500 Jahre Appenzell bei der Eidgenossenschaft

Bern, 25.10.2013 - Rede von Bundespräsident Ueli Maurer anlässlich der Jubiläumsfeier vom 25. Oktober 2013 in Herisau

Es gilt das gesprochene Wort!

Ich glaube, wir müssen heute zuerst etwas von der Etikette und dem Protokoll abweichen.

Bei Jubiläen gratuliert man ja gewöhnlich den Jubilaren; aber heute gratulieren wir nicht den Appenzellern, sondern allen andern. Wir gratulieren allen andern Kantonen, allen andern Schweizerinnen und Schweizern, dass unsere Vorfahren die Appenzeller vor 500 Jahren in den Bund aufgenommen haben. Das war damals ein kluger, weitsichtiger Entscheid! Denn davon profitieren wir heute noch!

Und Ihnen, den Appenzellerinnen und Appenzellern, will ich von ganzem Herzen danken, dass Sie der Eidgenossenschaft beigetreten sind. Und dass Sie bis heute geblieben sind! Es freut mich, Ihnen auch die besten Grüsse und den herzlichsten Dank der Landesregierung überbringen zu dürfen.

Wir danken Ihnen für 500 Jahre Bundestreue in guten wie in schwierigen Zeiten. Und wir danken Ihnen für 500 Jahre Bereicherung durch Ihre unvergleichliche appenzellische Eigenart und Kultur!

Zu dieser Eigenart gehört auch Ihre träfe und kritische Stimme – und damit meine ich nicht nur die legendären Appenzellerwitze. Sie sind genügend selbstbewusst und unabhängig, um sich in Diskussionen und Abstimmungen auch einmal mutig gegen den Zeitgeist zu stellen. Denn Sie wissen: Modetrends kommen und gehen, das Appenzellerland bleibt.

Mit diesem Stolz auf Ihre Heimat und Ihre Tradition sind Sie ein grossartiges Beispiel für die Vielfalt unseres Landes. 


Föderalismus unter Druck

Ich möchte auf diese Vielfalt etwas näher eingehen, denn sie hat bis zum heutigen Tag grosse staatspolitische Bedeutung für uns alle:

In vielen Gegenden auf der Welt führt Vielfalt zu Konflikten. Vielfalt macht ganze Weltregionen zum Pulverfass.

In der Schweiz ist das anders. Unsere historische Vielfalt macht die Schweiz überhaupt erst zur Schweiz. Sie macht den kulturellen Reichtum unseres Landes aus. Und sie prägt uns auch gesellschaftlich und politisch.

In unserem Land haben wir über die Jahrhunderte ein Erfolgsrezept entwickelt, dank dem diese Vielfalt zu einer unserer ganz grossen Stärken geworden ist.

Das Erfolgsrezept hat einen Namen: Es heisst Föderalismus. Nun könnte man vielleicht denken, auf so kleinem Raum wie der Schweiz nochmals 26 kleine Staaten zu haben, das sei nicht gerade effizient. Für unser Land hat sich diese föderalistische Ordnung aber als Segen erwiesen.

Der Föderalismus verhindert einen Zentralismus, der alles gleichschaltet. Der Föderalismus garantiert den Ausgleich zwischen den verschiedenen Regionen. Er garantiert allen eine Mitsprache. Und er stellt sicher, dass Entscheide möglichst durch die direkt betroffenen Bürgerinnen und Bürger gefällt werden können.

Zu diesem ausgewogenen und bewährten System müssen wir Sorge tragen.

Ich bezweifle, ob wir das immer mit dem richtigen Augenmass tun. Der Trend ist eindeutig: Immer mehr Kompetenzen gehen von den Kantonen an den Bund über. Auf den ersten Blick scheint vielleicht eine einheitliche Regelung manchmal besser. Aber wenn wir es genauer ansehen, dann kommen Zweifel auf. Denn durch diese Entwicklung büssen wir mittel- und langfristig gerade unsere grosse Stärke ein: Die unterschiedlichen Lösungen, die uns gegenseitig inspirieren, die kleinräumigen und damit übersichtlichen Verhältnisse, die Rücksichtnahme auf die lokalen Besonderheiten, die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern.

Haben Sie den Mut, sich gegen Zentralisierungstendenzen zu wehren! Sie wehren sich damit nicht nur für Appenzell, sondern für die bewährte Ordnung, die unser Land erfolgreich macht.


Souveränität unter Druck

Ich möchte den Bogen noch etwas weiter spannen und eine parallele Entwicklung auf internationaler Ebene ansprechen – eine Entwicklung, die mich beunruhigt. Auch international stellen wir starke Tendenzen zur Gleichschaltung und Zentralisierung fest.

Wir können Länder in unserer Nähe beobachten, die in wichtigen Fragen gar nicht mehr selber entscheiden können. Weder die betroffene Bevölkerung kann entscheiden noch eine gewählte Regierung; stattdessen entscheiden internationale Ausschüsse, Gremien und Kommissionen ohne eigentliche demokratische Legitimation und ohne richtige demokratische Kontrolle.

Oder wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass grosse Staaten ihre Rechtsordnung für global gültig erklären. Und dass internationale Organisationen kleinere Länder unter Druck setzen und ihnen Befehle erteilen.

Wir bekommen das in der Schweiz zu spüren: Man verlangt von uns Änderungen an unserer bewährten freiheitlichen Ordnung. An der Ordnung, der wir Wohlstand und Stabilität verdanken, die uns Freiheit und Lebensqualität sichert. Und die wir in einem demokratischen Verfahren so beschlossen haben. Es gibt sogar die Forderung, wir müssten fremde Richter akzeptieren.


Dank an die Appenzeller

Ich meine, Grösse wird allzu oft überschätzt. Weitherum orientiert sich die Politik an den Thesen, dass grösser automatisch auch besser ist. Dass einheitliche Lösungen effizienter sind. Dass sogenannte Experten mehr verstehen als die Bürgerinnen und Bürger.

Diese Thesen sind widerlegt. Im Appenzellerland ganz besonders offensichtlich. Wer noch daran glaubt, der sollte hier einmal einige Tage Ferien machen. Er würde ein kleines Volk kennenlernen, das seine Werte und Wurzeln pflegt, das Tradition mit Innovation verbindet. Kulturell, politisch und auch wirtschaftlich.

Das Kleine kann grossen Erfolg haben. Das beweist Appenzell und das beweist auch die Schweiz. Aber etwas braucht es dafür: Die Freiheit, sich die Ordnung geben zu können, die zum eigenen Land passt.

Diese Freiheit zu erhalten war die grosse gemeinsame Herausforderung der letzten 500 Jahre. Und sie ist auch unsere grosse gemeinsame Herausforderung in der Zukunft.

Die Appenzellerinnen und Appenzeller sind mit ihrem ausgeprägten Freiheitssinn ein Vorbild für das ganze Land.

Ich sage jeweils: Ich mag den Appenzeller zum Essen und ich mag den Appenzeller zum Trinken, noch mehr aber mag ich den Appenzeller als Mitbürger.

Nochmals herzlicher Dank für Ihre wertvollen Beiträge an eine blühende Schweiz und insbesondere auch für Ihre eidgenössische Verlässlichkeit!


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