Nächste Generation Uhrspiralen

Dübendorf, St. Gallen und Thun, 29.10.2018 - Was passiert, wenn etwas immer kleiner wird? Empa-Forscher Johann Michler und sein Team gehen dieser Frage nach. Als Nebenprodukt ihrer Forschung entstehen völlig neuartige Uhrspiralen, die schon bald in Schweizer Zeitmessern eingesetzt werden könnten.

Angewandte Forschung ist nicht immer von der Industrie initiiert – aber sehr oft entsteht dabei trotzdem ein Ergebnis, das rasch industriell umgesetzt werden kann. Ein Beispiel dafür ist am Empa-Standort Thun zu sehen: Winzig kleine Uhrspiralen liegen da in den Schaukästen des Laboratory for Mechanics of Materials & Nanostructures. Diese Spiralen – das schlagende Herz jedes mechanischen Uhrwerks – sind keine gewöhnlichen Bauteile. Sie sind nicht aus den berühmten Nivarox-Drähten hergestellt, sondern werden aus einer kalten, wässrigen Salzlösung galvanisch – oder elektrochemisch – in der gewünschten Form abgeschieden. Längst ist die Herstellung im Empa-Labor aus den ersten Vorversuchen herausgewachsen. Die galvanisch hergestellten Spiralen werden regelmässig an die Forschungsabteilung eines grossen Schweizer Uhrenherstellers geliefert und dort in Prototyp-Uhrwerke eingebaut. Die Uhrwerke laufen. An der Ganggenauigkeit und Langzeitstabilität werde noch gearbeitet, heisst es.

Noch vor wenigen Jahren war die Empa häufig auf Partner angewiesen, die bestimmte Prozessschritte übernahmen. Inzwischen ist das Know-how für die gesamte Herstellung im Labor versammelt. Laetitia Philippe, die die Herstellung der Spiralen betreut, erläutert die Produktionsschritte. Ausgangsmaterial ist ein Silizium-Wafer, wie er in der Herstellung von Computerchips und Solarzellen verwendet wird. Dieser Wafer wird zunächst mit einer leitfähigen Gold-Schicht und dann mit einer dünnen Schicht lichtempfindlichen Lacks überzogen. Dann wird die Form der Spirale darauf projiziert und die belichteten Stellen des Lacks herausgeätzt. Nun kann auf der leitfähigen Gold-Unterlage die gewünschte Legierung galvanisch abgeschieden werden.

Dieser entscheidende Prozessschritt ist trickreich, wie Laetitia Philippe weiss. «Wir brauchen  eine gute Verwirbelung im galvanischen Bad, die richtige Temperatur, einige organische Zusatzstoffe und einen Strom in der korrekten Stärke und – falls es Wechselstrom ist – in der passenden Form.» Schliesslich gilt es, die Spiralen aus der galvanischen Form herauszulösen. Zunächst kontrolliert die Forscherin mit einem Lichtmikroskop, ob die Spiralformen korrekt mit Metall gefüllt sind. Dann wird die Oberseite der Form feinpoliert, damit alle Spiralen eine definierte Dicke haben, das Ergebnis wird per Röntgenfluoreszensanalyse kontrolliert.

Schliesslich wird der Lack mit einem Sauerstoffplasma entfernt, der Silizium-Wafer mit einer starken Lauge weggeätzt und die Gold-Schicht aufgelöst. Die übrig bleibenden Spiralen müssen dann noch für einige Stunden in eine spezielle Waschmaschine, um Grate und überstehende Metallreste zu entfernen. Die so entstandenen, optisch fehlerfreien Spiralen gehen dann zur Prototypenfertigung ins Uhren-Labor.

Nebenprodukt der Forschungsarbeit

Doch für die Forscher der Empa ist diese Art Prototypenfertigung nur ein Nebenaspekt ihrer wissenschaftlichen Arbeit. «Unser Ziel ist keineswegs, mit Zulieferern der Uhrenindustrie in Konkurrenz zu treten», sagt Johann Michler. «Uns an der Empa interessiert vor allem der Prozess der Miniaturisierung an sich.» Mit winzig kleinen Stempeln und Nadeln untersucht Michlers Team die mechanischen Eigenschaften der extrem kleinen Bauteile. Denn: Die Eigenschaften von Materialien ändern sich, wenn man Mechanik miniaturisiert: Duktile Metalle werden härter; spröde Keramik wird dagegen teilweise duktil bei sehr kleinen Bauteilabmessungen.

«Die Voraussetzung für jede Untersuchung ist, dass wir die Objekte, die wir testen wollen, nach definierten Kriterien herstellen können», so der Empa-Forscher. Daher ist Michlers Team bestrebt, nicht nur einen einzigen Prozessschritt zu beherrschen, sondern die Qualität der gesamten Prozesskette in der Hand zu halten. «Manche Verfahrensschritte hängen eng zusammen», so Michler. «Wenn wir einen Parameter verändern, etwa die Geometrie der Galvanik-Formen oder die Zusammensetzung der Legierung, dann müssen wir meistens auch die vorausgehenden und nachfolgenden Schritte im Prozess anpassen. Wir wollen die Zusammenhänge der Miniaturisierung in jedem Aspekt verstehen.» Additive Fertigungsverfahren in 3-D

Inzwischen gelang es den Forschern auch, Brücken und Säulen aus massivem Nickel herzustellen, die nur wenige Mikrometer gross sind. Belastungstests zeigen, wie sich die Nickel-Legierungen in diesen Dimensionen verhalten. «Wir können solche Strukturen bereits mit schöner Regelmässigkeit und reproduzierbar herstellen», sagt Latitia Philippe nicht ohne Stolz. «Auf dem Weg zur Mikromechanik aus galvanischen Bauteilen sind wir ein grosses Stück vorangekommen.» Diese Bauteile könnten in nicht allzu ferner Zukunft Uhrwerke mit besonders feinen mechanischen Komplikationen möglich machen. 


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