Wegbereiterin in der Verkehrspolitik

Bern, 26.08.2019 - Bundesrätin Simonetta Sommaruga an der Mobilitätstagung des ARE «Neudenken der Mobilität», Bern, 26. August 2019

Geschätzte Anwesende

Es war einmal - vor langer Zeit. Da fuhren Kutschen über den Bundesplatz und Menschen spazierten dort. Und dann wurde der Platz zum Parkplatz für unsere Vierrad-Kutschen. Seit 15 Jahren gehört der Bundesplatz wieder den Menschen.

Die Schweiz ist im Wandel. Auch die Mobilität verändert sich.

Beim Spazieren oder Joggen sind wir aus purer Freude mobil. Sehr oft bewegen wir uns aber mit einem klaren Zweck: um den Arbeits- oder Schulweg zu bewältigen, zur Zahnärztin oder zum Kunden zu gehen oder zum Familientreffen. Mobilität verbindet, Mobilität verbindet Menschen mit Menschen und Menschen mit der Wirtschaft.

Die Entwicklung seit der Kutschenzeit ist allerdings alles andere als märchenhaft: Städte und Dörfer wachsen, der Verkehr nimmt zu und beschert uns heute ernsthafte, reale Probleme. Probleme, die wir dringend lösen müssen.

Eine neue multimobile Zeit

Das gilt für unser Land ebenso wie für viele andere auch.

Dabei wird auch Neues probiert: Amsterdam verknappt seine Anwohnerparkkarten und verteuert Parkplätze in Parkings. In Luxemburg fährt man neu in der 2. Klasse in Zügen und Bussen gratis. In Stockholm bezahlen Autofahrer, die in die Innenstadt wollen, extra; mit dem Resultat, dass viele aufs Fahrrad umsteigen.

Wir sind am Anfang einer neuen, multimobilen Zeit.

Rund um den Bundesplatz in Bern sieht man heute Elektroautos, Rikschas, Miet- und Elektrovelos, Trottinetts. Das Marzili ist sogar Testgebiet für einen selbstfahrenden Bus.

Es ist augenfällig: In den vergangenen Jahren hat eine „Mobil-Machung“ der ganz anderen Art stattgefunden. Die Gesellschaft ist nicht nur gewachsen, sie ist auch mobiler geworden.

Deshalb müssen auch wir für uns passende Lösungen finden. Wir müssen unsere Raum- und Verkehrspolitik multimobiler gestalten. 

Städte und Agglomerationen im Fokus

Oder anders ausgedrückt: wir müssen uns überlegen, wie wir die Städte und den ländlichen Raum auf schlaue Art und Weise miteinander verbinden. Denn darum geht es: Die Bevölkerung soll sicher und einfach vorwärtskommen. Das ist heute die Herausforderung.

Sie als Fachleute wissen es:  Die grössten Verkehrsprobleme haben wir morgens und abends in den Städten und Agglomerationen.

Mehr als drei Viertel der Schweizer Bevölkerung lebt und arbeitet in den Agglomerationen. Diese räumliche Konzentration ist so gewünscht: Denn sie schützt uns vor weiterer Zersiedelung und hält die Wege kurz.

Diese Ballung schafft aber auch Probleme: Nirgends ist der öV so ausgelastet wie in den Agglomerationen. Und nirgends gibt es so viel Stau. Morgens drängen die Leute Richtung Zentren. Und am Abend machen sie sich auf den Weg nach Hause – und zwar alle mehr oder weniger zur gleichen Zeit. Darum – wegen der Stosszeiten – reden wir von verstopften Strassen und vollen Zügen.

Von den Städten und Agglomerationen profitiert die ganze Schweiz, denn sie sichern Arbeitsplätze und Wohlstand. 84% unserer Wirtschaftsleistung wird in den Grossräumen erarbeitet. Deshalb brauchen Städte und Agglomerationen unsere besondere Aufmerksamkeit. Denn hier bestehen besonders viele Nutzungskonflikte. Das heisst: um die Konflikte nicht zu verschärfen, sollte man in erster Linie raffinierter nutzen, was bereits vorhanden ist.

Fakten weisen den Weg

Sie wissen, pro Auto fahren im Durchschnitt 1,5 Personen. Würde nur schon in jedem vierten Wagen eine Person mehr sitzen, hätten wir keine Staus mehr. Oder würden Berufspendler morgens länger schlafen und später ans Tagewerk gehen, könnte das Engpässe in Bussen und Zügen mildern.

Aber seien wir ehrlich: So weit sind wir noch nicht. Es braucht Zeit, bis sich neue Arbeitszeit- und Auto-Sharing-Modelle verbreiten. Und eine Bankangestellte, ein Verkäufer oder eine Ingenieurin muss nun mal um 8 oder halb 9 bei der Arbeit sein. Denn dann kommt die Kundschaft, es gibt die ersten Besprechungen.

Wir haben in unserem Land bereits heute Infrastrukturen, um die uns andere Staaten beneiden. Mit einem finanziell gesicherten Ausbau und Unterhalt. Wir stehen nun aber vor der nächsten Herausforderung: Wir müssen den privaten und den öffentlichen Verkehr klug kombinieren und dafür innovative Ansätze finden. Dabei dürfen wir nicht in eine Entweder-oder-Politik fallen – das bringt uns nicht weiter. Wir müssen Schiene und Strasse geschickt miteinander verbinden.

In ländlichen Regionen wird das schon heute zum Teil so gemacht: Wer von Linden nach Bern reisen muss, fährt je nach Anschluss und Tageszeit mit dem Auto lieber nach Thun und steigt dort in den Zug Richtung Bern als mit dem Auto nach Bern zu fahren. Dahinter steht die simple Überlegung, dass man so einfacher und pünktlicher nach Bern gelangt. An solchen Überlegungen können wir anknüpfen – und aus der Not eine Tugend machen. Indem wir die Vorteile der einzelnen Verkehrsträger besser kombinieren: Die Flexibilität von Auto, Roller und Velo mit der unschlagbaren Effizienz des öffentlichen Verkehrs. Damit mehr Leute auf ihrem Arbeitsweg Auto, Zug und Bus geschickt verbinden können, müssen wir diese besser miteinander verzahnen.

Ein Denkansatz sind hier die sogenannten „Hubs“. Solche Mobilitäts-Drehscheiben und Umsteigemöglichkeiten in Bahnhofsnähe sorgen für Komfort für die Reisenden und sie verkürzen die Wege. Wenn Pendler zum Beispiel früher aus- oder umsteigen können, brauchen sie keine unnötigen Umwege über den Hauptbahnhof zu machen. Und wenn man solche Mobilitätsdrehscheiben – wo sinnvoll - mit modernen Parkings ergänzt, erlaubt dies zudem einen reibungslosen Wechsel auf den öffentlichen Verkehr und führt zu einer Entspannung in den Zentren.

Andere Länder kennen übrigens automatische Parkanlagen. In Aarhus (in Dänemark) zum Beispiel gibt es ein vollautomatisiertes Parkhaus für 1000 Wagen. Da stellen Sie Ihr Auto ab und es verschwindet in einem Paternoster. Sie bekommen ein Ticket, und mit diesem holen Sie ihren Wagen am Abend wieder ab. Sie haben keinen Stress mit der Parkplatzsuche, auch nicht mit dem Einparken. Wir müssen das nicht kopieren. Aber wir können uns davon inspirieren lassen. Denn so verbinden wir Stadt und Land. 

Intelligente Planung

In den Ballungszentren erleben wir es heute schon: Je höher die Dichte, desto mehr Konflikte gibt es zwischen den Nutzerinnen und Nutzern. Diese Probleme können wir nur mit einer gesamtheitlichen Planung angehen. Das heisst, dass auch Sie, geschätzte Anwesende, sich besser vernetzen und gemeinsam Lösungen erarbeiten müssen. Sei es im Bereich der Infrastrukturen, im Bereich der Raum- aber auch der Stadtplanung.

Mit intelligenten und vernetzten Fahrzeugen und Infrastrukturen, mit verständlichen Informationen und mit effizienten Umsteigepunkten können die bestehenden Kapazitäten besser genutzt werden. Das Ziel muss sein, den Anteil des Langsamverkehrs und des öffentlichen Verkehrs zu steigern. Mit dem neuen Veloartikel hat der Bund nun eine verfassungsmässige Grundlage, um sich beim Thema Langsamverkehr zu engagieren. Wobei „Langsamverkehr“ im städtischen Kontext zu relativeren ist: in der Stadt ist das Velo schon heute oft das schnellste Fortbewegungsmittel.

Einen sinnvollen Beitrag leisten kann auch saubere Elektromobilität.

Mehr Elektromobilität bringt uns aber nur weiter, wenn diese ergänzend und nicht zusätzlich eingesetzt wird – wir wollen Strassen nicht mit zusätzlichen Elektrofahrzeugen und selbstfahrenden Mobilen verstopfen.

Die Art und Weise der Zusammenarbeit wird entscheidend sein, damit wir Lösungen finden und geeignete Technologien integrieren können.

Mit den Agglomerationsprogrammen hat man bereits Erfahrungen gesammelt. 

Bund, Kantone und Gemeinden arbeiten Hand in Hand, sie beziehen Betroffene früh mit ein. Daraus entstehen real bessere Verkehrssituationen, die ganz unterschiedlich aussehen können: Neue Tram- und Metrolinien, Fuss- und Radwege, neu gestaltete Ortsdurchfahrten oder gezielte Strassenausbauten. Mittlerweile liegt die dritte Generation Agglomerationsprogramme vor. Dabei haben wir auch viel gelernt.

Erfolgreich sind die Projekte dann, wenn man vorausschauend und ohne Röhrenblick plant, wenn man Verkehr, Wohnen und Arbeiten gesamthaft gestaltet. So können neue Arbeitsplätze und bezahlbarer Wohnraum in der Nähe von Bahnhöfen entstehen, umgeben von lebenswerten Quartieren mit Läden, Freizeitmöglichkeiten und Grünflächen.

Wir müssen also nicht auf technologische Wunder warten. Gegen die Staus, gegen die Luft- und Lärmbelastung, gegen Unfälle und den Verbrauch von Boden gibt es heute gute, taugliche Gegenmittel.

Bewegen wir uns!

Die Schweiz war lange eine Wegbereiterin in der Verkehrspolitik. Wir haben es in der Hand, an dieser Tradition festzuhalten und in der Verkehrspolitik neue Impulse zu geben.

Dazu ist der richtige Moment: Das Problembewusstsein ist vorhanden. Das Umweltbewusstsein ist gestiegen. Wir müssen die Bevölkerung nicht davon überzeugen, dass die Schweiz nicht zubetoniert werden darf. Davon ist die Bevölkerung längst überzeugt – an uns ist es, aufzuzeigen, wie man das umsetzt.

Die jungen Menschen von heute fordern lebenswerte, attraktive Städte und Agglomerationen. Sie wollen ein klimaschonendes, gesundes und platzsparendes Verkehrssystem. Eines, das Menschen und Güter sicher, effizient und bezahlbar von einem Ort zum nächsten bringt. An uns ist es, die richtigen Impulse zu setzen.

Die Welt ist in Bewegung. Bewegen auch wir uns.


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