600 Jahre Niklaus von Flüe

Bern, 30.04.2017 - Rede von Bundespräsidentin Doris Leuthard, Staatsakt – nationale Gedenkfeier, 30. April 2017, Landenberg bei Sarnen (OW)

(es gilt das gesprochene Wort) 

Sehr geehrte Damen und Herren

Viel wurde über IHN geschrieben.

Das überlasse ich der Geschichte.

Viele haben IHN für sich vereinnahmt.

Jedem seine Überzeugung – aber: er gehört uns allen.

Vielen war, ist und wird ER Kompass und Lebenshilfe bleiben – auch mir.

Aber warum strahlt Niklaus von Flüe über Jahrhunderte hinweg diese Kraft aus?

Weil ER einzigartig und glaubwürdig war!

IHM vertraute man!

SEINE Botschaft gilt!

Bruder Klaus war der rechte Mann zur rechten Zeit am rechten Ort.

Er war akzeptiert durch seine gelebten Werte und sein Leben.

Dieses Leben war ihm möglich, weil auch seine Frau Dorothea Ja sagte zu ihm, zu seiner Überzeugung, seinem Glauben, seinem einsamen Leben.

Sie hat seinen Entscheid respektiert und war tolerant.

Sie hatte ihm ihr Vertrauen geschenkt.

Und: Sie hatte Vertrauen in sich selber, in ihre Fähigkeiten – und in ihre Kinder.

Vertrauen muss man sich erarbeiten.

Wir alle wissen, wie schnell man in den bequemen Trott der allgemeinen Beliebigkeit verfällt.

Wir alle wissen, wie schwierig es ist, gegen Vorurteile anzukämpfen.

Wir alle wissen: es gibt Werte, die einmal verloren, für immer verloren sind – Vertrauen gehört dazu.

Gerade deshalb muss es unser stetes Bemühen sein, dafür zu kämpfen:

die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber,

die Vorgesetzten in den Unternehmen den Angestellten gegenüber,

die Eltern zu Hause gegenüber ihren Kindern.

Das ist nicht einfach.

Aber die Präambel in der Bundesverfassung kann uns dazu Leitfaden sein.

Sie ruft uns auf Verantwortung gegenüber der Schöpfung zu übernehmen.

Uns einzusetzen für Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit, Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt.

Verantwortung zu übernehmen für künftige Generationen.

Umgekehrt braucht es für das Funktionieren unserer Demokratie auch das Vertrauen in die Anderen, in die Fähigkeiten der Fachleute, in das Funktionieren der Institutionen, in die Gewaltentrennung.

Dankbar vertrauen wir uns den Feuerwehrmänner an, den Polizisten, den Lehrerinnen und Lehrern, den Tunnelbauern oder den Pflegerinnen an.

Dankbar sind wir für die Rechtssicherheit und Stabilität, die uns unsere Institutionen bieten.

In einer Zeit der permanenten Informations-Überflutung, der alternativen Fakten und der „fake news“ ist der Kampf um das Vertrauen der Menschen ein hartes Brot.

Bruder Klaus hat es geschafft – ohne PR und Social-Media.

Trotz der Abgeschiedenheit im Ranft war er über das Wichtige informiert, er hatte ein gutes Gespür für die Menschen.

Er genoss das Vertrauen weltlicher und kirchlicher Würdenträger, genauso wie das des einfachen Mannes.

Weil er zuzuhören wusste, holten die Menschen damals Rat bei ihm.

Weil er mitdachte und einfühlend auf die Argumente der Anderen einging, konnte er Streit schlichten.

Weil er ohne Vorurteile Für und Wider abwog.

Weil er Vertrauen schenkte und Vertrauen nicht missbrauchte.

Danach können wir unseren Kompass auch heute ausrichten.

Deswegen ist Bildung, der Zugang zu Wissen so wichtig, damit Menschen möglichst selbstbestimmt leben können.

Niemand weiss alles.

Niemand hat das Recht, Andere zu unterdrücken; ihnen sein Verständnis von Recht und Gerechtigkeit, seine Religion oder sein Staatsideal aufzuzwingen.

Weder hier in der Schweiz, noch sonst wo in der Welt.

Gerade heute sind wir gefordert, aufzustehen, unsere Stimme zu erheben gegen Populisten, Demagogen und Autokraten.

Gerade in der heutigen Zeit müssen wir alle, Politiker, Unternehmer, Bürgerinnen und Bürger, Farbe bekennen und Verantwortung selber übernehmen.

Mit der direkten Demokratie haben wir in der Schweiz ein gutes und funktionierendes System dafür entwickelt: Durch sie wird dieses Verantwortungsbewusstsein geradezu herausgefordert.

Dank den unterschiedlichen Kulturen und den vier Sprachen haben wir gelernt, aufeinander zu hören, mitzudenken, uns einzumischen, den Anderen auch bei Meinungsverschiedenheiten zu achten und Sorge zu unseren Errungenschaften zu tragen.

Unser Kollegialsystem im Bundesrat, in den Kantonen, in den Gemeinden, das Milizsystem in den Parlamenten, den Kantons- und Einwohnerräten, in den Vereinen zwingt uns zum Vertrauen, zur Solidarität, zum Miteinander, zum Konsens und zum Kompromiss.

Ohne diese über Jahrzehnte, Jahrhunderte etablierte Kultur des (früher oft noch handgreiflichen) Zusammenraufens, wäre die Schweiz kaum erfolgreich.

Diese Werte leben wir aktiv.

Diese Werte müssen wir auch in Zukunft verteidigen.

Daher sind bei uns grössere gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Brüche nicht zwangsläufig vorprogrammiert.

Bruder Klaus hat zu diesem „Aufeinander-Zu-Gehen“ aufgefordert – obwohl er selber in konsequenter Abkehr lebte, sich schon fast stur auf das für ihn Wesentliche konzentrierte.

Bruder Klaus hat nicht frömmlerisch gepredigt, sondern mit seinen Wertvorstellungen das vorgelebt, was er von den anderen erwartete.

So wurde er glaubwürdig.

So konnte er den Streithähnen in Stans, in Bern oder in Konstanz und in Würzburg die Köpfe mit seinem Rat zurecht rücken.

Bruder Klaus hat für Vertrauen und gegen Misstrauen gewirkt.

Richtig: Denn Misstrauen verhärtet Seelen, Misstrauen verengt die Sicht und blockiert.

Das haben die acht alten Orte in Stans erlebt.

Das erleben wir heute, wenn es um das Miteinander in der Politik oder mit dem Nachbar geht.

Vertrauen ist nicht einfach, aber es bewegt Menschen, beflügelt sie und führt zu konstruktiven Lösungen.

Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in den guten Willen des Anderen und in die Kraft der Mitmenschen.

Vertrauen müssen wir fördern.

Brauchen wir dazu wieder einen Bruder Klaus?

Oder schaffen wir das selber?

Das schaffen wir selber: Setzen wir uns zusammen, hören wir zu, diskutieren wir offen und arbeiten gemeinsam an der Zukunft unseres schönen Landes.

Ich danke Ihnen.


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