«Erfolg durch Zusammenarbeit»

Zürich, 16.11.2019 - Ansprache von Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) anlässlich des ETH-Tages

Meine sehr geehrten Damen und Herren

Herzlichen Dank für die Einladung und dass Sie mir keinen Maulkorb verhängt haben. Dem heutigen Anlass geht ja eine etwas aufreibende Woche voraus. So hat eine von der Boulevardpresse unnötig aufgebauschte falsche Polemik den Forschungsminister zum Zensurminister erhoben. Dieses Bild ist völlig haltlos. Die Wissenschaft mundtot zu machen, bedeutet für mich ganz klar, ihr zu schaden.

Ich wiederhole hier gerne nochmals öffentlich: Ich habe noch nie einen Maulkorb verhängt, ich habe nicht verboten ein Faktenblatt zu veröffentlichen.

Ich schätze enorm die Unabhängigkeit der Wissenschaft, die der Politik Fakten präsentiert. Sie zeichnet die Schweiz aus.

Das sehen wir auch sehr gut an den beiden Nobelpreisen in Chemie und Physik, mit denen die Schweizer Forschungsgemeinschaft 2017 und 2019 gewürdigt wurde. Diese renommierten Auszeichnungen und damit alle anderen bemerkenswerten Arbeiten, die in unseren Labors in aller Stille geleistet werden, verhelfen den Wissenschaften –unabhängig von ihrem Anwendungsbereich – in der Öffentlichkeit zu hohem Ansehen. Dieses Ansehen ist durchaus verdient, bringt aber auch gewisse Verpflichtungen mit sich.

In der heutigen Zeit von «fake news» und Verschwörungstheorien müssen die Bürgerinnen und Bürger auf etwas vertrauen können. Der Wissenschaft vertrauen sie momentan noch, und darüber bin ich froh. Sie vertrauen ihr deshalb, weil sie keine besonderen Interessen verfolgt, ausser jene der Beobachtung und der Wahrheit.

Nichts liegt mir ferner, als das Teleskop von Galileo zu verhüllen: Von der Forschung Neutralität zu erwarten, heisst nicht sie mundtot zu machen. Im Gegenteil: Ich werde die Forschung immer und unermüdlich unterstützen. Ich stehe hier vor Ihnen als Anwalt für eine freie Forschung, weil ich ein überzeugter Verfechter des Fortschritts bin.

Am heutigen Datum, dem 16. November 2019, feiern wir den 164. Jahrestag der ETH Zürich. Die ETH Zürich wurde im Jahr 1855 als «eidgenössische polytechnische Schule» gegründet. Neben den kantonal verankerten Universitäten war das «Poly» die erste eidgenössische Hochschule. Nicht zuletzt dank ihrer technischen Ausrichtung war es überhaupt möglich, eine nationale Hochschule zu gründen. Die Spezialisierung erlaubte es, die Bedenken der ländlichen, katholisch geprägten Kantone aus dem Weg zu räumen. Diese befürchteten nämlich, dass eine eidgenössische Volluniversität ein intellektuelles Monopol der städtischen, protestantisch geprägten Kantone schaffen würde. Aber alle mussten einsehen, dass im 19. Jahrhundert mit der zunehmenden Industrialisierung der Bedarf an technisch versierten Fachkräften besonders hoch war. Somit war auch der Weg zur Schaffung des eidgenössischen Polytechnikums geebnet.

In diesem Zusammenhang ist auch Alfred Escher zu erwähnen, dessen 200-Jahr-Jubiläum dieses Jahr gebührend gefeiert wurde. Der Politiker und Wirtschaftsführer Escher trug wesentlich dazu bei, dass die Vision einer eidgenössischen Hochschule im noch jungen Bundesstaat Realität wurde. Alfred Escher war nicht unumstritten. Vor allem die Häufung seiner politischen Mandate gab Anlass zu Unmut. Nichtsdestotrotz gilt er auch als Vater der Gotthardbahn mit dem legendären Eisenbahntunnel. Ein Paradebeispiel, für dessen Realisierung man auf hochqualifizierte Ingenieure angewiesen war. So wurde unter anderem Ernest von Stockalper, ein an der ETH Zürich ausgebildeter Bauingenieur, der zweite technische Gesamtleiter für den Bau des Gotthardtunnels.

1911 wurde das Polytechnikum in «eidgenössische technische Hochschule» – ETH – umbenannt. Ihren Schwerpunkt hatte und hat die Schule zwar nach wie vor in technischen und naturwissenschaftlichen Fachbereichen. Mit der zunehmenden Vernetzung und der immer grösseren Bedeutung von Interdisziplinarität unterliegen aber auch diese Fachbereiche einem Wandel. Keines der aktuellen gesellschaftlichen Themen kann einem einzigen Fach zugeordnet werden, geschweige denn für sich alleine betrachtet werden. Ich denke dabei etwa an Klimawandel, Umweltschutz, Energieversorgung, Gesundheit, Ernährung, Mobilität, Wohnen und ganz besonders auch an Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Cybersecurity. Alles Bereiche, in denen sich die ETH an vorderster Front in Forschung und Lehre behauptet.

In der Tat ist die ETH Zürich sehr erfolgreich. Dies durften wir auch dieses Jahr wieder anhand verschiedener internationaler Rankings oder der Rekordzahl von 15 kürzlich angeworbenen European Research Council (ERC) Starting Grants erfahren . Auch die Schweiz profitiert vom Erfolg der ETH und das nicht nur in Bezug auf das Ansehen des Landes als Bildungs- und Forschungsplatz. Durch Wissens- und Technologietransfer wirkt die ETH nämlich als Innovationsmotor. Sie trägt ganz unmittelbar zur Bewältigung drängender gesellschaftlicher Herausforderungen bei. Konkret manifestiert sich das unter anderem in den über 400 Spin-offs, die seit den 90er-Jahren gegründet wurden.

Erfolg kommt aber nicht von alleine und auch nicht im Alleingang: Die Zusammenarbeit unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen – sowohl innerhalb der ETH als auch über die Institutsgrenze hinweg – ist eine unerlässliche Voraussetzung für den Erfolg Dies gerade auch mit der zunehmenden Verflechtung vieler gesellschaftlicher Bereiche. Ich bin sehr erfreut darüber, dass beispielsweise im Bereich der Medizin viele Schweizer Hochschulen – darunter auch die ETH – zusammenspannen und es somit ermöglichen, mehr ärztliches Personal auszubilden. Personal, das dringend benötigt wird. Der Bachelor in Humanmedizin ergänzt das Angebot der ETH sinnvoll. Nicht zuletzt, da die ETH im Bereich der Medizintechnologien – und hier besonders in «Personalized Health» – eine führende Rolle einnimmt.

Auch in den sogenannten MINT -Fächern trägt die ETH als technische Hochschule dazu bei, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Gerade da ist es auch erfreulich, wie gut die Zusammenarbeit mit der Schwesterinstitution in der Romandie – der EPFL – sich mittlerweile etabliert hat. Als gutes Beispiel kann hier das Swiss Data Science Center (SDSC) in Lausanne genannt werden. Es wird von beiden ETH betrieben. Das SDSC ist ein zukunftweisendes Projekt, und dies in mehrfacher Hinsicht:

Erstens: Daten

Ich habe zu Beginn betont, dass wir am heutigen Datum den Jahrestag der ETH Zürich feiern. Nun, Daten bezeichnen nicht nur Tages- und Zeitangaben. Daten sind auch – erlauben Sie mir das Wortspiel – die Grundlage jeder wissenschaftlichen Arbeit. Und auch vor wissenschaftlichen Daten macht der Wandel nicht Halt. Es werden immer mehr Daten produziert, gesammelt und aufbewahrt. Die älteren Semester unter Ihnen werden mir beipflichten, dass es bis vor gar nicht allzu langer Zeit unvorstellbar war, in kürzester Zeit an eine Fülle von Daten zu kommen. Wie man sie mit einer einfachen Suchanfrage über Google erhält. An diesem Beispiel zeigt sich auch der zweite Aspekt des Datenwandels: Daten sind zunehmend digital. Dies stellt die Wissenschaft und die Gesellschaft als Ganzes vor neue Möglichkeiten aber auch vor neue Herausforderungen.

Wie soll man mit diesen Daten umgehen, wo sollen sie aufbewahrt werden, wer soll darauf zugreifen können, was kann man daraus erschliessen?

Das von der ETH Zürich betriebene Centro Svizzero di Calcolo Scientifico (CSCS) in Lugano beispielsweise bietet Forschenden eine Infrastruktur, mit der diese Unmengen an Daten verarbeitet werden können. So ist gemäss der Top500-Liste vom Juni 2019 der Supercomputer Piz Daint am CSCS der sechststärkste Computer auf der Welt und der leistungsfähigste in ganz Europa.

In diesem Zusammenhang wird auch das Thema der Datensicherheit immer wichtiger. Als ehemaliger Vorsteher des VBS ist mir Cybersecurity sehr präsent. Natürliche Personen müssen ihre Privatsphäre schützen, Unternehmen ihre Betriebsgeheimnisse. Aber auch der Staat ist zunehmend auf das Know-how von Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet angewiesen, um seine Daten und seine IT-Infrastruktur zu schützen.

Zweitens: Zusammenarbeit in der Wissenschaft und Open Science

Das als Beispiel dienende Swiss Data Science Center (SDSC) in Lausanne ist nicht nur zukunftsweisend, weil es sich um ein Datencenter handelt, sondern auch darum, weil es 2017 [zweitausend-siebzehn] als Joint Venture zwischen der ETH Zürich und der EPFL entstanden ist und die Zusammenarbeit fördern will. Das Center bringt Teams von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen. Sie vereinen das Wissen, wie man Daten produziert, analysiert und schlussendlich interpretiert. Multidisziplinarität ist auch hier wieder – wie überall in der modernen Wissenschaft – unerlässlich.

Mit der zunehmenden überfachlichen Vernetzung geht auch ein weiterer Paradigmenwechsel einher. Bislang wurden Forschungsdaten und Ergebnisse nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten zugänglich gemacht. Das, bevor der grosse Artikel in einer namhaften Zeitschrift erschien. Nun hat man erkannt, dass Offenheit einen grösseren gesellschaftlichen Nutzen bringt. Das Konzept von Open Science – Forscherdaten sollen für alle Forschenden zugänglich sein – gewinnt an Zustimmung. Ich bin zuversichtlich, dass sich diese neue Kultur von Offenheit durchsetzen wird. Das SDSC soll einen Vorschub dazu leisten. Es bietet die ideale Plattform, um Daten auszutauschen und gemeinsam zu analysieren und zu interpretieren. Open Science Data wird – zumindest in der Schweiz – vom SDSC mitkonzipiert werden.

Drittens: Zusammenarbeit mit der Industrie

Nicht zuletzt schafft das SDSC auch eine Grundlage, um die Forschung mit der Wirtschaft zusammen zu bringen. Die ETH zeichnet sich dadurch aus, dass sie bereits viele fruchtbare Kooperationen mit Partnern aus der Industrie eingegangen ist – ich nenne hier als ein Beispiel unter vielen das Computer Graphics Laboratory. Es arbeitet unter anderem mit den Disney Research Studios zusammen. Aber auch KMU profitieren von der Zusammenarbeit mit der ETH. Und diese Tradition soll am SDSC weiterverfolgt werden. Vor allem im Bereich der Künstlichen Intelligenz darf man sich von einer solchen Partnerschaft viel versprechen. Die Zusammenarbeit stellt stets eine Win-win-Situation dar: Unternehmen erhalten in ihrer Datenanalyse die Unterstützung von top ausgebildeten Fachleuten auf dem Gebiet der Computer- und Datenwissenschaft. Diese wiederum erhalten Einblick in neue Fragestellungen und Datensätze. Sieentwickeln ihr Know-how sowie die Analysetools weiter. Diese Symbiose von Entwickeln und Weiterentwickeln führt zu Innovation, die letztlich der Gesellschaft zugutekommt: Die Endprodukte, die aus der Datenanalyse entstehen, kommen nicht selten auf den Markt. Und sie bieten neue Lösungen für gesellschaftliche Anliegen und Herausforderungen.

Meine Damen und Herren,

ich habe jetzt relativ ausführlich über das SDSC referiert. Aber Sie werden es erkannt haben: Das SDSC dient als Beispiel für das Wesen der ETH. Anhand des Swiss Data Science Centers habe ich versucht, Folgendes anschaulich zu vermitteln: Die ETH investiert in die Zukunft. Sie ist am cutting edge der Wissenschaft und der Technologie, sie fördert die Zusammenarbeit unter den Forschenden wie auch zwischen den Forschenden und der Industrie. Sie ermöglicht Innovation und Wissenstransfer und leistet somit einen substanziellen Beitrag zur Bewältigung aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen.

Am Jahrestag der ETH Zürich darf ich ihr also mit gutem Gewissen gratulieren für alles, was sie bisher erreicht hat. Und natürlich freue ich mich auf noch viele weitere fruchtbare Jahre der ETH Zürich an der Spitze von Lehre, Forschung und Innovation.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!


Adresse für Rückfragen

info@gs-wbf.admin.ch


Herausgeber

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
http://www.wbf.admin.ch

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-77130.html