Sicherheitspolitik der Schweiz: nationale und internationale Aspekte

Bern, 24.10.2017 - Referat von Bundesrat Guy Parmelin Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) an der ETH Zürich, Montag, 23. Oktober 2017.

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Es freut mich, heute hier bei Ihnen zu sein, an einer der besten akademischen Adressen – nicht nur der Schweiz, sondern weltweit. Die ETH Zürich befindet sich seit vielen Jahren regelmässig in den „top ten“ verschiedener globaler Rankings. Darauf darf man zu Recht stolz sein – Sie, die hier arbeiten, lehren und lernen, und auch wir.

Nun bin ich heute aber nicht hier, um über Bildung und Forschung zu sprechen. Das wäre zwar auch spannend, es gibt aber noch andere, ebenfalls wichtige und interessante Themen. Und ich denke, dazu gehört auch mein heutiges Thema: die Sicherheitspolitik der Schweiz.

Nun, wenn jemand Ihnen vielleicht um das Jahr 2000 an gleicher Stelle das auch so gesagt hätte, hätten einige von Ihnen vielleicht gewisse Zweifel gehabt, ob das tatsächlich so ist. Der Kalte Krieg war vorbei, es gab Hoffnung auf bessere, ruhigere Zeiten, manche sprachen gar vom „Ende der Geschichte“.

Wie so oft ist alles anders gekommen, als man gemeint hat. Die Zeiten sind nicht ruhiger, nicht friedlicher geworden, und auch die Geschichte ist nicht am Ende. All das hat sich als Illusion erwiesen, als schöne zwar, aber eben doch nur als Illusion. Krisen, Konflikte, Kriege und Terror – sie sind nicht verschwunden, im Gegenteil: Sie sind heute allgegenwärtig.

Es ist deshalb auch nicht erstaunlich, dass die Sicherheitspolitik zurück ist auf der politischen Agenda, und zwar viel weiter oben, als sie das noch vor ein paar Jahren war.

Dass die Sicherheitspolitik wieder mehr Beachtung bekommt, ist sicher gut. Sicherheit ist ein Fundament von Staat und Gesellschaft: Wirtschaftlicher Erfolg, freiheitliches Zusammenleben, all das ist nur möglich, wenn ein Land sicher ist.

Dass Sicherheitspolitik wieder stärker im Fokus steht, ist gleichzeitig aber auch eine schlechte Nachricht.

Warum ist es schlecht? Weil es Ausdruck davon ist, dass es reale Sicherheitsprobleme gibt und diese grösser geworden sind. Die Weltlage hat sich verdüstert. Das wird zwar oft und schon lange gesagt, aber ich glaube, es war leider schon lange nicht mehr so richtig wie jetzt.

Niemand würde heute ernsthaft behaupten, dass wir uns mit dem Thema Sicherheitspolitik auf einem Nebenschauplatz bewegen. Die Bedrohungen sind eben nicht abstrakt, sondern sehr real und nahe oder sogar direkt bei uns: Terroranschläge in europäischen Städten, Krieg und Staatszerfall von Nordafrika bis in den Nahen Osten, Krieg in der Ukraine, die Allgegenwart von Cyber-Angriffen – all das betrifft auch die Schweiz und ihre Bevölkerung.

Die Schweizer Sicherheitspolitik ist deshalb wieder stärker in Bewegung geraten. Es läuft zurzeit einiges:

  • Das Parlament hat soeben über den neuen sicherheitspolitischen Bericht debattiert, den der Bundesrat erstellt hat. Er enthält eine umfassende Lageanalyse und gibt die groben Leitlinien für die Sicherheitspolitik der nächsten 5 bis 10 Jahre vor. Eine der Hauptaussagen des Berichts ist, dass sich die Sicherheitslage in den letzten rund fünf Jahren zum Teil markant verändert und verschlechtert hat.
  • Vor knapp zwei Monaten ist das neue Nachrichtendienstgesetz in Kraft getreten. Es gibt dem Nachrichtendienst neue Mittel und Kompetenzen. Wir erhoffen uns davon eine substanzielle Verstärkung bei der präventiven Bekämpfung von Bedrohungen, bei gleichzeitiger Wahrung rechtstaatlicher Prinzipien – dafür sorgt ein klarer rechtlicher und politischer Bewilligungsprozess für die neuen Massnahmen zur Beschaffung von Informationen in nicht-öffentlichen Bereichen. 
  • Auch die Armee wird angepasst: Sie soll flexibler und rascher einsetzbar sein, und auch besser ausgebildet und ausgerüstet. Das ist die Stossrichtung der Weiterentwicklung der Armee, wo jetzt die Vorarbeiten für die Umsetzung ab 2018 laufen.
  • Viel Bewegung gibt es auch im Bereich der Cyber-Risiken: Diese Bedrohung ist auch grösser, als noch vor ein paar Jahren angenommen. Der Bundesrat hat den Auftrag gegeben, die nationale Strategie zum Schutz vor Cyber-Risiken von 2012 zu überarbeiten, mit dem klaren Ziel, die Massnahmen und den Schutz weiter zu verstärken. Diese Strategie soll im Frühling 2018 feststehen.
  • Auch in meinem Departement wollen wir die Fähigkeiten und Mittel im Cyber-Bereich weiter verstärken. Wir haben deshalb einen departementsinternen Aktionsplan Cyber-Defence lanciert. Wir wollen unsere Kenntnisse gezielt und substanziell vertärken, insbesondere im Nachrichtendienst und in der Armee.

Es gäbe auch noch viele weitere Beispiele. All diese Arbeiten haben ein Ziel: unsere sicherheitspolitischen Instrumente auf die aktuelle und absehbare Bedrohungslage auszurichten.

An welche Bedrohungen denken wir dabei, worauf muss sich die Schweizer Sicherheitspolitik ausrichten?

Für mich stehen folgende Bedrohungen im Vordergrund:

  1. Der internationale Terrorismus ist zurzeit sicher die grösste und akuteste Bedrohung. Diese Bedrohung ist zwar nichts Neues, sie hat sich aber massiv verschärft. Die Zahl der Anschläge hat zugenommen, auch in Westeuropa (siehe zuletzt Barcelona, Finnland), und es sterben völlig unschuldige Menschen. Die Bedrohung durch radikalisierte Personen oder kleine Gruppen wird weiter bestehen, auch wenn der Islamische Staat dereinst militärisch vielleicht besiegt sein wird. 
  2. Die Cyber-Bedrohung: Auch das ist nicht neu. Aber die Möglichkeiten zum Missbrauch im Cyber-Bereich sind viel grösser, als man das vor ein paar Jahren noch gedacht hat. Das reicht von Vandalismus über Kriminalität und Spionage bis zu Sabotage und Angriffen auf kritische Bereiche von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Heute ist alles so stark vernetzt, dass Sie mit wenig Aufwand grossen Schaden anrichten können, und das erst noch mit guten Chancen, nicht erkannt zu werden. 
  3. Katastrophen und Notlagen treten regelmässig auf, die Frage ist nur, wann und in welchem Ausmass. Ich denke dabei an Überschwemmungen oder Erdbeben. Es ist davon auszugehen, dass sich das mit dem Klimawandel noch verstärken wird. Daneben können aber auch andere Katastrophen oder Notlagen eintreffen, wie Pandemien oder ein industrieller Grossunfall (z.B. in einem AKW). Auch hier kann es zu massiven Schädigungen kommen, wenn Sie an die Dichte der Besiedlung und der Vernetzung denken.
  4. Bewaffnete Konflikte: Dass die Schweiz selber Opfer eines solchen Konflikts wird, ist zurzeit kaum denkbar. Die Bedrohung durch bewaffnete Konflikte an der Peripherie Europas, welche die Schweiz zumindest indirekt betreffen, ist aber grösser geworden. In der Ukraine ist der Krieg eine Realität. Und auch die massive Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen ist eine stark negative Entwicklung; sie hat die Lage unberechenbarer gemacht.

Sie sehen also, die Sicherheitspolitik hat tatsächlich genügend Herausforderungen, um die sie sich kümmern muss. Was aber – und wie – muss sie das tun?

Ich wurde gebeten, über nationale und internationale Aspekte der Schweizer Sicherheitspolitik zu sprechen. Das scheint mir sinnvoll. Wenn Sie nämlich die heutigen Bedrohungen anschauen, wird rasch klar: Sie sind international und grenzüberschreitend. Es ist keine realistische Vorstellung, dass man diese Bedrohungen im Alleingang wirksam bekämpfen kann. Es braucht Kooperation. Kooperation hat aber zwei Komponenten: Es gibt die Kooperation nach aussen, und es gibt die Kooperation im Innern.

Zuerst ein paar Überlegungen zu den nationalen Aspekten:

Natürlich sind die heutigen Bedrohungen grösstenteils grenzüberschreitend. Es wäre aber falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass es deshalb nur noch internationale Kooperation braucht. Wir müssen auch in unserem eigenen Haus Ordnung schaffen. Nur wer sein eigenes Haus in Ordnung hat, kann auch nach aussen richtig auftreten, wirksam und zuverlässig zusammenarbeiten und sinnvolle Beiträge liefern.

Was heisst das? Wir müssen die einzelnen sicherheitspolitischen Instrumente auf Kurs bringen und die Zusammenarbeit zwischen diesen Instrumenten optimieren. Das ist unsere eigene Aufgabe, dies kann niemand anders übernehmen.

Die Ausrichtung der Instrumente auf die aktuellen Bedrohungen läuft und muss weiter vorangetrieben werden. Ich denke da etwa

  • an die Weiterentwicklung der Armee, welche die Armee flexibler und rascher einsetzbar machen soll, um bei Bedarf subsidiär Unterstützung zu leisten. 
  • Oder an den Nachrichtendienst, der mit dem neuen Gesetz schlagkräftiger gegen den Terrorismus geworden ist, 
  • Und ich denke an den Bevölkerungsschutz, für den wir eine neue Strategie erarbeitet haben, um ihn noch stärker auf die Bewältigung von Katastrophen und Notlagen auszurichten.

Das eigene Haus in Ordnung zu bringen, heisst aber auch, die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Instrumenten und über alle Staatsebenen hinweg zu verbessern. Sicherheitspolitik ist eine Verbundaufgabe, bei der alle ihre Beiträge leisten und leisten müssen: Bund, Kantone, Gemeinden, aber auch die einzelnen Instrumente wie Polizei, Nachrichtendienst, Armee und Bevölkerungsschutz.

Das ist auch der Grundgedanke des Sicherheitsverbunds Schweiz. Dieser wurde 2010 lanciert, mit dem Ziel, die Zusammenarbeit aller Sicherheitsinstrumente in der Schweiz noch besser aufeinander abzustimmen.

Ich halte das für zentral. Wir brauchen diesen permanenten Dialog. Das gilt umso mehr für ein dezentral organisiertes Land wie die Schweiz. Die Kantone spielen eine wesentliche Rolle für die Sicherheit der Schweiz; Polizei und Bevölkerungsschutz sind zu einem grossen Teil dort angesiedelt. Der Bund kann Sicherheitspolitik nicht ohne Kantone betreiben – und umgekehrt gilt das auch. Die Schweiz braucht eine gemeinsame Sicherheitspolitik, und nicht mehrere und verschiedene.

Nationale Aspekte sind aber auch in anderer Hinsicht von Bedeutung: Ich glaube, dass die Schweizer Sicherheitspolitik von nationalen Eigenheiten geprägt ist, vielleicht stärker als in anderen Ländern.

Dafür gibt es verschiedene Gründe: Wir sind nicht Mitglied der Europäischen Union und der Nato, wir haben immer noch eine auf der Wehrpflicht basierende Milizarmee, und wir haben eine gewisse Zurückhaltung, wenn es darum geht, unsere Armee im Ausland zu engagieren.

Dazu kommen gewisse staatspolitische Besonderheiten wie die föderalistische Struktur oder auch die direkte Demokratie. Ich zumindest kenne kein anderes Land, wo die Bevölkerung über Fragen wie die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht oder die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeugs abstimmt. Auch das gehört für mich zu den nationalen Aspekten, die unsere Sicherheitspolitik entscheidend mitprägen.

Natürlich besteht unsere Sicherheitspolitik aber nicht nur aus nationalen Besonderheiten, und damit komme ich zu den internationalen Aspekten.

Lassen Sie es mich vorwegnehmen: Ich glaube an die Nützlichkeit und die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik. Wenn die Bedrohungen internationaler werden, müssen auch die Antworten darauf international sein.

Ich glaube aber auch, dass die internationale Zusammenarbeit nicht ein Selbstzweck ist, indem man einfach kooperiert, damit man kooperiert hat. Kooperation muss letztlich immer einem Ziel dienen, und in der Sicherheitspolitik heisst das: Kooperation muss die Sicherheit verbessern.

Nun gibt es natürlich Bereiche in der Sicherheitspolitik, wo die internationale Zusammenarbeit besonders stark ausgeprägt oder gar das Wesen der Aktivitäten ist.

  • Ein Beispiel dafür ist die Aussenpolitik, zum Beispiel die zivile Friedensförderung oder die guten Diensten. 
  • Ein anderes Beispiel sind die Polizei und der Nachrichtendienst; hier geht es um den Austausch von Informationen.
  • Tägliche Praxis ist die internationale Kooperation auch im Cyber-Bereich, wo es weder zeitliche noch geographische Grenzen gibt.

Bei der Armee ist das weniger der Fall. Wir brauchen die Armee primär für die subsidiäre Unterstützung der zivilen Behörden innerhalb der Schweiz (z.B. für Sicherungseinsätze oder Katastrophenhilfe) und – im äussersten Fall – für die Verteidigung des Landes.

Internationale Aspekte gibt es bei der Armee im Ausbildungsbereich, die Armee nimmt an internationalen Übungen teil. Und sie hat vor allem mit den Nachbarstaaten eine enge Zusammenarbeit, z.B. beim Luftpolizeidienst der Luftwaffe und der Sicherung des Luftraumes.

Daneben engagiert sich die Armee auch in der internationalen Friedensförderung. Wir sind mit einem grösseren Kontingent im Kosovo präsent, um die Sicherheit und den Aufbau des Landes zu unterstützen. Neben einem weiteren, kleineren Kontingent in Bosnien und Herzegowina sind Schweizer Armeeangehörigen in verschiedenen UNO-Mission engagiert, als Minenräumer oder Militärbeobachter.

Zur internationalen Kooperation in der Sicherheitspolitik gehört auch der Dialog. Das mag banal klingen, aber ich halte den regelmässigen Dialog mit anderen Staaten für wichtig. Es geht um Informations- und Erfahrungsaustausch, aber auch um gegenseitiges Verständnis.

Ich habe diesbezüglich in meinen bald zwei Jahren als Chef des VBS auch persönlich meine Erfahrungen gemacht. Ich denke da etwa an die Teilnahme an grossen und hochrangigen Anlässen wie die Münchner Sicherheitskonferenz oder den Shangri-La-Dialog in Singapur. Aber auch an die bilateralen Treffen mit Verteidigungsministern aus anderen Ländern, die Gelegenheit für vertiefte Gespräche bieten. Solche persönlichen Gespräche und Bekanntschaften schaffen Vertrauen.

Solche Gespräche haben mir auch bestätigt, dass es – neben allen Unterschieden – immer auch Gemeinsamkeiten gibt. Viele Staaten haben die gleichen oder ähnliche Interessen und Herausforderungen in der Sicherheitspolitik: Wie geht man mit der omnipräsenten Cyber-Bedrohung um, wie mit dem Problem, dass alle Güter technologisch immer komplexer und teurer werden, wie kann man genügend und genügend qualifiziertes Personal für das Militär finden?

Es sind solche Fragen, die den sicherheitspolitischen Alltag bestimmen und wo man den Austausch suchen muss, weil man voneinander lernen kann. Denn das Ziel ist überall das gleiche: Es geht um die Sicherheit des Landes und seiner Bevölkerung. Das ist es, wofür die Sicherheitspolitik da ist und wofür wir alle, die in diesem Bereich engagiert und dafür verantwortlich sind, arbeiten müssen – national und international.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Diskussion mit Ihnen.


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