«Strategie und Chancen der Freihandelsabkommen für die Schweizer Landwirtschaft»

Langnau, 10.09.2019 - Referat von Bundesrat Guy Parmelin Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung anlässlich des Emmentaler Herbstanlasses 2019 Langnau, Dienstag, 10. September 2019.

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident

Sehr geehrte Frau Geschäftsführerin

Sehr geehrter Herr Geschäftsführer

Werte Mitglieder und Gäste

Besten Dank für die Einladung zu diesem Anlass ins wunderschöne Emmental. Heute Abend geht es mir ein bisschen so wie dem HC Lausanne, wenn er jeweils in die Ilfishalle kommt. Sie haben ein Heimspiel und ich muss auswärts antreten. Ich werde aber alles geben, damit weder ich noch Sie heute Abend als Verlierer nach Hause gehen. In der Wirtschaft und bei Freihandelsabkommen würde man von einer Win-Win-Situation sprechen

Das Emmental ist ja ein kleines Abbild der Schweiz: einerseits sehr traditionell und stark landwirtschaftlich geprägt, andererseits aber auch fortschrittlich und durch die starke Exportwirtschaft eng mit dem Ausland vernetzt.

Als Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung führt mich mein dienstlicher Weg oft in fremde Länder. Dort stelle ich fest, dass die Schweiz von einem ausgezeichneten Ruf profitiert. Für ausländische Kunden sind in unserem Land hergestellte Waren synonym mit hochstehender Qualität und Zuverlässigkeit. Dies gilt nicht nur für industrielle Güter, sondern zunehmend auch für landwirtschaftliche. Gerade in diesem Zusammenhang bieten Freihandelsabkommen für Firmen aus dem Landwirtschaftsbereich Chancen, neue Märkte und Kunden zu erschliessen.

Bekanntlich ist die Schweiz ein kleines Land, das nur über einen begrenzten Binnenmarkt verfügt. Um Wachstum und somit Wohlstand garantieren zu können, ist der Zugang zu ausländischen Märkten für unsere Unternehmen und damit für Schweizer Arbeitsplätze überlebenswichtig. Die Exportquote, welche über 60% des Bruttoinlandproduktes beträgt, verdeutlicht dies eindrücklich. Das heisst, dass etwas mehr als jeder zweite Franken im Ausland verdient wird. Vor 25 Jahren wurde nur etwa jeder dritte Franken im Ausland erwirtschaftet. Sie sehen: Die Bedeutung des Aussenhandels für die Schweiz hat in den letzten Jahren zugenommen.

Was heisst das für die generelle Strategie des Bundesrates?

Die Aussenhandelspolitik der Schweiz basiert auf drei Säulen.

Da ist zuerst die multilaterale Säule mit der aktiven Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation WTO.

Dann haben wir die europäische Säule mit den bilateralen Abkommen mit der EU.

Und dann ganz wichtig: Die Säule der Freihandelsabkommen mit Drittstaaten ausserhalb der EU.

Was heisst das nun im Detail?

Die Schweiz strebt innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) nach Lösungen, um den Marktzugang von Schweizer Unternehmen zu verbessern und eine Diskriminierung auf ausländischen Märkten bestmöglich zu verhindern. Weil dort aber bei den Marktzugangsverhandlungen seit einigen Jahren kaum Fortschritte erzielt werden konnten, werden Freihandelsabkommen mit einzelnen Ländern oder Wirtschaftsräumen immer wichtiger. Diese tragen im Wesentlichen zur Verbesserung des Marktzugangs bei. Sie erhöhen aber auch die Rechtssicherheit für Schweizer Unternehmen im Ausland und sie vermeiden Diskriminierungen gegenüber Konkurrenten.

Heute muss ich leider feststellen: Die Weltwirtschaft wird Dank führender globaler Politiker und ihren Tweets unberechenbarer. Das hat negative Auswirkungen auf die internationalen Handelsbeziehungen. Deshalb wird es für die Schweiz immer wichtiger, sich ihrerseits durch den Abschluss moderner und umfassender Freihandelsabkommen vor diesen Unsicherheiten schützen zu können.

Die Schweiz ist bestrebt, ihr weltweites Netz von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten weiter auszubauen oder zu modernisieren.

Dieses Freihandelsnetzwerk umfasst rund 30 Abkommen mit 40 Partnern. Zentral ist das Freihandelsabkommen mit der EU. Ebenfalls äusserst wichtig ist die EFTA-Konvention mit unseren Partnern Norwegen, Island und Liechtenstein.

Fast alle Abkommen haben wir im Rahmen der EFTA abgeschlossen, nur die Abkommen mit China, Japan und den Färöern haben wir alleine abgeschlossen.

Moderne Freihandelsabkommen sind wichtig für die Liberalisierung des Warenverkehrs. Aber nicht nur. Sie decken weitere wichtige Bereiche wie Dienstleistungshandel und Schutz des geistigen Eigentums ab. Auch Nachhaltigkeit ist ein integraler Bestandteil moderner Schweizer Freihandelsabkommen.

Ein Freihandelsabkommen heisst nicht einfach eine komplette Öffnung der Grenzen für den wirtschaftlichen Austausch. Ein Abkommen ist eine verhandelte Lösung. Es basiert auf gegenseitigen Konzessionen und schafft auf beiden Seiten eine win-win Situation.

Ein wichtiger Bestandteil eines Freihandelsabkommen betrifft fast immer die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft:

Auf diesen beiden Gebieten verfolgt die Schweiz in jedem Freihandelsabkommen primär zwei Ziele: Erstens soll den Schweizer Exporteuren ein besserer Zugang zum neuen Markt ermöglicht werden. Zweitens ist es wichtig, dass wir mit den Agrarprodukten, die wir importieren, die Verfassungsziele der Landwirtschaft nicht torpedieren.

Die meisten Freihandelsverhandlungen werden im EFTA Verbund geführt. Der Zugang zu den Agrarmärkten wird – im Gegensatz zu Industrieprodukten – aufgrund der unterschiedlichen Situationen und Befindlichkeiten mit den anderen EFTA Partnern jeweils bilateral mit dem Freihandelspartner verhandelt. Das heisst, die Schweiz verhandelt in Sachen Landwirtschaft eigenständig. Es geht darum, bei den Produkten Konzessionen zu machen, welche für unsere Handelspartner wichtig sind, und gleichzeitig unsere Landwirtschaft wenig beinträchtigen.

Weiter bemüht sich die Schweiz, in den Verhandlungen möglichst viel für unsere Agrarprodukte herauszuholen. Da spreche ich von Käse und anderen Milchprodukten, von Trockenfleisch sowie verarbeiteten Produkten wie Schokolade, alkoholfreie Getränke, Zuckerwaren und Kaffee. Und wenn ich vorhin Käse gesagt habe, meine ich damit auch den weltweit bekanntesten Käse mit seinen grossen Löchern, der seinen Ursprung in dieser Region hat!

Welche Chancen bieten die Freihandelsabkommen für die Landwirtschaft?

Ich kann es verstehen, dass unsere Landwirtschaft angesichts der Freihandelsabkommen verunsichert ist. Als ehemaliger Landwirt bin ich jedoch in einer guten Position. Ich kann Sie beruhigen: die Landwirtschaft kann und darf diese Öffnung gegenüber der Welt als Chance und nicht als Gefahr wahrnehmen. Sie erhält die Gelegenheit, mehr Wertschöpfung zu erwirtschaften und damit ihre Nachhaltigkeit zu sichern.

Besonders die traditionell exportstarken Hersteller von Milch- und landwirtschaftlichen Verarbeitungsprodukten sind auf einen möglichst guten Zugang zu fremden Märkten angewiesen. Das nimmt unsere Strategie für Freihandelsabkommen auf.

In den Ländern mit einer steigenden Nachfrage nach qualitativ hochstehenden Lebensmitteln, wie beispielsweise den Mercosur-Staaten, eröffnen sich dadurch neue Chancen für unsere Schweizer Produkte. Stellen Sie sich zum Beispiel vor: Emmentaler Käse am Karneval in Rio oder im Gourmet-Restaurant in Buenos Aires.

Werden der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft diese neuen Zugangsmöglichkeiten verwehrt, wird es auch bei einem späteren Marktzugang schwierig werden, die von Konkurrenten bereits besetzten Marktanteile wieder zurück zu gewinnen. Unsere Hauptkonkurrenten sind dabei mehrheitlich unsere benachbarten EU-Länder. Auch sie stellen beispielsweise ebenfalls qualitativ hochwertigen und teuren Hartkäse her. Natürlich nie so gut wie der unserige. Aber immerhin.

Mit Handelsabkommen und dem dadurch verbesserten Marktzugang entstehen für uns neue Absatzmöglichkeiten. Als erfolgreiches Beispiel möchte ich hier die gegenseitige Liberalisierung des Käsehandels zwischen der Schweiz und der EU nennen. Sie führte nach der Abschaffung der Käseunion zu wieder steigenden Käseexporten, förderte die Qualität und Innovation in der schweizerischen Käsewirtschaft und vergrösserte das Sortenangebot.

Heute werden fast 40% der Schweizer Käseproduktion exportiert, davon ein Grossteil rund 80% in die EU. Selbstverständlich stiegen auch die Importe – sogar überproportional, was die Mengen anbelangt. Wertmässig sind die Käseexporte aber nach wie vor grösser als die Importe.

Mit dem Abschluss neuer Handelsabkommen eröffnen sich auch neue Importmöglichkeiten. Das ist für die Sicherung der Ernährung in der Schweiz enorm wichtig. Nur so können wir den Verfassungsauftrag erfüllen. Immerhin importiert die Schweiz heute rund 40 % der Lebensmittel aus dem Ausland. Hier sind gut funktionierende und diversifizierte Handelsbeziehungen wichtig. Vor allem auch auch für die Landwirtschaft selber. Viele Vorleistungen müssen importiert werden. Beispielsweise ist die Schweizer Landwirtschaft bei sämtlichen mineralischen Düngern (Stickstoff, Phosphor und Kali) zu 100 % von Importen abhängig. Die Importe sind auch beim Saat- und Pflanzgut sowie bei Maschinen, Geräten und Pflanzenschutzmitteln gross. Die Fleischproduktion ist auf den Import von Futtermitteln angewiesen.

Dies alles unterstreicht die Wichtigkeit der Handelsbeziehungen mit dem Ausland.

Bekanntlich sind die Produktions- und Nachhaltigkeitsstandards in der Schweizer Landwirtschaft sehr hoch. Dementsprechend besteht auch beim Bezug von Vorleistungen aus dem Ausland eine Nachfrage nach nachhaltig produzierten, qualitativ hochstehenden Produkten. Beispielsweise importiert die Schweiz praktisch ausschliesslich nachhaltig produziertes Soja. Dazu hat sie verschiedene Soja-Konventionen unterzeichnet und sie engagiert sich in diesem Bereich auch international. Somit leistet die Schweiz über ihr Handelsnetz einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Nachhaltigkeit.

Meine Damen und Herren,

ich komme nun zum aktuellen Stand der verschiedenen Freihandelsabkommen.

Zuerst zu dem Abkommen, dass in den letzten Wochen für Schlagzeilen sorgte: das Abkommen zwischen uns EFTA-Partnern und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Ich kann Ihnen hier heute sagen, dass das Abkommen aus meiner Sicht sehr gut ist. Wir erreichen einen Markt mit 260 Millionen Menschen. Wir können zollfrei Waren im Wert von 3,6 Milliarden Franken austauschen. Wir sparen jährlich Zollkosten von 180 Millionen Franken. 95% der schweizerischen Ausfuhren in die Mercosur-Staaten werden zollbefreit. Das ist neben den Abkommen mit der EU und mit China das grösste Zolleinsparungspotential aller Schweizer Freihandelsabkommen. Wir verhindern mit diesem Abkommen, dass wir gegenüber der EU und ihrem Freihandelsabkommen nicht benachteiligt werden. Sei es in der Industrie, Pharma oder Landwirtschaft.

Im Agrarbereich gewährt die Schweiz für ausgewählte Produkte erstmals bilaterale Kontingente ausserhalb ihrer WTO-Verpflichtungen. Diese Konzessionen wurden so ausgestaltet, dass sie für die heimische Landwirtschaft verkraftbar sind und die Ziele der Schweizer Agrarpolitik nicht in Frage stellen. Zu diesem Zweck wurde auch ein Dialog mit den betroffenen Branchen geführt, namentlich mit dem Bauernverband.

Wir haben einiges gewonnen: Zum Beispiel in der Landwirtschaft können wir neu 990 t Käse nach Südamerika liefern.

Lassen Sie mich hier noch ein Wort zu den Waldbränden im Amazonasgebiet sagen. Diese sind dramatisch. Für mich ist jeder Waldbrand einer zuviel. Sei es im Amazonas, in Afrika, in Australien, hier in Europa, zum Beispiel in Portugal, Spanien oder der Schweiz. Mit diesem Abkommen haben wir die Möglichkeit, auf eine nachhaltige Landwirtschaft ohne Brandrodungen hinzuwirken. Ohne Abkommen verhallt unser Protest ungehört im Universum.

Das Abkommen wird in den nächsten Monaten einer rechtlichen Überprüfung unterzogen. Die Unterzeichnung des Abkommens sollte Ende Jahr oder Anfang nächstes Jahr möglich sein. Der parlamentarische Genehmigungsprozess wird danach umgehend an die Hand genommen werden, damit die Schweiz das Abkommen spätestens im Jahr 2021 ratifizieren kann.

Mit Indonesien hat die Schweiz – wie die anderen drei EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen – Ende letzten Jahres in Jakarta ein Abkommen unterzeichnet. Indonesien ist das bevölkerungsmässig viertgrösste Land der Welt. Mit diesem Abkommen erhält unser Land Zugeständnisse für die wichtigsten Exportprodukte, nämlich Käse, Milchprodukte, Schokolade, Energy Drinks und – last but not least – Kaffee.

Im Gegenzug hat die Schweiz im Bereich Landwirtschaft verschiedene bilaterale Zollkontingente für Palmöl mit einer Gesamtmenge von 10'000 Tonnen gewährt, die innerhalb von 5 Jahren auf 12'500 Tonnen erhöht werden sollen, sofern strenge Nachhaltigkeitskriterien eingehalten werden. Für Indonesien ist Palmöl noch wichtiger als der Käse für die Schweiz.

Mit Malaysia sollen die Verhandlungen bald wiederaufgenommen werden. Das malaysische Kabinett hat sich für eine Weiterführung der Verhandlungen mit der EFTA ausgesprochen. Zuvor war der Prozess etwas ins Stocken geraten, nicht zuletzt, weil Malaysia seine Freihandelspolitik im Lichte des Rückzugs der USA aus dem Trans-Pazifik-Abkommen überprüfen wollte. Auch andere Faktoren kamen ins Spiel, wie die Entwicklung der Regierungssituation vor Ort und das Problem des Palmöls. Dabei hat das erwähnte, kürzlich abgeschlossene Freihandelsabkommen mit Indonesien sicher einen Teil zur Wiederaufnahme der Gespräche beigetragen.

Auch mit Malaysia wird die Palmölproblematik von grosser Bedeutung sein. Dabei werden sich Lösungsansätze sehr stark an der mit Indonesien ausgehandelten Lösung orientieren müssen, auch mit der Einführung eines Kapitels über die Nachhaltigkeit in der Produktion.

Was die Vereinigten Staaten betrifft, so wurden im vergangenen Jahr von meinem Vorgänger exploratorische Gespräche eingeleitet. Sie müssen zu diesem Zeitpunkt noch vertieft werden. So konnte ich persönlich dem amerikanischen Handelsbeauftragten Lighthizer die Besonderheiten unserer Agrarpolitik und unserer Landwirtschaft erklären. Diese exploratorischen Gespräche sollen aufzeigen, ob für beide Länder beim Liberalisierungsgrad der Landwirtschaft ein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann, um dann in formelle Verhandlungen eintreten zu können.

Ich stelle jedoch mit Genugtuung fest, dass der amerikanische Markt ein zunehmendes Interesse an unseren Spezialitäten zeigt und unsere Landwirtschaft von neuen Exportmöglichkeiten profitieren könnte. Erwähnen möchte ich als Beispiel den Raclettekäse, der sich unter anderem in den amerikanischen Medien steigender Beliebtheit erfreut. Wir werden den eingeschlagenen Weg mit den USA konsequent fortsetzen und uns bemühen, die bereits eingeleiteten exploratorischen Diskussionen hoffentlich zu einem positiven Abschluss zu bringen.

Mit Vietnam haben wir diesen Sommer auf meiner ersten grossen Wirtschafts- und Wissenschaftsmissionsreise ebenfalls vereinbart, Gespräch über mögliche Freihandelsabkommen wieder aufzunehmen.

Sie sehen: Alles in allem bin ich einfach stolz auf unsere Wirtschaft und vor allem auch auf unsere Landwirtschaft und deren Akteure, die sich als globale Player profilieren können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


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