Verurteilung Perinçeks hat die EMRK verletzt

Bern, 15.10.2015 - Die Schweiz hat mit der Verurteilung des türkischen Staatsangehörigen Dogu Perinçek das Recht auf freie Meinungsäusserung (Art. 10 EMRK) verletzt. Dies hält die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in ihrem heute in Strassburg verkündeten Urteil mit 10:7 Stimmen fest. Das Urteil ist endgültig und bestätigt damit das in der gleichen Sache gefällte Urteil einer Kammer des EGMR vom 17. Dezember 2013. Das Bundesamt für Justiz (BJ), das die Schweizer Regierung vor dem EGMR vertritt, nimmt das Urteil der Grossen Kammer mit Interesse zur Kenntnis.

Der türkische Staatsangehörige Dogu Perinçek wurde am 9. März 2007 im Kanton Waadt gestützt auf die Antirassismusstrafnorm des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Art. 261bis Abs. 4 StGB) zu einer Geldstrafe und einer Busse wegen Leugnung des Genozids an den Armeniern verurteilt. Das Waadtländer Kantonsgericht und das Bundesgericht wiesen die Beschwerden gegen die Verurteilung ab. Eine Kammer des EGMR stellte in ihrem Urteil vom 17. Dezember 2013 fest, dass die Verurteilung das Recht des Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit verletzt. Die Schweiz ersuchte am 17. März 2014 um eine Neubeurteilung durch die Grosse Kammer. Die Neubeurteilung soll Klarheit darüber schaffen, über welchen Ermessensspielraum die Schweizer Strafverfolgungsbehörden bei der Anwendung der Antirassismusstrafnorm verfügen.

Das Urteil der Grossen Kammer bestätigt den hohen Stellenwert, den der EGMR der Meinungsäusserungsfreiheit beimisst. Die rechtlichen Folgen sind zurzeit noch nicht absehbar. Erst nach einer eingehenden Analyse des umfangreichen Urteils wird sich zeigen, ob dessen Umsetzung eine zurückhaltendere Anwendung der Antirassismusstrafnorm oder eine Gesetzesrevision bedingt.

Ausserdem hat die grosse Kammer mit 12 zu 5 Stimmen entschieden, dass die Feststellung der Verletzung von Art. 10 EMRK eine ausreichende Wiedergutmachung des von Perinçek geltend gemachten immateriellen Schadens darstellt. Alle anderen Entschädigungsforderungen hat sie einstimmig abgelehnt.

Spätestens bis in sechs Monaten wird die Schweiz dem Ministerkomitee des Europarats, das die Umsetzung der endgültigen Urteile durch die Mitgliedstaaten kontrolliert, Bericht erstatten, wie sie das Urteil umzusetzen gedenkt. Der Bericht muss aufzeigen, welche Massnahmen die Schweiz ergriffen hat, um die Konsequenzen der festgestellten Verletzung im Einzelfall zu beseitigen sowie um gleichartigen Verletzungen vorbeugen. Falls die Schweiz noch nicht vollständig über die Umsetzung des Urteils berichten kann, muss sie mindestens einen verbindlichen Fahrplan über die beabsichtigten Umsetzungsmassnahmen vorlegen.


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