Ausführungen zu aktuellen politisch-volkswirtschaftlichen Fragen

Basel, 10.02.2020 - Referat von Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, anlässlich der Vortragssaison 2019/2020 der SVG Basel

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident, Dr. Gottlieb Keller
Sehr geehrte Mitglieder der SVG Basel
Sehr geehrte Damen und Herren

Herzlichen Dank für die Einladung zur heutigen Vortragsreihe über die politisch-volkswirtschaftlichen Fragen, mit denen die Schweiz im Moment konfrontiert ist. Ich freue mich, bei Ihnen zu sein. Ich habe die Einladung sehr gerne angenommen. Es ist quasi die Retourkutsche an Sie Herr Keller. Schliesslich sind Sie letzten Sommer meiner Einladung gefolgt. Wir waren gemeinsam mit einer Wirtschaftsdelegation auf einer interessanten Reise nach Japan und Vietnam.

Apropos Reise: Letzte Woche war ich mit einer Wirtschaftsdelegation in Ägypten. Wie in Japan haben wir auch dort eines meiner wichtigsten Anliegen besprochen: Den Freihandel. Wie Japan ist auch Ägypten an einer Aktualisierung interessiert. Die nächsten Monate werden zeigen, was sich machen lässt. Ich werde alles dafür tun, dass wir beim Freihandel Fortschritte machen.

Als Wirtschafts- und Bildungsminister habe ich mir unter anderem ja 3 Ziele gesetzt:

  • den Freihandel fördern
  • die Bürokratie abbauen
  • die Berufsbildung stärken.

Was heisst das konkret? Das möchte ich Ihnen heute aufzeigen. Erlauben Sie mir aber vorher noch vier Sätze zum vergangenen Abstimmungswochenende.

  1. Aus wirtschaftlicher Sicht bin ich dankbar für das Nein zur
    Wohnungsinitiative.
  2. Jetzt können wir die Wohnungsprobleme in den Städten – auch hier in Basel – gezielt und wirksam angehen.
  3. Die Wirtschaft hat uns im Abstimmungskampf unterstützt.
  4. Dafür bedanke ich mich herzlich.

Wie sieht die aktuelle Situation der Schweizer Wirtschaft aus? Welche wichtigen Herausforderungen sehe ich für den Wirtschaftsstandort Schweiz? Diese beiden Fragen möchte ich gleich beantworten. Danach werde ich auf drei aktuelle wirtschaftspolitische Geschäfte eingehen, welche mich zurzeit etwas intensiver beschäftigen. Zum Schluss gibt’s einen Primeur: ein grosser, europaweit wohl einzigartiger Erfolg. Es geht um die erste Sozialversicherung, die schuldenfrei ist.

Zur aktuellen Wirtschaftslage

2019 ist die Schweizer Wirtschaft langsamer gewachsen. Obwohl das BIP-Wachstum im 3. Quartal stärker ausfiel als etwa im Euroraum, spürt die Schweiz die schwache internationale Entwicklung.

Die Maschinen- und Metallindustrie musste einen Rückgang der Ausfuhren hinnehmen, was sich auch am Arbeitsmarkt widerspiegelt. Dagegen verbucht die Pharmabranche weiterhin ein sehr erfreuliches, dynamisches Wachstum. Auch die Binnenwirtschaft entwickelt sich stabil.

Die Expertengruppe des Bundes erwartet, dass sich die Schweizer Konjunktur 2020 moderat weiterentwickelt. Mit einer sanften konjunkturellen Belebung ist aber erst 2021 zu rechnen.

Der Arbeitsmarkt schliesslich entwickelt sich insgesamt weiterhin positiv. Während die Beschäftigung weiter zunimmt, dürfte die Arbeitslosigkeit in den nächsten beiden Jahren nur leicht ansteigen. Gemäss den Erhebungen des SECO resultierte im Jahresdurchschnitt 2019 eine Arbeitslosenquote von 2,3%, während sie im Euroraum im Dezember 2019 bei 7,4% lag. Auch wenn wir heute für den Monat Januar mit 2,6% leicht höhere Arbeitslosenzahlen publiziert haben, bin ich in diesem Bereich zuversichtlich. Wir haben heute deutlich weniger Arbeitslose als vor einem Jahr.

Fakt ist: die Wirtschaftsleistung der Schweiz ist heute enorm. Sie ist dies insbesondere dank ihrer starken Aussenwirtschaft. Zum einen produzieren die Unternehmen nicht nur für den Schweizer Markt, sondern auch für Abnehmer im Ausland. Zum anderen importieren die Unternehmen in der Schweiz auch viele Produkte aus dem Ausland und verarbeiten diese weiter. Dies hat den Unternehmen in der Schweiz erlaubt, sich zu spezialisieren.

Und die Schweiz hat sich ganz besonders in wertschöpfungs-intensiven Tätigkeiten spezialisiert. Dazu gehören zum einen die Forschung und Entwicklung oder das Design neuer Produkte; zum anderen Dienstleistungen, wie beispielsweise das Marketing. Die Basler kennen sich auf diesem Gebiet in vielerlei Hinsicht besonders gut aus. Forschung und Entwicklung und auch der Export sind in dieser Region zentral. Dies geht sogar so weit, dass sie beispielsweise eine Tennis-Ikone in die ganze Welt exportiert, die phänomenal erfolgreich ist und massgebend zum guten Image der Schweiz beiträgt. Der Life-Science-Cluster im Grossraum Basel mit seinen zahlreichen Headquarters ist ebenfalls ein exzellentes Beispiel. Neben den Hauptsitzaktivitäten sowie der Forschung wird hier nach wie vor auch produziert. Im Zentrum stehen insbesondere technisch anspruchsvolle Produktionsschritte in den Bereichen Pharma, Biotech und Medizintechnik, welche in die internationalen Wertschöpfungsketten eingebunden sind.

So haben verschiedene Schweizer Pharmakonzerne in den vergangenen Jahren Spitzenprodukte in schnell wachsenden Bereichen wie Onkologie, Immunologie und Ophthalmologie entwickelt. Viele dieser Produkte zeichnen sich durch sehr hohe Forschungs- und Entwicklungskosten aus.

Ich hatte letztes Jahr die Gelegenheit, die Basler Pharma zu besuchen. Dabei konnte ich mir persönlich ein eindrückliches Bild machen. So viel hervorragende Innovation – das freut mich sehr!

Trotz aller Freude – vor welchen Herausforderungen stehen wir?

Für mich ist klar: Das internationale Umfeld sowie die Beziehungen zu unseren Wirtschaftspartnern spielen eine zentrale Rolle für die Entwicklung der Schweizer Wirtschaft.

Zu den wichtigsten Herausforderungen gehören der Handelskonflikt zwischen den USA und China, der Brexit oder die schwierigen Reformgespräche in der WTO.

Spezifisch für die Schweiz wird in nächster Zeit unser Verhältnis mit der EU zu regeln sein. Andere Handelspartner, wie die USA oder China, haben jüngst zwar anteilsmässig an Bedeutung gewonnen; die EU – und Deutschland an der Spitze – bleibt jedoch mit Abstand unser wichtigster Handelspartner.

Lassen Sie mich dazu Folgendes sagen: Die über die bilateralen Abkommen mit der EU geregelten Wirtschaftsbeziehungen gehen deutlich weiter, als dies sonst in Freihandelsabkommen vereinbart wird.

Einige für die Wirtschaft besonders wichtige bilaterale Abkommen basieren massgeblich auf der Übernahme von Produktevorschriften oder auf der gegenseitigen Anerkennung ihrer Gleichwertigkeit. Insbesondere im Bereich der Industrieprodukte entwickeln sich die technischen Vorschriften dynamisch. Der gegenseitige Marktzugang ist deshalb auf eine effiziente und zeitnahe Anpassung an Entwicklungen des EU-Rechts angewiesen.

Mit dem institutionellen Abkommen würden diesbezüglich einheitliche und verlässliche Regeln geschaffen. Darüber hinaus würde mit dem Abkommen die Basis für einen Ausbau unserer Teilnahme am EU-Binnenmarkt geschaffen. Ohne diese Möglichkeiten verlieren die Schweizer Unternehmen über kurz oder lang an Wettbewerbsfähigkeit in ihrem wichtigsten Absatzmarkt, der EU.

Der Bundesrat und auch ich als Wirtschaftsminister sind der Meinung, dass die Begrenzungsinitiative, über die wir am 17. Mai abstimmen werden, aus all den genannten Gründen abzulehnen ist. Der Bundesrat ist auch klar der Meinung, dass die Schweiz ein institutionelles Rahmenabkommen braucht. Es liegt ein Vorschlag auf dem Tisch. Der Bundesrat hat aber in 3 Bereichen Vorbehalte: bei der Unionsbürgerrichtlinie, beim Lohnschutz und bei den staatlichen Beihilfen. Hier braucht die Schweiz zwingend eine Lösung!

Wir konzentrieren uns aber nicht nur auf die EU. Mit den USA führen wir seit einiger Zeit exploratorische Gespräche, um die Möglichkeit eines Wirtschaftsabkommens auszuloten und die gegenseitigen Interessen besser zu verstehen.

Sie wissen: der Freihandel gehört zu meinen obersten Zielen. Für die Schweiz würde ein bilaterales Freihandelsabkommen mit den USA neue Möglichkeiten für die Wirtschaft erschliessen, die Rechtssicherheit gewährleisten und einen institutionalisierten Rahmen für die Stärkung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen schaffen. Das habe ich am WEF Präsident Trump und der amerikanischen Delegation klar gesagt. Natürlich wäre ein solches Abkommen auch mit gewissen Herausforderungen verbunden. Das Handelsdefizit – bedingt durch die zahlreichen Exporte der Pharma – gefällt den Amerikanern gar nicht. Auch bei der Landwirtschaft verfolgen die USA offensive Interessen. Wir müssen ihnen erklären, dass wir Schweizer nicht 70 kg amerikanisches Rindfleisch pro Tag essen können, dass aber die Pharma unzählige Arbeitsplätze in den USA geschaffen hat!

Das habe ich in Davos Präsident Trump erklärt. Wir haben dann entschieden, dass wir die exploratorischen Gespräche weiterführen, um die Positionen und Erwartungen beider Seiten zu prüfen.

Sie sehen, wir befinden uns in einem äusserst dynamischen, aber auch volatilen Umfeld. Auch intern ist der Bundesrat bestrebt, ideale Rahmenbedingungen zu ermöglichen.

Drei Beispiele

Der Bundesrat hat Ende 2019 dem Parlament eine Botschaft überwiesen, weil er die Importzölle auf Industriegütern aufheben möchte. Im Januar haben die Beratungen in den Kommissionen begonnen. Betroffen wären alle Waren ausser Agrargüter und Lebensmittel. Es mag auf den ersten Blick erstaunen, dass die Schweiz Zölle aufheben möchte. Der Bundesrat hat diesen Schritt aber sorgfältig geprüft und abgewogen.

Der Bundesrat und ich als Wirtschaftsminister sehen folgende Vorteile:

Zollzahlungen für importierende Unternehmen oder Privatpersonen fallen weg.

Die Importkosten von Unternehmen sinken, weil der administrative Aufwand bei der Nutzung von Freihandelsabkommen wegfällt.

Dies hat Auswirkungen für die Konsumentinnen und Konsumenten. Etwa 70% der Zölle entfallen auf Konsumgüter. Die Aufhebung der Industriezölle spüren also auch Sie ganz persönlich im Porte-Monnaie, wenn Sie Autos, Fahrräder, Körperpflegeprodukte, Haushaltgeräte, Schuhe oder Kleider kaufen.

Und wie gesagt – es dient auch, neben dem Freihandel – meinem zweiten Ziel: dem Bürokratieabbau. Unnötige Regulierungen vermindern auch heute noch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Die letzte Befragung der Unternehmen im Rahmen des Bürokratiemonitors des SECO im 2018 hat es gezeigt: die administrative Belastung ist weiterhin eine der Hauptsorgen der Unternehmen.

Meine Leute sind momentan intensiv daran, eine Vernehmlassungsvorlage für ein Entlastungsgesetz vorzubereiten. Darin möchte ich verschiedene griffige Instrumente zur administrativen Entlastung der Unternehmen verankern.

Wichtig ist mir nicht nur der Warenhandel. Ebenso wichtig ist mir die Möglichkeit für Investitionen. Die Schweiz zählt sowohl zu den weltweit grössten Empfängern von Direktinvestitionen als auch zu den weltweit grössten Direktinvestoren im Ausland. Das habe ich letzte Woche in Ägypten wieder gesehen: Novartis, ABB, Rieter oder Hero zum Beispiel investieren enorm viel in diesen grossen Markt.

In den vergangenen Jahren sind aber insbesondere Investitionen in der Schweiz durch staatliche oder staatsnahe Unternehmen in den Fokus gerückt. Dabei ging es vor allem um China. Viele befürchten, die nationale Sicherheit sei dadurch gefährdet. Arbeitsplätze und Knowhow ginge verloren.

Im Parlament ist deshalb im Moment ein Vorstoss hängig, der die Schaffung einer Investitionskontrolle ausländischer Direktinvestitionen in der Schweiz fordert. Der Ständerat hat bereits zugestimmt; der Entscheid des Nationalrats steht noch aus.

Der Bundesrat hat sich ausführlich mit den zuvor genannten potentiellen Risiken befasst und 2019 einen Bericht zu Investitionskontrollen publiziert. Dabei kam er zum Schluss, dass die Einführung einer Investitionskontrolle in der Schweiz derzeit keinen zusätzlichen Nutzen bringt. Die Behörden können aufgrund der bestehenden Gesetzgebung bereits heute allfälligen Gefährdungen angemessen entgegenwirken. Der Bundesrat sieht jedoch ein Monitoring von ausländischen Direktinvestitionen vor.

Auch hier gilt für mich: Eine offene Politik gegenüber Investitionen aus dem Ausland ist für den Wirtschaftsstandort von zentraler Bedeutung. Sie garantiert den Unternehmen einen ausreichenden Zufluss von Kapital und Wissen und trägt so zum Wohlstand sowie zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei.

Wenn Huawei sich an unseren Hochschulen engagiert, sehe ich dies nicht als Gefahr, sondern als Chance für unsere Bildung und Forschung. Früher oder später hat das auch Auswirkungen nicht nur an unseren Universitäten, sondern auch für unsere Berufsbildung in den vielen KMUs.

Ein Erfolgserlebnis

Meine Damen und Herren, bevor ich zum Schluss komme, möchte ich Ihnen nun aber noch wie versprochen über einen einzigartigen Schweizer Erfolg berichten. Nein es geht nicht um Roger Federer oder den FC Basel. Es geht um einen anderen Primeur: die Entschuldung der Arbeitslosenversicherung.

Zuerst muss ich dies mit einigen gewaltigen Zahlen untermauern. Der Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung hatte 2010 ein Minus von 7 Milliarden Franken. Bis Ende 2018 haben wir dieses Loch auf 1,1 Milliarden Franken reduziert. 2019 werden wir voraussichtlich dank einem Überschuss von 1,6 Milliarden Franken schuldenfrei dastehen.

Dies hat es seit 2003 nicht mehr gegeben. Es zeigt, dass die ALV gut aufgestellt und auch für wirtschaftlich schwierigere Zeiten gut gewappnet ist.

Diese erfreuliche Entwicklung haben wir 3 Faktoren zu verdanken:

der Schuldenobergrenze der Arbeitslosenversicherung;

der Einführung von ausserordentlichen Massnahmen zur Entschuldung ab 2011;

sowie der momentan hervorragenden Arbeitsmarktlage.

Der Solidaritätsbeitrag von jährlich gesamthaft rund 300 Millionen Franken fällt jetzt aber noch nicht einfach weg. Er ist befristet bis das Eigenkapital des Ausgleichsfonds 2,5 Milliarden Franken erreicht hat. Gemäss aktueller Planung könnte dies Ende 2020 der Fall sein. Sobald das Eigenkapital per Ende Jahr diesen Wert überschreitet, entfällt das «Solidaritätsprozent» automatisch.

Sie sehen, meine Damen und Herren, die Schweiz steht heute im Grossen und Ganzen gut da. Aber die Zukunft ist ungewiss. Deshalb müssen wir uns vorbereiten, beispielsweise durch die verschiedenen konkreten Massnahmen, die mir als Wirtschaftsminister wirklich wichtig sind:

  • Freihandel stärken!
  • Bürokratie abbauen!
  • Berufsbildung fördern!

Mein Ziel ist es, dass auch in Zukunft Jede und Jeder in diesem Land Arbeit hat und damit ein würdiges Leben führen kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Gerne beantworte ich nun noch Ihre Fragen, vielleicht auch zur Berufsbildung.


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