Mit Wohnbaugenossenschaften Städte lebendiger machen

Zürich, 20.09.2019 - Grussbotschaft von Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) anlässlich des 100. Geburtstags WBG Schweiz

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter von Behörden und Parlamenten
Geschätzte Genossenschafterinnen und Genossenschafter

Liebe Gäste

Es freut mich sehr, heute unter Ihnen sein zu dürfen. Gerne überbringe ich den beiden Verbänden «Wohnbaugenossenschaften Schweiz» und «Wohnbaugenossenschaften Zürich» die Grüsse und Glückwünsche des Bundesrates zum 100-jährigen Jubiläum. 

Es ist mir eine besondere Freude, im Kreise von Genossenschafterinnen und Genossenschaftern zu sein. Sie wissen, ich komme aus der Landwirtschaft, aus einem Bereich, der ebenfalls eine lange genossenschaftliche Tradition kennt. Ich habe mich insbesondere in der Fenaco über Jahre engagiert. Daher sind mir nicht nur die Grundsätze der genossenschaftlichen Organisation und des genossenschaftlichen Wirtschaftens vertraut, sondern auch die Aufgaben und Herausforderungen eines grossen Dachverbandes.

Es gibt eine weitere Parallele: In der Landwirtschaft wie auch in Ihrem Bereich geht es um Grundbedürfnisse: Dort um Nahrung, hier um Wohnraum. Auf beides können wir nicht verzichten. Essen und Trinken sind lebensnotwendig, genauso wie das Dach über dem Kopf.

Als «Wohnungsminister» freut es mich, dass das Grundbedürfnis «Wohnen» in unserem Land sehr gut gedeckt ist. Für unsere Bevölkerung steht genügend Wohnraum von guter Qualität zur Verfügung, und die Wohnkosten sind für die meisten auch tragbar.

Diese insgesamt erfreuliche Situation ist zum einen Ausdruck unseres Wohlstands. Ob man als Kriterium Lebensqualität, Gesundheit oder Freiheit wählt – die Schweiz nimmt immer einen Spitzenplatz ein. Dies ist nicht zufällig. Günstige Rahmenbedingungen im Inland, welche die wirtschaftliche Entwicklung befördern, möglichst offene Märkte gegen aussen und ein sehr gutes Bildungssystem bilden dafür die Grundlagen.

Für mich als Wirtschaftsminister hat die Pflege und Weiterentwicklung dieser Grundlagen und damit die Erhaltung des Wohlstandniveaus oberste Priorität. Denn nur damit ist unter anderem auch sichergestellt, dass die Mittel für den Bau und die Erneuerung von Wohnraum vorhanden sind. Damit diese Investitionen getätigt werden, braucht es zusätzlich die entsprechenden Rahmenbedingungen. Unser Mietrecht lässt es zu, dass sich die Investitionen lohnen. Dies muss auch so sein, denn sonst wird nicht investiert. Gleichzeitig sorgt unser Mietrecht dafür, dass die Interessen der Mietenden geschützt sind und Missbräuche möglichst verhindert werden. Wir sind mit diesen Grundsätzen gut gefahren. Befragungen zeigen immer wieder, dass der Grossteil der Bevölkerung mit der eigenen Wohnsituation zufrieden ist.

Geschätzte Genossenschafterinnen und Genossenschafter,

Die Wohnbaugenossenschaften und andere gemeinnützige Bauträger, die in Ihrem Verband zusammengeschlossen sind, gehören zum breiten Kreis der Investorinnen und Investoren, die zu den guten Wohnverhältnissen beitragen. Ich bin mir aber bewusst, dass Wohnbaugenossenschaften eine besondere Investorengruppe darstellen und sich von anderen Investoren unterscheiden.

Erstens sind bei den Wohnbaugenossenschaften die Mieterinnen und Mieter auch Mitglieder und Teilhaber. Sie haben somit Mitspracherechte bei der Geschäftstätigkeit und im Vergleich zum normalen Mietverhältnis eine höhere Wohnsicherheit. Gerade heute, wo aufgrund der hohen Preise und der Eigenmittelanforderungen für viele Personen und Familien der Zugang zu Wohneigentum schwierig ist, stellt das genossenschaftliche Wohnen eine Alternative dar. Man spricht denn auch zu Recht vom «Dritten Weg» im Wohnungsbau, weil das genossenschaftliche Wohnen gewisse Vorteile des selbst bewohnten Eigentums und des normalen Mietverhältnisses zusammenbringt. Genossenschafterinnen und Genossenschafter bleiben zum Beispiel trotz der besonderen Art von Miteigentum mobiler als dies beim individuellen Eigentum der Fall ist.

Zweitens orientieren sich die Mieten der gemeinnützigen Bauträger nicht an dem, was möglich ist, sondern an dem, was nötig ist. Dank Anwendung der Kostenmiete können auch an Lagen mit hohem Preisniveau, wie hier in Zürich, Wohnungen für Menschen angeboten werden, die finanziell nicht auf Rosen gebettet sind. Wohnbaugenossenschaften leisten damit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Durchmischung und damit zu einer lebendigen Stadt.

Vor allem aus diesen beiden Gründen ist die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus ein Anliegen, das seit Jahrzehnten in der Bundesverfassung festgehalten ist. Die Zusammenarbeit des Bundes mit dem gemeinnützigen Wohnungsbau und namentlich mit Ihrem Verband reicht jedoch viel weiter zurück: 1921 stellte der Bund dem damals noch jungen Verband einen «Baufonds» im Umfang von 200'000 Franken zur Verfügung. Damit war der Grundstein gelegt für den «Fonds de Roulement», den der Bund in der Zwischenzeit weiter mit Krediten alimentiert hat. Die treuhänderische Fondsverwaltung durch Ihren Verband und den Verband «Wohnen Schweiz» ist eine «Win-win-Situation» für alle Beteiligten: Der Bund hat Zinseinnahmen und ist administrativ entlastet, die Mitglieder Ihres Verbandes profitieren von einem niederschwelligen Zugang zu Finanzmitteln, und der Verband kann kompetente Beratungen und Weiterbildungen anbieten.

Zudem hat sich der Bund zwischen 1947 und 1995 auch aus ganz eigenen Interessen für den genossenschaftlichen Wohnungsbau eingesetzt. Weil seine Mitarbeitenden nach dem 2. Weltkrieg grosse Mühe hatten, eine angemessene Wohnung zu finden, hat er mit der Abgabe von Bauland im Baurecht und mit zinsgünstigen Darlehen bis 1994 die so genannten Wohnbaugenossenschaften des Bundespersonals unterstützt. Mit dieser Hilfe entstanden schweizweit über 150 Genossenschaften, denen rund 15'000 Wohnungen gehören.

Für die gute Zusammenarbeit, die Ihr Verband mit meinem Bundesamt für Wohnungswesen seit Jahrzehnten pflegt, möchte ich Ihnen heute herzlich danken. Ich bin überzeugt, dass diese Partnerschaft zur Weiterentwicklung des gemeinnützigen Wohnungsbaus beigetragen hat. Vielerorts, vor allem in den eher ländlich geprägten Regionen, ist der gemeinnützige Wohnungsbau zwar eine Marktnische geblieben. Diese ist aber dennoch wichtig, vor allem im Zusammenhang mit Wohnungen für ältere Menschen. Andernorts, und namentlich hier in der Stadt Zürich, ist der gemeinnützige Sektor zu einem wichtigen und unentbehrlichen Player geworden.

Geschätzte Damen und Herren,

Die Bürgerinnen und Bürger werden bald Gelegenheit haben, sich an der Urne zum gemeinnützigen Wohnungsbau zu äussern. Die Abstimmung über die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» steht vor der Tür. Die Initiative will den gemeinnützigen Wohnungsbau stärken. Sie will insbesondere in der Bundesverfassung festhalten, dass künftig 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen im Eigentum von gemeinnützigen Bauträgern sein müssen.

Ich kann nachvollziehen, dass Ihr Verband diese Initiative unterstützt. Der Bundesrat und das Parlament empfehlen sie jedoch zur Ablehnung und dies namentlich aus drei Gründen:

Erstens ist es nicht zweckmässig, in der Bundesverfassung eine starre Neubauquote von 10 Prozent zugunsten des gemeinnützigen Wohnungsbaus festzuhalten. Das ist unrealistisch: Aktuell macht der Anteil des gemeinnützigen Wohnungsbaus an den neu gebauten Wohnungen schweizweit etwa 3 Prozent aus. Er müsste also mehr als verdreifacht werden. Um dies zu erreichen, müsste die Unterstützung des gemeinnützigen Wohnungsbaus durch den Bund und die Kantone massiv ausgebaut werden. Das wäre mit einer grossen Belastung für die Steuerzahler verbunden. Die Vorgabe müsste zudem Jahr für Jahr unabhängig vom tatsächlichen Bedarf erfüllt werden. Damit wäre absehbar, dass auch dort gebaut würde, wo bereits ein Überangebot besteht. Möglich wäre auch, dass die öffentliche Hand selber als Bauherr auftreten müsste, damit der vorgeschriebene Anteil erreicht wird. All das ist nicht sinnvoll.

Zweitens besteht kein Bedarf für die Festlegung von Vorkaufsrechten in der Bundesverfassung. Die Kantone haben bereits heute die Kompetenz, auf ihrem Gebiet ein Vorkaufsrecht einzuführen. Sie müssen dazu nicht durch den Bund ermächtigt werden. Auch das zusätzlich verlangte Vorkaufsrecht für Grundstücke, die im Eigentum des Bundes oder bundesnaher Betriebe sind, lehnen Bundesrat und Parlament ab. Kantone und Gemeinden haben bereits heute die Möglichkeit, solche Objekte zum Marktpreis zu erwerben.

Schliesslich kommt hinzu, dass die von der Initiative geforderten Markteingriffe nicht nötig sind. Der Wohnungsmarkt präsentiert sich heute ganz anders als zum Zeitpunkt, als die Initiative lanciert wurde. Seit 2015 werden jährlich über 50'000 Wohnungen neu gebaut. Auch im gemeinnützigen Sektor sind viele neue Wohnungen erstellt worden. Die Leerwohnungsziffer ist stark angestiegen. Am 1. Juni dieses Jahres waren rund 75’300 Wohnungen nicht bewohnt. Das sind 1,66 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Eine solch hohe Quote gab es letztmals vor 20 Jahren!

Ich bin mir bewusst, dass es viele regionale Unterschiede gibt. Im Kanton Zürich zum Beispiel stehen etwas weniger Wohnungen leer als vor Jahresfrist. Und vor allem in der Stadt Zürich ist es nach wie vor sehr schwierig, eine Wohnung zu finden, die den Bedürfnissen entspricht und bezahlbar ist. Aus einer gesamtschweizerischen Perspektive, und eine solche nehme ich als Bundesrat ein, ist klar feststellbar, dass sich der Wohnungsmarkt in den letzten Jahren stark entspannt hat. Vielerorts besteht heute ein Überschuss an Wohnungen, und vor allem in diesen Gebieten sind die Mieten der neu angebotenen Wohnungen rückläufig.

Soviel zu den Gründen, warum Bundesrat und Parlament die Volksinitiative zur Ablehnung empfehlen. Dieses Nein zur Initiative des Mieterinnen- und Mieterverbandes ist aber kein Nein zum gemeinnützigen Wohnungsbau. Im Gegenteil: Das Parlament ist dem Antrag des Bundesrates gefolgt und hat im Sinne eines Gegenvorschlages zur Initiative einen Rahmenkredit im Umfang von 250 Millionen Franken zugunsten des «Fonds de Roulement» genehmigt. Damit werden in den nächsten 10 Jahren deutlich mehr Mittel für die Förderung von Neubauten und Erneuerungen zur Verfügung stehen.

Zudem sollen auch die übrigen Hilfen zugunsten der gemeinnützigen Wohnbauträger fortgeführt werden. Ich werde dem Bundesrat im nächsten Jahr eine Botschaft für einen neuen Rahmenkredit für Eventualverpflichtungen unterbreiten. Diese Mittel werden dazu dienen, über das Jahr 2021 hinaus die Anleihen der Emissionszentrale für gemeinnützige Wohnbauträger zu verbürgen und so den EGW-Mitgliedern weiterhin zu günstigen Finanzierungen zu verhelfen.

Der Bundesrat wie auch das Parlament setzen also auf Kontinuität: Eine bewährte Politik soll nicht auf den Kopf gestellt werden. Die Bereitstellung von Wohnraum soll auch künftig in erster Linie die Aufgabe des Marktes und der privaten Akteure sein. In Ergänzung zum Markt soll zudem das selbst bewohnte Eigentum und die Tätigkeit der gemeinnützigen Bauträger gefördert werden.

Geschätzte Genossenschafterinnen und Genossenschafter,

Mit den angesprochenen Förderinstrumenten hilft der Bund mit, dass Sie die bestehenden Herausforderungen meistern können. Denn vor allem in den städtischen Regionen besteht weiterhin ein Bedarf für langfristig preisgünstige Wohnungen. Mit Ihren Neubauten von hoher Qualität tragen sie dazu bei, dass dieser Bedarf gedeckt wird. Gleichzeitig ist es wichtig, die bestehenden Gebäude und Wohnungen an veränderte Bedürfnisse und ökologische Erfordernisse anzupassen. Es braucht somit nicht nur Erneuerungen, sondern häufig auch Ersatzneubauten. Denn mit diesen können die bestehenden Parzellen besser ausgenutzt und die Zahl der Wohnungen ausgeweitet werden. Solche Verdichtungsmassnahmen schonen die Landschaft und das Kulturland.

Und schliesslich möchte ich Sie ermuntern, sich bei der Umsetzung Ihrer Projekte nicht nur am Herkömmlichen zu orientieren, sondern weiterhin auch innovative Wege einzuschlagen. Der gemeinnützige Wohnungsbau hat nicht nur beim energieeffizienten Bauen bisher eine Vorreiterrolle gespielt. Auch bei der Umsetzung neuer Wohnformen und Mobilitätskonzepte sowie bei der Integration von Menschen mit Behinderungen und solchen mit einem Asylhintergrund hat er neue Lösungen aufgezeigt.

Meine Glückwünsche an die beiden Jubilare verbinde ich mit der Hoffnung, dass Sie diesen Weg weitergehen und auch künftig dazu beitragen, dass alle Menschen in unserem Land über eine angemessene Wohnung verfügen, die den finanziellen Möglichkeiten entspricht.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Adresse für Rückfragen

info@gs-wbf.admin.ch


Herausgeber

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
http://www.wbf.admin.ch

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-76476.html