„Zwischen Maulkorb und Propaganda – Behördeninformation im Clinch“

Interlaken, 07.01.2015 - CH Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit - 27. Regierungsseminar, 07. – 09. Januar 2015, Interlaken. Themenkreis „Föderalismus und Behördeninformation“. Referat von Corina Casanova.

Sehr geehrte Damen und Herren Regierungsrätinnen und Regierungsräte
Sehr geehrte Damen und Herren Staatschreiberinnen und Staatsschreiber
Sehr geehrte Damen und Herren

Bereits zum 27. Mal führt die Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit ein Regierungsseminar durch und bietet dadurch eine hervorragende Plattform für Direktkontakte von Regierungsrätinnen und Regierungsräten untereinander und mit Vertretern des Bundes. Ich selbst bin zum ersten Mal dabei und freue mich, Sie heute in einem solchen Rahmen zu treffen und zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Das direkte Gespräch zwischen Behördenmitgliedern von verschiedenen staatlichen Stufen ist wichtig, gerade in einem föderalistischen Staatswesen. Wie Sie wissen, besuche ich seit fünf Jahren jedes Jahr einen oder mehrere Kantone, um den direkten Kontakt mit den kantonalen Regierungen zu suchen. 9 Kantone waren es bisher, weitere werden folgen. Alle diese Begegnungen haben einen fruchtbaren Gedankenaustausch ermöglicht und die Pflege persönlicher Beziehungen erlaubt.

Vertreterinnen und Vertreter des Bundes und der Kantone sollten nach meiner Überzeugung sämtliche Möglichkeiten nutzen, den direkten Kontakt miteinander zu pflegen. Solche Direktkontakte sind eine unverzichtbare Ergänzung zum politischen Alltag eines Behördenmitglieds - gerade in der Schweiz mit ihrem ausgeprägten Föderalismus, gerade auch für die Bundeskanzlei, die ja bei den politischen Rechten und damit auch für die Information zu den eidgenössischen Abstimmungen federführend ist.

Im Folgenden werde ich über die Rolle von Bundesrat und Behörden im Vorfeld von eidgenössischen Abstimmungsvorlagen sprechen. Diese Rolle wird von Politik, Parteien, Komitees und Bürgerinnen und Bürgern öffentlich immer wieder kontrovers diskutiert.

Ich nehme das Beispiel einer besorgten Bürgerin, die in einem Kommentar zu einem Beitrag von 20 Minuten online über die Abstimmungserläuterungen des Bundesrates sagt:

„Ich benötige das Abstimmungsbüchlein nicht, es will sachlich sein, jedoch ist dann noch die Meinung des Bundesrates abgedruckt, was absolut NICHT da hinein gehört, das ist Einflussnahme auf das Abstimmungsresultat".

Das ist keine Einzelmeinung. Eine solche Haltung taucht in den politischen Diskussionen, in den Leserbriefspalten der Zeitungen oder den Kommentaren der Online-Medien immer wieder auf.

Es ist somit eine Tatsache, dass ein Teil der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger unseres Landes sich nicht nur darüber enerviert, WIE der Bundesrat vor Abstimmungen informiert, sondern DASS er es überhaupt tut.

Es geht auch nicht immer nur um den Bundesrat. Auch die Behörden von Kantonen und Gemeinden informieren im Vorfeld von Abstimmungen - und auch ihre Informationstätigkeiten geraten in den Fokus der Öffentlichkeit.

Das Zitat zeigt: Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass ein Teil der Stimmberechtigen den Behörden und insbesondere dem Bundesrat das Recht abspricht, seine Meinung zu äussern und seine Haltung zu begründen.

Nun, glücklicherweise ist das nur eine Minderheit. Aber es zeigt, dass die Behörden nicht nachlassen dürfen im Bemühen, die Bürgerinnen und Bürger zu informieren - auch darüber, was bei dieser Information die Pflichten, die Aufgaben und die Grenzen von behördlicher Information betrifft.

Was den Bundesrat angeht, ist die Lage klar: Der Bundesrat muss seine Haltung äussern und erläutern. Er ist rechtlich verpflichtet, die Bevölkerung zu informieren und sich für die Vorlagen im Abstimmungskampf zu engagieren, die vom Parlament genehmigt worden sind.

Die Informationspflicht der Landesregierung ist klar geregelt - sowohl im Bundesgesetz über die Politischen Rechte (BPR) als auch im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG).

Das Bundesgesetz über die Politischen Rechte hält in Art.10a fest:

„Der Bundesrat informiert die Stimmberechtigten kontinuierlich über die eidgenössischen Abstimmungsvorlagen."

Was diese Informationspflicht und dieses Recht konkret mit sich bringen, ist im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz RVOG beschrieben. Die Grundsätze der Information lauten: „Der Bundesrat sorgt für eine einheitliche, frühzeitige und kontinuierliche Information über seine Lagebeurtei-lungen, Planungen, Entscheide und Vorkehren." Das Zielpublikum ist ebenfalls beschrieben, es sind dies die Bundesversammlung, die Kantone und die Öffentlichkeit.

Es ist offensichtlich: das ist ein sehr weit gehender Auftrag. Der Bundesrat und die Departemente haben diesen Auftrag vor rund 20 Jahren, in den 1990er Jahren, im einen oder andern Fall auch ziemlich offensiv interpretiert. Aber das hat - wir sind schliesslich in der Schweiz - sofort eine Gegenbewegung ausgelöst: Die Informationstätigkeit von Bundesrat und Verwaltung geriet unter Druck.

Verwaltungsintern hat eine interdepartementale Arbeitsgruppe die Möglichkeiten und Grenzen der behördlichen Informationstätigkeit ausgelotet. Der Schlussbericht mit dem Titel „Das Engagement von Bundesrat und Bundesverwaltung im Vorfeld von eidgenössischen Abstimmungen" vom November 2001 ist immer noch aktuell.

Auf politischer Ebene gab es vor rund 10 Jahren eine Gegenbewegung zu allzu offensiver Informations-tätigkeit der Behörden vor Abstimmungen: 2004 kam die Initiative „Volkssouveränität statt Behörden-propaganda" zustande. Sie verlangte unter anderem, dass der Bundesrat, die Angehörigen des obersten Kaders der Bundesverwaltung und die Bundesämter sich der Informations- und Propagandatätigkeit enthalten. Sie hätten somit nicht mehr in den Medien auftreten oder an Informations- oder Abstimmungs-veranstaltungen teilnehmen können. Die Initiative lief deshalb unter dem inoffiziellen Titel „Maulkorb-Initiative". Sie hätte einzig die Abstimmungsbroschüre und eine einmalige mündliche Information der Bevölkerung erlaubt. Die Initiative wollte also die Praxis radikal ändern.

2008 wurde die Maulkorb-Initiative von Volk und Ständen abgelehnt, aber sie erzielte dennoch eine nicht zu unterschätzende Wirkung: Bundesrat und Parlament verabschiedeten nämlich einen indirekten Gegenvorschlag. Ursprung war eine parlamentarische Initiative, die der damalige Nationalrat und jetzige Bundesrat Didier Burkhalter eingereicht hatte und die von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats als indirekter Gegenvorschlag zur Initiative ausgearbeitet wurde.

Auf Basis dieses Gegenvorschlags wurde der Bundesrat mit dem Bundesgesetz über die politischen Rechte zu einer umfassenden Information über die Abstimmungsvorlagen verpflichtet. Das Gesetz enthält sogar Bestimmungen über die Form der bundesrätlichen Information im Vorfeld von eidgenössi-schen Abstimmungsvorlagen, die besagt, dass der Bundesrat  dabei die Grundsätze der Vollständigkeit, der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit zu beachten hat.

Zudem wurde der Bundesrat verpflichtet, die Haltung der Bundesversammlung zu vertreten.

Aus meiner Sicht kann man diese Regeln so zusammenfassen: Der Bundesrat ist verpflichtet zu informieren, er muss dies aber sachlich tun.

Dieser Devise lebt der Bundesrat in den letzten Jahren konsequent nach. Der Bundesrat kommuniziert nicht in Form von Abstimmungspropaganda, sondern nimmt die Stimmberechtigten und ihre Fragen ernst und informiert objektiv über die Vor- und Nachteile einer Vorlage. Die Mitglieder des Bundesrats nehmen auch an kontradiktorischen Radio- und Fernsehsendungen teil und stellen sich den kritischen Fragen von Medien und Bevölkerung. Öffentliche Auftritte der Mitglieder des Bundesrats und Direktkontakte mit der Bevölkerung bilden ebenfalls einen wichtigen Teil der Information. Der Bundesrat darf dabei nichts ver-schweigen, für ihn gelten also strengere Regeln als für andere Akteure in der politischen Auseinander-setzung. Wir glauben aber auch, dass die Stimmberechtigten bereit sind, sich mit den Argumenten des Bundesrates auseinanderzusetzen, wenn der Bundesrat sie sachlich und sorgfältig über eine Vorlage informiert.

Genau so sind seit einigen Jahren die Abstimmungserläuterungen des Bundesrates aufgebaut. Die „Bundesbüechli" kommen - trotz immer wieder geäusserter Kritik - insgesamt gut an: Rund zwei Drittel der Abstimmenden geben jeweils an, dass sie im Rahmen der persönlichen Meinungsbildung auch die Abstimmungserläuterungen beigezogen haben. Die „Neue Zürcher Zeitung" hat die Abstimmungserläute-rungen kürzlich deshalb nicht nur als „Bestseller aus der Bundesverwaltung" gewürdigt, sondern auch als „kleine Meisterwerke im Erklären von Abstimmungsthemen" mit dem Zweck, eine Entscheidungsgrund-lage zu schaffen.

Der Bundesrat ist also gesetzlich zu vollständiger, sachlicher, transparenter und verhältnismässiger Information verpflichtet. Dabei gilt aber der verfassungsmässig garantierte Schutz der unverfälschten Meinungsbildung für alle Stufen unseres föderalen Staates. Also auch auf kantonaler und kommunaler Ebene.

Das Bundesgericht hat sich schon mehrfach zu Aktivitäten von Kantonen oder Gemeinden im Vorfeld von eidgenössischen oder kantonalen Vorlagen geäussert: Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darf die Exekutive einer sogenannten „nachgeordneten Entität" dann und nur dann in einen Abstimmungskampf des übergeordneten Gemeinwesens eingreifen, wenn die eigene Entität und ihre Stimmberechtigten am Ausgang der Abstimmung ein unmittelbares und besonderes Interesse haben, das jenes der übrigen Entitäten bei weitem übersteigt.

Auch der Bundesrat hat sich zu den Aktivitäten von Kantonen im Vorfeld von eidgenössischen Vorlagen schon geäussert. So hat er die Frage, wie er die Praxis von Kantonsregierungen beurteile, die zu eidge-nössischen Abstimmungen eine Empfehlung abgeben und diese den Abstimmungsunterlagen beilegen, wie folgt beantwortet - ich zitiere aus der 2006 gegebenen Antwort auf eine Anfrage vom damaligen Nationalrat und heutigen Ständerat Didier Berberat:

„Kantonsregierungen fehlt die bundesgesetzliche Grundlage, um dem Stimmmaterial an die Stimmberechtigten zu Bundesabstimmungen eine eigene Abstimmungsempfehlung beizugeben, unabhängig davon, ob sich ihre Meinung mit jener des Bundesrates deckt oder nicht."

Ich komme zum abschliessenden Fazit: Es ist ein weites Feld, auf dem sich die Behörden bei der Abstimmungsinformation bewegen. Aber manchmal ist es nur ein schmaler Grat zwischen erlaubter Information der Stimmberechtigten und politischer Propaganda. Das staatliche Engagement ist an strikte Regeln gebunden. Die politischen Rechte zu verwalten ist seinerzeit der Bundeskanzlei übertragen worden, weil sie als zentrale Stabsstelle des Bundesrats keine Sachgeschäfte zu betreuen hat und damit nicht in Gefahr gerät, eine Volksabstimmung zu organisieren, an deren Ausgang sie ein spezifisches eigenes Interesse hätte. Als neutrale Sachwalterin der politischen Rechte und Organisatorin eidgenössi-scher Volksabstimmungen hat die Bundeskanzlei ein Interesse daran, dass niemals ein Bundesurnen-gang wiederholt werden muss. Stellen Sie sich nur die jahrzehntelangen Rechtshändel darüber vor, wer die Wiederholung der Abstimmungskampagne aller involvierten Gruppierungen zu berappen hätte! Aus diesem Grund halte ich für alle Behörden Zurückhaltung in der Praxis für angebracht:

  • Zurückhaltung, weil die Stimmberechtigten, Politik, Parteien, Komitees und Gerichte empfindlich auf Informationen reagieren, die sie als Propaganda einschätzen; auch das Bundesgericht bezeichnet die Propaganda einer Behörde als unzulässig, wenn sie den Charakter politischer Werbung hat.
  • Der Bundesrat verzichtet unter der heutigen Gesetzgebung aus staatspolitischen, recht-lichen und finanziellen Gründen auf Werbemassnahmen bei Abstimmungen - also auf eine Kommunikation im gekauften Raum.
  • Der Bundesrat führt selber auch keine Abstimmungskampagnen - das ist Sache der politischen Parteien und interessierter Organisationen.
  • Im Weiteren leistet er weder Beiträge an Abstimmungskomitees noch stellt er Gelder für Kampagnen zur Verfügung. Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sollen als Steuerzah-ler keine Kampagnen finanzieren, mit denen sie sich nicht identifizieren können.
  • Zurückhaltung ist ausserdem geboten, weil die Gerichte äusserstenfalls Abstimmungen kassieren, falls die Behörden im Abstimmungskampf zu unerlaubten Mitteln gegriffen haben. Dies, meine Damen und Herren, ist mir wichtig zu betonen: Es liegt im gemein-samen Interesse von Bundeskanzlei und Kantonen, dass das Bundesgericht keine Abstimmung für ungültig erklärt.

Die Kommunikation des Bundesrates, ja die Kommunikation von Behörden insgesamt sollte sich im Abstimmungskampf immer am Gebot der Zurückhaltung orientieren.

Das erfordert natürlich auch Disziplin von den Behördenmitgliedern, sowohl von den Befürwortern als auch von den Gegnern einer Vorlage.

Eine sachlich zurückhaltende Kommunikation aber lohnt sich - denn Information ist eine Daueraufgabe auf dem langen Weg von einem Anstoss zur Rechtsetzung bis zur Abstimmung. Auf diesem Weg gilt es Mehrheiten zu schaffen - im Bundesrat, bei den Kantonen, im Parlament und im Volk.

Stimmbürgerinnen und Stimmbürger erwarten vor Volksabstimmungen eine sachliche Orientierung durch die oberste leitende Behörde. Sie haben ein Anrecht darauf, die Haltung der Regierung und die Gründe für das Für und Wider zu kennen. Nur wenn die Behörden umfassend informieren, können Bürgerinnen und Bürger ihre politischen Rechte wahrnehmen.

Die Auseinandersetzung mit Grundsatzfragen soll daher nicht erst mit dem Abstimmungskampf beginnen. Die Behörden sollen ihre Argumente so früh wie möglich vorbringen, um eine kontinuierliche Meinungsbildung zu ermöglichen. Das ist auch deswegen fair, weil Opponenten so die Gelegenheit erhalten, Einwände zu formulieren. Damit erhalten die Stimmberechtigten dann die ganze Palette der Argumentation, Pro und Kontra.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen für die kommenden Tage inspirierende Gespräche und Diskussionen.


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