„Der Geist von Val Lavizzara“

Bern, 01.08.2013 - Rede von Bundesrätin Doris Leuthard zum Bundesfeiertag am 1. August 2013 im Val Lavizzara (TI).

Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident Michele Rotanzi
Liebe Familie Dazio,
Sehr geehrter Damen und Herren der Gemeinden des Tales
Liebe EinwohnerInnen der grossen Gemeinde Lavizzara
Liebe Freunde der Schweiz, liebe Gäste

„Der Starke ist am mächtigsten allein!“
Das – soll Wilhelm Tell in Altdorf gesagt haben.
Und es gibt auch heute wieder Stimmen in diesem Land, die glauben – allein zu sein, sei für unser Land Stärke genug.

Ich halte dagegen.
Ich halte mich an Werner Stauffacher.
Er widersprach Tell: „Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden.“
Und ich glaube, die Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinde Lavizzara geben mir recht.
Sonst – wären Sie 2004 wohl kaum zusammengestanden und hätten aus Brontallo, Broglio, Fusio, Menzonio, Peccia und Prato-Sornico diese neue Gemeinde Lavizzara zu erschaffen.
Sonst hätten Sie nicht gemeinsam in diesen neun Jahren Projekte realisiert wie etwa die neue Eishalle oder die neue Schule.

Herzlich Gratulation dazu – Sie haben erkannt: Allein bringen wir wenig Gewicht auf die politische Waage – wenn wir zusammenstehen, sind wir stark, gemeinsam werden wir wahrgenommen, gemeinsam erreichen wir viel!

Wobei: das Val Lavizzara war schon früher kein vergessener Ort.

  • Welche Gemeinde darf sich in der Schweiz schon rühmen, dass es einer aus dem Tal bis nach Bern in den Bundesrat geschafft hat? Prato-Sornico ist eine dieser Gemeinden. Mein Freund Flavio Cotti ist Bürger von hier.
  • Welche Gemeinde hat schon eine Kirche vom grossen Architekten Mario Botta? Auch wenn die Ursache, die Lawine von 1986, zerstörerisch war; das, was Mario Botta mit der Chiesa di San Giovanni Battista in Mugno geschaffen hat, ist wunderschön – ein Magnet für Wanderer und Architekturfans aus Nah und Fern.
  • Wie viele der 2408 Gemeinden in der Schweiz sind Quelle für schönste Flüsse? Im Val Lavizzara aus dem Lago di Narèt kommt die Maggia !

Und genau das, was die neue Gemeinde Lavizzara auszeichnet, das zeichnet auch die Schweiz aus:

  • Das Zusammenstehen – in guten und in schlechten Zeiten.
  • Die Bereitschaft, für einander da zu sein – sich zu helfen – zu unterstützen.
  • Der Wille, gemeinsam Lösungen zu suchen und nicht nur nach seinen eigenen Interessen zu handeln.

Diese Werte machen uns demokratisch gesehen zu einem Vorzeigestaat, und sie haben uns erfolgreich gemacht.

Bei uns dreht man sich nicht wie in Frankreich, Deutschland oder Italien um den Mittelpunkt – um Paris, Berlin oder Rom.
Bei uns ist jedes Tal, jedes Dorf wertvoll – auch wenn es nicht im wirtschaftlichen Boom-Dreieck Basel-Bern-Zürich steht.

Bei uns liefert jedes Tal seinen Beitrag.
Das Val Lavizzara mit dem Sambuco- und dem Narèt-Staudamm – ein wichtiger Beitrag zur Energieversorgung.
Hier steht man ebenfalls zusammen; trägt die Vor- und Nachteile gemeinsam.
Hier arbeitet man gemeinsam an der Energieversorgung der Zukunft.

Die Schweiz ist erfolgreich wegen der verschiedenen Regionen.
Ohne Regionen gäbe es die Schweiz nicht! Sie stehen im Wettbewerb und alle versuchen mit ihren Stärken, mit ihren Eigenheiten und Möglichkeiten den Menschen Perspektiven zu geben, Neues zu schaffen für die Zukunft.
Deshalb sind wir Schweizer auch Regionalpolitiker par excellence.
Jeder Bundesparlamentarier, jeder Kantonsrat, jeder Unternehmer setzt sich für seine Region ein.

  • Dafür, dass Täler nicht zu alpinen Brachen verkommen.
  • Dafür, dass der Service Public auch in den Tälern funktioniert.
  • Dafür, dass Infrastrukturanlagen – Strom, Wasser, Strassen – auch in entlegene Regionen geführt werden. Ich weiss, dass das Val Lavizzara seit den 50er-Jahren hierzu noch einen grossen Wunsch hat – einen kleinen Tunnel nach Airolo. Aber Sie hier im Tal wissen auch: Es gibt viele grosse Wünsche. Leider hat der Bund nicht ein ebenso grosses Portemonnaie und leider fehlt auch der reiche Onkel als Mäzen!

Sicher ist: Man kann immer mehr tun.
Sie tun schon Einiges.
Ich denke etwa an die Scuola di Scultura di Peccia mit ihrer Ausstrahlung weit über den Kanton hinaus.

Sicher ist aber auch: Die Regionen, Täler wie das Val Lavizzara, müssen ebenfalls etwas tun.
Warum soll das Val Lavizzara nicht Sillicon Valley sein?
Dank der Informations- Kommunikationstechnologie, dank Internet, Smart Phone und Tablet Computer ist „Tele-Working“ überall möglich.
Nachteile wie ein langer Arbeitsweg fallen plötzlich weg.
Das sind Chancen, die sich gerade für so wunderschöne Gegenden wie das Val Lavizzara erschliessen.

Hier holt uns Werner Stauffacher wieder ab: Wir können viel, wenn wir zusammenstehen!
Im Kleinen und im Grossen.
Wenn es darum geht, Solidarität und freundeidgenössisches Zusammenleben zu sichern zwischen den Gemeinden, den Regionen und den Kantonen.
Wenn es darum geht, gegenüber unseren direkten Nachbarn, aber auch den ganz Grossen auf dieser Welt die Schweizer Interessen zu vertreten.

Der Bundesrat braucht diesen Rückhalt in der Bevölkerung in den nächsten Jahren ganz besonders.
Es stehen einige wichtige Reformprojekte an:

  • In der Positionierung unseres Finanzplatzes, im Verhältnis zur EU,
  • in der Sicherung der Altersvorsorge,
  • in Fragen der Zuwanderung in unser Land,
  • wie viel unsere Armee kosten darf und welchen Auftrag sie erfüllen muss und
  • natürlich bei den Infrastrukturen.

Gerade Sie im Tal wissen, wie wichtig funktionierende, gut unterhaltene Infrastrukturen, eine gute Erschliessung sind.
Schweizweit stossen unsere Bahn- und Strasseninfrastrukturen an Grenzen, die hohe Belastung führt an vielen Orten zu höheren Unterhaltskosten.
Wir haben Engpässe und zu wenig Sitzplätze auf vielen Zuglinien.
Wir müssen in den nächsten Jahrzehnten mehr investieren.
Das kostet, und natürlich zahlt niemand gerne mehr, sei es eine teurere Vignette, seien es höhere Benzin- oder Billetpreise.
Dafür erhalten wir bessere Leistungen.
Und nachdem etwa die Vignette seit 20 Jahren 40 Franken und der Mineralölsteuerzuschlag seit 40 Jahren 30 Rappen kostet, ist eine Anpassung gerechtfertigt.
Der Bundesrat erachtet diese Investitionen als wichtig für unsere Zukunft, zumal die Mobilität von Personen und Gütern weiter zunimmt.
Diese Reformen zu realisieren geht aber nur,

  • wenn wir aufhören Strasse gegen Schiene auszuspielen – deshalb plant der Bundesrat einen Bahninfrastrukturfonds (BIF) und einen Fonds für den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehr (NAF),
  • wenn wir nicht nur auf der Achse Genf-Zürich, sondern in allen Regionen investieren – deshalb erarbeitet der Bundesrat mit den Kantonen STEP, einen strategischen Plan der anstehenden Projekte und
  • wenn wir die Lasten möglichst gerecht auf verschiedene Schultern verteilen.

Das Val Lavizzara mit seinem Wasser, dem vielen Holz und der Sonne kann zum Exporteuer von Energie werden, zu einer Energieregion der Zukunft.

Stark sind wir deshalb, wenn wir zusammenstehen.
Politische Debatten, Diskussionen sind wichtig und Teil unserer Demokratie.
Sie helfen uns allen, am Schluss die bestmögliche Variante zu finden unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessen.
Das macht uns stark und nicht schwach.

Unserem Land, unserer Schweiz geht es gut.
Seien wir ehrlich – wir jammern und klagen auf hohem Niveau.
Millionen würden noch so gerne tauschen mit uns.
Ich wünsche mir daher gute, fundierte politische Debatten, wo man einander zuhört und ernst nimmt und nicht besserwisserisch meint, man habe sowieso recht.
Ich wünsche mir, dass es unserem Land gelingt, mit Bescheidenheit, Demut, Fleiss und Arbeitsleistung und dem Blick für das Ganze die heutige Lebensqualität weiter zu halten.
Jede und jeder hat Verantwortung und kann seinen Beitrag leisten.

Mit dem Geist des Val Lavizzara sollte uns das gelingen.
Dann können wir die schwierigen, aber wichtigen Reformen bewältigen.

Nationalfeiertag – das bedeutet auch das Bewusstsein, wie wichtig Heimat ist.
Heimat, das vermittelt einem nicht ein Gesetz oder ein dickes Bankkonto.
Heimat, das vermitteln Menschen:

  • hier auf der Alp Campo la torba bei der Familie von Giorgio Dazio aus Fusio – herzlichen Dank für die Bewirtung,
  • Menschen, die täglich für das Funktionieren dieses Staates, dieses Systems einstehen,
  • Menschen, die uns Sicherheit vermitteln und sich um einen sorgen.

Ihnen allen gratuliere ich, sage Danke und stosse an auf den
1. August 2013 und eine gute Zukunft mit viel Val Lavizzara-Geist.

Alles Gute und einen schönen Nationalfeiertag!


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