David und Goliath in der Staatspolitik

Bern, 31.07.2013 - Rede von Bundespräsident Ueli Maurer gehalten anlässlich der Bundesfeier 2013 am 31. Juli in Biel, Val de Ruz und Port-Valais sowie am 1. August in Gonten, Obersiggenthal, Rapperswil-Jona, Brigels, Sessa und Zweisimmen

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Schweizerinnen und Schweizer,

Heute feiern wir den Geburtstag unseres Landes. Das ist ein Freudentag. Wir leben in einem wunderschönen Land. Wir leben in Wohlstand. Wir leben in Freiheit.

Uns geht es gut - ich meine nicht nur heute beim gemütlichen Zusammensitzen bei Bratwurst und Bier! Sondern ganz grundsätzlich: Der Schweiz geht es gut. Und das zu einer Zeit, da es vielen Ländern leider immer schlechter geht. Auch solchen ganz in der Nähe.

Wir wollen nicht triumphieren. Aber wir dürfen stolz sein auf das, was unser kleines Land erreicht hat.

Allerdings ist der Sonnenschein nicht ganz ungetrübt. Auch für uns ziehen Wolken auf: Die Schweiz wurde in letzter Zeit immer wieder verunglimpft und angeprangert, unter Druck gesetzt und erpresst. Grosse Länder und internationale Organisationen wollen uns immer wieder befehlen, was wir zu machen und was wir bei uns alles zu ändern haben. Verunsichert sehen viele nur eine Möglichkeit: Nachgeben und sich anpassen.

Ich erinnere dann jeweils an die Geschichte von David und Goliath. Denn diese uralte Geschichte lehrt uns, dass es eben doch noch eine zweite Möglichkeit gibt: Die Hebräer und die Philister führen Krieg. David ist ein einfacher, junger Schafshirte. Seine Brüder dienen in der Armee. Nun soll er ihnen Proviant bringen.

Als er bei der Truppe eintrifft, stehen sich die feindlichen Heere gegenüber. Plötzlich tritt der Philister Goliath hervor. Er fordert den stärksten Krieger der Hebräer zum Zweikampf auf. Mutlosigkeit macht sich bei ihnen breit. Denn Goliath ist ein Hüne, er ist bärenstark und er trägt die besten Waffen und die beste Rüstung.

Der Hirte David erträgt die Demütigung seines Volkes nicht und meldet sich freiwillig zum Zweikampf. Die Soldaten wollen den kleinen David zuerst davon abhalten; sie fragen ihn nach seiner Kampferfahrung. Nein, er habe noch nie Waffen getragen, nur eine Steinschleuder, um seine Schafe vor wilden Tieren zu schützen. Trotzdem besteht David darauf, für sein Volk anzutreten. Da bringen ihm die Soldaten eine Rüstung und ein Schwert. Aber beides ist ihm zu schwer. So nimmt er schliesslich nur mit seiner Steinschleuder den Kampf gegen Goliath auf. Goliath spottet, aber David trifft ihn mit einem Stein aus Distanz und gewinnt den Kampf.

Wir müssen diese Geschichte aus der Bibel sinnbildlich verstehen, dann finden wir darin ewig gültige Aussagen über das Leben, über die Politik und die Gesellschaft. Es geht nicht nur um Kampf und Krieg, sondern um einen Überlebenstipp an alle, die nicht Grösse und Macht auf ihrer Seite haben. Es sind drei Lehren, die mit dieser uralten Geschichte die Jahrhunderte überdauert haben und immer noch aktuell sind - Erstens: Grösse glänzt und schüchtert ein. Zweitens: Auch die Kleinen haben einen Wert. Drittens: Kleine müssen anders sein, wenn sie überleben wollen.


1. Glanz der Grösse

Grösse glänzt und schüchtert ein. Das war schon immer so. Die Bibel schildert es uns anhand der Geschichte von David und Goliath im ersten Buch Samuel eindrücklich.

Ganz interessant sind die Schwerpunkte im Text: Der Zweikampf wird nur in wenigen Sätzen abgehandelt. Dieser steht nämlich gar nicht im Vordergrund. In der Geschichte geht es vor allem um die lähmende Angst; es geht um die schiere Grösse, die alle beeindruckt. Ausführlich wird darum der pompöse Auftritt des Goliath beschrieben:

Begleitet von seinem persönlichen Knappen tritt Goliath aus dem Lager der Philister. Ein Riese, sechs Ellen und eine Handbreit hoch sei er gewesen; das wären etwa drei Meter. Beschrieben werden dann der Helm und der Panzer und die Beinharnische und der Schild. Und der Spiess soll so lang wie ein Baum gewesen sein.

Goliath fordert einen ebenbürtigen Gegner für ein Duell. Er stellt sich vor das Lager der Hebräer und höhnt und spottet. Goliath beherrscht die Szene, alle andern zittern. Saul, der König der Hebräer, verspricht jedem Freiwilligen grossen Reichtum und seine Tochter- es meldet sich keiner.

Die Davidgeschichte ist zeitlos. Denn eigentlich erzählt sie die Geschichte von jedem von uns. Und sie erzählt die Geschichte von uns als Volk. Es geht uns doch allen gleich. Vor Macht und Grösse empfinden wir zuerst alle wie die Hebräer vor Goliath: Ob Schwert und Schild oder Wirtschaftsmacht und schwarze Listen, wir denken ans Nachgeben.

Aber die Davidgeschichte endet nicht mit der Kapitulation. Sondern mit einer Lehre: Wer sich von Macht und Grösse nicht beeindrucken lässt, der hat durchaus eine Chance.

Unsere moderne Realität bestätigt diese uralte Weisheit. Wir können David in vielen innovativen Schweizer KMU sehen, welche sich auf dem Weltmarkt gegen viel grössere Konkurrenten erfolgreich durchsetzen.

Und wir finden David auch in der Geschichte unseres Landes: Die Schweiz ist ein Kleinstaat. Immer wieder wurden wir von Grossen in Frage gestellt. Trotzdem haben wir viel erreicht. Und wir haben als kleines, aber freies Land auch eine Zukunft, so lange wir uns von Macht und Grösse nicht einschüchtern lassen. 


2. Der Wert der Kleinen

Die zweite Lehre aus der Geschichte von David und Goliath ist, dass Kleine auch einen Wert haben. Manchmal leisten sie sogar ganz besonders viel. Nur ist das nicht immer auf den ersten Blick so leicht erkennbar. Denn sie glänzen und blenden weniger als die Grossen.

Als David mit dem Proviant für seine Brüder ins Truppenlager kommt, wird er nicht richtig ernst genommen. Auch die hebräischen Soldaten sehen in ihm nur einen jungen Hirten; einer, der überflüssig im Wege steht. Eliab, Davids ältester Bruder, wird sogar wütend auf ihn. Er sei unnütz und solle besser weiter Schafe hüten.  

Wir Schweizer kennen ähnliche Vorwürfe. Es heisst, wir seien Rosinenpicker. Wir haben den Vorwurf schon so oft gehört, man würde meinen, uns müsste langsam allen der Bauch platzen vor lauter Rosinen ...

Erinnern wir darum einmal selbstbewusst daran, wo und wie andere von der Schweiz profitieren:

Zum Beispiel, dass die Schweizer Wirtschaft gemäss den Zahlen der Nationalbank über 1000 Milliarden Franken im Ausland investiert hat, davon über 40% in der EU.[1] Schweizer Unternehmen schaffen damit weltweit gegen drei Millionen Arbeitsplätze ausserhalb der Schweiz.[2] Dazu kommen noch über 270‘000 Grenzgänger, die bei uns ihr Geld verdienen.[3]

Nach einer Statistik der Weltbank sind es über 30 Milliarden Dollar jährlich, die von Grenzgängern hier verdient bzw. von Immigranten in ihre Herkunftsländer überwiesen werden.[4]

Über 1.1 Millionen EU-Bürger leben in der Schweiz.[5] Und die Zahl steigt rasant. Jährlich profitieren Zehntausende von der Personenfreizügigkeit, so dass sich für unser kleines Land ernsthafte Fragen der Aufnahmekapazität stellen.

Dazu kommen grosse Ausgaben der öffentlichen Hand zugunsten der internationalen Beziehungen: Allein der Bund hat dieses Jahr fast 3.3 Milliarden Franken dafür budgetiert.[6] Nicht mitgerechnet sind die zusätzlichen Leistungen von Kantonen und Gemeinden.

Die Schweiz beteiligt sich mit riesigen Summen am Internationalen Währungsfonds. Das maximale Gesamtrisiko der Schweiz aufgrund von Garantien an den IWF betrug Ende Juni dieses Jahres gegen 24 Milliarden Franken.[7]

Die Schweiz baut mit der NEAT für über 20 Milliarden Franken neue Nordsüdachsen für den alpenquerenden Schienenverkehr in Europa.

Sogar im Ausland investiert die Schweiz in die Verkehrsnetze. Sie übernimmt die Finanzierung in der Höhe von 230 Millionen Franken unter anderem für die Profilanpassungen auf der Luino-Linie und der Strecke Chiasso-Mailand.

Die Schweiz zahlte bis jetzt bereits über 1.2 Milliarden Franken als sogenannte Kohäsionszahlungen an die osteuropäischen EU-Staaten.

Die Schweiz trägt auch viel zu Forschung und Entwicklung bei: Nach einem Bericht der EU-Kommission ist die Schweiz das innovativste Land in Europa.[8]

Die Schweiz engagiert sich weltweit für den Frieden. Sie bietet ihre Guten Dienste an. Unser neutrales Land ist ein idealer Standort für internationale Organisationen, für Konferenzen und Gespräche.

Als neutrales Land sind wir nie Partei, sondern immer Vermittler. Dieses Jahr feiern wir 150 Jahre Internationales Komitee vom Roten Kreuz. 1863 wurde in Genf das IKRK gegründet. Seither lindern Schweizer Helfer Leid in Krisen und Kriegen überall auf dieser Welt.

Die Schweiz ist Depositarstaat der Genfer Konventionen von 1949 sowie der Zusatzprotokolle von 1977 und 2005. Das alles zeigt, dass das humanitäre Engagement Teil unserer Geschichte ist.

Diese Liste liesse sich fortsetzen - und ich meine, diese Leistungen dürfen sich sehen lassen. Wir können diese Leistungen aber nur erbringen, weil wir frei sind. Wäre auch die Schweiz ein gewöhnlicher Staat am Rande des Konkurses, könnte sie das alles nicht bieten. 

Um auf die Vorwürfe an unser Land zurückzukommen: Ich finde in unseren internationalen Beziehungen keine gepickten Rosinen, dafür die eine oder andere Kröte oder bittere Pille, die wir in letzter Zeit haben schlucken müssen.

Oder noch deutlicher: Wir picken keine Rosinen. Aber andere knabbern an unserer Souveränität!


3. Anderssein als einzige Überlebensmöglichkeit

Die dritte Lehre aus der Geschichte von David und Goliath ist vielleicht die wichtigste: Die Hebräer wollen David für den Kampf eine Rüstung geben. Den selben starren und schweren Panzer, wie ihn alle Soldaten tragen. Sie ziehen David den Harnisch an, setzen ihm einen Helm auf und geben ihm ein Schwert. Aber David kann sich kaum mehr bewegen; alles ist ihm viel zu schwer. In dieser Montur hätte der kleine David kläglich verloren. Er entscheidet sich darum für sein einfaches Hirtengewand.

Auch das ist bildlich zu verstehen: David hat den Mut, anders zu sein. Er setzt auf seine Stärken. Darum hat er Erfolg. Wir sehen: Die Kleinen können die Grossen nicht imitieren. Die einzige Überlebensmöglichkeit besteht darin, bewusst den eigenen Weg zu gehen.

Darin liegt viel Weisheit. Wir können auch staatspolitisch daraus lernen: Unser Land ist ein Sonderfall. Es ist anders entstanden und hat sich anders entwickelt als andere. Es wurde von Bürgern für Bürger geschaffen. Die wichtigsten Impulse kamen und kommen aus dem Volk. Dank dem Föderalismus erhalten wir unsere regionalen Besonderheiten. Dank der direkten Demokratie kann die Politik die Anliegen des Volkes nicht einfach ignorieren. Dank dem Milizprinzip profitiert unser Staat auf allen Ebenen von der Lebens- und Berufserfahrung der Bürgerinnen und Bürger. Und dank einer freiheitlichen Ordnung floriert unsere Wirtschaft.

Diese freiheitliche Ordnung hat die Schweiz zu einem der reichsten Länder der Welt gemacht. Und genau diese Ordnung kommt jetzt immer wieder von grossen Staaten oder internationalen Organisationen unter Druck.  

Wir müssen uns bewusst sein: Wir werden nicht kritisiert, weil wir vieles falsch machen, sondern weil wir vieles so gut machen. Weil wir reich sind und es bei uns etwas zu holen gibt. 

Man will uns zwingen, immer mehr internationale Verpflichtungen zu übernehmen. Das macht es uns schwieriger, unser Land nach unserem eigenen Willen zu gestalten.

Wenn wir beim Bild der David-Geschichte bleiben: In der fremden Rüstung hätte David verloren. Und unter fremdem Recht und fremden Richtern würde die Schweiz verlieren.


Fazit

Ich komme zum Schluss und fasse zusammen. Als Kleinstaat müssen wir uns dreierlei merken:

Erstens: Wir sollten uns vom Glanz der Grösse nicht beeindrucken lassen. Die Geschichte zeigt uns, dass seit 1291 viele grosse Staatsgebilde entstanden und wieder verschwunden sind; aber die kleine Schweiz gibt es immer noch. Das gibt Anlass zu Zuversicht und Optimismus. 

Zweitens: Erinnern wir ab und zu mal selbstbewusst daran, dass die kleine Schweiz auch international einen grossen Beitrag leistet, sowohl wirtschaftlich wie auch humanitär. Wer uns ein schlechtes Gewissen machen will, der verfolgt damit politische Ziele.

Drittens: Lassen wir uns nicht in die selben starren Rüstungen zwängen wie andere Staaten. Diese internationalen Normen und Standards passen nicht auf unseren freiheitlichen Kleinstaat. Wir würden so unsere Besonderheiten verlieren.

Diese drei Lehren aus der Geschichte von David und Goliath möchte ich Ihnen ans Herz legen. Denn zum Glück leben wir in einer direkten Demokratie. Als Bürger haben Sie das letzte Wort. Setzen Sie sich ein für unsere Freiheit, für unseren Wohlstand, für unsere Heimat!



[1] www.snb.ch/ext/stats/fdi/pdf/de/1_2_CH_Direktinve_Kapitalbestand.pdf

[2] www.snb.ch/ext/stats/fdi/pdf/de/1_3_CH_Direktinve_Personalbestand.pdf

[3] www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/03/02/blank/key/erwerbstaetige0/grenzgaenger.html

[4] NZZ am Sonntag, 7. April 2013, Nützliche Schweiz, S. 27

[5] www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/07/blank/key/01/01.html

[6] Bericht zum Voranschlag 2013, S. 28

[7] www.snb.ch/de/iabout/internat/coop/id/internat_coop_imf/6, Stand Ende Juni 2013

[8] NZZ, 27. März 2013, S. 29


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