«Eine Schweiz, die sich weltweit engagiert: Die Zukunft liegt in unseren Händen»

Genf, 22.08.2016 - Eröffnungsansprache von Bundesrat Didier Burkhalter anlässlich der Botschafter- und Aussennetzkonferenz 2016 - Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Minister
Sehr geehrter Herr Generaldirektor
Meine Damen und Herren

«Die Zukunft ist unsere Sache», schrieb ein Schweizer Essayist. Und ich möchte hinzufügen: Die Zukunft liegt in unseren Händen. Die Zukunft ist nicht das, was uns passiert, sondern vor allem, was wir daraus machen. Das Ziel jeder Politik ist es, die Zukunft zu gestalten, die bestmögliche Zukunft vorzubereiten, Perspektiven für unsere Kinder und Kindeskinder zu schaffen.

Weil Sie an dieses Ziel glauben, meine Damen und Herren, haben Sie den Beruf gewählt, der Sie heute hierher geführt hat.

Weil Du, lieber Paolo Gentiloni, an politisches Handeln und politische Ziele glaubst, an die Notwendigkeit, konkrete Antworten auf Herausforderungen zu finden, wollte ich Dich, den italienischen Aussenminister, hierher einladen. Ich möchte Dir in meinem eigenen Namen und im Namen aller, die heute hier versammelt sind, herzlich für die Ehre und die Freundschaft danken, die Du uns durch deine Anwesenheit bezeugst. Wir freuen uns auf Deine Ausführungen zur Frage, was es heisst, die Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen, sowohl was die Beziehungen zwischen unseren Ländern als Nachbarn und Freunde betrifft als auch aus einer europäischen und multilateralen Perspektive.

Meine Damen und Herren

Die bestmögliche Zukunft vorzubereiten für die Schweiz heisst, die Position unseres Landes in der Welt zu wahren und wenn möglich noch zu verbessern. Zahlreiche Rankings zeigen: Der Schweiz geht es gut.

Sogar im Medaillenspiegel der Olympischen Sommerspiele geht es uns ziemlich gut – Gratulation an unsere Sportlerinnen und Sportler! Aber vor allem wenn man Indikatoren wie die Lebensqualität, die Beschäftigung – insbesondere der Jungen –, die Berufsbildung, die Wettbewerbsfähigkeit, die Forschung usw. anschaut, verfügt die Schweiz über bemerkenswerte Stärken. Dies verdanken wir unseren Vorfahren, die die Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder – also unsere Zukunft – vorbereitet haben. Sie hatten verstanden, dass man die Zukunft in die eigenen Hände nehmen muss. Es liegt in unserer Verantwortung, dieses Erfolgsmodell zu bewahren, es nachhaltig zu gestalten. Wenn die Zukunft in unseren Händen liegt, müssen wir die Ärmel hochkrempeln: in der Innenpolitik, aber auch in der Aussenpolitik.

Es ist der Bundesrat, der die Aussenpolitik festlegt und umsetzt. Aber er kann dies nur tun dank Ihnen, die heute hier in Genf versammelt sind, und dank Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Besten Dank Ihnen allen! Aber wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Wir müssen in Form bleiben – «fit», wie man in der Deutschschweiz sagt –, wenn wir die Zukunft in die Hände nehmen wollen. Das gilt auch für unsere Personalpolitik. Auch dort müssen wir bereit sein, die zahlreichen aussenpolitischen Herausforderungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des EDA und seiner verschiedenen Personalkategorien anzugehen. Eine zentrale Frage ist hier, ob es sinnvoll ist, für die diplomatische und die konsularische Laufbahn ein funktionales System einzuführen.

Der Bundesrat hat das EDA aufgefordert, ihm bis Anfang 2017 eine erste Analyse zu diesem Thema vorzulegen. Ich habe den Leiter der Direktion für Ressourcen beauftragt, diese Frage entsprechend zu vertiefen.

Wir müssen eine offene Diskussion zu diesem Thema führen, ohne das Ergebnis vorwegzunehmen. Mit einer proaktiven Haltung können wir Lösungen vorschlagen, die die Aufgaben und Besonderheiten des EDA wie zum Beispiel das Versetzungssystem berücksichtigen. Das sog. funktionale System ist kein Selbstzweck: Es könnte ein Mittel sein, um die Eignung der aussenpolitischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Attraktivität der aussenpolitischen Berufe nachhaltig zu stärken. Die verschiedenen Laufbahnen – die Ausdruck von spezifischen Kompetenzen und Werten sind – werden alle im neuen System ihren Platz finden. Die departementsinterne Analyse, bei der die Mitarbeitenden eng und transparent einbezogen werden – darauf lege ich grossen Wert –, wird zeigen, welche Vor- und Nachteile ein solcher Wechsel hätte. Dazu braucht es natürlich eine Kostenevaluation, aber bei diesem Projekt geht es nicht primär um eine Sparübung. Es geht um etwas anderes. Es geht darum sicherzustellen, dass alle aussenpolitischen Bereiche über optimale Rekrutierungs-, Ausbildungs- und Anstellungsbedingungen verfügen. Dazu müssen zwei grosse Herausforderungen berücksichtigt werden: 1. eine Welt, in der die geopolitischen Spannungen zu einer starken Vermehrung der fragilen und konflikthaften Kontexte führen, und 2. eine Gesellschaft, die immer komplexer, anspruchsvoller und individualistischer wird und in der es immer schwieriger wird, Talente anzuziehen und zu halten.

Reformen bringen immer ein gewisses Mass an Verunsicherung mit sich. Ich glaube aber, dass eine Reform nicht nur nötig ist – wie in vielen anderen Bereichen wäre Stillstand Rückschritt –, sondern eine Chance, die wir ergreifen sollten.

Eine Chance, das Bestehende zu verbessern, die Aussenpolitik noch kohärenter und noch wirkungsvoller zu gestalten, unter Berücksichtigung unserer Stärken: Wettbewerbsfähigkeit, Chancengleichheit, Transparenz und individuelle Verantwortung. Ich danke allen, die sich aktiv an diesem Projekt beteiligen. Es braucht diese Bereitschaft zum Dialog, um ein System aufzubauen, mit dem wir die Zukunft gemeinsam noch besser in die Hände nehmen können.

1. Aussenpolitische Strategie 2016–2019

Meine Damen und Herren

Wir stehen im ersten Jahr einer neuen Legislaturperiode. Es ist ein guter Moment, um die aussenpolitischen Schwerpunkte für die kommenden Jahre festzulegen. Der Bundesrat hat deshalb die Aussenpolitische Strategie 2016–2019 verabschiedet. Es ist eine Vierjahresstrategie, die aber auf die nächsten zehn Jahre ausgerichtet ist. Sie setzt auf Kontinuität, berücksichtigt aber auch Veränderungen, die sich in der Schweiz und in der ganzen Welt ereignet haben. Sie kennen die neue Strategie, ich muss also nicht ins Detail gehen. Ich möchte einfach an drei wichtige Punkte erinnern, an denen wir uns orientieren.

1. Zuerst einmal gibt es die Grundsätze unseres Grundgesetzes, der Verfassung, an der wir uns langfristig orientieren.

2. Ein zweiter Orientierungspunkt ist die politische Kultur der Schweiz und ihrer Institutionen, die geprägt sind von Werten, die wir fördern wollen, wie Demokratie, Frieden, Vielfalt und die Kraft des Dialogs.

3. Schliesslich ist da der Wandel im internationalen Kontext. Wir müssen zunehmende Rivalitäten, eine wachsende Zahl von regionalen Krisen bewältigen (Ukraine, Syrien, Naher Osten usw.). Wir müssen auch die zunehmende Bedrohung durch Terrorgruppen bewältigen, die Flüchtlingssituation, die mittlerweile 65 Millionen Personen betrifft (dies entspricht der italienischen Bevölkerung oder acht Mal der Schweiz!), die Bedrohung des Völkerrechts durch Machtpolitik usw. Wir leben in einer Welt, die weniger stabil und weniger verlässlich geworden ist.

Was bedeutet dies für unsere Aussenpolitik? Die Antwort des Bundesrats lautet:

- «Recht statt Gewalt»: Die Schweiz hat ein Interesse daran, dass die internationalen Beziehungen im Rahmen des Rechts geregelt werden.
- Wir wollen politische Lösungen für Konflikte: Die Schweiz hat ein Interesse daran, dass Krisen mit den Mitteln der Diplomatie und des Dialogs gelöst werden und dass sie eine Rolle als Brückenbauerin übernehmen kann.
- Schliesslich wollen wir eine internationale Ordnung mit gemeinsamen Regeln: Die Schweiz hat ein Interesse daran, dass internationale und multilaterale Organisationen und Mechanismen gut funktionieren, damit sie bei Krisen gut koordiniert und rechtlich legitimiert reagieren können.

Die Strategie des Bundesrats weist vier Schwerpunkte auf:

1. EU und EU-Mitgliedstaaten
2. Unsere globalen Partner
3. Frieden und Sicherheit
4. Nachhaltige Entwicklung und Wohlstand

Diese Themen in all ihren Aspekten werden unser Handeln bestimmen, aber auch die Art, wie wir uns organisieren.
Die Ernennungen zu Beginn der Legislaturperiode erfolgen mit dem Ziel, unsere Fähigkeit zur Umsetzung der Aussenpolitischen Strategie weiter zu stärken.

Wie Sie gelesen haben, hat Staatssekretär Yves Rossier mich nach über vier Jahren an der Spitze der Politischen Direktion gebeten, ihn auf die Versetzungsliste zu setzen. Ich danke ihm für sein Engagement, seine Kreativität, die Dynamik, mit der er seine Funktion versah, und wünsche ihm viel Erfolg auf seinem künftigen Posten.
 
Die Stelle des Staatssekretärs wird Ende August ausgeschrieben, und ich freue mich auf die Bewerbungen. Ich danke schon jetzt allen, die sich bereit erklären, diese spannende Verantwortung zu übernehmen – und die das Departement im Sinne der Aussenpolitischen Strategie des Bundesrats mit ihren Schwerpunkten führen wollen.

Ich danke auch dem stellvertretenden Staatssekretär Georges Martin, der die Botschafterkonferenz organisiert hat. Ich danke ihm für sein Engagement und freue mich, mit ihm in seinen neuen Funktionen weiterhin zusammenzuarbeiten.

Es ist ein Privileg, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die sich an der einzigen Sache orientieren, die zählt: der Wahrung der Werte und der Interessen unseres Landes und seiner Bevölkerung. Und ich freue mich, auch weiterhin mit Ihnen zusammenzuarbeiten.

Heute möchte ich zwei Schwerpunkte unserer Strategie ansprechen: unsere Beziehungen zur EU und unser Engagement für Frieden und Sicherheit, insbesondere im Rahmen des multilateralen Systems und der Vereinten Nationen.

2. Schweiz und EU

Meine Damen und Herren

Die Europäische Union ist die wichtigste menschliche, kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Partnerin der Schweiz. Die Schweiz hat mit dieser Nachbarin ein ausgedehntes Geflecht von Abkommen geschaffen, die zusammen den bilateralen Weg bilden. Nach der Abstimmung vom 9. Februar 2014 hat sich der Bundesrat das Ziel gesetzt, die Einwanderung besser zu steuern und den bilateralen Weg zu konsolidieren und weiterzuentwickeln. Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU und möchte es auch nicht werden. Aber wie die EU hat sie ein Interesse an einer geregelten Beziehung, die auf dem Recht beruht. Einer Beziehung, die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in Bereichen von gemeinsamem Interesse fördert. Einer vorhersehbaren und stabilen Beziehung, die die Rechtssicherheit garantiert.

Der bilaterale Weg ist die einzige Option, auf die sich die Schweizerinnen und Schweizer einigen können –, und unsere Aussenpolitik braucht eine starke innenpolitische Verankerung. Der bilaterale Weg ist auch eine Win-Win-Strategie, um die Beziehungen der Schweiz zu ihren Nachbarländern zu stärken. Die Schweiz nimmt wirtschaftlich weltweit den zwanzigsten und in Europa den siebten Rang ein. Sie bietet Angehörigen der EU, die sich in unserem Land niedergelassen haben oder nahe an der Grenze zur Schweiz leben, zahlreiche Arbeitsplätze. Fast ein Zehntel der Personen, die von der Personenfreizügigkeit in Europa profitieren, befindet sich in der Schweiz! Und der Handelsaustausch zwischen der Schweiz und der EU beträgt fast eine Milliarde Franken im Tag! Die Schweiz leistet als Teil des Schengenraums auch einen Beitrag zur Sicherheit in Europa – genauso wie mit ihrem Engagement in der OSZE. Und die Schweiz unterstützt mit ihren Spitzenleistungen auch die europäische Forschung.

Andererseits profitiert sie vom erleichterten Zugang zu gewissen Bereichen des europäischen Binnenmarkts und beteiligt sich an europäischen Strategien und Programmen, insbesondere im Forschungs-, Bildungs- und Sicherheitsbereich.

Aber auch hier hat sich die Situation in den letzten Jahren gewandelt, einerseits aufgrund der Volksabstimmung von Anfang 2014, die die Rahmenbedingungen teilweise verändert hat. Andererseits hat sich auch die EU weiterentwickelt: Sie machte insbesondere im Finanz- und Sicherheitsbereich Krisen durch. Sie hat darauf den Binnenmarkt und die gemeinsamen Kompetenzen der EU kontinuierlich gestärkt. Sie erlebte auch einen wichtigen Moment mit einer anderen Volksbefragung: mit derjenigen der britischen Bürgerinnen und Bürger.
Dieser Entscheid wirft zahlreiche Fragen auf: für Grossbritannien, für die EU, für die Schweiz. Viele dieser Fragen werden erst in den kommenden Monaten, ja sogar Jahren beantwortet werden. Wir können aber schon jetzt sagen, was die Absichten der Schweiz gegenüber Grossbritannien und gegenüber der EU sind.

Einerseits will der Bundesrat in seinen Beziehungen zu Grossbritannien proaktiv und konstruktiv handeln. Unsere Länder sind wichtige Partner: Der Handelsaustausch beläuft sich jährlich auf fast 20 Milliarden Franken, und in Grossbritannien leben etwa 35 000 Schweizer Staatsangehörige. Die Beziehungen sind so eng, dass es zwischen unseren beiden Ländern täglich 150 Flugverbindungen gibt (alle zehn Minuten ein Flug!). Der Bundesrat beabsichtigt, diese engen Beziehungen zu erhalten. Sie müssen aber mit neuen Abkommen kodifiziert werden. Zu diesem Zweck führt der Bundesrat einen Dialog mit der britischen Regierung.

Der Bundesrat will zudem auch Lösungen für die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU finden. Wir führen seit mehreren Monaten Gespräche, die diesen Frühling in Erwartung der britischen Volksabstimmung vorübergehend gebremst wurden. Nun stehen wir am Scheideweg. Der Bundesrat hat seine Bemühungen um eine gemeinsame Lösung mit der EU bis Ende Jahr verstärkt. Eine solche Lösung ist der einzige Weg, um kurzfristig die Rechtssicherheit zu gewährleisten, die die Unternehmen brauchen, und ein günstiges Investitionsklima und damit in der Schweiz und in der EU und vor allem in unseren Nachbarländern auch Arbeitsplätze zu schaffen.

Auch in diesem Zusammenhang hat die Schweiz und die EU alles Interesse daran, dass die internationale Rechtsordnung klar und verlässlich ausgehandelt und organisiert wird. Weder die Schweiz noch die EU haben mit reiner Machtpolitik etwas zu gewinnen.

Wegen der neuen Ausgangslage, die durch die britische Abstimmung geschaffen wurde, wird sich die gemeinsame Lösungssuche noch schwieriger gestalten. Aber ist es sinnvoll zu warten, bis sich das Problem noch verschlimmert hat? Wäre es nicht klüger und vor allem eher im Interesse der Bevölkerung in der Schweiz und der EU, diese Probleme mit etwas mehr Pragmatismus anzugehen? Nach Auffassung des Bundesrats ist für die Schweiz und die EU die Zeit gekommen, den Durchbruch zu schaffen, Antworten auf die Fragen zur Zukunft der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU zu finden, Lösungen, die für die Bevölkerung beider Länder von gemeinsamem Interesse sind.

Die Schweiz und die EU sind übereingekommen, die Gespräche auf technischer Ebene zu intensivieren. Das britische Referendum hat die Gespräche nicht blockiert, im Gegenteil: Es hat sie beschleunigt, denn es gibt nun ein Zeitfenster bis Ende Jahr, in dem eine Lösung gefunden werden muss. Auch hier liegt die Zukunft in unseren Händen. Wollen wir eine Krise herbeireden? Oder wollen wir auf Lösungen hinarbeiten?

Parallel dazu führen wir die Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen weiter. Auch hier geht es darum, die Rechtssicherheit zu gewährleisten und einen langfristigen, klaren und verlässlichen Rechtsrahmen zu schaffen. Dieses Abkommen zur Stärkung der Rechtssicherheit soll den bilateralen Weg langfristig sicherstellen und weiterentwickeln, damit auch unsere Kinder und Enkel davon profitieren können.

Das Abkommen ist noch nicht unter Dach und Fach. Es würde in der Schweiz heute auch keine Mehrheit finden. Aber wenn es gut ist, kann es mehrheitsfähig werden. Das Abkommen wird uns nämlich einen dauerhaften Zugang zum Binnenmarkt verschaffen, auch in neuen Bereichen, und es wird sicherstellen, dass unsere Wirtschaftsakteure nicht diskriminiert werden.

Die Schweiz hat bereits die Grundzüge einer Lösung ausgehandelt, die unsere Souveränität garantiert und die Zukunft des bilateralen Wegs sichert: dynamische, aber nicht automatische Rechtsübernahme, Mitwirkung bei der Ausarbeitung des Rechts, Überwachung des Abkommens in unserem Land durch Schweizer Behörden, und bei Streitigkeiten entscheidet der Gemischte Ausschuss und kein Gerichtshof. Es gibt aber noch offene Fragen. Wenn das Abkommen fertig ausgehandelt ist und den Vorstellungen des Bundesrats entspricht, wird es zuerst dem Parlament und danach dem Volk zur Abstimmung vorgelegt.

Der Bundesrat will keine Verknüpfung des Abkommens mit der Frage der Personenfreizügigkeit. Diese muss auf jeden Fall zuerst geregelt werden, da die zeitlichen Vorgaben für die Genehmigung sehr unterschiedlich sind. Heute ist es jedoch nicht möglich, mit der EU über die Freizügigkeit zu diskutieren, ohne gleichzeitig über ein institutionelles Abkommen zu verhandeln.

Wir stehen an einem Scheideweg. Wir befinden uns inmitten von schwierigen Verhandlungen, aber ich bleibe optimistisch! In der Politik muss man willensstark sein, an gute Projekte glauben und den eingeschlagenen Kurs beibehalten. Es geht nicht darum, naiv zu sein, sondern darum, Entschlossenheit zu beweisen. Man muss daran glauben, dass es möglich ist, die Zukunft in die Hände zu nehmen und hart dafür arbeiten. Ich weiss nicht, ob es uns gelingen wird, in allen diesen Bereichen ein Abkommen mit der EU abzuschliessen. Aber ich weiss, dass es möglich ist, und da bist Du sicher einverstanden mit mir, lieber Paolo.

Es ist möglich, wenn beide Seiten es wollen, wenn wir genügend politischen Willen mobilisieren können und wenn wir uns mit Nachdruck, Kreativität und gesundem Pragmatismus dafür einsetzen.

Herr Minister, lieber Paolo
Meine Damen und Herren

Der erste Schwerpunkt unserer Aussenpolitischen Strategie betrifft die Beziehungen der Schweiz mit der EU, aber auch mit deren Mitgliedstaaten. Dazu gehören in erster Linie unsere Nachbarstaaten. Italien ist eines dieser wichtigen Nachbarländer und unser drittgrösster Wirtschaftspartner. Mit Italien teilen wir die längste Grenze, die vielerorts über unsere höchsten und schönsten Gipfel verläuft. Das Matterhorn, das wichtigste Wahrzeichen der Schweiz, gehört ja eigentlich beiden Ländern. Mit Italien teilen wir auch eine Sprache, das Italienische, das zur kulturellen und sprachlichen Vielfalt unseres Landes beiträgt, auf die wir so stolz sind. Mit Italien verbinden uns auch die über 300 000 Italienerinnen und Italiener, die in der Schweiz leben. Wir möchten die Mehrheit unseres Landes noch näher an Italien anbinden. Mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels haben wir dieses Jahr einen riesigen Schritt in diese Richtung getan. Wir versetzen Berge, um die Verbindungen zwischen unseren Ländern zu verbessern! Den Tunnel haben wir dank dem wichtigen Beitrag der italienischen Arbeitskräfte mit ihrem Know-how gebaut.

Herr Minister, lieber Paolo, ich freue mich über die Professionalität und Freundschaftlichkeit unserer bilateralen Beziehungen. Zwar müssen wir einige Probleme regeln, aber die gibt es ja immer zwischen Nachbarn. Wir machen Fortschritte, in Sicherheitsfragen ebenso wie im Steuerbereich. Und wir wollen im Rahmen Europas weiter zusammenarbeiten: etwa bei der Frage der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU – hier möchte ich dir für die tatkräftige Unterstützung Italiens danken –, beim Thema Migration auf europäischer und globaler Ebene und bei der Frage der internationalen Sicherheit, vor allem in der OSZE, deren Vorsitz Italien 2018 übernehmen wird. Dass du, lieber Paolo, heute bei uns bist, zeigt, wie gut und wichtig unsere Beziehungen sind. Dafür danke ich dir.

3. Die Schweiz und die multilaterale Welt

In seiner Aussenpolitischen Strategie legt der Bundesrat grosses Gewicht auf einen funktionierenden Multilateralismus, vor allem im Friedens- und Sicherheitsbereich. Der internationalen Gemeinschaft ist es gelungen, neue wichtige Kooperationsabkommen abzuschliessen (Agenda 2030, Pariser Klimaübereinkommen). Bei der Prävention und Bewältigung von Konflikten, aber auch bei der Suche nach einvernehmlichen Lösungen für Sicherheitsprobleme ist die Bilanz allerdings weit weniger positiv.

Bei schwerwiegenden Krisen wie in der Ukraine oder in Syrien ist der Sicherheitsrat der UNO oft nicht fähig, sich auf eine gemeinsame Position zu verständigen.

Wir beobachten seit mehreren Wochen, wie die Gewalt in Syrien, vor allem in Aleppo, eskaliert und wie sich die humanitäre Lage verschlechtert.

Mit dem Bild des fünfjährigen Omran, das uns alle erschütterte, hat das Leid in den letzten Tagen ein Gesicht bekommen.

Die Schweiz ruft die Konfliktparteien auf, die Kampfhandlungen einzustellen, den humanitären Akteuren rasch und ungehindert Zugang zu gewähren und das humanitäre Völkerrecht einzuhalten.

Der Machtkampf, der auf dem Rücken von so vielen unschuldigen Kindern, Frauen und Männern geführt wird, muss ein für alle Male beendet werden. Die Schweiz unterstützt die Arbeit des UNO-Sondergesandten für Syrien. Sie fördert den Dialog zwischen den Konfliktparteien und hilft mit, das Leid der Zivilbevölkerung durch humanitäre Hilfe und die Lieferung von Krankenwagen zu lindern, wie sie im Falle von Omran zum Einsatz kamen.

Es ist jedoch unabdingbar, dass die Konfliktparteien und die regionalen und internationalen Akteure deutlich zeigen, dass sie gewillt sind, konkrete politische Schritte zu unternehmen, damit endlich eine tragfähige Lösung für den bewaffneten Konflikt in Syrien gefunden werden kann.

Auch auf regionaler Ebene zeigt sich deutlich, dass es schwierig ist, multilaterale Lösungen zu finden. Einige Staaten scheinen die OSZE eher als Profilierungsarena zu sehen denn als Gremium, das der Suche nach echten Lösungen verpflichtet ist.

Mangelnde Fortschritte gibt es nicht nur bei bestimmten Konflikten, sondern auch bei anderen Sicherheitsthemen: So ist es den Vertragsparteien des Atomwaffensperrvertrags an der letztjährigen Überprüfungskonferenz nicht gelungen, die notwendigen Beschlüsse zu fassen.

Diese Entwicklungen sind besorgniserregend. Die Krise des Multilateralismus ist nicht nur konjunkturbedingt. Ihre Wurzeln gehen zum Teil tiefer. In einer multipolaren Welt stellt die Suche nach multilateralen Lösungen eine Herausforderung dar. Die Renaissance der Geopolitik und der Machtpolitik, die Rückkehr machtgeprägter Beziehungen zwischen den Staaten, die Missachtung der bestehenden Regeln und des Völkerrechts, der zunehmende Autoritarismus: All dies schwächt den Multilateralismus und destabilisiert die globale Ordnung.
 
Trotzdem bin ich von den drei folgenden Punkten überzeugt:

1. In unserer multipolaren Welt kommen wir nicht um multilaterale Lösungen herum, wenn wir die Herausforderungen bewältigen wollen, von denen wir alle betroffen sind.

2. Die Sicherheit, der Wohlstand und die Unabhängigkeit der Schweiz sind stark von einer gerechten und funktionierenden internationalen Ordnung abhängig, die auf klaren Regeln beruht.

3. Die Schweiz ist gut aufgestellt, um einen konstruktiven Beitrag zur Stärkung des Multilateralismus zu leisten. Sie kann und muss mithelfen, die Zukunft zu gestalten; dies ist Teil der Daseinsberechtigung ihrer Diplomatie. Je schwerer es dem multilateralen System fällt, Mehrheiten zu finden, desto multipolarer bzw. polarisierter wird die Welt, desto mehr Krisen gibt es und desto gefragter und nützlicher ist das Profil eines Landes wie der Schweiz. Die Schweiz ist neutral und unabhängig, sie verfolgt keine verdeckte Agenda, und sie ist engagiert, pragmatisch, diskret und zuverlässig. Sie verfügt also über zahlreiche Trümpfe, die es ihr erlauben, eine besondere Rolle zu spielen. Es ist aber auch in ihrem Interesse und ihrer Verantwortung, sich zu engagieren.

Welchen Beitrag soll die Schweiz an eine multilaterale Zukunft leisten? Dazu möchte ich fünf Überlegungen anstellen.

1. Erstens verfügt die Schweiz über ein einzigartiges aussenpolitisches Profil, das habe ich bereits erwähnt. Sie bringt die notwendigen Voraussetzungen mit, um den Dialog und den Konsens zu fördern. Wir sind neutral und können daher Brücken schlagen und zur Annäherung der unterschiedlichen Positionen beitragen.

Während ihres OSZE-Vorsitzes hat die Schweiz die Aussenministerinnen und Aussenminister der Teilnehmerstaaten zu einem informellen Treffen zur Ukraine in Basel, zu Gesprächen bei einem Fondue in Davos und zu einem Side-Event zur Sicherheitspolitik am Rande der 69. UNO-Generalversammlung in New York eingeladen.

Wir begrüssen deshalb die Initiative des deutschen OSZE-Vorsitzes, am 1. September 2016 ein informelles Ministertreffen in Potsdam abzuhalten. Zudem gratulieren wir Italien zum OSZE-Vorsitz für 2018. Ich kann dir, lieber Paolo, wärmstens empfehlen, ebenfalls solche intensiven informellen Treffen auf Ministerebene durchzuführen.

2. Zweitens müssen wir gute Ideen ausarbeiten, um die Handlungsfähigkeit der internationalen Organisationen zu stärken. Die Schweiz ist weltweit führend, wenn es um Innovation geht. Sie sollte es auch in der Aussenpolitik sein. Ein Beispiel ist der Appell vom 13. Juni 2016, mit dem wir die Konfliktprävention durch eine bessere Einhaltung der Menschenrechte stärken und die Kooperation zwischen dem Menschenrechtsrat und dem Sicherheitsrat fördern wollen.

3. Drittens muss die Schweiz pragmatisch handeln, dabei aber ihren Grundsätzen treu bleiben. Wir sind für integrative multilaterale Formate, sind uns jedoch bewusst, dass Gespräche in kleinen Gruppen und der Austausch unter Grossmächten nützlich sein können bei der Suche nach Lösungen. Ich denke hier etwa an die Begleitgruppen für Syrien und Libyen oder an die Pariser Initiative zur Wiederbelebung der Friedensgespräche im Nahen Osten. Ein weiteres Beispiel ist das «Normandie-Format», das für die Ukrainekrise geschaffen wurde. Es ist jedoch wichtig, dass solche Initiativen die Arbeit von Organisationen wie der UNO oder der OSZE ergänzen und unterstützen und nicht an deren Stelle treten.

4. Viertens will die Schweiz nicht nur die Handlungsfähigkeit der UNO und der OSZE stärken, sondern auch regionale Organisationen unterstützen, denen sie nicht angehört.

Wir setzen uns für den Ausbau der Strukturen der regionalen Zusammenarbeit und kooperativen Sicherheit ein, beispielsweise in Ostasien und im Nahen und Mittleren Osten. Wir sind bestrebt, den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren in diesen Regionen zu fördern.

5. Fünftens möchte der Bundesrat das internationale Genf stärken, das zahlreiche Kompetenzen und Chancen vereint. Wir wollen Genf insbesondere als globales Friedens- und Sicherheitszentrum fördern. Dazu müssen wir die Strukturen modernisieren, vor allem das Palais des Nations, für dessen Renovation die Schweiz ein Darlehen von 400 Millionen Franken gewähren wird (das Geschäft befindet sich gegenwärtig kurz vor Abschluss im Parlament). Es braucht aber noch mehr Engagement. Insbesondere müssen die in Genf ansässigen Institutionen gestärkt und deren Synergien gefördert werden.

Dies ist einer der Pfeiler der Gaststaatpolitik, die der Bund zusammen mit der Stadt und dem Kanton Genf entwickelt hat, denen ich hier für die gute Zusammenarbeit danken möchte. Ich freue mich auch über die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit der UNO und den internationalen Organisationen.

Besonders erwähnen möchte ich Michael Møller, den Direktor des Büros der Vereinten Nationen in Genf. Ich danke ihm für seine Arbeit, sein unermüdliches Engagement und seine Gastfreundschaft.

Meine Damen und Herren

Für die Schweiz, die sich schon lange für einen wirksamen Multilateralismus einsetzt, beginnt nun eine neue Etappe, was ihre Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat betrifft.

Ich gratuliere Italien zu seiner Wahl in den Sicherheitsrat. Ein geteilter Sitz mit einem anderen EU-Mitglied ist eine kreative Lösung, die einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation in der Generalversammlung erlaubt. Das war ein vernünftiger und verantwortungsvoller Entscheid. Die Schweiz dankt Italien und den Niederlanden, wünscht ihnen viel Erfolg bei der Ausübung ihres Mandats und freut sich auf eine fruchtbare Zusammenarbeit in New York.

Die Schweiz bewirbt sich ihrerseits zum ersten Mal um einen Sitz im Sicherheitsrat, und zwar für die Periode 2023–2024. Sie arbeitet seit vielen Jahren auf dieses Ziel hin. Die Kandidatur ist Teil unserer aussenpolitischen Schwerpunkte der nächsten Jahre. Ich danke Ihnen allen bereits jetzt für Ihr Engagement.

Warum bewerben wir uns um einen Sitz im Sicherheitsrat? Die Kandidatur ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Unser Ziel ist es, einen Beitrag zur Stärkung von Frieden und Sicherheit zu leisten, Krisen vorzubeugen und das System der Vereinten Nationen zu reformieren, damit es stärker, gerechter und wirksamer wird. Das Ziel besteht darin, die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Wir müssen uns mit schweizerischer Demut und Geduld wappnen, denn nicht alle Ziele werden zu erreichen sein.

Gewisse Ziele werden nur langfristig zu erreichen sein. Für diese Ziele braucht es Entschlossenheit, Kreativität, Engagement, Pragmatismus und Hartnäckigkeit. Darüber verfügen wir. Und es lohnt sich auch, denn jeder auch noch so bescheidene Fortschritt ist hilfreich. Wir brauchen also auch eine gesunde Portion Ehrgeiz – den Ehrgeiz, Verantwortung zu übernehmen.

Die Schweiz wird ihre Rolle in der UNO bei dieser Kampagne nicht vollständig neu überdenken. Sie bleibt ihren bisherigen Handlungsfeldern treu, die ein breites Spektrum der Arbeit der UNO abdecken. Aber sie wird gewisse Schwerpunkte ausbauen und politische Prioritäten und Initiativen definieren. In den nächsten Monaten werden wir die Arbeit im EDA und mit den übrigen Departementen intensivieren und die Prioritäten unseres Arbeitsprogramms für die Kandidatur definieren und präzisieren. Ich hoffe, dass Sie dabei nach Kräften mitwirken, und zähle auf die Ideen aus dem Departement und darüber hinaus. Dabei setze ich besonders auf die Überlegungen und die Kreativität junger Menschen.

Ich danke Ihnen allen schon jetzt für Ihren Beitrag und Ihr Engagement in dieser Sache.

Im Jahr 2014 habe ich vor meiner Rede vor der Generalversammlung einen jungen Schweizer, der mich nach New York begleitete, nach seinen Träumen für die Welt gefragt. Ich möchte mit seiner Vision schliessen: «Eine Welt, in der die Menschen ihre Probleme friedlich und gewaltlos lösen; eine Welt der Freiheit und des gegenseitigen Respekts; eine Welt, in der die Jungen Aussicht auf eine Arbeit haben, die ihnen ein glückliches Leben ermöglicht.»

Diese zutiefst schweizerische Vision scheint mir ganz einfach richtig. Sie stammt von einem jungen Menschen, deckt sich aber mit unseren althergebrachten Werten. Ich hoffe, dass diese Vision unsere Arbeit im Zusammenhang mit unserer Kandidatur und die gemeinsame Gestaltung der Zukunft beflügelt.

Ich danke Ihnen für Ihr motiviertes Engagement für unser Land in der ganzen Welt.


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