über alle Verkehrsträger hinweg. Damit die bestehende Verkehrsinfrastruktur besser genutzt und dadurch entlastet werden. Die Vernehmlassung wird voraussichtlich noch in diesem Jahr eröffnet.
  • Zudem hat der Bundesrat die Motionen zur Annahme empfohlen, die eine Steigerung des öV-Anteils verlangen. Sie sehen: Auch im Parlament stösst Ihr Anliegen erfreulicherweise auf Zuspruch (NR zugestimmt / KVF-S: 8:3 Annahme).
  • Im Rahmen der Klimapolitik prüfen wir, wie wir die Umrüstung auf Elektrobusse stärker als bisher fördern können. Natürlich müsste im Gegenzug das Diesel-Privileg für die öV-Dieselbusse endlich aufgehoben werden.
  • Mit dem Verlagerungsbericht werden wir dem Bundesrat noch dieses Jahr weitere Massnahmen zur Stärkung der Bahn im Gütertransport durch die Alpen unterbreiten. Die Verlagerung läuft übrigens ja erfreulich: Im ersten Halbjahr 2021 erreichte die Bahn den höchsten Wert seit einem Vierteljahrhundert (74,4%). Bei der Weiterentwicklung der LSVA haben wir die Chance, auch hier einen Beitrag zur Klimapolitik zu leisten.
  • Und schliesslich arbeiten wir auf eine Stärkung der Bahn im Binnengüterverkehr hin. Auch hier gibt es ein beträchtliches klimapolitisches Potenzial. Eine Arbeitsgruppe prüft mögliche Förder- und Unterstützungsmassnahmen.

Sie sehen, meine Damen und Herren, der Bundesrat ist gewillt, den öV weiter zu stärken.

Aber auch Sie, meine Damen und Herren, sind gefordert. Es braucht Ihre Ideen, Ihre Konzepte, neue Herangehensweisen, um die Vorteile des öV in Zukunft noch viel stärker auszuspielen.

Die Vorteile,
- dass der öV unschlagbar effizient ist, dort, wo viele Menschen unterwegs sind,
- dass der öV nicht nur klimapolitisch, sondern auch im Verbrauch der wertvollen Ressource „Boden“ höchsten Ansprüchen genügt,
- dass der öV auch im Gütertransport noch ein grosses, nicht ausgeschöpftes Potenzial hat.


Mesdames et Messieurs, nous avons besoin aussi de vos idées, de vos concepts, nous avons besoin de nouvelles approches pour faire valoir encore mieux les avantages des transports publics.

Car les transports publics ont pour avantage :
- d’être imbattables là où de nombreuses personnes se déplacent,
- de répondre aux exigences les plus élevées non seulement du point de vue de la politique climatique, mais aussi du point de vue de la consommation d’une ressource précieuse, le sol,
- de présenter également un fort potentiel pas encore exploité dans le transport de marchandises.

Sie können es mit Ihrer Konkurrenz durchaus aufnehmen, da zweifle ich keine Sekunde, aber Sie müssen das einlösen, was den öV auszeichnet: der sichere, pünktliche und zuverlässige Transport von A nach B.

Und schliesslich hat der öV noch „Luft nach oben“, wenn es um mehr Flexibilität und um neue Ideen von guten Kombinationen mit anderen Verkehrsträgern geht.

Am Schluss geht es um die Bedürfnisse der Menschen und der Unternehmen: ihnen müssen Sie entgegenkommen – dann kommt es gut für Sie.

Ich danke Ihnen im Namen des Bundesrates für Ihr Engagement.


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