Rechtliche Anerkennung der Gebärdensprache: Der Bundesrat zeigt die Möglichkeiten auf

Bern, 24.09.2021 - Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 24. September 2021 einen Bericht zur Anerkennung der Gebärdensprache verabschiedet. Darin zeigt er die Möglichkeiten auf, wie die Gebärdensprache rechtlich anerkannt werden könnte und wie sich die Teilhabe von gehörlosen Menschen in der Bildung, auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesundheitsversorgung weiter verbessern lassen.

Die Gebärdensprache ist eine eigenständige und gegenüber der Lautsprache gleichwertige Sprache. Rund 10'000 gehörlose Menschen in der Schweiz benutzen eine der drei schweizerischen Gebärdensprachen als Erstsprache: die Deutschschweizer Gebärdensprache, die Langue de signes française und die Lingua dei segni italiana. Wie in anderen Ländern war die Gebärdensprache in der Schweiz jahrzehntelang unterdrückt. Gehörlose Kinder und Jugendliche wurden gezwungen, die Lautsprache zu lernen. Seit 40 Jahren setzen sich die Gehörlosen aktiv für die Anerkennung und Förderung ihrer Sprache ein.

Bund und Kantone fördern die Gebärdensprache

Eine Mehrheit der europäischen Staaten hat heute eine oder mehrere Gebärdensprachen rechtlich anerkannt. Welche Wirkungen damit verbunden sind, ist jedoch oft nicht klar. Die Schweiz gehört zu den Staaten, die die Gebärdensprache nicht ausdrücklich anerkennen. Ausnahmen bilden die Verfassungen der Kantone Zürich und Genf. Bund und Kantone anerkennen allerdings die Bedeutung der Gebärdensprache im Alltag von gehörlosen Menschen. Sie sehen zahlreiche Massnahmen vor, um die Verwendung der Gebärdensprache und die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Teilhabe von gehörlosen Menschen zu fördern.

So verpflichtet zum Beispiel das Behindertengleichstellungsrecht die Bundesbehörden, die Bedürfnisse hörbehinderter und gehörloser Menschen zu berücksichtigen, wichtige Informationen in Gebärdensprache zugänglich zu machen und bei Behördenkontakten für die Kosten für Dolmetscherinnen und Dolmetscher aufzukommen. Ebenfalls erleichtert wird der Zugang zu Fernsehsendungen und zu Kinofilmen. Zur Grundversorgung gehört weiter das Bereitstellen von Vermittlungsdiensten per SMS oder Video.

Die Invalidenversicherung wiederum fördert die berufliche Integration hörbehinderter und gehörloser Menschen insbesondere durch die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetschern. Der Bund fördert zudem die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in der Bundesverwaltung. Das Behindertengleichstellungsgesetz verpflichtet ausserdem die Kantone, dafür zu sorgen, dass hörbehinderte Kinder und Jugendliche und ihre Angehörigen eine geeignete Kommunikationstechnik erlernen können. Dazu gehört auch die Gebärdensprache.

Möglichkeiten der Anerkennung

Der Bundesrat erfüllt mit dem Bericht vier Postulate (19.3668 Rytz Regula, 19.3670 Lohr, 19.3672 Romano, 19.3684 Reynard). Er zeigt zuhanden des Parlaments verschiedene Möglichkeit auf, wie dem Bedürfnis gehörloser Menschen nach Anerkennung und Schutz ihrer Sprache und Kultur besser Rechnung getragen werden kann. Er hat dabei verschiedene Varianten einer rechtlichen Anerkennung vertieft prüfen lassen: die Anerkennung der schweizerischen Gebärdensprachen im Rahmen von Abkommen des Europarats, im Rahmen der Sprachenfreiheit sowie eine Anerkennung als Landessprachen, als (Teil-)Amtssprachen des Bundes sowie als Fördersprachen.

Für den Bundesrat ist eine Anerkennung der schweizerischen Gebärdensprachen keine zwingende Voraussetzung, um die soziale Teilhabe von hörbehinderten und gehörlosen Menschen weiter zu verbessern. Die bestehenden Ansätze lassen sich im Sinn einer tatsächlichen Anerkennung der Sprache und Kultur der Gehörlosen weiterentwickeln. Die bestehenden Regelungen und Massnahmen, insbesondere die Behindertenpolitik des Bundesrats, stellen hierfür einen geeigneten Rahmen dar. Der Bundesrat hat deshalb das Eidgenössische Departement des Innern beauftragt, den Dialog mit den Organisationen der Gehörlosen sowie den involvierten Stellen des Bundes und der Kantone auszubauen und die im Bericht erwähnten Verbesserungsmöglichkeiten zu prüfen.


Adresse für Rückfragen

Andreas Rieder, Leiter Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB,
Tel. 079 475 60 49, andreas.rieder@gs-edi.admin.ch



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Der Bundesrat
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