100 Kläranlagen müssen aufrüsten – Eawag Infotag 2015

Dübendorf, 03.09.2015 - Am 1. Januar 2016 tritt das neue Gewässerschutzgesetz in Kraft. Dies hat zur Folge, dass Kläranlagen an belasteten Gewässern während der nächsten 20 Jahre eine zusätzliche Reinigungsstufe gegen Spurenstoffe einbauen müssen. Das erfordert Investitionen in Milliardenhöhe, verbessert jedoch auch den Schutz der Trinkwasserressourcen. Heute trafen sich in Lausanne rund 200 Fachleute aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft zum jährlichen Infotag der Eawag und tauschten sich über die aktuellen Herausforderungen bei der Umsetzung des Gesetzes und die neusten Forschungsergebnisse aus.

In unserem Abwasser befinden sich zahlreiche Mikroverunreinigungen. Darunter Hormone, Kosmetika, Medikamente oder Biozide. Trotz des guten Ausbaustandards der Abwasserreinigungsanlagen belasten diese Substanzen unsere Gewässer. Das neue Gewässerschutzgesetz hat zur Folge, dass bei grossen Kläranlagen und bei Kläranlagen an besonders belasteten Gewässern technische Massnahmen zur Entfernung von organischen Spurenstoffen vorgenommen werden müssen. Das betrifft rund 100 der über 700 ARA in der Schweiz.

Die Eawag – das Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs – war wesentlich daran beteiligt, die Qualitätsstandards für die Gewässer zu erarbeiten und effiziente technische Massnahmen für die Kläranlage zu entwickeln. Am diesjährigen Infotag der Eawag, der an der EPFL in Lausanne stattfand, verschafften sich rund 200 Fachleute aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft einen Überblick über die aktuelle Situation in der Schweiz und den neusten Stand der Forschung im Bereich der Elimination von Spurenstoffen.

Die Richtung stimmt

Der Tenor der Veranstaltung war klar: Der Weg, den die Schweizer Politik eingeschlagen hat, geht in die richtige Richtung, parallel dazu gilt es, die Forschung weiter voranzutreiben. «Mit dem Bau zusätzlicher Reinigungsstufen zur Elimination von Spurenstoffen in ausgewählten ARA übernimmt die Schweiz international eine Pionierrolle im Gewässerschutz», erklärte Michael Schärer, Leiter der Sektion Gewässerschutz beim Bundesamt für Umwelt. Damit werde der Schutz der aquatischen Lebensgemeinschaften und der Trinkwasserressourcen verbessert.

Christa McArdell, Gruppenleiterin in der Eawag-Abteilung «Umweltchemie», zeigte in ihrem Referat auf, wie wichtig es sein kann, auch in Zukunft im Bereich der Analytik neue Fortschritte zu erzielen. So habe beispielsweise eine erst kürzlich beendete Studie der Eawag gezeigt, dass Insektizide trotz tiefer Anwendungsmengen in den Gewässern viel bedeutsamer seien, als von den heute gängigen Monitoring-Programmen erkannt werde.

Aktuelle Forschungsergebnisse

Zwei Verfahren haben sich bei der Entfernung der Spurenstoffe aus dem Abwasser bewährt: Die Ozonung und die Behandlung mit Pulveraktivkohle. Im Rahmen von verschiedenen Forschungsprojekten wird derzeit jedoch auch untersucht, ob die biologische Abwasserreinigung, die heute in den ARA zum Standard gehört, nicht noch weiter optimiert werden könnte, um den Abbau von Mikroverunreinigungen zu verbessern. Eawag-Forscher Adriano Joss, der am EU-Forschungsprojekt Athene beteiligt ist, zieht ein ernüchterndes Fazit: «Nach dem aktuellen Stand unseres Wissens gibt es nach wie vor kein biologisches Verfahren, das die Spurenstoffe ausreichend aus dem Abwasser eliminiert.» Deshalb gelte nach wie vor: Die biologische Stufe in kommunalen Kläranlagen sollte mit einer nachgeschalteten Stufe – also einer Ozonung oder Aktivkohlebehandlung – ergänzt werden, um die Zielvorgaben zu erreichen. Joss: «Die Strategie, die der Bund eingeschlagen hat, ist also richtig.» Die Einführung der so genannten vierten Reinigungsstufe biete zudem auch eine Chance für den Wissens- und Industriestandort Schweiz.

Neu werde jedoch auch über eine Kombination der beiden Verfahren nachgedacht. Joss: «Je nach Standort kann dies sogar zu tieferen Kosten führen, wenn man den Betriebsaufwand mitrechnet.» Solche Fragen würden derzeit in Forschungsprojekten abgeklärt. Unter anderem arbeitet Joss mit der ARA ProRheno (Stadt Basel) zusammen, welche im Moment eine Kombination der beiden Verfahren in einer Pilotanlage überprüft. Auch für Standorte, an denen nur eine reduzierte Ozonung möglich sei, sei ein Kombi-Verfahren eine mögliche Lösung. Damit bezog er sich auf die neuesten Forschungsresultate von Urs von Gunten, der an der Eawag und der ETH Lausanne Verfahren zur Elimination von Mikroverunreinigungen erforscht.

Nicht jedes Abwasser eignet sich für eine Ozon-Behandlung

«Die Ozonung ist ein Verfahren, das im allgemeinen sehr gut funktioniert», sagte von Gunten. An einigen Standorten mache es jedoch Sinn, genauer hinzuschauen. Bei speziell belasteten Abwässern, etwa aufgrund von Einleitungen aus Industrie oder Gewerbe, können bei diesem Verfahren ökotoxikologisch problematische Oxidationsnebenprodukte entstehen. Von Gunten: «Enthält das Wasser beispielsweise hohe Konzentrationen Bromid, bilden sich bei der Ozonung möglicherweise zu hohe Konzentrationen des potenziell krebserregenden Bromats.» Der Umweltchemiker und sein Team haben einen fünfstufigen Test entwickelt, mit dem sich beurteilen lässt, ob sich ein Abwasser für eine Ozonbehandlung eignet oder nicht. «Der Test bietet den Behörden eine Entscheidungshilfe beim Ausbau von Kläranlagen», sagt von Gunten.

Finanzierung der Investitionen

Der Ausbau der Kläranlagen wird durch eine verursachergerechte, bis 2040 befristete Abwasserabgabe ermöglicht. Jede ARA zahlt pro angeschlossenem Einwohner 9 Franken an den Bund. Damit lassen sich 75 Prozent der notwendigen Erstinvestitionen von total 1,2 Milliarden Franken finanzieren. Sobald eine ARA mit der zusätzlichen Reinigungsstufe ausgerüstet ist, ist sie von der Abgabepflicht befreit.

Philippe Vioget, Leiter des Fachbereichs Wasserqualität, Oberflächengewässer und Abwasserreinigung der Generaldirektion Umwelt des Kantons Waadt, warf ein Schlaglicht auf die Herausforderungen der Kläranlagen in seinem Kanton. Um die Vorgaben des Bundes zur Elimination von Mikroverunreinigungen zu erreichen, werde in seinem Kanton der Ausbau von 14 regionalen Kläranlagen diskutiert, bei denen die biologische Stufe zusätzlich durch eine Stickstoffbehandlung (Nitrifikation) ergänzt werden soll. Diese würde jedoch im Gegensatz zu den zusätzlichen Reinigungsstufen für Mikroverunreinigungen nicht vom Bund finanziert. Daher sei eine Finanzhilfe des Kantons Waadt eine wichtige Voraussetzung, um den Aufwand für die Gemeinden erträglich zu gestalten.

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