EKR - Sport und Rassismus: Zuweilen ein Tabuthema

Bern, 11.06.2018 - Gibt es Rassismus im Sport? Steht der Sport bei der Bekämpfung von Diskriminierungen an der Spitze oder ist er im Rückstand? Pünktlich zur Fussballweltmeisterschaft widmet das TANGRAM seine neue Ausgabe einem Thema, das in den betroffenen Kreisen zuweilen tabuisiert wird. Fussball, Basketball, Radsport, Eishockey und Capoeira (Kampfsport) sind die Disziplinen, in denen die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) nachgefragt hat.

Diese neue Ausgabe des TANGRAM befasst sich mit dem heiklen Thema «Sport und Rassismus». Das Bulletin der EKR präsentiert dazu aktuelle Forschungsarbeiten und Beobachtungen von Historikern, Soziologinnen und Soziologen und Journalisten. Es enthält Berichte und Analysen von Sportlerinnen und Sportlern, Trainern sowie Vertretern von Sportverbänden, und es zeigt Beispiele von Präventionsmassnahmen. 

In einem Interview sagt der internationale Experte für Sportgeschichte, Patrick Clastres: «Der Sport ist eine der letzten Bastionen für den freien und nur zu oft ungestraften Ausdruck von Rassismus, während rassistische Parolen in der Öffentlichkeit immer weniger geduldet werden». Auch Laurent Favre, der seit zwanzig Jahren im Sportjournalismus tätig ist, argumentiert ähnlich: «Blinde Leidenschaft kann Fans zu diskriminierendem Verhalten verleiten, auch wenn sie normalerweise nicht rassistisch sind». Er stellt fest, dass die Medien zu passiv bleiben und gewisse Äusserungen herunterzuspielen versuchen, obwohl sie eigentlich zur Veränderung der Mentalitäten beitragen müssten. Der Journalist Sebastian Bräuer beschreibt, wie Rassismus im Profi-Radsport tabuisiert wird: «Man rät jungen afrikanischen Fahrern, verbale Übergriffe, denen sie häufig ausgesetzt sind, nicht öffentlich zu thematisieren, unter dem Vorwand, dass es ihnen nicht weiterhilft, sich auf Negatives zu fokussieren». 

Der Soziologe Jérôme Berthoud untersucht die Frage, ob institutioneller Rassismus und rassistische Stereotype zur Benachteiligung ethnischer Minderheiten im Sport führen. Ein Artikel über Fans und das Porträt eines Hooligans sowie die jüngsten Ereignisse im In- und Ausland zeigen, dass der instrumentelle und ideologische Rassismus in den Stadien weiterhin präsent ist. Laut dem Historiker Thomas Busset müsste man sich die Frage stellen, welche Reaktionen angesichts der Tatsache angemessen wären, dass die Täter nur selten bestraft werden. 

Die Schweizer Sportlerinnen und Sportler und Trainer, die sich im TANGRAM äussern, die Fussball-, Basketball- und Eishockeyspieler, berichten über ihre Erfahrungen in ihren jeweiligen Disziplinen: Die Profi-Basketballspielerin Caroline Turin, die sich durch Bemerkungen zu ihrer Hautfarbe verletzt gefühlt hat, richtet ihren Appell an die Funktionäre und die Werber: «Wenn in den Medien weiterhin die athletischen Qualitäten der schwarzen und die Intelligenz der weissen Spieler hervorgehoben werden, welche Botschaft verbreitet man dann damit?». Vladimir Petković sah sich selber nie direkt von Diskriminierungen betroffen und drückt seinen Wunsch nach «Fairplay und Respekt im Fussball und überall» aus. Der Trainer der Schweizer Fussballnationalmannschaft äussert sich auch zu seinen Erfahrungen mit seinem multikulturellen Team. Seiner Meinung nach ist die unterschiedliche Herkunft eher eine Stärke als ein Nachteil. 

Wie gehen die Verbände, Vereine und Klubs, die im TANGRAM ebenfalls zu Wort kommen, mit dem Thema Rassismus um? In einem Interview erklärt Dominique Blanc, Vizepräsident des Schweizerischen Fussballverbands (SFV), den Standpunkt, «Der Fussball ist ein getreues Abbild der Gesellschaft und Diskriminierung kommt leider manchmal auch auf dem Rasen zum Ausdruck. Allerdings will der SFV dem Rassismus keine übertriebene Sichtbarkeit verleihen, denn er erscheint nicht als ein zentrales Problem im Amateur- und Profifussball. Die erste Priorität des SFV ist die Förderung eines starken und integrierenden Amateurfussballs, von dem alle profitieren». 

In zwei Punkten stimmen verschiedene Beiträge überein: 1) Der Sport eignet sich sehr gut für die Rassismusprävention. 2) Rassismus im Sport sollte strenger bestraft werden. Laut dem Fussballtrainer und ehemaligen internationalen Spieler Fabio Celestini ist der Fussball «Ein ausgezeichnetes Instrument zur Bekämpfung von Rassismus. Man muss daher bereits die Kinder sensibilisieren und das Thema mit ihnen besprechen». Weiter betont der Profi-Basketballer Nicolas Dos Santos «Prävention ist entscheidend, sowohl in den Klubs als auch in den Verbänden. Es braucht strengere Strafen. Wichtig ist die Abschreckung». Laut Jean-Loup Chappelet, Professor an der Universität Lausanne, sind für die Bekämpfung von Rassismus in erster Linie «die Sportorganisationen, die Fernsehübertrager und die Sponsoren» verantwortlich. 

Die Beiträge dieses TANGRAM lassen den Schluss zu, dass Rassismus im Sport nicht überall als Problem wahrgenommen wird. Gewisse Akteure begnügen sich mit den bestehenden Massnahmen zur Prävention von Rassismus und Diskriminierung, andere beklagen eine gewisse Unbeweglichkeit. Die EKR stellt fest, dass Schritte in die richtige Richtung unternommen werden. Sie ist allerdings der Ansicht, dass es eine ehrliche und strenge Beurteilung der Situation in allen Sportdisziplinen und auf allen Ebenen braucht, um dem Risiko einer Banalisierung und eines Weiterbestehens von Vorurteilen entgegenzuwirken. Eine effiziente Prävention und ein gemeinsamer Wille, aktiv zu sein, sind die besten Antworten auf rassistisches Verhalten, nicht nur im Sport. 

Die EKR hofft, dass diese Nummer des TANGRAM Debatten über das heikle Thema der Diskriminierung im Sport anregt und das Forschungsinteresse weckt, die hier aufgeführten Beobachtungen durch gezielte wissenschaftliche Studien weiterzuverfolgen.


Adresse für Rückfragen

Martine Brunschwig Graf, Präsidentin EKR, 079 507 38 00, martine@brunschwiggraf.ch
Sylvie Jacquat, zuständig für das TANGRAM Bulletin, 076 424 19 04, sylvie.jacquat@gs-edi.admin.ch



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