Argentina and Switzerland: A renewed partnership to face common challenges

Bern, 18.04.2017 - Rede im CARI: Consejo Argentino para las Relaciones Internacionales, Thinktank Internationale Beziehungen, Bundespräsidentin Doris Leuthard, Buenos Aires, 18. April 2017

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Es freut mich sehr, heute hier zu sein. Ich danke dem CARI herzlich für die Einladung und Ihnen allen für Ihr Interesse. Unsere Länder verbindet eine reiche gemeinsame Geschichte: Im 19. Jahrhundert, als in der Schweiz viele unter Armut litten, wanderten unzählige Bauern und Handwerker nach Argentinien aus und fanden hier eine neue Heimat. Sie trugen mit ihrem Einsatz zum Aufbau des Landes bei. Umgekehrt zog es auch Argentinier immer wieder in die Schweiz, wie etwa den berühmten Schriftsteller Jorge Luis Borges.

Vor diesem Hintergrund mag es überraschen, dass meine Reise hierher der erste offizielle Besuch einer Schweizer Bundespräsidentin in Argentinien ist. Das hat wohl damit zu tun, dass Schweizer Bundespräsidenten lange nicht ins Ausland reisten. Es liegt mir nun umso mehr daran, unsere Freundschaft zu pflegen und die Beziehungen zwischen unseren Ländern zu vertiefen.

Die Vorzeichen dafür stehen gut – auch wenn die Weltordnung in den letzten Jahren wieder fragiler wurde: Extremismus und Gewalt rücken an Regionen heran, die bis vor kurzem als sicher galten. Nationalismus und Protektionismus machen sich breit. Damit geraten liberale, offene Gesellschaften unter Druck. Europa sieht sich durch die Migrationsbewegungen aus Afrika und dem Nahen Osten, aufgrund der Bedrohung durch den Terrorismus sowie wegen des Brexit mit Veränderungen konfrontiert, die viele verunsichern. Die Globalisierung hat in vielen Staaten den Wettbewerbsdruck erhöht, man kämpft mit Arbeitslosigkeit und Staatsschulden und so erhalten mancherorts Populisten eher Gehör.

Das sind Entwicklungen, die wir uns bis vor kurzem kaum vorstellen konnten. Dennoch sehe ich für Länder wie die Schweiz und Argentinien auch Chancen, wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen:

Argentinien hat in den letzten Monaten Reformen eingeleitet, um zu stabilem Wachstum zurückzukehren, die Rechtssicherheit zu verstärken und Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption zu bekämpfen. Mein Respekt dafür! In Europa vertraut die Bevölkerung trotz Verunsicherung nach wie vor mehrheitlich den pragmatischen Kräften. Machen wir uns darum auf, die anstehenden Aufgaben gemeinsam zu lösen. Wir haben es beidseits des Atlantiks mit grossen Herausforderungen zu tun:

Das ökonomische Umfeld hat sich stark verändert: Die Kombination von hoher Staatsverschuldung und geopolitischen Unsicherheiten erschwert es vielen Volkswirtschaften, Investitionen zu tätigen und damit die Basis für Wachstum und Wohlstand zu legen.

Die Ungleichheit macht vielen Regierungen zu schaffen. Armut ist zwar reduziert und der Mittelstand wächst. Dennoch lebt fast die Hälfte der Bevölkerung von weniger als 2,50 Dollar pro Tag. Wir müssen Strategien finden, damit die Kluft zwischen Arm und Reich nicht weiter aufgeht und sozialer Friede gewahrt werden kann. Ich weiss, dass dies zu den Prioriäten der Regierung Macri zählt und diese alles daran setzt, um die seit Jahren in Argentinien bestehende Armut durch die Schaffung von Arbeitsplätzen zu verringern.

Die Ökologie erhält durch den Klimawandel mehr Gewicht: Das Pariser Abkommen ist in Kraft. Damit sind die Eckpfeiler für eine vernünftige Energie-, Klima- und Umweltpolitik gesetzt. Die Schweiz trägt das Abkommen mit Überzeugung mit – und wir begrüssen die ambitiösen Pläne der argentinischen Regierung zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am nationalen Energiehaushalt auf 20% bis 2025 sehr.Wir sind überzeugt, dass sich das langfristig für jede Gesellschaft lohnt.

Die Digitalisierung verändert die Wirtschaft radikal. Das Tempo von technologischem Fortschritt ist horrend. Um zu vermeiden, dass nur ein paar Wenige davon profitieren und andere um ihre Arbeit fürchten, muss die Digitalisierung demokratisiert werden - so wie Wissen dank dem Buchdruck demokratisiert wurde. Der Schlüssel zum Erfolg ist Bildung: eine gute Grundschule sowie stete Aus- und Weiterbildung. Die Schweiz fördert neben der universitären bewusst auch die Berufsbildung. Wir arbeiten dabei eng mit dem Privatsektor zusammen. In jeder Branche sind die Anforderungen an künftige Qualifikationen andere. Daher ist der Bottom up- Ansatz für uns der Richtige. Das stärkt unsere Innovationskraft, schafft Arbeit und Wohlstand und nimmt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit in die Verantwortung. Mit der von Präsident Macri angestossenen Reform des öffentlichen Bildungswesens und zur Stärkung des bereits sehr guten Forschungsstandorts, ist Argentinien zweifellos auf dem richtigen Weg.

Sehr geehrte Damen und Herren

Das Bemühen um eine vertiefte Zusammenarbeit unserer Länder ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Ich bin überzeugt, dass wir unseren Beziehungen neue Impulse geben können. Lassen Sie mich dazu beispielhaft einige Themengebiete skizzieren. Es sind dies: Infrastruktur, Energie, Wirtschaft und Handel, Finanzmarkt, Forschung sowie die Förderung der Rechtstaatlichkeit und der Menschenrechte.

Zur Infrastruktur: Morgen werde ich die Untertunnelung der Sarmiento-Eisenbahnlinie besichtigen – eines der Projekte, das hier in Buenos Aires entschlossen vorangetrieben wurde. Weitere sind geplant. Es ist eindrücklich zu sehen, welch ambitiösen Infrastrukturbauten Argentinien in den nächsten Jahren verwirklichen will, denken wir etwa an den „Agua Negra“-Tunnel, der Argentinien und Chile besser verbinden soll. In der Schweiz haben wir im letzten Jahr ebenfalls ein bedeutendes Infrastruktur-Projekt verwirklicht: den Gotthard-Basistunnel. Er ist mit 57 Kilometern der längste Eisenbahntunnel der Welt. Nord- und Südeuropa rücken damit näher zusammen. Mit dem Ingenieur Leonardo Rondi hat auch ein Argentinier zum Gelingen des Bauwerks beigetragen. Der Bau des Tunnels wurde dank klugen Köpfen und innovativen Unternehmen möglich. Schweizer Firmen sind im Tunnelbau, bei Planung und Projektierung führend. Der Tunnel zeigt im Übrigen, dass auch im 21. Jahrhundert Pionierleistungen möglich sind! Er ermöglicht neue logistische Lösungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Zur Energie: Nach dem Reaktorunglück in Fukushima hat die Schweiz den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie eingeleitet. Um unsere Energieversorgung zu sichern, setzen wir auf mehr Effizienz und die Stärkung der erneuerbaren Energien. Das Volk wird demnächst über ein Gesetzespaket befinden. Wir wollen unseren Energieverbrauch reduzieren und damit auch weniger abhängig sein von importierten fossilen Energien. Den wegfallenden Strom aus Kernkraft wollen wir v.a. mit Wasser, Sonne, Wind und Biomasse ersetzen. Das lohnt sich: In den letzten Jahren konnten wir den Energieverbrauch trotz wachsender Bevölkerung, Wirtschaft und Mobilität senken. Die Technologie ist da, das Knowhow ist da. Schweizer Firmen bieten innovative Cleantech-Lösungen. Ich bin überzeugt, dass dies auch für ein Land wie Argentinien – insbesondere vor dem Hintergrund der erwähnten grossen öffentlichen Investitionen – von Interesse ist.

Zu Wirtschaft und Handel: Über 70 Schweizer Unternehmen sind in Argentinien tätig und bieten 13‘000 direkte Arbeitsstellen. Die Ratifikation des neuen Doppelbesteuerungsabkommens zwischen unseren Ländern stärkt die Rahmenbedingungen für Investitionen und wurde entsprechend positiv aufgenommen. Es gibt aber noch weiteres Potenzial, und in diesem Sinne werte ich das grüne Licht zur Aufnahme von Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und dem Wirtschaftsraum Mercosur, dessen Vorsitz Ihr Land innehat, entsprechend positiv. Ich bin überzeugt, dass es für zwei so komplementäre Wirtschaftsräume wie die unsrigen für beide vorteilhaft ist. Wir begrüssen es auch, dass sich Argentinien das Ziel gesetzt hat, Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu werden und nun mit Elan Reformen in Angriff nimmt, um die Standards zu erreichen. Diese zu erfüllen, ermöglicht die Stärkung des Rechtsstaats, der unabhängigen Justiz, der Korruptionsbekämpfung und eine grössere Stabilität des nationalen Rechtsrahmens – alles wichtige Elemente; nicht zuletzt, um Rechtssicherheit und Vertrauen zu bieten für ausländische Investoren. Die Schweiz ist bereit, Argentinien bei seinen Bemühungen zu unterstützen: Vor kurzem haben wir z.B. einen bilateralen Dialog zur Korruptionsbekämpfung lanciert.  

Im Finanzwesen freue ich mich auf die vor einigen Monaten intensivierte Kooperation zum Informationsaustausch in Fiskalfragen. Sie unterstreicht die weltweit anerkannten Bemühungen der Schweiz für einen sauberen Finanzplatz, der durch die Qualität seiner Dienstleistungen besticht. In diesem Sinne besteht auch Potenzial für einen besseren Zugang zu unseren Finanzmärkten. Dass Argentinien eine wichtige internationale Rolle einnimmt, zeigt sich an der nahenden G-20 Präsidentschaft. Ich habe Präsident Macri dazu gratuliert. Die Schweiz ist bereit, auch in diesem Kontext ihre Erfahrung einzubringen, etwa im Rahmen des G-20-Finanzsegments oder bei Handel und Investitionen.

Auch in der Forschung lohnt sich ein engerer Austausch. Mit der 2015 unterzeichneten „Joint Declaration“ sind wir bereits auf gutem Weg. Im Rahmen der vom Schweizerischen Nationalfonds mit dem National Scientific and Technical Research Council (CONICET) gemeinsam durchgeführten Ausschreibung haben sich nicht weniger als 80 Projekte beworben. Die Projekte, die Ende Mai den Zuschlag erhalten, werden sich durch die hochstehende Qualität „Suizo-Argentina“ auszeichnen! Auch im kulturellen Bereich gibt es neue vielversprechende Kooperationen: Buenos Aires wird dank seiner ebenso lebendigen wie bedeutenden Kunstszene die erste Partnerstadt der „Art Basel Cities“, eine neue Initiative, die Art Basels Engagement in der Kunstwelt ausbauen soll. Solche Vernetzungen dienen beiden Seiten. Ich bin gespannt, welche Metropolen weiter dazu stossen werden.

Neben diesen Anknüpfungspunkten liegt mir auch eine engere Zusammenarbeit auf internationaler Ebene sehr am Herzen, zur Förderung der Rechtstaatlichkeit. Wir teilen zentrale Werte und Vorstellungen.

Erstens verbindet uns ein gemeinsames Engagement für die Menschenrechte: Seit der Rückkehr zur Demokratie 1983 hat sich Argentinien auf der internationalen Bühne stark für die Verteidigung der Grundfreiheiten eingesetzt. Die Schweiz freut sich, in diesem wichtigen Bereich auf einen dynamischen sowie durch seine Geschichte sehr glaubwürdigen Partner zählen zu dürfen. Die Menschenrechte gehören uns allen – also müssen wir uns alle für die Grundwerte der Demokratie einsetzen. Sie sind der beste Garant unserer Freiheit.

Zweitens setzen sowohl die Schweiz als auch Argentinien auf Offenheit und Kooperation. Die Tendenz gewisser Länder, das Heil in bilateralen Deals zu suchen und sich auf das Recht des Stärkeren abzustützen, bringt Standards und Regeln unter Druck. Lateinamerika und Europa, die Schweiz und Argentinien, sind gefordert, auf der Weltbühne ein Rechtssystem zu verteidigen und zu stärken, das regelbasiert ist. Gleiche Spielregeln bedeutet mehr Fairness, Möglichkeiten für alle statt für Wenige. Wer sich auf das Recht des Stärkeren beruft, mag sich zunächst zwar durchsetzen. Wir wissen aber aus der Geschichte, dass selbst grosse Mächte scheitern, wenn das System aus dem Gleichgewicht gerät. Die Schweiz als Land mit vier Sprachen und Kulturen setzt darum seit je her auf den Ausgleich.

Wir ringen gemeinsam um Lösungen und gehen Projekte pragmatisch an. Das braucht manchmal mehr Zeit als andernorts, unsere Entscheide sind dafür breit abgestützt und akzeptiert.

Sehr geehrte Damen und Herren

Jedes Land hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Besonderheiten - und die Globalisierung fordert alle auf unterschiedliche Art heraus. Ich bin aber überzeugt: Die Welt steht vor Herausforderungen, die wir nur gemeinsam lösen können.

Durch die gemeinsamen Werte und geschichtlichen Berührungspunkte zwischen Europa und Lateinamerika, zwischen der Schweiz und Argentinien, eröffnen sich Chancen, die es zu nutzen gilt. Die bereits gewonnenen Früchte unserer Freundschaft sind der Beweis dafür. Ich hoffe, mit meinem Besuch weiter zur Stärkung unserer bilateralen Beziehungen beitragen zu können. 

Der grosse Schriftsteller Jorge Luis Borges, den ich eingangs erwähnte und der in der Schweiz seine letzte Ruhe fand, schrieb: „Es gibt keinen besseren Trost als der Gedanke daran, dass wir unser Unglück selbst bestimmen.“ Umgekehrt glaube ich fest daran, dass jeder auch etwas seines Glückes Schmied ist. In der Ungewissheit, was uns das 21. Jahrhundert bringen wird, stehen die Schweiz und Argentinien vor der Herausforderung, für die Zukunft ihrer Völker zu sorgen. Lassen Sie uns diese noble Aufgabe gemeinsam angehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


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