Starke Frauen braucht die Wirtschaft!

Martigny, 06.10.2006 - Bundesrätin Doris Leuthard | Foire du Valais, Journée de l’économie 2006

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben mich eingeladen, um über den Platz der Frauen in Wirtschaft und Politik zu reflektieren. Das allein zeigt mir, dass auch Sie einen Nachholbedarf orten. Einen Nachholbedarf aus zwei Gründen: Erstens, weil die Frauen eine wichtige Rolle in der Arbeitswelt spielen (Engpass am Arbeitsmarkt, hohe Berufsqualifikation, Diversifikation der Belegschaft) und  zweitens, weil die Frauen noch lange nicht überall gleichgestellt sind.

Zwar haben wir Frauen viel erreicht und noch mehr bewirkt. Auch wenn der Weg lang war vom ersten Anlauf für das Frauenstimmrecht im Jahre 1886.

  • In der Gesellschaft sind wir heute gleichgestellt; es heisst nicht mehr „Die Frau gehört ins Haus“. Mit dem Eherecht ist eine echte Partnerschaft möglich und die Bildungswege sind heute allen offen.
  • In der Politik haben wir unseren Platz erobert; auch wenn zwei Bundesrätinnen zuwenig sind, ebenso wie ein Frauenanteil von 24% im Parlament.
  • In der Wirtschaft haben wir immer noch zu kämpfen; es kann doch nicht sein, dass nur gerade 8% aller Verwaltungsratsmandate und nur 6% aller Stellen im Top-Management von Frauen besetzt werden. Ähnlich sieht es auch bei den Top-Stellen in der Bundesverwaltung aus.

Deshalb müssen wir Denkmuster verändern! Wir müssen das Potential der Frauen fördern und noch besser nutzen. Und, wir müssen Möglichkeiten für Männer und Frauen schaffen, um Beruf und Familie in eine Balance zu bringen. Gerade in der Wirtschaft!
Die Zeichen für eine aktive Frauenförderung in der Wirtschaft stehen heute gut. Die Unternehmen schreiben Gewinne und schaffen Arbeitsplätze. Der Aussenhandel boomt; Exporte und Importe haben in den letzten acht Monaten massiv zugelegt. Wir haben einen Handelsbilanz-Überschuss von 6,7 Milliarden Franken und eine Wachstumsdynamik wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Dem Aussenhandel und dem deutlichen Anstieg der Investitionen in die Ausrüstung haben wir ein BIP-Wachstum von 3,2% zu verdanken. Und auch die Zahl der arbeitslosen Menschen in der Schweiz ist auf einem konstanten Niveau von 3,1%.

Die Unternehmen können in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in Arbeitsplätze und in neue Arbeitsformen investieren. Verstehen Sie mich recht: Ich bettle hier nicht um Almosen für die Frauen. Ich erwarte, dass die Unternehmen – gerade in wirtschaftlich guten Zeiten – ihren Mitarbeitenden eine Chance geben, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und dabei insbesondere Frauen bei der Laufbahnberatung besser unterstützen.

Einen grossen Schritt für die Chancengleichheit von Mann und Frau haben die Schweizerinnen und Schweizer vor 10 Jahren mit dem Gleichstellungsgesetz getan. Einen kleinen Schritt hat das Parlament unlängst mit dem Kredit über 120 Mill onen Franken für Kinderkrippen gewagt. Und ich bin überzeugt, die Bürgerinnen und Bürger werden am kommenden 26. November mit einem Ja zu einheitlichen Familienzulagen einen noch grösseren Schritt tun.

Damit ist es jedoch nicht getan. Wir müssen generell ein Umfeld schaffen, das den Frauen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ermöglicht. Ich unterstütze die Forderung der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich: Das Wissenspotential der Frauen muss mit flexiblen Arbeitszeitmodellen besser ausgeschöpft werden. Ich denke dabei an die Betreuung der Kinder ausserhalb der Unterrichtszeiten, an Mittagstische oder Aufgabenhilfe. Ich denke aber auch an Tagesstrukturen, so wie dies von der Erziehungsdirektorenkonferenz mit dem Konkordat zur Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS) vorgesehen ist.

Im Bildungsbereich, speziell bei den Fachhochschulen, haben wir bereits neue Karriere-Wege geöffnet; beispielsweise mit der Integration der Berufe aus den Bereichen Gesundheit, soziale Arbeit und Kunst. Das sind neue Weiterbildungschancen und Qualifikationsmöglichkeiten, von denen sich Frauen ganz besonders angesprochen fühlen.

Ich stelle mir heute aber die Frage, müssten wir nicht noch mehr tun?Müssten wir beispielsweise nicht Frauen gezielter aufmuntern, sich in den naturwissenschaftlichen Fächern umzutun? Weshalb gibt es so wenig Ingenieurinnen?
Meine Damen und Herren,

Wir müssen die Rahmenbedingungen so ausgestalten, dass eine breite Teilnahme für alle – Frauen wie Männer – am Arbeitsmarkt möglich ist. Mit den bereits eingeleiteten und geplanten internen Reformen allein ist es aber nicht getan. Wir müssen die Schweiz in Europa und in der Welt noch besser positionieren.In Europa ist uns dies mit den bilateralen Verträgen sehr gut gelungen.

Und mit einem Ja am 26. November zum Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas können wir diese Verträge konsolidieren. Das Osthilfegesetz und der Erweiterungsbeitrag in Höhe von 1 Milliarde Franken sind dabei eine Investition in mehrfacher Hinsicht:
Wir investieren...
  • in die guten Beziehungen zur EU,
  • in die neuen osteuropäischen Handelspartner,
  • in den Frieden und ein sicheres und stabiles Europa und
  • in unsere wirtschaftliche Entwicklung und den Werkplatz Schweiz.

Über Europa hinaus werde ich mich – wie schon mein Vorgänger – im Rahmen der WTO-Runde für einen möglichst diskriminierungsfreien, rechtssicheren und ungehinderten Zugang unserer Unternehmen in der Welt einsetzen. Leider sind wir durch die Sistierung der Doha-Runde hier blockiert. Aber mit einer breiten Palette an Freihandelsabkommen wollen wir reagieren.

Derzeit haben wir mit diversen Ländern (15 EFTA, 1 mit Färöerinseln) Freihandelsabkommen bereits umgesetzt. Mit einigen anderen wichtigen Absatzmärkten stehen wir in engen Konsultationen. Und mit den USA haben wir an Stelle des Freihandelsabkommens ein schweizerisch-amerikanisches Zusammenarbeitsforum unterzeichnet.

Mit diesem Wirtschafts-Programm kommen wir dem strategischen Ziel des Bundesrates, Wachstum zu schaffen und den Wohlstand zu mehren, schon wesentlich näher. Man sieht: Es lässt sich etwas bewegen!
Es ist allerdings nicht Aufgabe des Staates, alles in Bewegung zu setzen.Bewegen müssen sich in erster Linie die Unternehmen selber.Ich denke dabei an...
  • bessere Strukturen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
  • familienfreundliche Arbeitszeitmodelle,
  • die Nutzung der erworbenen Sozialkompetenzen während der Kinderzeit,
  • die Chancengleichheit bei Beförderungen und
  • an Weiterbildungsmöglichkeiten.

Es lohnt sich, das Potential der Frauen zu nutzen. Das haben das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement und diverse Unternehmen im vergangenen Jahr nachgewiesen. (Prognos-Studie). Wir konnten aufzeigen, dass sich eine echte Work-Life-Balance für die Unternehmen und für die gesamte Volkswirtschaft lohnt. Der Arbeitsmarkt wird günstig beeinflusst und das Wachstum wird gefördert. Firmen, die Arbeitswelt und Familie in Einklang bringen, finden leichter qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte.

Dies wollen wir weiter fördern: Mit einem Handbuch möchten wir kleine und mittlere Unternehmen bei der Umsetzung einer familienfreundlichen Unternehmenspolitik im Betriebsalltag unterstützen. (Publikation 2007) Wir konnten beweisen, dass sich eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch finanziell lohnt. Die Kosten einer familienfreundlichen Unternehmenspolitik sind durch den Nutzen mehr als gedeckt.

Wer eine bessere Arbeitsorganisation, beispielsweise durch einen klar strukturierten Sitzungsrhythmus, oder unterschiedliche Arbeitsformen, etwa Telearbeit oder Job-Sharing, anbietet, hat mehr von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es profitieren die Unternehmen, die Familien, die Frauen, die Kinder – und die Männer.
Die OECD  kommt gar zum Schluss, dass eine schrittweise Angleichung der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen bis zum Jahre 2050 zu einem kumulierten BIP-Wachstum von 15% bis 20% führen kann.

Meine Damen und Herren,
Heute sieht die wirtschaftliche Lage rosig aus. Die inneren und die äusseren Reformen tragen erste Früchte, die Wirtschaft wächst.
Aber die grössten Herausforderungen stehen noch bevor:
  • Der internationale Wettbewerb um die Arbeitsplätze fängt erst an. Auch wenn die Schweiz laut WEF-Report  zur weltweit wettbewerbfähigsten Volkswirtschaft aufgestiegen ist, dürfen wir uns nicht zurücklehnen.
  • Der Druck auf den Arbeitsmarkt auf Grund der demographischen Entwicklung wird noch grösser. Im Jahre 2010 werden rund 25’000 Personen auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Durch eine Steigerung der Erwerbsquote der Frauen können wir diese Entwicklung beeinflussen.

Deshalb braucht es einen nationalen Konsens und eine nationale Koalition von Politik und Wirtschaft. Nur gemeinsam können wir unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit sichern;
  • mit erstklassiger Bildung und Forschung,
  • mit intelligenten, vorausschauenden inneren Reformen und
  • mit erfolgreichen Verhandlungen mit anderen Staaten und in der WTO.


Es braucht die Einsicht, dass ein stärkeres Engagement in Europa unvermeidlich ist; zum Beispiel mit einem klaren Ja zum Osthilfegesetz und zum Kohäsionsbeitrag.
Es braucht aber auch die Einsicht, dass eine bessere Work-Life-Balance und eine stärkere Unterstützung der Frauen zu einem Gewinn in den Unternehmen führen kann; beispielsweise mit einem Ja zum Bundesgesetz über die Familienzulagen.
Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz für alle Frauen.Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung am 26. November.

Es gilt das gesprochene Wort !


Herausgeber

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
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