Jean Starobinski. Relations critiques: Eine digitale Ausstellung zum 100. Geburtstag von Jean Starobinski

Bern, 26.11.2020 - Die Schweizerische Nationalbibliothek und das EPFL+ECAL Lab haben während 18 Monaten ein Projekt ausgearbeitet, das literarische Expertise, Museumsforschung, Design, Technik und Psychologie vereint. Das Ziel: bedeutende Schriftstellerinnen und Schriftsteller und ihre denkerischen Beiträge anhand der Bestände des Schweizerischen Literaturarchivs zu beleuchten. Am 26. November 2020 wird mit "Jean Starobinski. Relations critiques" die erste aus dieser Partnerschaft entstandene Online-Ausstellung eröffnet. Sie illustriert die aktuelle Relevanz des Genfer Schriftstellers und Kritikers von Weltruf.

Wir alle üben in unserem Alltag Kritik: bei der Arbeit, im Unterricht, in der Politik, im privaten Austausch. Kritik steht, trotz aller Unterschiede, im Zentrum von Sparten wie Kunst oder Wissenschaft. Die Kritik ist ein Bollwerk gegen Falschinformationen, die in den öffentlichen Debatten allgegenwärtig sind. Sie ist wesentlich für die kollektive Sinnbildung. Können wir aber Kritik überhaupt definieren? Was wissen wir über ihre Entwicklung, ihre Bedeutung, ihre Wirkung und Praxis? Intellektuelle haben sich mit solchen Fragen auseinandergesetzt, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse eingebracht und Essays dazu geschrieben. Die Vermittlung ihrer Beiträge ist für die Gesellschaft von grösster Bedeutung – nicht nur für die Entwicklung unseres Denkens, sondern auch für unser tägliches Leben.

Anlässlich des hundertsten Geburtstags des Genfer Schriftstellers Jean Starobinski (1920–2019), der das kritische Denken weltweit geprägt hat, wollen wir zu dieser Vermittlung beitragen. In seinen Werken befasste sich Starobinski eingehend mit Literaturkritik, er interessierte sich aber auch für Medizin, Ideengeschichte, Musik und bildende Kunst. Seine Schriften zeichnen sich durch ihre Relevanz und ihren internationalen Einfluss, aber auch durch ihre Zugänglichkeit aus. Man kann La Relation critique lesen, ohne eine Fachperson auf diesem Gebiet zu sein. Jean Starobinski hat sein Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek vermacht: ein aussergewöhnliches Erbe, das Manuskripte, Korrespondenz, Dokumentationen und über 40 000 Bücher umfasst. Wie kann aus dieser Masse von Dokumenten eine repräsentative Auswahl getroffen werden, um Starobinskis Werk, seinen Lebensweg und seine Persönlichkeit zu vermitteln?

Das Schweizerische Literaturarchiv (Schweizerische Nationalbibliothek) lancierte zusammen mit dem EPFL+ECAL Lab (Zentrum für Designforschung der EPFL) ein experimentelles Projekt für eine neue digitale Plattform als Antwort auf diese Herausforderung. Das Projekt vereint die Kompetenzen beider Institutionen. Es verbindet die Erforschung von Design, Kuratierung und Reproduktion mit der Entwicklung einer zugänglichen Online-Ausstellung für die Öffentlichkeit. Bei der Umsetzung wurde als dritter Akteur das von ehemaligen Studierenden der EPFL gegründete Unternehmen Apptitude einbezogen, das sich auf die Produktion komplexer Standorte und Interaktionen spezialisiert hat.

Diese erste digitale Ausstellung wird am 26. November 2020 eröffnet und experimentiert mit verschiedenen Zugängen. So kann man sich die Ausstellung beispielsweise entlang der für den Autor repräsentativen Themeninseln erschliessen. Je nach Interesse können die Besuchenden dann ein Objekt auswählen und aus einer neuen Perspektive betrachten: Das Thema verblasst und das Objekt wird in seinem historischen oder typologischen Kontext dargestellt. Das Publikum kann so die Ausstellung umgestalten und die Inhalte neu anordnen. Durch die Anpassung der Perspektive und Zusammenhänge entsteht eine persönliche Entdeckungstour, die den jeweiligen Interessen entspricht. Die Besuchenden können der zentralen Erzählung folgen oder in eine tiefergreifende Lektüre eintauchen.

Die Technologie steht dabei im Dienste des Inhalts: «Im Mittelpunkt steht die Arbeit des Autors und sein Denken. Ein solches Projekt zum hundertsten Geburtstag von Jean Starobinski zu lancieren, ist eine aussergewöhnliche Gelegenheit. Starobinski war ein Gelehrter, vielleicht sogar der grösste Kritiker des 20. Jahrhunderts, er war aber immer auch bestrebt, sich einem breiten Publikum verständlich zu machen. Seine Gelehrtheit war von Eleganz und Höflichkeit geprägt», erklärt Stéphanie Cudré-Mauroux, stellvertretende Leiterin des Schweizerischen Literaturarchivs. «Die Aufgabe der Designforschung ist kein Wettlauf um digitale Effekte, sondern besteht darin, mit zeitgenössischen Technologien sinngebende Inhalte zu schaffen. Wir kreieren und entwickeln, aber wir achten auch ganz genau auf die Wirkung», sagt Nicolas Henchoz, Direktor des EPFL+ECAL Labs.

Dank der Zusammenarbeit mit Apptitude wird die Forschung in eine funktionierende Ausstellung umgewandelt und die Ideen können den Gegebenheiten angepasst werden. Diese entwickeln sich immer weiter und eröffnen neue Perspektiven für Online-Angebote: «Seit unserer Gründung suchen wir die Zusammenarbeit mit Forschungslabors. Dieses Projekt geht jedoch einen Schritt weiter, indem es Fachwissen rund um Inhalt, Technologie, Design und Nutzerwahrnehmung direkt in die Forschung integriert», erläutert Axel Pasqualini, Mitbegründer von Apptitude.

Jean Starobinski. Relations critiques ist nach der Vernissage am 26. November um 17.30 Uhr online für alle zugänglich. In den kommenden Monaten wird die Wirkung dieses Formats evaluiert, um zu erkennen, wie die Schätze des Literaturarchivs digital vermittelt werden können.

LINKS

Vernissage

Die Vernissage der digitalen Ausstellung Jean Starobinski. Relations critiques findet am 26. November um 17.30 Uhr statt. Bitte melden Sie sich via Mailadresse communication@epfl-ecal-lab.ch an. Wir stellen Ihnen anschliessend den Link zu.

Ausstellung

Die digitale Ausstellung Jean Starobinski. Relations critiques ist ab 26. November 18. 30 Uhr auf www.expo-starobinski.ch frei zugänglich.

IMPRESSUM

Projektleitung
Stéphanie Cudré-Mauroux (Schweizerisches Literaturarchiv SLA) und Nicolas Henchoz (EPFL+ECAL Lab)

Künstlerische Leitung
Romain Collaud (EPFL+ECAL Lab)

Kuratorin und Redaktorin
Stéphanie Cudré-Mauroux (SLA)

Designforschung (MAS DRDI)
Valentin Calame

Umsetzung
Axel Pasqualini, Michael Vuilleumier, Jeremy Barthoux und Diogo Ferreira Venancio (Apptitude SA)

Fotografie
Fabian Scherler und Simon Schmid (Schweizerische Nationalbibliothek NB)

Praktikantinnen
Aselle Persoz (EPFL+ECAL Lab) und Laetitia Dumoulin (NB)

UNTERSTÜTZUNG

Das Forschungsprojekt wurde von der Schweizerischen Nationalbibliothek finanziert und unterstützt von:
Hans Wilsdorf Stiftung
Sandoz-Familienstiftung 


Adresse für Rückfragen

Stéphanie Cudré-Mauroux, stellvertretende Leiterin Schweizerisches Literaturarchiv
stephanie.cudre-mauroux@nb.admin.ch +41 58 463 23 55

Nicolas Henchoz, Direktor EPFL+ECAL Lab
nicolas.henchoz@epfl.ch + 41 21 693 08 02



Herausgeber

Schweizerische Nationalbibliothek
http://www.nb.admin.ch

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81238.html