Öffentlichkeit und Verwaltung im Dialog

Bern, 07.03.2012 - Bundesratssprecher André Simonazzi, Referat am Swiss E-Government-Forum in Bern.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ein bekannter Schweizer Politologe hat einmal folgende Vision formuliert: In wenigen Jahren werden die Stimmberechtigten vor Wahlen ihr Profil auf einer Plattform aktualisieren. Darauf wird die Maschine blitzartig aus den Kandidierenden diejenigen aussuchen, die dem Profil am besten entsprechen. Der Computer stellt dann automatisch die Liste zusammen und übermittelt sie – schwupps – ans Büro von Vote électronique.

Dies lässt sich natürlich noch weiter automatisieren und auch auf Abstimmungen anwenden. Die Wahlbeteiligung wird dadurch auf 100 Prozent steigen, da niemand mehr einen Abstimmungs- oder Wahltermin vergisst und auch niemand mehr von der Komplexität einer Vorlage überfordert sein wird. Da wir dannzumal schon lange die Steuerrechnung automatisch von unserem Konto abbuchen lassen werden, brauchen wir mit dem Staat überhaupt nicht mehr zu kommunizieren. Der Staat funktioniert, ohne dass wir uns darum kümmern müssen. Wir haben eine direkte Demokratie, ohne dass wir uns daran noch irgendwie beteiligen müssen.

Voilà: die perfekte Umsetzung von E-Government, oder nicht? Hätte ich etwas falsch verstanden?

Sie alle sind Spezialisten für die elektronische Durchführung von Geschäftsprozessen. Ihr Ziel ist es, dass Unternehmen und Privatpersonen ihre Geschäfte mit dem Staat rascher und unkomplizierter abwickeln können als bisher.

Ich weiss, wie schwierig die Verständigung zwischen Behörden und Öffentlichkeit ist, wenn es schon nur um einfache Bundesratsentscheide geht. Wie schwierig ist es dann, wenn der Dialog nur über einen  Bildschirm stattfindet? Ich habe grossen Respekt vor Ihrer Arbeit, Behördenprozesse so zu gestalten, dass der Gang zur Behörde direkter und einfacher wird. 

Regeln für die Behördenkommunikation 

In der Schweiz gibt es klare Regeln für die Regierungskommunikation. Diese Regieanweisungen haben sich bewährt und können bei jeder  Behördenkommunikation beherzigt werden. Die erste Regieanweisung gibt die Bundesverfassung:

Der Bundesrat informiert die Öffentlichkeit rechtzeitig und umfassend über seine Tätigkeit. 

Präzisiert wird die Anweisung im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes. Die zweite Regieanweisung lautet:

Der Bundesrat gewährleistet die Information der Bundesversammlung, der Kantone und der Öffentlichkeit. Er sorgt für eine einheitliche, frühzeitige und kontinuierliche Information über seine Lagebeurteilungen, Planungen, Entscheide und Vorkehren.

Der Bundesrat informiert aber nicht nur. Das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz verpflichtet ihn zur Kommunikation. So lautet die dritte Regieanweisung:

Der Bundesrat soll die Beziehungen zur Öffentlichkeit pflegen und sich über die Meinungen und Anliegen informieren, die in der öffentlichen Diskussion vorgebracht werden.

Eine weitere Regieanweisung liefert das Bundesgesetz über die politischen Rechte. Sie bezieht sich ganz konkret auf das Abstimmungsbüchlein:

Der Bundesrat beachtet die Grundsätze der Vollständigkeit, der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit.

Verfassung und Gesetz sagen nichts über die Mittel, die Technologie, die Bundesrat und Verwaltung bei der Information und Kommunikation, im Dialog mit der Öffentlichkeit einsetzen müssen. Allerdings: Wie jede staatliche Aufgabe muss diese mit zweckmässigen und wirtschaftlichen Mitteln erfüllt werden.

Was für den Bundesrat gilt, das gilt für alle Behörden, für Government wie für E-Government. Der Sinn der Regeln liegt auf der Hand: Sie schaffen Vertrauen. Die Bürgerinnen und Bürger sollen ihre politischen Entscheide in Kenntnis aller Tatsachen und in aller Freiheit vor Beeinflussung treffen.

«E»rgänzung – nicht «E»rsatz

«Über die heutige Bundesratssitzung gibt es nichts zu berichten.» Der Zettel, den der damalige Bundeskanzler Oskar Leimgruber in den 50er-Jahren jeweils nach der Bundesratssitzung für die drei, vier Bundeshausjournalisten ans Anschlagbrett heftete, ist legendär.

Bundesrat Rudolf Gnägi zeigte viel Verständnis für Reporter in nachrichtenlosen Situationen. Er ging nach der Sitzung jeweils auf die Journalisten zu: «Chömed Giele», lud er sie auf einen Kaffee ins Della Casa ein und informierte sie über den Sitzungsverlauf. Diese Zeiten der Low-Tech-Kommunikation sind längst vorbei.

Heute vergeht kein Mittwoch ohne Medienkonferenz des Bundesrates. Diese wird im Medienzentrum von Dutzenden von Medienschaffenden verfolgt und live im Internet übertragen. Jede Medienmitteilung aus der Bundesverwaltung wird auf den Websites von admin.ch veröffentlicht und per News Service Bund auf Knopfdruck an fast 100‘000 Abonnenten verschickt. E-Mail und Internet haben Fax, Briefpost und Kopiermaschine abgelöst. Die Verwaltung informiert die Öffentlichkeit nicht mehr nur indirekt über Presse, Radio, Fernsehen und Broschüren, sondern direkt mittels unzähligen Websites und Millionen von E-Mail.

Die Online-Informationsangebote haben die klassischen Dialogformen von Regierung und Verwaltung nicht verdrängt, sondern ergänzt. Bundesräte halten nicht weniger Reden als früher und geben nicht weniger Interviews, die Verwaltung beantwortet nicht weniger Briefe und Telefonanrufe.

Ein gutes Beispiel ist das Abstimmungsbüchlein. Sie kennen es bestens: Es ist mit 5,3 Millionen Exemplaren die auflagenstärkste Publikation der Schweiz.

Sie fragen sich vielleicht, warum es dieses Büchlein heute überhaupt noch auf Papier gibt?

Ein PDF im Web wäre sicher billiger für die Steuerzahler.

Nun wissen wir alle, dass die älteren Menschen in der Schweiz das Internet weniger nutzen als die jüngeren. Wir dürfen diese Menschen nicht von der Kommunikation, vom Dialog ausschliessen.

Was für die politische Meinungsbildung gilt, das gilt auch für die Baubewilligung und den Pass. Das «E» in «E-Government» steht hier weder für «elektronisch» noch für «Ersatz». Sondern dieses «E» steht für «Ergänzung» der klassischen Kommunikationskanäle.

Wir können aber auch nicht auf die modernen elektronischen Kommunikationsmittel verzichten.

Wenn wir den Dialog mit der Öffentlichkeit führen, dann müssen wir ihn überall dort führen, wo sich die Öffentlichkeit befindet.

Die Betreuung und Pflege mehrerer Informationskanäle verursacht mehr Aufwand. Es eröffnet aber auch neue Möglichkeiten. Das Online-Angebot der Behörden können wir mit einem Selbstbedienungsladen für Informationen und Dienstleistungen vergleichen. Bürgerinnen und Bürger brauchen nicht in jedem Fall eine persönliche Beratung, sondern sie helfen sich gern selber. Online können wir sie rund um die Uhr bedienen.

Online können wir auch gleichzeitig viel mehr Menschen mit aktuellen Informationen erreichen.

Die persönliche Beratung muss jedoch auch in Zukunft sichergestellt bleiben.  Es wird auf absehbare Zeit immer Menschen geben, die keinen Zugang zum Internet haben.

Auf die User hören

Zu Brief, Telefon, E-Mail, Chat und Forum sind neu Facebook, Twitter und Co. hinzugekommen. Sie sind sehr beliebt. Hier stellt sich nicht mehr die Frage, ob wir diese «social media» nutzen, sondern nur noch «Wie»?

Es gibt bereits viele Gemeinden, Kantone  und auch Bundesstellen, die die neuartigen elektronischen Kommunikationsformen im Dialog mit der Öffentlichkeit nutzen. Wer Neuland betritt, erlebt Überraschungen. Wo getüftelt wird, gibt es Pannen.

  • Etwa, wenn sich das Ergebnis einer Bundesratswahl auf Twitter verbreitet, bevor es in der Bundesversammlung offiziell bekannt gegeben wird.
  • Wenn ein Regierungssprecher den Tod von Obama bin Laden verkündet.
  • Wenn die Mitglieder des Bundesrates auf Facebook immer wieder geklont werden.
  • Wenn eine Medienmitteilung über die Schnellabschaltung des Atomkraftwerks Mühleberg wegen eines Programmierfehlers im Abstand von ein paar Tagen zweimal veröffentlicht wird.

Die Episoden zeigen: Die Multiplikation von Informationskanälen, die automatische Publikation und die virale Verbreitung von Nachrichten führt nicht ohne weiteres zu mehr Klarheit und Übersicht, sondern unter Umständen einfach zu mehr Fieber und Verwirrung.

Dies kann nicht das Ziel sein.

Die Bürgerinnen und Bürger müssen jederzeit wissen, wo die korrekten Informationen des Staates zu finden sind. Die Glaubwürdigkeit darf nicht Modetrends und Experimenten geopfert werden.

Politische Partizipation

Die Online-Werkzeuge wie Blog und Wiki, Facebook und Twitter nehmen für sich eine «Neuheit» in Anspruch, die zu den Grundpfeilern unserer Demokratie gehört: die Partizipation.

In der Schweiz haben wir nicht auf Web 2.0 gewartet, um mit dem Volk über politische Fragen zu diskutieren, wir tun dies schon lange. Wir ermöglichen es auch elektronisch.

Das wichtigste Projekt ist «Vote électronique».  An den Nationalratswahlen 2011 haben vier Kantone erfolgreich Vote-électronique-Versuche durchgeführt. Zahlreiche Auslandschweizer Stimmberechtigten haben vom neuen Stimmkanal profitiert.  Das kommende Wochenende ist ein weiterer Meilenstein. Rund 120‘000 Stimmberechtigte in 12 Kantonen haben die Gelegenheit, ihre Stimme elektronisch abzugeben. Bund und Kantone haben im letzten Jahr die Zusammenarbeit im Projekt intensiviert.

Der Bundesrat hat die Bundeskanzlei auch beauftragt, die E-Vernehmlassung zu prüfen. Die gesellschaftlichen Medien können den Handlungsspielraum von Behörden erweitern, wenn es um die Suche nach Lösungen geht. Verschiedene Gemeinden und Kantone unternehmen Versuche in diese Richtung. Die Bundeskanzlei klärt derzeit zusammen mit den Departementen ab, wie sich das formell geregelte Vernehmlassungsverfahren mittels der Informations- und Kommunikationstechniken optimieren lässt. Geprüft wird aber auch, ob sich Instrumente aus der Werkzeugkiste der «social media» in Anhörungsverfahren einsetzen lassen.

Die Schweizer Behörden, auch die Bundeskanzlei vor über 200 Jahren, haben schon immer neue Technologie in der Information und Kommunikation genutzt. 1885 beklagte sich ein Kanzlist, dass er «Schreibkrämpfe» erleide. Die Kanzlei beantragte eine Schreibmaschine. Diese wird vom Bundesrat bewilligt. Der Erfolg war so gross, dass im selben Jahr noch eine zweite Maschine angeschafft wurde.

Die Öffentlichkeit – und auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – nutzen die neuen Kommunikationsformen. Facebook und Twitter sind nützlich, genau so, wie die Schreibmaschine und das Telefon nützlich waren und sind.

Es liegt an uns, diese Kanäle in einer Art und Weise einzusetzen, dass dies mit dem Ansehen der Behörden und dem Zweck der behördlichen Information und Kommunikation vereinbar ist. Wenn Sie die Regieanweisungen für den Dialog zwischen Behörden und Öffentlichkeit beherzigen, dann haben Sie bestimmt Erfolg.


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