„Erfolgsfaktor Mensch: Wissen, Können und Vertrauen für mehr Zukunft“

St Jakobshalle, Basel, 21.11.2019 - Rede von Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung zum Tag der Wirtschaft

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Chers amis,

Dieses Bild war in allen Medien: Vor ein paar Wochen stand hier, - genau in dieser Halle -. ein berühmter Basler im Goldregen: Roger Federer.

Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass auch ein Waadtländer in diesem Goldregen stehen kann. Stan Wawrinka hat es leider nicht geschafft. Deshalb bin ich heute gekommen…

Aber kein Goldregen…

Ich bin ja auch kein Tennisspieler. Nur Wirtschaftsminister. Da darf ich auch keinen Goldregen erwarten.

Ich weiß auch warum. Wenn unsere Wirtschaft brummt und die Arbeitslosigkeit niedrig ist, sind SIE die Helden. Und wenn es ihr schlecht geht, dann ist immer der Wirtschaftsminister schuld… Dann gibt es keinen Goldregen, sondern nur Teer und Federn…

Aber Spaß beiseite: als Wirtschaftsminister bin ich stolz auf Sie und auf unsere Arbeitnehmerschaft. Dank Ihrem Engagement erlebt unser ganzes Land einen Goldregen.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. 2018 ist das BIP um 2,8% gestiegen. Unsere Konjunkturexperten haben aber die Erwartungen dieses Jahr auf 0,8% Zuwachs zurückgeschraubt. Das ist eindeutig ein Weckruf für uns alle.

Zurzeit ist die Arbeitslosigkeit so niedrig wie noch nie. Nur 2,2% der Erwerbstätigen des Landes sind zurzeit in einem unserer Regionalen Arbeits- und Vermittlungszentren eingetragen. Aber auch hier schalten die Ampeln zumindest auf Orange. Temporäre Jobs werden schon nicht mehr alle neubesetzt.

Ich kann diese Zurückhaltung sehr gut verstehen. Wenn man in die Zukunft schaut, gibt es ja einige Gründe zur Besorgnis. Auch wenn die Medien etwas weniger darüber berichten, tobt der amerikanisch-chinesische Handelskrieg immer noch weiter. Die Teileinigung zwischen Peking und Washington hat die Lage zwar etwas entspannt. Aber es ist immer noch nicht der vielversprochene endgültige Deal, auch wenn es Anfang des Monats wieder neue positive Signale gab.

Auch in Europa bleiben die Spannungen groß. Großbritannien hat Neuwahlen ausgerufen. Aber es ist alles andere als sicher, dass die neuen Mehrheiten im Parlament so ausfallen werden, um die Frage des Brexits endgültig zu lösen.

Dank unserer „Mind the gap"- Strategie und den Verträgen, die ich letzten Februar mit dem damaligen Handelsminister Liam Fox unterzeichnet habe, ist die Schweiz für die Brexitreise ziemlich gut gerüstet. Aber trotzdem: es könnte für die europäische Wirtschaft ziemlich ungemütlich werden. Und die Schweiz sitzt nun mal mitten in Europa.

Was dabei auffällt: die wirtschaftlichen Unruhen werden von der Politik gestiftet. Vor ein paar Jahren war es eher umgekehrt. Wirtschaftskrisen haben die Politik vor sich hergetrieben.

So gesehen muss der Goldregen tatsächlich abgesagt werden…

Aber abgesehen vom politischen Umfeld, ist die Schweizer Wirtschaft auch mit hausgemachten strukturellen Problemen konfrontiert. Die OECD hat vor kurzem in ihrer Länder-Studie zur Schweiz zwei Probleme laut und deutlich genannt.

Erstens: Die schnelle Alterung unserer Gesellschaft.

Zweitens: Die zu schwache Ausrichtung auf neue Technologien, insbesondere auf die Digitalisierung.

Zum Thema alternde Schweiz: Ich will hier nicht auf die Empfehlungen der OECD in der Altersvorsorge eingehen. Das ist (zum Glück) nicht die Aufgabe meines Departementes. Kollege Sozialminister Alain Berset hat hier alle Hände voll zu tun. Aber zugegeben -schlussendlich ist es die Aufgabe des Gesamtbundesrates - hier konsensfähige Vorschläge zu erarbeiten.

Mich beunruhigt hier jedoch zweierlei. Zuerst als Wirtschaftsminister:

Internationale Wirtschaftsspezialisten sind überzeugt, dass die wichtigste Ursache für die sehr schleppende Erholung der internationalen Wirtschaft nach der Finanzkrise von 2008 in der Demographie der westlichen Industrieländer liegt.

Es gibt ja auch einigen Grund für einen solchen Verdacht: gemäß UNO gab es 2018 zum ersten Mal in der ganzen Weltbevölkerung mehr über 65-jährige als unter 5-jährige.

Wie alle Industriestaaten kämpft die Schweiz schon länger mit diesem Trend.

Zurzeit sind unsere Babyboomers dabei, sich nach und nach in den Ruhestand zu verabschieden.

Der Abgang der Babyboomer hat zwei Konsequenzen:

Erstens wird diese geburtenstarke Generation weniger ausgeben können, also unseren Binnenmarkt weniger stützen können.

Zweitens stehen die Kapitalreserven, die in ihre Pensionszahlungen überführt werden, nicht mehr für nützliche Zukunftsinvestitionen zur Verfügung. Beides hat natürlich einen negativen Einfluss auf die zukünftige Wirtschaftsdynamik unseres Landes.

Als Arbeitsminister beunruhigt mich natürlich auch, dass wir in den nächsten Jahren mit den Babyboomern massiv an ausgewiesenen Fachspezialisten und Talenten verlieren werden. Ganz zu schweigen vom wirtschaftlichen Wert des Erfahrungsschatzes, der uns dabei abhandenkommt. Sie werden nicht einfach zu ersetzen zu sein.

Zum Thema Digitalisierung: Ich bin überzeugt: Die Kombination von künstlicher Intelligenz, Big Data, Additive Manufacturing und Plattformmanagement wird unsere industrielle Umwelt langfristig vollständig umkrempeln. Design und Entwicklung werden immer mehr von der Produktion entkoppelt. Große internationale industrielle Netzwerke werden immer mehr die Produktion für die verschiedensten Produkte und Marken übernehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass einige dieser Netzwerke auch in der Schweiz angesiedelt und auch geführt werden.

Aber die Schweiz muss sich in Acht nehmen. „Mangelnde Kompetenzen im Bereich Informatik bremsen das Wachstum der Unternehmen und die Einführungen neuer Technologien" Das sage nicht ich. Das schreibt die OECD in ihrer Studie zur Schweiz. Und das nehme ich als Bildungs- und Wirtschaftsminister sehr ernst.

Die OECD anerkennt aber auch, dass die Infrastruktur der Schweiz und die Investitionen in Forschung und Entwicklung auf dem höchsten Niveau sind.

Ich verrate Ihnen auch gerne ein kleines Geheimnis: Eine Studie zur künstlichen Intelligenz unter der Federführung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation zeigt klar, dass die Schweiz auch in diesem wichtigen Thema außerordentlich gut positioniert ist.

Ich kann Ihnen jedenfalls versichern: in der nächsten Bildungs-, Forschungs- und Innovations-Botschaft steht die Digitalisierung auch weiterhin im Zentrum. An den Konferenzen der Kantonalen Erziehungsdirektoren, an denen ich teilnehme, kommt dieses Thema immer wieder zur Sprache. Unsere Kantone haben sich in vielen pädagogischen Experimenten engagiert, um das digitale Wissen der neuen Generationen zu verbessern.

Sie haben es wahrscheinlich gemerkt: bei beiden kritischen Punkten der OECD geht es in erster Linie um Menschen. Und damit bin ich nun am Thema Ihrer heutigen Tagung angelangt: Erfolgsfaktor Mensch.

Ich bin sehr froh, dass wir nach der intensiven Auseinandersetzung der letzten Jahre mit dem Thema Digitalisierung wieder zum Wesentlichen zurückgefunden haben. Zum Menschen. Und zwar zum Menschen als Erfolgsfaktor.

Bisher hat es eher ausgesehen, als wäre der Mensch immer mehr ein Hindernis auf dem Weg des Siegeszuges der Roboter. Künstliche Intelligenz schien schon im Begriff zu sein, den Menschen abzuschaffen.

Aber nach der Aufregung der letzten Jahre ist wieder etwas mehr Besonnenheit eingezogen. Klar: in Sion und in Bern fahren schon Smartshuttles. Aber man kommt auch zur Einsicht: es wird noch einige Zeit brauchen, bis unsere Straßen durch vollautomatisierte PKWs übernommen werden. Was manchmal wie eine Revolution gehandelt wird, ist eigentlich oft eine Evolution. Aber eine sehr wichtige.

Wenn die Algorithmen noch etwas auf sich warten lassen, muss sich auch die Wirtschaft in vielen Bereichen weiterhin mit dem Menschen zufriedengeben. Das heißt nicht, dass die digitale Umwälzung abgeblasen wird. Ganz im Gegenteil. Aber der Übergang wird sich langwieriger, sprunghafter und komplizierter gestalten, als es die Propheten aus dem Silicon Valley manchmal wahrhaben wollen.

Ja, es ist so: viele Jobs können verloren gehen. Aber wir wissen noch nicht, wie viele neue, interessantere Jobs dank Digitalisierung noch erfunden werden.

Gerade wenn sich etwas langwierig, sprunghaft und kompliziert gestaltet, ist der Mensch in seinem Element. Er hat seit Jahrtausenden bewiesen, dass er sich fast allen Umständen anpassen kann. Ja, dem Einzelnen mögen manche Veränderungen schwerfallen. Aber kollektiv gesehen, ist die Adaptationsfähigkeit unserer Spezies unübertroffen.

So gesehen ist Flexibilität der erste Erfolgsfaktor des Menschen. Um diese Flexibilität zu erhöhen, braucht er „savoir et savoir-faire" – Wissen und Können. Aber er muss auch überzeugt sein, dass sich sein Einsatz lohnt. Er braucht Vertrauen in sich und seine Zukunft.

Chers amis, liebe Freunde,

Die Schweiz ist bestens aufgestellt, um alle diese Erfolgsfaktoren zu bedienen. Flexibilität, Wissen und Können, Vertrauen.

Klar, diese Flexibilität ist extern bedingt. Unsere Wirtschaft braucht die Möglichkeit zum Strukturwandel, also einen liberalen Arbeitsmarkt und gute freiheitliche Rahmenbedingungen.

Aber unser Bildungssystem, ganz besonders unsere Aus- und Weiterbildung, gibt jedem Einzelnen das nötige Wissen und Können auf den Berufsweg. Einerseits, um sich in einem immer verändernden Arbeitsumfeld behaupten zu können. Andererseits, um beizutragen, dass unser Land nicht stehen bleibt und immer an der Spitze des wirtschaftlichen und technologischen Fortschritts miteifern kann.

Damit der Mensch diese Herausforderung annimmt, braucht er Vertrauen. Auch hier ist die Schweiz meiner Ansicht nach hervorragend aufgestellt, um Vertrauen zu stiften. Einerseits sorgt die bestehende Sozialpartnerschaft, dass Arbeits- und Sozialkonflikte immer wieder durch einvernehmliche Lösungen geregelt werden können. Ein gutes Sozialnetz sorgt auch dafür, dass niemand zurückgelassen wird. Anderseits macht es unser direktdemokratisches politisches System möglich, den Sozialpakt, - wenn immer nötig -, zu revidieren und anzupassen. Auch das stiftet Vertrauen.

Das heißt noch lange nicht, dass alles perfekt ist. Damit der Mensch wirklich Erfolgsfaktor sein kann, müssen viele Bedingungen erfüllt werden. Ich bin aber überzeugt, dass unser Land die meisten dieser Bedingungen erfüllt oder erfüllen kann. Wichtig bleiben dabei der Dialog und die Fähigkeit, gut zuzuhören. Und ich höre auch Ihnen gerne und aufmerksam zu, um eventuelle Mängel beheben zu können und negativen Entwicklungen zuvorzukommen.

Meine Damen und Herren,

in der Schweiz bleibt der Mensch im Zentrum. In der Schweiz ist der Mensch ein Erfolgsfaktor. Der Bundesrat wird auch weiterhin sein Bestes tun, damit der Mensch im Zentrum und Erfolgsfaktor bleibt. Alles andere würde ja auch keinen Sinn ergeben. Was wäre Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie ohne den Menschen? Unsere Aufgabe ist klar: wir müssen dafür sorgen, dass der Mensch für die neue Zukunft gerüstet bleibt, aber auch, dass diese Zukunft dem Menschen gerecht wird. Wir werden daran arbeiten. Als Menschen, für die Menschen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


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