Bundesrat entschuldigt sich bei den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen

Bern, 11.04.2013 - An einem Gedenkanlass in Bern haben am Donnerstag hunderte von ehemaligen Verdingkindern und andere Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen zusammen mit Behörden- und Kirchenvertretern, Vertretern des Bauernverbands und von Sozialfürsorgeeinrichtungen an ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte erinnert. Bundesrätin Simonetta Sommaruga entschuldigte sich im Namen des Bundesrats für das grosse Leid, das den Opfern dieser Zwangsmassnahmen angetan wurde. Sommaruga bezeichnete den Gedenkanlass als Anfangspunkt einer umfassenden Aufarbeitung dieses schwierigen Kapitels der Schweizer Geschichte.

Bis weit in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden in der Schweiz Kinder und junge Menschen gegen ihren Willen von Amtes wegen und oft auch mit dem Einverständnis der Kirchen in Heimen oder auf Bauernhöfen fremdplatziert. Dies, weil sie aus armen Verhältnissen stammten, weil sie uneheliche Kinder waren, in schwierigen Familienverhältnissen aufwuchsen, weil sie selber als so genannt "schwierig" galten oder unbequem und aufmüpfig waren. Vielen dieser jungen Menschen ist dabei grosses Leid widerfahren, das ihr Leben bis auf den heutigen Tag prägt. Als Verdingkinder wurden sie auf Bauernhöfen ausgebeutet oder in Heimen und Erziehungsanstalten physisch und psychisch misshandelt. Andere wurden in psychiatrische Anstalten oder ins Gefängnis eingewiesen, ohne dass sie sich rechtlich gegen diese Massnahme wehren konnten. In manchen Fällen kam es zudem zu Zwangssterilisationen und Zwangsadoptionen.

Um an dieses schlimmen Kapitel der Schweizer Geschichte zu erinnern, hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga gemeinsam mit Betroffenenorganisationen, dem Gemeinde- und Städteverband, der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren SODK, dem Schweizerischen  Bauernverband SBV, der Konferenz der Kantone für Kindes- und Erwachsenenschutz KOKES, der Landeskirchen sowie mit Heim- und Sozialfürsorgeorganisationen die Opfer zu einem Gedenkanlass ins Kulturcasino in Bern eingeladen.

Rund  700 ehemalige Verdingkinder, Heimkinder, administrativ Versorgte, Zwangssterilisierte und weitere Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen sind dem Aufruf gefolgt und haben am Gedenkanlass in Bern teilgenommen. Stellvertretend für die vielen Betroffenen schilderten einzelne von ihnen in Reden ihre erschütternde Lebensgeschichte.

"Wir können nicht länger wegschauen, denn genau das haben wir bereits viel zu lange getan", sagte Bundesrätin Sommaruga in ihrer Rede. "Deshalb soll dieser Tag auch ein Bekenntnis sein: ein Bekenntnis zum Hinschauen und ein Aufruf gegen das Verdrängen und Vergessen." Abschliessend  sagte die Justizministerin: "Für das  Leid, das Ihnen angetan wurde, bitte ich Sie im Namen der Landesregierung aufrichtig und von ganzem Herzen um Entschuldigung."

Der Anfang einer umfassenden Aufarbeitung

Der Gedenkanlass sei kein Abschluss, sondern der Anfang einer umfassenden Aufarbeitung, welche juristische, historische und finanzielle Aspekte umfassen müsse, betonte Sommaruga. Dies ermöglichen soll ein Runder Tisch, zu dem alle Beteiligten eingeladen werden. Der bereits im Dezember von Bundesrätin Sommaruga eingesetzte Delegierte für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, alt Ständerat Hansruedi Stadler, wird den Runden Tisch leiten, die Anliegen der Opfer koordinieren und zwischen den Wünschen der Betroffenen, den Bedürfnissen von Kantonen und Gemeinden und den Möglichkeiten des Bundes vermitteln. Auf der Internetseite www.fuersorgerischezwangsmassnahmen.ch (oder www.fszm.ch) wird der Delegierte regelmässig über Ergebnisse und den Stand der Diskussion am Runden Tisches berichten.

Ab sofort können sich Betroffene bei kantonalen Anlaufstellen beraten lassen. Einzelne Kantone haben die kantonalen Opferhilfestellen mit der Beratungsaufgabe beauftragt, in anderen Kantonen wurden dafür spezielle Einrichtungen geschaffen. Informationen sind auf der oben erwähnten Website abrufbar.


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