Berufliche Vorsorge: Finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen im Jahr 2017

Bern, 08.05.2018 - Starkes Anlagejahr und weiter sinkende technische Zinssätze – System stabiler, aber mit anhaltender Finanzierungslücke – Hohe ungewollte Umverteilungen gefährden Solidarität

Die Schweizer Vorsorgeeinrichtungen waren im Jahr 2017 aufgrund des tiefen Zinsniveaus vergleichbaren Risiken wie in den beiden Vorjahren ausgesetzt. Gleichzeitig konnte dank einer ausserordentlich hohen Aktienperformance die durchschnittliche Netto-Vermögensrendite deutlich erhöht werden (6.9% gegenüber 3.6% im Vorjahr). Entsprechend verbesserten sich die ausgewiesenen Deckungsgrade im Durchschnitt auf 110.8% (gegenüber 107.1% im Vorjahr). Trotz weiteren Senkungen bleiben indes die durchschnittlichen künftigen Zinsversprechen mit 2.75% deutlich über dem durchschnittlichen technischen Zinssatz von 2.22%. Entsprechend hoch fällt die ungewollte Umverteilung von aktiven Versicherten und Arbeitgebern zu Rentenbezügern aus. Diese betrug in den letzten Jahren knapp 1% der gesamten Vorsorgekapitalien resp. rund 7 Milliarden Franken pro Jahr.

Bern, 8. Mai 2018.
Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) hat im Rahmen der Vorstellung ihres sechsten Tätigkeitsberichtes wiederum die aktuellen Zahlen zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen präsentiert. Die für die ganze Schweiz einheitliche und risikoorientierte Früherhebung ermöglicht eine aktuelle Gesamtsicht über die finanzielle Lage des Systems der beruflichen Vorsorge mit Stichtag 31. Dezember 2017. Die Erhebung wird in enger Koordination mit den regionalen und kantonalen BVG-Aufsichtsbehörden durchgeführt. Bis Mitte April 2018 haben 95% (gegenüber 93% im Vorjahr) der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen mit einer Bilanzsumme von 988 Milliarden Franken (Vorjahr: 914 Milliarden Franken) den Fragebogen der OAK BV ausgefüllt.


Aktuelle Lagebeurteilung

Zentrales Thema im Berichtsjahr war wiederum das für die nominalen Zinsversprechen zu tiefe Zinsniveau. Ende 2017 lag dieses gegenüber dem Vorjahr praktisch unverändert im leicht negativen Bereich (Jahresrendite der 10-jährige Bundesobligationen bei
-0.1%); die Aktienrenditen in den meisten Ländern entwickelten sich gleichzeitig, vor allem gegen Jahresende, ausserordentlich positiv.

Die durchschnittliche erwirtschaftete Netto‐Vermögensrendite der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie betrug im Jahr 2017 6.9% (gegenüber 3.6% im Vorjahr) und bei den öffentlich‐rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie 8.2% (Vorjahr: 3.9%). Mit den weit über den Erwartungen liegenden Renditen verbesserten sich die individuell ausgewiesenen Deckungsgrade der Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie im Durchschnitt von 107.1% Ende Vorjahr auf 110.8% und bei den öffentlich‐rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie von 79.7% Ende Vorjahr auf 82.6%.

Per Ende 2017 wiesen 99% (Vorjahr: 88%) der privat‐ und der öffentlich‐rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie einen Deckungsgrad von mindestens 100% aus. Der entsprechende Anteil bei den öffentlich‐rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie betrug per Ende 2017 15% (Vorjahr: 4%). Allerdings sind die bestehenden Wertschwankungsreserven bei den Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie aktuell immer noch nur zu 60 Prozent (Vorjahr: 39%) geäufnet. Damit sind viele Vorsorgeeinrichtungen nur ungenügend gegen zukünftige Aktienmarkt- und andere Kapitalmarktverwerfungen abgesichert.


System der beruflichen Vorsorge sicherer, aber mit anhaltender Finanzierungslücke

Auf der Verpflichtungsseite sind über die vergangenen Jahre grosse Anpassungen vor allem bezüglich des technischen Zinssatzes vorgenommen worden. Damit ist das System der beruflichen Vorsorge sicherer geworden. Auch im Jahr 2017 haben viele Vorsorgeeinrichtungen die technischen Zinssätze und in vergleichbarem Ausmass die zukünftigen Zinsversprechen gesenkt. Allerdings bleiben die durchschnittlichen künftigen Zinsversprechen mit 2.75% bei den Vorsorgeeinrichtungen ohne Staatsgarantie bzw. 3.12% bei den Vorsorgeeinrichtungen mit Staatsgarantie weiterhin substantiell höher als die durchschnittlich verwendeten technischen Zinssätze von 2.22% bzw. 2.61%.
Bleibt das Marktzinsniveau auf dem aktuellen tiefen Stand, so werden einige Vorsorgeeinrichtungen nochmals Anpassungen zur Sicherung der laufenden Renten und der zukünftigen Rentenversprechen vornehmen müssen.


Ungewollte Umverteilungen in Milliardenhöhe

Leidtragende der anhaltenden Finanzierungslücke sind die aktiven Versicherten und die Arbeitgeber. Die gesetzliche Garantie laufender Renten führt systematisch dazu, dass die Vorsorgeeinrichtungen gegenüber den Rentenbezügern implizit unveränderliche Zinsversprechen abgeben müssen. Für die Umsetzung dieser Garantie ist es notwendig, dass die aktiven Versicherten und die Arbeitgeber bereit sind, die Anlagerisiken auf den Rentenkapitalien auszugleichen. Sie tragen somit das Risiko, dass der Gesetzgeber bezüglich der Einschätzung der Langlebigkeit zu pessimistisch und bezüglich der Prognose der Anlagerenditen zu optimistisch war.
Dies führt zu ungewollten Umverteilungen, welche einseitig von den aktiven Versicherten und den Arbeitgebern getragen werden mussten und müssen und das Solidaritätsprinzip der beruflichen Vorsorge strapazieren. Mit einer jährlichen Umverteilung von knapp 1% der gesamten Vorsorgekapitalien der Vorsorgeeinrichtungen von den aktiven Versicherten zu den Rentnern hat die jährliche Umverteilung mittlerweile ein kritisches Niveau erreicht. Diese Umverteilung fällt insbesondere in jenen Vorsorgeeinrichtungen am grössten aus, in denen der Versicherungsschutz der Versicherten am tiefsten angelegt ist, d.h. bei reinen Obligatoriums‐Vorsorgeeinrichtungen.


Politik ist gefordert

Vorsorgeeinrichtungen, deren umhüllender Teil den obligatorischen Teil nur geringfügig übersteigt, kommen aufgrund des gesetzlichen BVG‐Umwandlungssatzes von aktuell 6.8% bei der Senkung der Umwandlungssätze an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Nachdem die Rentenreform AV 2020 verworfen wurde, bleibt die Politik deshalb in der Pflicht, entweder für ein korrektes Niveau bei den Zinsversprechen zu sorgen oder eine transparente Zusatzfinanzierung der im heutigen Marktumfeld zu hohen Zinsversprechen zu ermöglichen.
Gleichzeitig müssen sich die Vorsorgeeinrichtungen rechtzeitig mit der Frage auseinandersetzen, wie allfällige künftige Überschüsse zwischen den aktiven Versicherten und den Rentnern sowie unter den verschiedenen Rentnergenerationen verteilt werden sollen. Zu definieren sind darum verbindliche Verteilungsregeln, mit denen insbesondere die aufgrund zu hoher Umwandlungssätze entstandenen Umverteilungen über die Zeit wieder ausgeglichen werden können.
Viele Neurentner, die in der Vergangenheit zur Nachfinanzierung der Renten früherer Rentnergenerationen beigetragen haben, sind nun ihrerseits mit teilweise markant tieferen Umwandlungssätzen konfrontiert. Sollten in der Zukunft Überschüsse auf dem Vorsorgekapital der Rentner erzielt werden, sind darum in erster Priorität jene Renten zu erhöhen, die auf solch tieferen Umwandlungssätzen basieren. Für das Funktionieren der zweiten Säule braucht es intakte Solidaritäten zwischen den aktiven Versicherten und allen Rentnergenerationen.

Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV)
Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge OAK BV ist eine unabhängige Behördenkommission. Sie wird vollständig über Abgaben und Gebühren finanziert. Für die Direktaufsicht der Vorsorgeeinrichtungen sind die insgesamt acht kantonalen / regionalen Aufsichtsbehörden am Sitz der jeweiligen Einrichtung zuständig. Deren Oberaufsicht durch die OAK BV erfolgt ausserhalb der zentralen Bundesverwaltung und unabhängig von Weisungen des Parlamentes und des Bundesrates. Direkt von der OAK BV beaufsichtigt werden hingegen die Anlagestiftungen sowie der Sicherheitsfonds und die Auffangeinrichtung. Zudem ist die OAK BV Zulassungsbehörde für die Experten für berufliche Vorsorge und die Vermögensverwalter in der beruflichen Vorsorge.
Mit Blick auf das Ziel, die finanziellen Interessen der Versicherten verantwortungsbewusst und zukunftsgerichtet wahrzunehmen, operiert die OAK BV auf der Basis einer einheitlichen und risikoorientierten Aufsicht. Mit ihren in einen volkswirtschaftlichen und langfristig ausgerichteten Kontext eingebetteten Massnahmen und Entscheiden will die Behörde in erster Linie zu einer konsequenten Verbesserung der Systemsicherheit sowie von Rechtssicherheit und Qualitätssicherung beitragen.
Zur Sicherung der Systemstabilität und damit der Vorsorgegelder der Versicherten ist eine Stärkung der risikoorientierten Führung der Vorsorgeeinrichtungen, aber auch der Aufsichtstätigkeit anzustreben. Das Gesetz stellt hier der OAK BV das Instrument der Weisung zur Verfügung. So kann die OAK BV Weisungen für die Tätigkeit der Experten für berufliche Vorsorge, der Revisionsstellen sowie für die Aufsicht erlassen.







 


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Manfred Hüsler
Direktor Sekretariat OAK BV
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