Verurteilung Bédats hat die EMRK nicht verletzt

Bern, 29.03.2016 - Die Schweiz hat mit der Verurteilung des Journalisten Arnaud Bédat das Recht auf freie Meinungsäusserung nicht verletzt. Dies hält die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in ihrem heute in Strassburg verkündeten Urteil mit 15:2 Stimmen fest. Das Urteil ist endgültig und ersetzt das in der gleichen Sache gefällte Urteil einer Kammer des EGMR vom 1. Juli 2014. Das Bundesamt für Justiz (BJ), das die Schweizer Regierung vor dem EGMR vertritt, nimmt das Urteil der Grossen Kammer mit Befriedigung zur Kenntnis.

Der Journalist Arnaud Bédat war am 22. September 2005 im Kanton Waadt zu einer Busse von 4000 Fr. verurteilt worden, weil er gegen das Verbot der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) verstossen hatte. Bédat hatte am 15. Oktober 2003 in der Zeitschrift "L'Illustré" in einem Artikel über einen Autounfall, der seinerzeit grosses Aufsehen erregt hatte, Auszüge aus Protokollen von Einvernahmen des angeschuldigten Fahrers durch Polizei und Staatsanwaltschaft zitiert. Auch Fotos des mit vollem Namen erwähnten Angeschuldigten wurden publiziert, ebenso Auszüge aus seinen Briefen an den Staatsanwalt und Einschätzungen von Drittpersonen zu seinem Gesundheitszustand. Das Waadtländer Kantonsgericht und das Bundesgericht wiesen die Beschwerden gegen die Verurteilung ab.

Eine Kammer des EGMR stellte in ihrem Urteil vom 1. Juli 2014 mit 4 zu 3 Stimmen fest, dass die Verurteilung das Recht des Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK) verletzt hat. Für die Mehrheit war im konkreten Fall das Interesse der Öffentlichkeit, über die Hintergründe des Falles informiert zu werden, höher zu gewichten, als das Interesse der Strafbehörden am ungestörten Gang der Strafuntersuchung, am Schutz der Unschuldsvermutung und dem Interesse des Angeschuldigten am Schutz seiner Persönlichkeit.

Die Schweiz ersuchte am 26. September 2014 mit Erfolg um eine Neubeurteilung durch die Grosse Kammer. Diese hat in ihrem heutigen Urteil die von der Regierung vorgetragene Argumentation weitgehend bestätigt. Zwar betont auch die Grosse Kammer die Bedeutung, welche der Pressefreiheit in einer demokratischen Gesellschaft zukommt. Im konkreten Fall kommt sie aber zum Schluss, dass sich Form und Inhalt der Publikation nicht mit dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Information über den Unfall rechtfertigen lässt. Einzig ein qualifiziertes öffentliches Interesse berechtige die Publikation amtlicher geheimer Dokumente. Ein solches habe im vorliegenden Fall jedoch nicht bestanden, zumal die Strafbehörden von Beginn an regelmässig über den Stand der Ermittlungen informiert hatten und der fragliche Presseartikel erst Monate nach dem Vorfall publiziert wurde. Ausserdem seien sowohl die Persönlichkeitsrechte des Angeschuldigten als auch die Unschuldsvermutung verletzt worden. Eine Publikation von Verhandlungsdokumenten während eines Strafverfahrens würde zudem das Funktionieren der Strafjustiz gefährden.

Das Urteil der Grossen Kammer lässt den Mitgliedstaaten bei der Abwägung der ihnen obliegenden Pflichten - Schutz der Pressefreiheit einerseits, Schutz der Persönlichkeit des inhaftierten Angeschuldigten und Schutz der Unschuldsvermutung andererseits - einen Beurteilungsspielraum. Es bestätigt damit auch das Subsidiaritätsprinzip, wonach in erster Linie die Vertragsstaaten für die Einhaltung und Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verantwortlich sind.


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