Qualitäten für die Schweiz

Bern, 31.07.2006 - Gedanken zum Nationalfeiertag 1. August-Ansprache von Bundesrat Hans-Rudolf Merz

Liebe Landsleute

Es gibt Qualitäten, die unserem Land zu Stabilität, Zusammenhalt, gutem Ruf und Ansehen verholfen haben. Sie heissen: Wohlstand, Sicherheit, Vielfalt, Fortschritt und Solidarität. Diese fünf Qualitäten haben seit 1848 das Wesen dieses Landes geprägt. Diese fünf Qualitäten sollen auch unsere Zukunft bestimmen.Sie erlauben uns aber kein "weiter so!", kein Ausruhen auf Lorbeeren, kein Abonnement auf Gehabtes. Vielmehr müssen wir diese Qualitäten immer wieder neu mit Inhalt füllen, neu erringen, von neuem umsetzen und gegen Bequemlichkeit und Schlendrian verteidigen. Die Schweiz ist ein demokratischer Rechtsstaat, den politische Stabilität und der Schutz der Menschenrechte auszeichnen. Damit ist der grosse Rahmen gegeben, in dem das Land seine Qualitäten nach innen und nach aussen zum Spielen bringt.

Wohlstand

Eine erste Errungenschaft ist unser Wohlstand. Wir wollen ihn erhalten. Das wird nicht einfach sein. Der Wohlstand unseres rohstoffarmen Landes beruht auf den Fähigkeiten von Wirtschaft und Gesellschaft sowie auf der Solidität der Arbeitswelt. Dank Werten wie Zuverlässigkeit, Präzision, Fleiss sowie dank der Findigkeit und Geschäftstüchtigkeit der Unternehmen haben wir es zu Ansehen und Wohlstand gebracht. Der Wohlstand wird gewöhnlich am Brutto-Inland-Produkt gemessen. Aber damit ist nicht das Wesentliche erfasst. Die Verteilung des Wohlstandes auf die Bevölkerung und die Belastung der Steuerzahlenden, mithin das Mass, in welchem Bürgerinnen und Bürger am Wohlstand teilhaben, sind ausschlaggebend. Es wird immer reiche und weniger wohlhabende Menschen geben; entscheidend ist die Erträglichkeit des Gefälles. Und entscheidend ist die Lebensqualität für uns alle.

Sicherheit

Eine zweite Qualität ist die Sicherheit in unserem Land. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Die Bedürfnisse nach Sicherheit reichen von der Landesverteidigung über die Bürgersicherheit im Alltag bis hin zu den Menschenrechten.Machtgier, Gewalt, Betrug, Fanatismus, aber auch kriegerische Auseinandersetzungen brechen in jedem Zeitalter in stets neuen Formen durch. Sie sind in der Natur des Menschen begriffen. Der moderne Staat ist herausgefordert. Schutz von Privatheit und Garantie der Freiheiten geniessen bei uns zum Glück einen hohen Stellenwert. Deshalb gilt es zwischen Vorbeugung und Abwehr abzuwägen und die Wahl der Instrumente stets den Bedrohungen anzupassen.

Vielfalt

Die dritte Qualität ist die Vielfalt unseres Landes. Die Schweiz ist derart reich an Facetten, dass das Zusammenleben der Sprachen, der Völker, Religionen und der Kulturen nur in einer föderalen und vielkulturellen Gestaltung möglich ist. Das erfordert Toleranz und den Willen zum Zusammenleben.
Den Gefahren der Zersplitterung und mangelnder Effizienz steht die grosse Chance der Bereicherung, der Traditionen und der Nähe zwischen Bürger und Staat gegenüber. Mit der neuen Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen haben wir einen Schritt zur Stärkung des Föderalismus getan. Wir müssen aber alle Ebenen unseres Staats und unsere eigenständigen Kulturen fortentwickeln, ihre Aufgaben immer wieder hinterfragen und den Erfordernissen der Zeit anpassen.

Fortschritt

Modernität und Fortschrittsglaube sind unsere vierte Qualität. Die Schweiz hat zahlreiche Erfinder, Wissenschafter und Nobelpreisträger hervorgebracht. Sie muss in jeder Hinsicht Spitzenprodukte exportieren. Kreativität und Offenheit sind Fundamente unseres Erfolges.In der Verfassung von 1848 wurde in richtiger Einschätzung deren Bedeutung eine eidgenössische Hochschule verankert. Seither haben sich unsere Bildung und Forschung stets im Wettbewerb mit den Besten, also in der Spitzengruppe der Technologie-Nationen, bewegt. Rundum werden aber die Anstrengungen erhöht, die Messlatten höher gesetzt. Unser Bildungs- und Forschungsplatz ist herausgefordert. Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft brauchen offene Zugänge, Modernität und Fortschrittsglaube, sonst bleiben sie stehen. Die gesellschaftlichen Neuerungen entfalten sich vorwiegend in unseren städtischen Agglomerationen. Sie finden ihren Niederschlag in neuen Lebens- und Arbeitsformen. Der Staat muss dieser Dynamik Rechnung tragen, sein Recht und sein Rollenverständnis durch Reformen anpassen.

Solidarität

Nachbarhilfe, Freiwilligkeit, Sozial- und Betreuungswesen, Sozialversicherungen, aber auch das Spendenwesen und die Entwicklungshilfe, das sind die wichtigsten Stichworte zur solidarischen Schweiz.

Die monetäre, sprich finanzielle Solidarität hat in neuerer Zeit zulasten der Freiwilligenhilfe stark zugenommen. Das ist eine ungute Entwicklung. Wir sollten dem grossen Wert der Freiwilligkeit wieder mehr Wertschätzung erweisen.

Wer in Not und Bedrängnis gerät, kann in unserem Land auf Hilfe und Unterstützung zählen. Die Ansprüche wachsen kräftig. Besonders bedenklich ist vielfach die Lebenslage junger Menschen. Diese Entwicklung erfordert Aufmerksamkeit und Massnahmen mit dem Ziel, persönliche Notlagen zu verhindern oder wenigstens zu verkürzen. Behinderten Menschen müssen wir sodann das eigenständige Leben im Alltag ermöglichen und erleichtern. Im Lande von Pestalozzi und Dunant besitzt die Solidarität Tradition.

Wohlstand, Sicherheit, Vielfalt, Fortschritt und Solidarität sind die Qualitäten unseres Landes. Keine davon ist selbstverständlich, keine davon erfüllt sich von selbst, keine davon ist statisch und beharrend. Die Pflege dieser Qualitäten ist harte gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Arbeit. Wir haben es in der Hand, alle zusammen, mit diesen Qualitäten eine gute Zukunft zu gestalten.

Ich wünsche Ihnen allen eine schöne Bundesfeier.



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Eidgenössisches Finanzdepartement
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