"Friedliche Mahlzeit"

Bern, 27.02.2006 - Ansprache an der Nationalen Kochkunst-Meisterschaft Schweizer Selektion Bocuse d’Or im Kursaal Bern

Politik und Küche haben viele Gemeinsamkeiten.

  • Nicht von ungefähr  sieht das Bundeshaus mit seiner Kuppel wie ein Dampfkochtopf aus. Manchmal auch drinnen.
  • Eine der begehrtesten Schriften der Bundesverwaltung heisst „Kochrezepte“. Es wurde gestützt auf  Art. 3 Abs. 2 der VO des Eidg. Militärdepartementes  vom 26. März 1976 erlassen und trägt die Nummer 60.6.d.
  • Kochen und Politik sind beides Tätigkeiten, von denen jeder glaubt, er verstehe etwas davon. So müssen wir Profis damit leben, dass uns alle dreinreden. Ich hatte ja selber auch eine Zeit, da  ich den Köchen dreinredete, nämlich als ich als Testesser für Gault et Millau unterwegs war. Aber ich habe diese Besserwisserei aufgegeben und bin Bundespräsident geworden. Das ist insofern mit dem Testessen verwandt, als man dafür keine spezielle Ausbildung braucht  - ganz im Gegensatz zum Koch - . Dafür habe auch ich jetzt mit Mitessern zu tun, die mir dreinreden, mit Journalisten. Aber ich habe es nicht anders verdient. Sühne muss sein.
  • Politik und Kochen bestimmen den Wandel der Zeit, aber sie unterliegen ihm auch. Sie prägen Moden, und sie gehen mit Moden. Im Moment ist es zum Beispiel in der Politik Mode, Budgets in Tranchen zu schneiden, den Service Public abmagern zu lassen und vom schlanken Staat zu träumen.
  • Aber gibt es denn in Küche und Politik wirklich eine Neuheit, die noch nie da gewesen wäre?  Im Grunde genommen tun wir doch beide nichts anderes als Traditionen und Ideen immer wieder neu zu interpretieren. Die politischen Ideen  von Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit sind schon in allen Varianten von den Denkern im Osten und im Westen durchdacht worden. Und wenn ich glaube, am Herd eine Neuheit kreiert zu haben, so entdecke ich sicher meine Erfindung schon bald darauf in irgendeinem Kochbuch. Letztlich variieren wir auch in der Küche immer nur das Verhältnis zwischen Basen und Säuren, Zitrone und Oel.
  • In Politik und Küche zählen Inhalt und Form. Beides muss gepflegt werden. Eine politische Idee kann bei anderen nur Fuss fassen, wenn sie in eine überzeugende rhetorische Form oder Aktion verpackt wird: Greenpeace kettet sich an Schienen,  ich trat für die Neujahrsansprache hinter einem Schweizerkreuz hervor, und mein Vorgänger kochte öffentlich Eier.
  • Doch in der Verpackung muss ein Inhalt sein, hinter der Aktion muss eine Überzeugung stehen.
  • Ein Koch ist auf den Inhalt angewiesen, auf das gute Produkt. Er kümmert sich selber um die Frische und die Qualität seiner Produkte, er kennt ganz genau deren Herkunft. Diese Kenntnisse sind die Voraussetzungen für die Verarbeitung, für sein Kunsthandwerk. Durch Verarbeitung und Präsentation bekommt der Inhalt eine Form, die Mahlzeit wird zum Kunstwerk.


Ich bin Infrastrukturminister und sage auch an Eröffnungen meiner geliebten Strassen, Starkstromleitungen, Gaspipelines und Eisenbahntunnel: Die wichtigste Infrastruktur ist die Kultur. Und davon ist die aller wichtigste die Kochkultur.   

Die Küche eines Landes sagt oft mehr als tausend Worte eines Ethnologen. 
So sind denn die Köche immer auch Botschafter der Kulturen. Sie haben es in der Hand, entweder Geschmacklosigkeiten zu fördern oder den Geschmack der Menschen zu bilden.

Der Zusammenprall der Kulturen entzündet sich häufig an blossen Geschmacklosigkeiten. Ja, ich spreche von den Karikaturen. Aber ich füge auch bei: Keine Geschmacklosigkeit der Welt rechtfertigt Gewalt als Antwort. Über Geschmack läst sich sehr wohl streiten und urteilen. Sonst könnte es ja keine Jury für diese Meisterschaft geben.

Die politischen Botschafter, die Politik überhaupt hat die Versöhnung der Kulturen nicht geschafft. Da liegt manche Hoffnung in der Kultur selber, in ihrer Fähigkeit, sich mit anderen Kulturen versöhnen, ja vermählen zu können. Auch da leistet die Kochkultur Pionierarbeit.

Es gibt unendlich viele Geschichten von Auswanderern und Flüchtlingen, die im fremden Land Fuss fassten,  indem sie von Gästen zu Wirten wurden.

Daher möge dieser Wettbewerb mehr sein als nur das Ringen um Gold. Er ermöglicht auch, voneinander zu lernen und sich zu eigenen Kreationen inspirieren zu lassen.

„Friedliche Mahlzeit!“ Das ist ein alltäglicher Wunsch und gleichzeitig eine grosse politische Vision.

Sie beginnt in der Küche.


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