Ältere Mitarbeitende – eine Chance für die Unternehmen

Bern, 04.09.2015 - Speaking Note von Herrn Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF

La question des travailleurs âgés retient mon attention depuis toujours : déjà quand j'étais chef d'entreprise, et bien sûr depuis que je suis conseiller fédéral, par exemple en lien avec l'initiative visant à combattre la pénurie de personnel qualifié.

Vor zwei Wochen war ich bei der Lenzlinger Söhne AG in Uster. Im Familienunternehmen sind knapp die Hälfte der 250 Mitarbeitenden über 45. Lenzlinger, die unter anderem Doppelböden fabrizieren, spüren bereits seit Jahren den Fachkräftemangel.

Für sie ist klar: Es braucht flexible Lösungen. Von Seiten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Vom Staat erwarten sie, dass dieser nicht noch mehr administrative Hürden aufbaut. Auch nicht im Bereich der Beschäftigung von Personen über das ordentliche Pensionierungsalter hinaus. Vor ein paar Monaten war ich im Entlebuch bei der B. Braun Medical AG. Geplant ist dort die Einführung eines Langzeitkontos für ältere Arbeitnehmende.  

Konkret heisst das: Auf dem Konto lassen sich Überstunden oder auch Geldprämien als geleistete Arbeitsstunden gutschreiben. Somit könnte dann ein 60-jähriger seine Kaderposition dem Nachfolger übergeben und Teilzeit in einer anderen Funktion für die Firma weiterarbeiten.  Für die Verwaltung der Konti der Mitarbeitenden soll mit Rückwirkung auf den 01.01.2015 eine Stiftung gegründet werden. Ein entsprechender Vorschlag der Geschäftsleitung liegt dem Verwaltungsrat  

Es gibt wahrscheinlich Hunderte von verschiedenen Möglichkeiten, wie Firmen mit dem Potenzial älterer Arbeitnehmender umgehen. Ich bin entsprechend auch gespannt auf die anschliessende Diskussionsrunde. Nicht nur mit Unternehmern, auch mit Kantonen und Sozialpartnern habe ich in den vergangenen Monaten viele Diskussionen geführt.

Auch im Rahmen der Nationalen Konferenz im vergangenen April. Während dieser vielen Diskussionen ist mir eines besonders aufgefallen: Die Situation der älteren Arbeitnehmenden in der Schweiz widerspiegelt oft ein kontrastreiches Bild. Einerseits belegen diverse Studien, dass ältere Arbeitnehmende in unserem Land sehr gut in den Arbeitsmarkt integriert sind. Andererseits häufen sich die Meldungen über ältere Stellensuchende, denen sich trotz enormer Bemühungen keine beruflichen Perspektiven eröffnen.

Situation der Älteren am Schweizer Arbeitsmarkt
Um dieses auf den ersten Blick widersprüchliche Bild zu verstehen, müssen die über 50jährigen Erwerbstätigen und arbeitslosen Personen getrennt betrachtet werden. Ältere erwerbstätige Personen sind sowohl von Kündigungen als auch von Arbeitslosigkeit unterdurchschnittlich betroffen. Dies wurde durch die Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) vom Juli bestätigt. Auch die im letzten Herbst veröffentlichte Studie der OECD hält fest, dass die Schweiz überdurchschnittlich gute Arbeitsmarktergebnisse für ältere Personen erzielt.

Die Arbeitsmarktpartizipation der 50- bis 64-Jährigen lag im letzten Jahr bei über 80 Prozent. Ich hebe dies nicht hervor, um von einem Handlungsbedarf abzulenken, sondern um zu betonen, dass die allgemeine Situation älterer Erwerbstätiger sehr gut ist und dass es die dafür verantwortlichen Erfolgsfaktoren auch in Zukunft zu bewahren gilt.

Ein grosses Problem gibt es aber: Das Risiko für einen älteren Arbeitnehmenden, längere Zeit arbeitslos zu sein, ist deutlich erhöht. Zwar hat sich dieses Risiko seit den 90er Jahren kaum verändert. Doch es ist für den Einzelnen ein grosses Problem. Die OECD regt denn auch an, in gewissen Bereichen noch mehr für die Arbeitsmarktintegration älterer Personen zu tun.

Angesprochen werden dabei etwa:

  • eine noch stärkere Aktivierung und Unterstützung von älteren Stellensuchenden, Sozialhilfeempfängern und IV- Rentenbezügern bei der Arbeitsmarktintegration;
  • die Beseitigung von Hindernissen für die Rekrutierung von älteren Arbeitnehmenden
  • eine stärkere Orientierung der Löhne an der Produktivität der Arbeitskräfte;
  • oder die Schaffung von Beratungsangeboten für Unternehmen für den Umgang mit einer alternden Erwerbsbevölkerung.

Diese Empfehlungen richten sich an die zentralen Akteure, insbesondere die Sozialpartner und die Behörden. Die Nationale Konferenz zum Thema ältere Arbeitnehmende bietet somit die ideale Plattform, um sich mit diesen Empfehlungen im Verbund auseinanderzusetzen. Tatsächlich wurden an der ersten Konferenz mehrere Massnahmen und eine Roadmap verabschiedet mit dem Ziel, die Integration der Älteren in den Arbeitsmarkt zu verbessern. Dazu gehört  die Weiterbildung.

So wird empfohlen, regelmässig betriebsintern sogenannte Standortbestimmungen durchzuführen. An dieser ersten Konferenz ist es uns in einem ersten Schritt auch gelungen, eine einvernehmliche Sichtweise über die Herausforderungen bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmender herzustellen und gemeinsam erarbeitete Lösungen einzuleiten. Nun geht es darum, die entstandene Dynamik zu nutzen, um die beschlossenen Massnahmen umzusetzen und weitere sinnvolle Schritte zu prüfen.

Im April 2016 wird eine zweite Konferenz stattfinden.

Perspektivenwechsel
Die Konferenz und die vielen Diskussionen zur Thematik haben mir gezeigt, dass es in unserer Gesellschaft einen Perspektivenwechsel braucht. Viele der bestehenden Altersbilder werden der Wirklichkeit kaum gerecht. Oft ignorieren sie Entwicklungen wie eine höhere Lebenserwartung, auch im Alter grössere Leistungsfähigkeit, gute Gesundheit sowie die Heterogenität der älteren Bevölkerung. Ältere Arbeitnehmende sind deshalb teilweise negativen Vorurteilen ausgesetzt, die eine Anstellung erschweren. Dieses Bild muss korrigiert werden. Die Potenziale älterer Mitarbeitender müssen hervorgehoben. Und: Wir müssen sie integrieren.  

Das Potenzial von Älteren
Es ist unbestritten, dass es mit dem Älterwerden einen Leistungs- und Kompetenzwandel gibt, mit Betonung auf Wandel. Jüngere verfügen häufiger über aktuelleres Wissen, über ein besseres Reaktionsvermögen und saugen alle Informationen wie ein Schwamm auf. Diese Kompetenzen verändern sich im Laufe des Berufslebens. Statt alles aufzusaugen sind Ältere aufgrund ihrer Erfahrung in der Lage, die Informationen zu filtern, zu vernetzen und zu priorisieren. Sie verfügen oft aufgrund ihrer Lebens- und Berufserfahrung über ein besseres Urteilsvermögen und ein höheres Verantwortungsgefühl.

Besonders hervorzuheben ist ihr implizites Wissen, ihre Fähigkeit zur Intuition. Damit sich solche Kompetenzen entfalten können, braucht es allerdings ein Berufsumfeld, welches bereit ist, diese gewinnbringend einzusetzen, respektive zu nutzen. Während meiner Zeit als Unternehmer hab ich eines mit Sicherheit gelernt: Mitarbeiter jeglichen Alters stellen nicht nur reine Produktions- und Kostenfaktoren dar, sondern sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die gesunde Entwicklung des Unternehmens.

Die Produktion kann nur gesteigert und die Kosten können nur gesenkt werden, wenn die Leistungsbereitschaft, das Mitdenken und die Fähigkeiten der Mitarbeitenden gefördert werden. Die Mitarbeitenden tragen massgebend zur Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltigen Entwicklung eines Unternehmens bei.

Warum sind ältere Arbeitnehmende wichtig?
Wenn ich höre, dass beispielsweise erfahrene 55-jährige Ingenieure oder IT-Spezialisten keine feste Anstellung mehr finden, so stimmt mich dies sehr nachdenklich und ich frage mich nach den Gründen. Ist es die fehlende Nachqualifikation? Ist es Diskriminierung von Seiten der Arbeitgeber? Sind es die höheren Lohnkosten? Oft sind es mehrere Gründe, die zu solchen Situationen führen.

Ich sage Ihnen: Die Schweiz, die hochgradig auf qualifizierte Arbeitnehmende angewiesen ist, kann sich diesen „Luxus" nicht leisten. Wir brauchen sie alle auf dem Arbeitsmarkt, auch die älteren Arbeitnehmenden! Wie Ihnen bekannt sein dürfte, wird der Nachwuchs knapper und die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften begrenzt.

Wie können Ältere besser integriert werden, um das Potenzial zu nutzen?
Tatsache ist, geschätzte Damen und Herren, dass das Potenzial Älterer überwiegend durch betriebsinterne Mechanismen beeinflusst wird. Es braucht geeignete Organisations- und Arbeitsmodelle in den Unternehmen. Aber ebenso eine Anpassung des Weiterbildungsverhaltens der Beschäftigten. Dementsprechend hat die Bedeutung von lebenslangem Lernen - also auch noch in späteren Phasen des Berufslebens - zugenommen.

Die Sozialpartner sowie die älteren Arbeitnehmenden, die Betriebe selbst und die gesamte Gesellschaft spielen eine Schlüsselrolle bei der Verlängerung des aktiven Lebens und für angemessene Arbeitsmarktperspektiven für ältere Arbeitnehmende. Nur durch die Zusammenarbeit aller - inklusive öffentlicher Hand - kann ein Umdenken stattfinden und entsprechende Massnahmen lassen sich zielführend umsetzen. Hans Groth, Lehrbeauftragter an der Uni St. Gallen und Präsident des World Demographic & Aging Forum sagte kürzlich in einem Interview: „Man darf den Leuten nicht einfach mit 65 sagen, man brauche sie nicht mehr. Sondern man muss schon früher anfangen, mit den Menschen eine Perspektive aufzubauen. Das kann mit 50 beginnen und bei 70 aufhören. "

Das kann ich nur unterstützen. Für mich ist zentral, dass jede und jeder in der Schweiz einen Job und damit eine Perspektive hat.


Es gilt das gesprochene Wort


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