Was ist eigentlich Martini?

Bern, 08.11.2014 - Rede von Bundesrat Ueli Maurer anlässlich der Martini-Tagung der SVP Bezirk Hinwil vom 8. November 2014 in Gossau

Es gilt das gesprochene Wort





Martini - kulturhistorisch:

Wie oft bei alten Bräuchen geht auch Martini auf christliche und vorchristliche Ursprünge zurück:

Martini ist eigentlich ein Erntedankfest, wie es die Menschen schon immer und überall in allen Kulturen gefeiert haben. Man hat die Ernte eingefahren, für die man ein Jahr gearbeitet hat. Jetzt will man es sich mal gutgehen lassen. Darum ist in vielen europäischen Ländern das Martinimahl oder die Martinigans eine alte Tradition. Einen ähnlichen Brauch kennt man in Nordamerika; da isst man an Thanks-Giving einen Truthahn.

Im Christentum erhielt das alte Erntedankfest eine religiöse Bedeutung: Martini oder Martinstag ist der Gedenktag des heiligen Martin von Tours. Am 11. November 397 soll Martin begraben worden sein. Martin ist eine Person, die tatsächlich gelebt hat und im vierten Jahrhundert Bischof der französischen Stadt Tours war. Um ihn rankten sich dann später Heiligengeschichten. Berühmt ist er dafür, dass er an einem kalten Wintertag mit seinem Schwert seinen Mantel zerschnitten und die eine Hälfte einem frierenden Bettler gegeben haben soll.

Auch die Martini-Gans soll an ihn erinnern: Er sei so bescheiden gewesen, dass er zuerst die Bischofwürde nicht annehmen wollte und sich in einem Gänsestall versteckte. Irgendwann aber verrieten ihn dann die Gänse durch ihr Geschnatter.


Martini - politisch:

Martini hat aber etwas ganz Spezielles, das diesen Anlass von andern Volksbräuchen unterscheidet. Martini hat nicht nur einen bäuerlichen und kirchlichen Hintergrund, sondern auch einen politischen:

Martini war Zinstag. Nicht nur für private Darlehen. Sondern auch für den Lehenszins an den Grundherrn, für den Zehnten. Martini war also in vielen Gebieten in Westeuropa der Tag, an dem das Volk seine Steuern bezahlen musste.

Weil damals der weitaus grösste Teil des Volkes in der Landwirtschaft arbeitete, erhob der Staat seine Steuern häufig in Naturalien. Man musste also im Herbst - eben an Martini - einen Teil des Ertrages als Zehnten der Obrigkeit abgeben. Zum Beispiel Getreide, Heu oder Holz. Wer schlachtete, der musste den „Blutzehnt" entrichten. Oder in den Dörfern am Zürichsee und im Weinbauerndorf Höngg kannte man den sogenannten nassen Zehnten: Die Obrigkeit verlangte die Abgabe in Form von Wein.


Steuern und Staatsidee:

Jetzt sind wir schon Mitten in der Geschichte des Steuerwesens. Das tönt zuerst vielleicht langweilig, nach spröden Zahlen und ärgerlichen Formularen. Dabei ist sie hochspannend. Denn es geht um die Grundsatzfragen: Wer zahlt und wer befiehlt? Wer zahlt für wen wieviel? Wie viel bleibt den Leuten zum Leben? Das sind Fragen, die uns alle betreffen. 

Über die Steuern wird bestimmt, wie eine Gesellschaft organisiert ist, ob es ein Oben und Unten gibt. Nehmen wir wieder Martini und den Zehnten:

Im Mittelalter gehörte alles Land der Obrigkeit. Die normalen Leute hatten es gewissermassen nur von einem Lehensherrn geliehen und mussten diesem darum den Zehnten abgeben. Sogar als dann in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts der Kanton Zürich den Zehnten aufhob, wurde er nicht einfach ersatzlos gestrichen, sondern die Grundbesitzer mussten sich freikaufen.

Die Auffassung, die dahinter steht, kann man so umschreiben: Der Mensch ist nicht frei. Sein Besitz ist ihm nur zum Gebrauch überlassen, gehört eigentlich der Obrigkeit. Grundsätzlich ist alles verboten, was nicht von der Obrigkeit ausdrücklich erlaubt wurde. Es konnte also nicht jeder einfach den Beruf wählen, den er wollte. Ein Handwerker durfte nur eng umschriebene Produkte herstellen; immer die gleichen, über Generationen. Wollte er etwas Neues auf den Markt bringen, musste er zuerst dafür eine Bewilligung einholen.

Das änderte sich erst mit dem Liberalismus im 19. Jahrhundert - dafür dann radikal ins Gegenteil: Es gilt Eigentumsfreiheit und grundsätzlich ist erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Es gilt die Maxime: Leistung muss sich lohnen. Damit haben die Leute den Freiraum, Ideen zu entwickeln und können sich das nötige Kapital erwirtschaften, ihre Ideen auch umzusetzen. Das ist unser einfaches aber grandioses Erfolgsrezept, mit dem aus einem armen Land ohne Bodenschätze eines der reichsten Länder der Welt wurde.


Steuern als politischer Zündstoff:

Weil es bei den Steuern für alle um sehr viel geht, ist es nicht erstaunlich, dass Steuerfragen historisch gesehen immer wieder ganz grosse Auswirkungen hatten. Wir kennen das aus der eigenen Geschichte: Der Gründung der Eidgenossenschaft und dann dem Beitritt weiterer Kantone lagen Fragen der Besteuerung durchfremde Herren zugrunde. Oder denken wir an die Reformation; gerade im Kanton Zürich wurde sie durch den Streit um den Zehnten begünstigt.

Auch weltgeschichtlich gesehen waren Steuerfragen immer wieder der Anstoss zu folgenschweren Ereignissen: Zum Beispiel für die Französische Revolution. Oder für die Gründung der USA. 

Das ist heute nicht anders. Steuerfragen bergen Zündstoff. Gerade in Zeiten, da durch die Schuldenkrise und Rezession in vielen EU-Staaten die Mittel wieder knapper werden, wird der Verteilkampf um das Steuersubstrat international noch härter.

Damit kommt in vielen Ländern, leider auch bei uns, die Vorstellung zurück, dass der Staat kaum begrenzte Ansprüche auf das Erarbeitete und Ersparte seiner Bürger habe.

Ich möchte das anhand von drei Begriffen beleuchten:


1. Steuergeschenk
Denken Sie mal über den Ausdruck „Steuergeschenk" nach. Man kann ja nur schenken, was einem schon gehört. Wer also von Steuergeschenken spricht, der vertritt eigentlich nichts anderes als die mittelalterliche Auffassung, dass alles der Obrigkeit gehöre. So wie früher, als man den gnädigen Herren an Martini den Zehnten bringen musste.


2. Steueroase  
Eine Oase ist ein blühender, grüner Ort in der Wüste. Ich habe bis heute nicht verstanden, was daran denn schlecht sein soll, wenn es um Steuern geht. Je weniger wir die Leute belasten, desto mehr haben sie zum Leben. Das ist nicht nur für den Einzelnen besser, sondern auch für die Wirtschaft: Der Konsum stützt unsere Binnennachfrage.

Gleiches gilt für die Unternehmen: Es bleibt ihm mehr Geld für Investitionen. Das wiederum hält ihn konkurrenzfähig, stützt ebenfalls die Binnennachfrage und schafft Arbeitsplätze.

Wer von Steueroasen spricht, verrät sich selbst: Es geht ihm nicht um das Wohlergehen der Leute, sondern rein darum, möglichst hohe Ansprüche des Staates durchsetzen zu können - wenn möglich sogar international.


3. Schädlicher Steuerwettbewerb
Steuerwettbewerb und direkte Demokratie sind unsere Garanten für einen verantwortungsvollen Umgang mit öffentlichen Geldern und für erträgliche Steuern. Als Bürger können wir in den Gemeinden über den Steuerfuss abstimmen und im Kanton oder auf Bundesebene können wir immerhin in Sachfragen die Weichen für mehr oder weniger Ausgaben stellen.

Und was ebenso wichtig ist: Dank dem Steuerwettbewerb gibt es eine Konkurrenz unter den Standorten um gute Steuerzahler. Das gibt einen gewissen Druck auf die Politik: Sie weiss, dass sie es mit Steuererhöhungen nicht übertreiben darf, da sonst Steuerzahler abwandern.

Dieser Effekt spielt auch international: reiche Privatpersonen oder florierende Unternehmen gehen in einer globalen Wirtschaft dorthin, wo es für sie steuerlich attraktiv ist. 

Wer von schädlichem Steuerwettbewerb spricht, der verliert ganz offensichtlich Steuerzahler, weil er ihnen zu viel wegnimmt. Anstatt sich zu mässigen, versucht er attraktivere Standorte zu diskreditieren, die den Privaten oder Unternehmen mehr zum Leben und Investieren lassen. 

Ich gebe Ihnen dazu ein aktuelles Beispiel aus der internationalen Politik: England hat unter der konservativen Regierung von Cameron versucht, die Staatsausgaben zu senken und die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern. Es ist ein langer Weg und es sind erst einige Schritte gemacht worden, aber immerhin. Das hat zur Folge, dass Grossbritannien sich wirtschaftlich besser entwickelt, als andere EU-Staaten. Die Folge ist nun: Grossbritannien muss der EU 2.1 Milliarden Euro zusätzlich nachbezahlen, wird also für seine Anstrengungen bestraft. Frankreich dagegen, das weiterhin keine Reformen durchführt und seine Steuerzahler mit hohen Steuern vertreibt, soll für seine schlechten Leistungen mit bis zu einer Milliarde Euro belohnt werden.

Das zeigt exemplarisch, wie die Politik unsinnig in eine falsche Richtung gelenkt wird, wenn der Steuerwettbewerb nicht mehr richtig spielt.

Über falsche Steuerpolitik werden wir uns auch in der Schweiz in nächster Zeit unterhalten müssen. Abgesehen davon, dass Schulden-Staaten sich immer stärker in unsere Steuerordnung einmischen wollen, besteht die Gefahr, dass wir überdies noch selbst falsche Weichen stellen:


Pauschalbesteuerung

Die Pauschalbesteuerung ist eine Sonderregel für Ausländer, die in der Schweiz leben, aber nicht hier arbeiten. In solchen Fällen ist es fast unmöglich, das Einkommen und Vermögen zu ermitteln. Man wählte eine pragmatische Lösung: Sie werden nach ihrer Lebensführung eingeschätzt. Diese Lösung spart grossen administrativen Aufwand und macht die Schweiz steuerlich attraktiv für vermögende Personen. Mich wundert, warum genau jene Kreise, die sonst immer vehement für eine ungebremste, unkontrollierte Einwanderung sind, nun genau jene Ausländer vertreiben wollen, die Geld in die Schweiz bringen, hier Steuern zahlen, niemandem den Job wegnehmen (weil sie ja keiner Erwerbstätigkeit nachgehen) und sicher nie unsere Sozialwerke belasten.

Übrigens: Der Kanton Zürich hat ja die Pauschalbesteuerung per Anfang 2010 abgeschafft. Mit der Folge, dass von den damals 201 Pauschalbesteuerten 97 - also fast die Hälfte - den Kanton verlassen haben und ihm als gute Steuerzahler verloren gingen.


Erbschaftssteuer

Diese Initiative will, dass ein Nachlass, der 2 Millionen Franken übersteigt, mit einer Steuer von 20% belegt wird. Vielleicht denkt der eine oder andere, das betreffe ja nur die ganz Reichen und den Mittelstand nicht. Denken Sie daran: Es geht hier nicht nur um das Geld auf dem Bankkonto, zum Nachlass gehört alles, auch Liegenschaften oder der Familienbetrieb.
Auch wenn die Initiative vorsieht, dass für Unternehmensnachfolgen Erleichterungen vorgesehen werden können, würde das viele KMU hart treffen. Was machen Sie, wenn Sie alles Geld im Betrieb haben? Sie müssen Kredit aufnehmen, um Steuern zu bezahlen oder sogar den Betrieb verkaufen.
Und alle die hoffen, sie könnten die Superreichen zur Kasse bitten, werden den Bumerang spüren: Wenn man die Reichen ins Ausland vertreibt, muss der Mittelstand für die Steuerausfälle aufkommen.


Fazit

Passen wir auf, dass wir die liberale Staats- und Steuerordnung beibehalten, der wir unseren Wohlstand verdanken. Sowohl die Geschichte wie auch die Gegenwart zeigen, dass bei den Steuern für uns alle viel auf dem Spiel steht.


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