Vom Bauernhof zum Dienstleistungsunternehmen: die Digitalisierung macht es möglich

Zürich, 15.06.2018 - Rede von Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Smart Farming Abendveranstaltung, ETH Zürich, 15.6.2018

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine sehr geehrten Damen & Herren,

Es freut mich sehr, Sie heute Abend hier begrüssen zu dürfen.

Hier, an der ETH Zürich. Meine Alma Mater!

«Alma Mater» ist dabei übrigens ein gutes Stichwort. Bevor dieser Ausdruck Hochschulen und Universitäten bezeichnete, dachte man an die römischen Fruchtbarkeitsgöttinen. Venus natürlich. Aber auch Ceres, die Göttin des Ackerbaus.

So. Nun habe ich die beiden Themen beisammen.

Landwirtschaft und High-Tech.

Denn heute Abend geht es um Smart Farming. Lino Guzzella und ich hatten anfangs Jahr ein Gespräch, bei dem wir die Idee zu diesem Abend gemeinsam angestossen haben. Unsere Frage war: Was bedeutet eigentlich Smart Farming und wie können wir diese Idee unserer – Schweizer – Landwirtschaft näherbringen. Und so kam dieser Anlass zustande. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle bei Lino Guzzella und seinem Team herzlich dafür bedanken, dass sie unsere Idee verwirklicht haben und heute Abend die Möglichkeit geben, dieser Frage nachzugehen: Smart Farming – was heisst das für die Schweiz?

Ich habe die präzise Antwort dazu noch nicht. Man hat zwar immer sofort ein paar Bilder vor Augen:

• einen Melkroboter,

• einen selbstfahrenden Traktor oder einen Mähdrescher,

• eine Drohne, die Felder überwacht,

• vielleicht sogar einen elektronischen Knecht, der beim Stallausmisten hilft.

Solche Roboter sind zwar die anschaulichsten Beispiele der neuen digitalen Ära. Aber die technologische Entwicklung erschöpft sich darin bei weitem nicht. Das ist in der Industrie nicht viel anders. Es gibt umwerfende Shows, wie ich sie während den Feierlichkeiten zum 125-Jahr-Jubiläum der ABB in Baden erlebt habe. Dutzende von Drohnen haben über unseren Köpfen getanzt.

Und dann verschwand das ganze Geschwader in geordneter Reihenfolge hinter den Kulissen. Faszinierend! Mir wurde später gesagt, dass dieses ABB-Ballett nur dank der Mitwirkung der ETH Zürich möglich gewesen ist. Das hat mich natürlich mit Stolz erfüllt. Aber auch in der Industrie liegt das Potenzial der Digitalisierung erst in der Verbindung modernster Mechanik mit dem Einsatz von Big Data und Vernetzung. Vernetzung der Maschinen. Vernetzung der Produktionsprozesse. Vernetzung der Unternehmen. Mit ihren Lieferanten. Mit ihren Kunden. Und das in einem globalisierten Umfeld.

Das führt zu neuen Wertschöpfungsketten und einer teilweisen Verschmelzung des früher stärker getrennten zweiten und dritten Sektors: Die Industrie weitet ihr Dienstleistungsangebot immer weiter aus. Triebwerkproduzenten verkaufen nicht mehr bloss Düsentriebwerke. Sie stellen den Fluglinien die Dienstleistung Flugzeugantrieb zur Verfügung. Dank Sensoren, welche in Echtzeit Daten auslesen und von überall auf der Welt dem Hersteller übermitteln, kennt dieser jederzeit den Zustand jedes einzelnen Triebwerks. Er weiss, wann es aufgrund des spezifischen Verschleisses gewartet oder sogar ausgewechselt werden muss. Die entsprechenden Ersatzteile werden automatisch bestellt und geliefert.

Die riesigen Datenmengen, die dabei gesammelt werden, fliessen in die Forschung und Entwicklung ein. Schwachstellen werden zuverlässiger geortet und behoben. Die Systeme werden besser, effizienter und sicherer. Und wie steht es in der Landwirtschaft?

Bauern sind Unternehmer. Die neuen Möglichkeiten der Datengesellschaft und Wirtschaft eröffnen ihnen neue Handlungsspielräume und geben ihnen grössere Autonomie. Sie erreichen mehr Unabhängigkeit von Verarbeitern und Handel, finden neue Nischen für ihre Produkte. Ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung unsere Landwirtschaft stärken wird und unsere Landwirte ihre Stellung im Markt verbessern können. Genau deshalb ist die Förderung der Digitalisierung der Landwirtschaft ein Anliegen der Agrarpolitik 22+. Der Bundesrat hat heute darüber beraten und die Leitlinien festgelegt. Die AP 22+ setzt an drei Eckpunkten an:

Erstens: Die Betriebe müssen sich unternehmerisch entfalten können.

Zweitens: Unsere Landwirtschaft muss auf den Märkten im In- und Ausland Erfolg haben können

Drittens: Natürliche Ressourcen müssen genutzt, aber auch geschützt werden.

Dabei hat der schonende Umgang mit den Fruchtfolgeflächen Priorität. Die Digitalisierung bietet für alle drei Punkte Möglichkeiten. Die fortschreitende Digitalisierung des Marktes wird die Betriebe dazu bringen, sich mit der Technologie und ihren neuen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Immer mehr Bauernhöfe nutzen die neuen Möglichkeiten der Direktvermarktung per Internet. Ich bin sicher, dass der richtige Einsatz der neuen Technologien einen positiven Einfluss auf die Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit der Landwirtschaft haben wird.

Schon heute kommen Drohnen zum Einsatz, um Rehkitze vor Mähmaschinen zu retten. Sensoren erlauben eine sparsamere Bewässerung der Felder, was in unserem Zeitalter der Klimaerwärmung sicher nicht unbedeutend ist. Alles weist darauf hin: Länder die innovativ sind und die Digitalisierung als Chance nutzen, generieren mehr Arbeitsplätze als sie verlieren.

Lassen sie mich an drei Beispielen aufzeigen, wie der Bund die Digitalisierung in der Landwirtschaft fördert.

Erstens: Barto ist eine Datenplattform. Dokumentations- und Betriebsmanagementanwendungen für Landwirtschaftsbetriebe sollen auf ihr aufbauen können. Sie wurde von Agridea und Identitas ins Leben gerufen. Sie soll helfen, die Chancen der Digitalisierung für die Landwirtschaft koordiniert zu nutzen. Sie soll den administrativen Aufwand reduzieren. Die Betriebs- und Produktionsdaten werden digital erfasst und vernetzt. Der Landwirt kann sie dann auf Wunsch für andere Nutzer freigeben. Das Bundesamt für Landwirtschaft hat mitgeholfen, dieses Projekt zum Fliegen zu bringen. Wir haben eine Angangsfinanzierung beigesteuert und das Projekt fachlich begleitet. Barto ist seit April online. Zugegeben: viel später als erwartet. Aber lieber spät als nie. Ich bin gespannt, was die ersten Erfahrungen der Betriebe mit dieser neuen Plattform sein werden.

Zweites Beispiel: Agroscope, die Forschungsanstalt des Bundes für die Landwirtschaft, unterstützt im Kanton Thurgau das Projekt Swiss Future Farm, das am 21. September eröffnet wird. Diese digitale Farm soll die Landwirte in den Bereichen Wissensvermittlung und Entwicklung unterstützen. Sie eröffnet neue Synergien zwischen Forschung, Beratung und innovativer Technik. Agroscope wird mithelfen, die erhobenen Daten zu analysieren. Dabei sollen neue Möglichkeiten, die Daten zu verwerten, erforscht werden. Ich glaube, dass hier ein wertvolles Zukunftsprojekt aufgebaut wird. Deshalb werde ich auch an der Eröffnung teilnehmen.

Das dritte Beispiel: Wir wissen alle, dass die Digitalisierung viele juristische Fragen aufwirft. Wem sollen die Daten gehören, die erhoben werden? Was ist, wenn ein Roboter Schaden anrichtet? Wer ist verantwortlich? Der Betreiber? Der Programmierer? Viele verlangen schon, dass der Bund über die heutigen Regelungen hinaus rasch gesetzgeberisch einschreiten soll. Ich glaube, das wäre ein Fehler. Wir sammeln noch Erfahrungen. Wir müssen experimentieren können. Was für die Wirtschaft gilt, soll in der Landwirtschaft möglich sein. Reglementierung auf Vorschuss wäre hier nicht hilfreich. Das würde hauptsächlich den ewig Gestrigen helfen, unliebsame Entwicklungen zu verhindern. Das widerstrebt dem liberalen Geist der Schweiz.

Was hingegen nützlich ist: Ein gemeinsames Verständnis erarbeiten, wo Chancen und Risiken liegen, wohin wir steuern wollen. Deshalb haben wir uns entschieden, eine Charta zur Digitalisierung der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft ins Leben zu rufen. Die Unterzeichner der Charta verpflichten sich, einen aktiven Beitrag in der Digitalisierung zu leisten. Dabei werden 12 Leitlinien festgelegt, die dieses Engagement begleiten sollen.

Unter anderem soll der Nutzen im Vordergrund stehen, die Transparenz und der Zugang zu Daten gewährleistet und die Akteure zu fairen Wettbewerb angestiftet werden. Ich bin überzeugt, dass diese Prinzipien helfen werden, die Digitalisierung auf die richtigen Wege zu leiten ohne die Experimentierfreude zu behindern.

Die Charta ist ein Instrument, das hilft, Ängste zu mindern und Chancen wahrzunehmen. Es ist ein Instrument, das die Verantwortung bei den Akteuren belässt. Es ist ein liberales Instrument. Ich freue mich, diese Charta am kommenden Dienstag im HaFL in Zollikofen zu unterzeichnen. Ich lade Sie herzlich ein, mitzumachen!

Zum Schluss, noch eine kleine Geschichte. Ich habe dem jurassischen Landwirtschaftsminister Jacques Gerber versprochen, dass ich ihn unterstütze, wenn er Digitalisierungsprojekte in seinem Kanton hat, die er vorantreiben will.

Er arbeitet daran. Vor ein paar Wochen hat er mir einige junge Landwirte in mein Büro gebracht. Sie hatten Projekte. Sie arbeiten zum Beispiel an einer Plattform, die helfen soll, Landmaschinen zu teilen und so Kosten zu reduzieren. Ich war fasziniert, mit welchem Enthusiasmus diese jungen Menschen von den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung Gebrauch machen wollen. Das stimmt mich optimistisch. Wir werden Lösungen finden, um ihnen zu helfen, ihre Träume umzusetzen. Ich hoffe, Sie sind auch dabei.


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