Rede anlässlich der Eröffnungsfeier des Erweiterungsbaus des Museums Franz Gertsch

Bern, 10.03.2019 - Simonetta Sommaruga, Burgdorf, 10. März 2019

(es gilt das gesprochene Wort)


In Einklang mit Franz Gertsch

Lieber Franz Gertsch
Geschätzte Anwesende

Bevor ich ihn gesehen habe, habe ich ihn gehört.
Ich habe den kurzen Klang, den stetig wiederholten Klang gehört.
Ein Rhythmus, mit einer Regelmässigkeit -  wie ein Herz, das schlägt.
Wie das Regentropfen-Prélude von Chopin.

Aufmerksam geworden, habe ich mich dem Radio genähert,
bin der Sendung gefolgt,
in der man nicht von einem Musiker, nein, sondern von einem Maler sprach.
Von einem Maler, dem man zuhören kann, wenn er mit seinem u-förmigen Hohleisen kleine Holzstücke aus der Lindenholzplatte hebt.

Wer ist das?
Wer macht so etwas?

Es het mi wundergno

Das war meine erste Begegnung mit Franz Gertsch - eine musikalische, sozusagen.
Sie hat mich nicht mehr losgelassen.

Jahre später habe ich den Künstler in seinem Atelier besucht.

In seinem Haus, weitab von allem. Ein hohes Atelier und er, auf einer kleinen Leiter. Fast klein schien auch er mir, vor seinem grossen Bild, an dem er arbeitete.
Ich hörte den Klang wieder, die Einstiche, das Lindenholz, dieses Rhythmische - und ich stellte mir vor, wie er tage-, wochen-, monatelang mit dieser präzisen Geste seine Einstiche fortsetzte. Regelmässig, stetig.

Später an jenem Abend erzählte er mir vom Druck. Von den japanischen Papierbögen, vom Einfärben und Abreiben - und von der Spannung, wenn der Papierbogen abgehoben wird.

Damals habe ich begriffen: Wir reden hier von einem Gesamtkunstwerk, von einem Lebenskunstwerk. Und von der Ungewissheit: Jedes Mal weiss man nicht, was herauskommt.

Was herauskommt

Um ehrlich zu sein: Das geht mir manchmal genauso.
Auch ich weiss manchmal nicht, was herauskommt. Wenn ich meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat ein Projekt vorstelle. Oder wenn ich vor dem Eidgenössischen Parlament eines meiner Gesetze vertrete.

Aber es gibt einen Unterschied zu Franz Gertsch: Ich mache meine Einstiche nicht allein. Ich habe Mitarbeitende, ich habe Verbündete, natürlich auch Widersacher. Ich muss mich mit ihnen auseinandersetzen; mit der ganzen Bevölkerung, wenn es zur Volksabstimmung kommt.

Was aus meinem Atelier kommt, ist immer ein Gemeinschaftswerk.

Und doch denke ich gerne an Franz Gertsch - auch im Zusammenhang mit der politischen Arbeit. Denke gerne an seine Konstanz, an seinen Rhythmus, an das Stetige in seiner Arbeit.
Das sage ich als Pianistin, die Politikerin geworden ist: Ohne die Stunden und Tage und Monate des Übens, ohne diese Stetigkeit und ohne diese Hartnäckigkeit gibt es keine Resultate. Weder in der Politik noch in der Kunst.

Vor allem ist es gut, an Franz Gertsch zu denken,
Weil man mit ihm den Kompass behält.
Weil man mit ihm das Ziel nicht aus den Augen verliert.
Weil man mit ihm Umwege machen kann und trotzdem weiterkommt, zwischendurch innehält, und trotzdem ankommt.

An Franz Gertsch denkt man am besten, indem man sein Werk betrachtet.

Diese Chance hatte ich während der letzten Jahre. Sein Schwarzwasser-Holzdruck hing in meinem Büro. Ich musste von meinem Pult aus nur den Blick heben, und schon konnte ich in diese Wasserfläche, die jeden Tag, bei jedem Licht wieder anders aussah, eintauchen, versinken. Oder Neues entdecken.

Sein Schwarzwasser hat mir so gefallen, dass ich in meinem Präsidialjahr 2015 entschied, einen Druck davon zu meinem Geschenk zu machen. Zum Geschenk, das ich in ganz speziellen Momenten anderen Staatsoberhäuptern übergab.
Dem damaligen französischen Präsidenten François Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel, oder dem äthiopischen Präsidenten Mulatu Teshome. Jedes Mal standen wir einen Moment vor diesem Druck, schauten aufs Schwarzwasser, auf diese flirrende Oberfläche, die aus der Nähe oder mit etwas Distanz so ganz anders wirkte.

Ich habe es gemocht, dieses Geschenk zu übergeben. Ich war auch ein bisschen stolz. Denn mir war bewusst, dass ich etwas Kostbares schenke, kostbar für mich, kostbar für den Beschenkten. Etwas vom Besten, was unser Land zu bieten hat.

Ich danke Ihnen, lieber Franz Gertsch, dass Sie mir diese Freude ermöglicht haben. Und dass wir dieses Geschenk zusammen vorbereitet haben.

Das Wesentliche

Ich danke Ihnen auch dafür, dass Sie sich in Ihrem Werk stets auf das Wesentliche konzentrieren: auf den Menschen und auf die Natur.
Während der letzten acht Jahre als Justiz- und Polizeiministerin habe ich stets den Menschen ins Zentrum meiner Anliegen gestellt.
Nun, als Umweltministerin, werde ich auch die Natur miteinbeziehen und mich mehr denn je von Ihnen inspirieren lassen.

Ich danke auch allen, die zur Erweiterung des Gertsch-Museums beigetragen haben. Damit ermöglichen Sie der Öffentlichkeit, das Werk des grossen und aussergewöhnlichen Künstlers Franz Gertsch in seiner ganzen Vielfalt zu entdecken oder neu zu entdecken.

Auch der Familie von Franz Gertsch möchte ich danken - vor allem seiner Frau Maria Gertsch.

Als ich Franz Gertsch in seinem Atelier bei der Arbeit sah, wurde mir bewusst, wie wichtig das Umfeld ist.
Ein Umfeld das es ihm ermöglicht, diese Kontinuität zu leben und gleichzeitig diese Spannung auszuhalten. Die Spannung, ob die Kraft da ist, das Werk zu Ende zu führen, diese immense Fläche zu gestalten und den Bogen mit all diesen Einstichen ins Lindenholz durchzuhalten.

Franz Gertsch hat das Glück, auf ein Umfeld zählen zu können, das diese Spannung mit ihm aushält, das ihn unterstützt - und zwar schon lange, lange bevor er den Erfolg kennen gelernt hat.

Denn der Erfolg fiel für Franz Gertsch nicht vom Himmel - vielmehr war auch hier seine Stetigkeit gefragt.
So ist Franz Gertsch. Wie der Wassertropfen, der den Felsen höhlt. Stetig.
Rhythmisch - wie der einzelne Pinselstrich. Wie das u-förmige Hohleisen auf dem Lindenholz. 


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