DIGITALE SCHWEIZ

Bern, 02.09.2019 - Rede von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Basel, 02.09.2019

Es gilt das gesprochene Wort 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident

Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann

Frau Staatssekretärin Martina Hirayama

Liebe Digital Natives und Immigrants

Neulich habe ich auf einer Webseite ein bemerkenswertes Zitat von Albert Einstein gelesen.

Einstein sagte: «Glauben Sie nicht alles, was im Internet steht.»

Ich würde ihm da nicht widersprechen. Und die meisten von Ihnen wohl auch nicht.

Aber glauben Sie überhaupt, dass Einstein das gesagt hat?

Glauben Sie, dass Einstein über das Internet gesprochen hat?

Ich möchte heute über das Thema Internet reden. Und über die Medien.

Sie müssen sich jetzt keine Sorgen machen. Ich habe nicht versehentlich die Rede für den Verlegerkongress eingepackt.

Wenn ich heute auf die Situation der Medien im digitalen Zeitalter eingehe, dann tue ich dies ganz bewusst. Denn bei den einheimischen Medien zeigt sich exemplarisch, wie schwer sich viele von uns mit der Digitalisierung tun.

Die Digitalisierung macht einiges einfacher. Sie schafft aber auch handfeste Probleme. Menschen werden im Arbeitsmarkt abgehängt; Schutzstandards werden ausgehöhlt, die Privatsphäre schwindet. Künstliche Intelligenz droht die menschliche zu dominieren.

Im Medienbereich hat die Digitalisierung zunächst einmal dazu geführt, dass zunehmend Algorithmen darüber bestimmen, was wir lesen und was wir gar nicht zu Gesicht bekommen.

Ich vereinfache jetzt natürlich ein wenig: Aber in der analogen Welt sind wir in eine Beiz gegangen und haben jene Zeitung aus dem Ständer genommen, deren Schlagzeile uns am meisten angesprochen hat.

Oder wir haben am Kiosk das Blatt gekauft, dessen Aushang uns am stärksten interessiert hat. Oder wir haben ganz einfach eine bestimmte Zeitung abonniert.

Heute setzen uns immer mehr die sozialen Medien vor, was überhaupt auf unseren Radar kommt. Was nicht im News-Feed erscheint, passiert für uns nicht. Das ist eine Verengung der Realität, gesteuert von Algorithmen.

Und hinter den Algorithmen stehen die grossen Internetkonzerne.

Der Einfluss, den die Grosskonzerne auf die demokratische Debatte und die Politik haben, kann deshalb sehr gross sein. Umgekehrt ist der Einfluss der Politik auf die Techkonzerne bescheiden. Das gilt insbesondere für ein Land wie die Schweiz.

Diese Entwicklung kann zu einer Schieflage führen, die für unsere direkte Demokratie bedenklich ist. Wenn mächtige Akteure die demokratische Debatte prägen, ohne den Regeln der Demokratie unterstellt zu sein, dann drohen rechtsfreie Räume mit viel Macht und wenig Verantwortung.

Verschärft wird die Problematik dadurch, dass die Digitalisierung im Medienbereich dazu geführt hat, dass sich die Situation für die einheimischen Titel dramatisch verschlechtert hat.

Demokratie braucht Medien

Die Werbung im Internet wächst zwar. Allerdings profitieren nicht die einheimischen Online-Medien, sondern internationale Plattformen wie Google und Facebook.

Sie machen Profit damit, dass wir mittlerweile so viele Stunden pro Tag auf unser Handy oder Tablet starren.

Aber die Schweizer Titel? Für sie war die Digitalisierung bislang oft ein Verlustgeschäft.

Ihre Fixkosten sind nämlich auch im Internet hoch. Doch Werbegelder und Abo-Einnahmen fehlen. Stattdessen müssen die heimischen Medienhäuser zusehen, wie das Geld zu Google und Co. fliesst.

Relevanter Journalismus lässt sich so längerfristig nicht finanzieren, vor allem nicht auf lokaler und regionaler Ebene.

Diese Entwicklung kann uns als Bürgerinnen und Bürger nicht egal sein. Und vor allem kann ich als Medienministerin nicht einfach zuschauen. Eine funktionierende Demokratie braucht die Medien.

Sie braucht Journalistinnen, die hartnäckig hinschauen, die ausleuchten, einordnen und informieren. Denn ohne funktionierende Medien, ohne Möglichkeit für die Bevölkerung, sich zuverlässig informieren zu können, gibt es keine Debatte mehr. Und das kann sich unsere direkte Demokratie nicht leisten.

Wenn es in den Regionen keine einheimischen Medien mehr gibt, die nachfragen und berichten, verschwindet ein Stück Öffentlichkeit. Was das bedeutet, habe ich dieses Frühjahr in Schweden gesehen. Da finden Sie ganze Landstriche, für die sich kein Medium mehr interessiert.

Wir müssen darum aufpassen, dass in der Schweiz einzelne Regionen nicht zum medialen Niemandsland werden.

Bei uns haben die Kantone wirklich etwas zu sagen. Und die Gemeinden auch. Sie fällen wichtige Entscheide, in der Regierung, im Parlament oder an einer Gemeindeversammlung.

Wenn die Bevölkerung nicht mehr mitbekommt, was passiert, wenn die Leute nicht mehr darauf zählen können, dass die Medien kritisch hinschauen, nützt es den Menschen wenig, dass sie mit ihrem Tablet 24 mal 7 Stunden die Woche live zuschauen können, was in Washington oder Brüssel abläuft.

Was an der Gemeindeversammlung passiert, interessiert die grossen Internetkonzerne kaum und findet deshalb auch nicht statt. Ich glaube, im Silicon Valley hat man andere Sorgen als ein neues Schulhaus im Berner Oberland.

In der Schweiz findet Politik lokal, regional und auf Bundesebene statt. Darum braucht unsere Demokratie auf allen drei Ebenen starke Medien.

Ob uns dies auch im Zeitalter der Digitalisierung gelingt, ist meines Erachtens unsicher. Und das muss all jene beunruhigen, denen Demokratie und Föderalismus wichtig sind – also uns allen.

Stellen Sie sich einmal eine Volksabstimmung ohne kritische Medien vor. Heute ist es für uns selbstverständlich, dass die Zeitungen eine Vorlage über Wochen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten und unterschiedliche Standpunkte präsentieren.

Doch so selbstverständlich ist das nicht. Denn es ist offenbar kein Business Case.

Und die Digitalisierung hat den einheimischen Medien bislang nicht geholfen, den politischen Journalismus zum Geschäft zu machen.

Für unsere direkte Demokratie ist dies gefährlich.

Massnahmen des Bundesrats

Ich habe deshalb dem Bundesrat letzte Woche ein Massnahmenpaket vorgelegt, das die Rahmenbedingungen für den Journalismus verbessert.

Das Ziel ist einfach: Die journalistischen Inhalte sollen zur Bevölkerung gelangen.

Im Bereich der digitalen Medien will der Bundesrat Bezahlangebote fördern.

Für die Online-Medien ist dies eine Chance - gerade für die regional ausgerichteten. Ein Appenzeller oder ein Solothurner Online-Angebot wird sein Business im Internet nicht mit der Reichweite machen. Und damit auch kaum mit der Werbung. Solche Angebote brauchen Abo-Einnahmen. Derzeit zahlen aber noch zu wenig Leute für Online-Angebote. Darum möchte der Bundesrat jetzt die richtigen Anreize setzen.

Die Massnahmen kosten etwas. Aber ich finde, unsere direkte Demokratie sollte uns das Geld wert sein.

Die Schweiz braucht auch im digitalen Zeitalter einen kritischen Journalismus. Es genügt nicht, wenn Algorithmen einfach News auflisten. Damit die Medien eine Zukunft haben, braucht es Journalistinnen und Journalisten, die den Sachen auf den Grund gehen. Sie machen die wirklich guten Geschichten.

Sehr geehrte Damen und Herren

Die Situation der Medienbranche steht sinnbildlich für viele andere Lebensbereiche. Die Digitalisierung schafft neue Angebote, sie erleichtert vieles, aber sie bringt auch Probleme mit sich.

Vor allem aber wirft sie immer wieder eine ganz grundsätzliche Frage auf: Wer macht die Regeln?

Ich finde, wir können nicht einfach zuschauen, wie grosse Konzerne uns die Spielregeln diktieren. Sonst wird unsere direkte Demokratie ausgehöhlt. Wir müssen versuchen, die Rahmenbedingungen selber zu gestalten.

So wie dies der Bundesrat jetzt für die Medien macht. Dann profitieren wir wirklich von der Digitalisierung.

Dass dieses Unterfangen nicht einfach ist, ist wohl allen klar. Aber den Anspruch, den müssen wir haben.

Website Nationale Konferenz Digitale Schweiz 2019: https://strategy.digitaldialog.swiss/de/konferenz/ 


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