Grussbotschaft von Bundesrat Ignazio Cassis am Tag der Wirtschaft 2021 in Basel - Schweiz-EU: Wie weiter?
Bern, 10.09.2021 - Basel, 10. September 2021 - Grusswort der Regierung von Bundesrat Ignazio Cassis, Vizepräsident des Bundesrates und Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA, anlässlich des Tags der Wirtschaft 2021 zum Thema: Schweiz-EU, wie weiter? - Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident (Christoph Mäder)
Sehr geehrte Frau alt Bundesrätin (Metzler-Arnold/alt)
Sehr geehrter Herr Regierungsratpräsident (Camenzind, UR, Landamman)
Sehr geehrte Frauen und Herren Nationalrätinnen und Nationalräte (Moret, Schneeberger, Sauter, Hurter)
Sehr geehrte Frau Ständerätin (Herzog) und Herr Ständerat (Juillard)
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin
Sehr geehrter Herren Regierungsräte
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft
Geschätzte Damen und Herren
Im Namen des Gesamtbundesrates ist es mir eine Ehre heute hier zu sein und Ihnen die besten Grüsse und Dank überbringen zu dürfen.
Der Bundesrat ist stolz auf die Schweizer Wirtschaft und das zu recht: Seit Beginn der Pandemie haben Sie eindrücklich Ihren Wert bewiesen. Nicht zufälligerweise hat sich die Schweiz so schnell von der Krise erholt.
Dank Ihrer Widerstandsfähigkeit und Ihrem Verantwortungsbewusstsein – auch gegenüber Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - hat unser Land die Krise im internationalen Vergleich gut gemeistert.
Das Thema heute ist Nachhaltigkeit. Die Zahlen zeigen es uns: Sie sind nachhaltig aufgestellt.
Nachhaltigkeit ist auch im EDA ein Dauerthema. Ihre drei Dimensionen – ökologische, soziale und wirtschaftliche – stehen in reger Wechselwirkung zueinander.
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit bedingen eine längerfristige Perspektive, die nur dann existieren kann, wenn die kurzfristigen Bedürfnisse ökonomisch befriedigt sind.
Es ist eine Binsenwahrheit: die Wirtschaft generiert nachhaltiges Einkommen. Das reine Verteilen von Geldern erzielt keinen derartigen Effekt.
Deshalb intensivieren wir auch in der Entwicklungshilfe die Kooperation mit dem Privatsektor, um Einkommen zu generieren und Perspektiven für die Jungen zu schaffen.
Die Wirtschaft muss heute zudem Rücksicht nehmen auf soziale und ökologische Aspekte.
Dass die Konzernverantwortungs-Initiative nur am Ständemehr scheiterte, zeigt das diesbezügliche Misstrauen in der Bevölkerung.
Begründet oder unbegründet: perception is reality.
Es ist heute gesellschaftlich erwartet, dass die in der Schweiz ansässigen Firmen, Menschenrechte einhalten, die Umwelt respektieren und die Arbeit sozialverträglich gestalten. Hier sind Sie als Unternehmer in der Verantwortung.
Aber auch der Staat ist gefragt: Er muss die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit Sie erfolgreich und nachhaltig wirtschaften können.
Und wenn von Rahmenbedingungen die Rede ist, dann landen wir direkt beim Thema Schweiz-EU.
Jeden Werktag tauschen wir mit der EU Waren im Wert von einer Milliarde Franken: eine beeindruckende Zahl! Von jedem erwirtschafteten Zweifränkler kommen 60 Rappen aus dem Handel mit der EU.
Geschätzte Damen und Herren
Der Entscheid vom BR, das InstA abzubrechen ist kein Brexit der Schweiz, kein NEIN zum bilateralen Weg.
Die EU bleibt der wichtigste Handelspartner der Schweiz und für die EU bleibt die Schweiz den Handelspartner, mit dem sie eine positive Handelsbilanz von über 20 Mia. CHF pro Jahr erwirtschaftet. Über 100 völkerrechtlich verbindliche Verträge geben unserer Beziehung einen Rahmen, auch ohne InstA.
Meine Damen und Herren
Ich habe mich seit Amtsbeginn Ende 2017 für das InstA engagiert und bin auch stolz, dass bereits Ende 2018 einen Entwurf auf dem Tisch lag. Ich habe Ihre Unterstützung stets geschätzt und danke Ihnen heute sehr dafür!
Aber auch ich musste in den letzten Monaten einsehen, dass der Anbindungsschritt zur EU zu gross gewesen wäre. Die Schnittmenge war für uns zu klein, der Preis zu hoch.
Der Bundesrat will nun den Blick nach vorne richten. Seine Zielsetzung bleibt ja gleich: Er will geregelte Beziehungen zur EU auf Basis des Bilateralen Wegs.
Auch in Zukunft müssen bestehenden Marktzugangsabkommen zwischen der Schweiz und der EU vollständig angewendet werden: das ist völkerrechtlich verankert.
Aber wie bis anhin bleiben sie statischer Natur. Das heisst: jede Weiterentwicklung braucht die Zustimmung beider Seiten.
Neben den Marktzugangsabkommen gibt es die Kooperationsabkommen. Diese haben rechtlich mit dem InstA nichts zu tun - auch wenn die EU-Kommission eine politische Verknüpfung vorgenommen hat. Eine Verknüpfung, die der BR als sachfremd und kontraproduktiv betrachtet.
Bei den Kooperationsabkommen finden wir bspw. das Forschungsabkommen Horizon Europe oder das Bildungsabkommen Erasmus+.
Der Bundesrat strebt an beide die Assoziierung an. Aber nicht nur die Schweiz muss das wollen, sondern auch die EU. Die Bilateralen Verträge sind eben bi- und nicht unilateral.
It takes two to tango!
Wie geht nun der Bundesrat vor?
Mit dem NEIN zum InstA hat er am 26 Mai eine 3-phasige Strategie definiert: eine erste kurzfristige Phase, eine zweite mittelfristige und eine dritte langfristige Phase. Jede Phase hat sowohl innen- wie auch aussenpolitische Massnahmen.
Die Phase 1 - kurzfristig.
Sie bezweckt die Stabilisierung des bilateralen Wegs. Die Beziehung mit der EU und den Mitgliedstaaten wird intensiviert, damit wir uns besser verstehen. Ich selbst reiste im Juli nach Brüssel und traf Vizekommissionspräsident Borrell und Kommissar Hahn. Zudem erklärte ich persönlich den Entscheid rund einem Dutzend Ministern der EU-Mitgliedstaaten. Gestern war Rumänien daran.
Den Worten müssen Taten folgen. Der BR beantragt dem Parlament die bedingungslose Freigabe des 2. Schweizer Beitrags zur Kohäsion und Migration von jährlich rund 130 Millionen Franken während 10 Jahren: insgesamt 1.3 Mia.
Will man vorwärts, dann muss man bereit sein, den ersten Schritt zu machen! Der BR will die kontraproduktive Dynamik sachfremder Verknüpfungen durchbrechen und den Beziehungen einen positiven Impuls geben. Zudem ergreift der Bundesrat Massnahmen zur Abfederung von negativen Konsequenzen der EU-Druckpolitik bspw. bei den technischen Handelshemmnissen.
Die Phase 2 – mittelfristig.
Es ist die Phase der Methodik. Sie bezweckt die Klärung der Frage WIE die Schweiz und die EU ihre Zukunft miteinander gestalten wollen. Der Bundesrat hat der EU vorgeschlagen, hierzu einen strukturierten politischen Dialog zu lancieren, um eine gemeinsame Agenda zu entwickeln.
Warum ist das wichtig?
Die Schweiz und die EU verfügen über zahlreiche Formate und Kontakte auf technischer Ebene – bspw. in den Gemischten Ausschüssen oder bei den aussenpolitischen Konsultationen. Der neue Dialog soll diese Formate durch eine politische Dimension ergänzen.
Im Rahmen dieses Dialogs kann das Entwicklungspotential der Partnerschaft laufend überprüft werden und Opportunitäten erkannt und ergriffen werden.
Aber auch allfällige Differenzen aus den Gemischten Ausschüssen sollen hier im politischen Gesamtkontext angegangen werden. Der politische Dialog bietet damit auch eine Eskalationsmöglichkeit bei der Lösungssuche, eine Art politische Streitbeilegung.
Schweiz-intern müssen wir ebenfalls den Dialog zum Thema Schweiz-EU mit den zahlreichen Stakeholdern – darunter Sie, geschätzte Vertreter der Wirtschaft - verbessern.
Verbessern heisst intensivieren UND parallel führen, nicht serial.
Erstens mit den institutionellen Partnern, das heisst das Parlament und den Kantonen. Zweitens mit den interessierten zivilgesellschaftlichen Organisationen aus der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Sozialpartnerschaft, der Think Tank usw.
Parallel dazu prüft der BR in der Phase 2 die Möglichkeit eines autonomen Abbaus von Regelungsunterschieden zwischen Schweizer und EU-Recht zwecks Sicherstellung eines Equal Level Playing Field.
Die Phase 3 - längerfristig.
In dieser Phase geht darum, das Ambitionsniveau einer institutionellen Anbindung unsere Beziehungen zu definieren.
Wir müssen die Lehren aus den vergangenen Verhandlungen ziehen und die Weichen nun richtig stellen. Was kann man realistisch erreichen. Wieviel institutionelle Anbindung erträgt das System Schweiz?
Die Zielsetzung ist bleibt die gleiche: geregelte Beziehungen, freundschaftliche Nachbarschaft. Unsere Lebensräume decken sich genauso wie unsere Werte. Wir sind Europa, wir bleiben Europa, zusammen mit der EU und allen anderen nicht-EU Staaten! Nur so gewinnen wir alle.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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