Verzicht auf Beschwerde gegen das Urteil des Bundesstrafgerichts im Fall Holenweger - Erklärung der Bundesanwaltschaft

Bern, 27.10.2011 - Die Bundesanwaltschaft (BA) verzichtet auf eine Beschwerde gegen das Urteil des Bundesstrafgerichts vom 21. April 2011 im Fall Holenweger. Nach sorgfältiger und umfassender Analyse der schriftlichen Begründung des Urteils will sie jetzt mit dem Beschwerdeverzicht einen Schlussstrich ziehen. Ein Weiterzug an das Bundesgericht würde die Verfahrensdauer nochmals erheblich verlängern. Das Strafinteresse der Öffentlichkeit gegenüber Oskar Holenweger hat als Folge der langen Verfahrensdauer inzwischen deutlich abgenommen.

In der vorliegenden Strafsache erachtete es die BA als ihre Pflicht, den Sachverhalt - gemäss dem für Staatsanwaltschaften geltenden Grundsatz im Zweifel anzuklagen („in dubio pro duriore") - mittels Anklageerhebung einer gerichtlichen Beurteilung zuzuführen. Sie nimmt nun ihre Verantwortung wahr, das Verfahren zu einem Abschluss zu bringen. Die lange Dauer des Verfahrens sowie auch das damit verbundene abnehmende Strafinteresse der Öffentlichkeit veranlassen die BA, das Verfahren nicht an das Bundesgericht weiterzuziehen. Im Falle des von der Bundesanwaltschaft erwarteten positiven Entscheides würde das Verfahren an die Vorinstanz zurückgewiesen, was zu einer weiteren Hauptverhandlung führen würde. Dieses Urteil könnte erneut beim Bundesgericht angefochten werden. Die strittigen Rechtsfragen haben durch die Einführung der Eidg. Strafprozessordnung (StPO) in diesem Jahr wesentlich an Bedeutung verloren. Ein Weiterzug würde somit nur unwesentlich zur Rechtsfortbildung beitragen.

Die Feststellungen im Urteil des Bundesstrafgerichts treffen in mehreren Punkten nicht zu und die BA verwahrt sich gegen diverse Unterstellungen bzw. Schlussfolgerungen des Bundesstrafgerichts. Dabei geht es insbesondere um die Auffassung:

  • der Einsatz von Ramos als Vertrauensperson der Bundeskriminalpolizei (BKP) sei rechtswidrig gewesen, weshalb es an einem Anfangsverdacht für das Strafverfahren gegen Oskar Holenweger gefehlt habe;
  • die vom Bundesgericht bewilligte Überwachung des Telefonanschlusses von Oskar Holenweger sei von der BA mit (teilweise) unwahren und/oder aufgebauschten Angaben erschlichen worden;
  • Abschöpfungsberichte über die vom eingesetzten verdeckten Ermittler „Diemer" gelieferten Informationen seien nachträglich von der BKP inhaltlich gefälscht worden;
  • Untersuchungsakten seien der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) rechtswidrig zugestellt worden und schliesslich
  • Unterlagen über geldwäschereirelevante Handlungen Holenwegers für Alstom seien nicht verwertbar, weil diese nur wegen der Erkenntnisse des verdeckten Ermittlers gefunden worden seien.

Zu den Erwägungen des Bundesstrafgerichts nimmt die BA deshalb wie folgt Stellung:

  • Das Bundesstrafgericht erachtet in seinem Entscheid als bewiesen, dass es zur versuchten Geldwäscherei von angeblichem Drogenerlös im Betrag von rund 1 Mio. EUR im Zusammenhang mit der Geschäftsbeziehung des Beschuldigten mit dem verdeckten Ermittler Diemer gekommen ist. Das Bundesstrafgericht hat seinem diesbezüglich freisprechenden Entscheid massgeblich die Erstellung bzw. Förderung der Tatbereitschaft beim Beschuldigten durch „Ramos" zugrunde gelegt. Diese Ansicht lässt sich weder aus den Akten objektivieren noch wurde sie im Verfahren vom Beschuldigten - im Unterschied zu den in der Begründung referenzierten Urteilen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes - je geltend gemacht.
  • Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts hat bereits zuvor in zwei Entscheiden mit ausführlicher und überzeugender Begründung festgehalten, dass bezüglich der „Ramos-Akten" kein Anspruch auf Akteneinsicht für die Parteien - sowohl für den Beschuldigten wie auch die BA - besteht. Diese ist auch für das Gericht zur Klärung der Frage der Rechtmässigkeit von dessen Einsatz als Vertrauensperson nicht angezeigt, zumal sich u.a. auch dazu der Aufsichtszwischenbericht des Bundesstrafgerichts (Keller/Bertossa) vom 18.09.2006 und der Bericht der GPK-N vom 05.09.2007 äussern. Demnach bestanden keine Anhaltspunkte für einen rechtswidrigen Einsatz der Vertrauensperson „Ramos" und des verdeckten Ermittlers „Diemer". Der Aufsichtszwischenbericht, der aufgrund vollständiger Einsicht in die „Ramos-Akten" erstellt wurde, hält diesbezüglich unmissverständlich fest: „Die RAMOS anvertraute Mission verstiess nicht gegen schweizerisches Recht" und namentlich „deutet nichts darauf hin, dass RAMOS .... durch sein Verhalten einen Dritten zu Gesetzesverstössen bestimmt hätte". Die BA hält zusammenfassend fest, dass der Einsatz von „Ramos" nach Massgabe der damaligen Rechtslage offenbar korrekt war.
  • Soweit sich die Begründung des Urteils auch zur Frage der im Verfahren angeordneten Telefonüberwachung äussert, ist festzuhalten, dass der Vorwurf, die Zwangsmassnahme erschlichen zu haben, unbegründet und teilweise klar aktenwidrig ist. Diese Ermittlungsmassnahme wurde durch den Präsidenten der Anklagekammer des Bundesgerichts genehmigt. Von teilweise unwahren und aufgebauschten Angaben kann keine Rede sein, wurden dem Antrag doch die entsprechenden Unterlagen beigelegt, so dass sich die damalige Genehmigungsbehörde ein umfassendes eigenes Bild über die bestehende Verdachtslage machen konnte. Die BA weist die diesbezüglichen Vorwürfe des Bundesstrafgerichtes entschieden zurück. Weiter wurde die Telefonüberwachung vom Beschuldigten nach Kenntnisnahme der Anordnung auch nicht angefochten. Deshalb kann diese Frage gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung vom Sachgericht nicht erneut überprüft werden. Gleiches gilt für die Verwendung technischer Überwachungsgeräte beim Einsatz des verdeckten Ermittlers „Diemer". Im Rahmen entsprechender Beschwerden hätten die Fragen der Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit auch von dessen Einsatz, wie auch die vorausgehenden Aktivitäten von „Ramos", überprüft werden können.
  • Die vom Bundesstrafgericht in der Folge vorgenommene Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung bzw. der Bestrafung einerseits und dem privaten Interesse des Beschuldigten an der Unverwertbarkeit der Beweise andererseits ist verkürzt, berücksichtigt wesentliche Punkte nicht und unterstellt der Strafverfolgungsbehörde weitere Rechtsverletzungen während der Dauer des Verfahrens: Entgegen der Darstellung im Urteil, war keiner der Rapporte über die vom verdeckten Ermittler gelieferten Informationen inhaltlich gefälscht. Solches ergibt sich weder aus den Akten noch - wie die Begründung nahezulegen versucht - aus dem Schlussbericht des Untersuchungsrichters. Zu der vom Gericht ebenfalls beanstandeten Zustellung von Untersuchungsakten an eine Parlamentskommission (GPK-N) liegen von der Geschäftsprüfungskommission in Auftrag gegebene Gutachten vor, die deren Rechtmässigkeit bestätigt. Zum gleichen Ergebnis kommt die GPK in ihren aufsichtsrechtlichen Feststellungen vom 24.06.2008 bezüglich ihrer Informationsrechte. Folgerichtig wurden die in diesem Zusammenhang wegen des Verdachts der Amtsgeheimnisverletzung eingeleiteten Ermittlungsverfahren eingestellt.
  • Entgegen den Ausführungen im Urteil, ergab sich eine Verdachtslage bezüglich allfälliger Delikte im Zusammenhang mit Alstom offensichtlich erst durch die Akten, die von einer vormaligen Mitarbeiterin des Beschuldigten im Rahmen ihrer Befragung freiwillig den Behörden ausgehändigt wurden bzw. durch ihre Aussagen. Erst ausgehend davon und im Rückblick konnten die Informationen des verdeckten Ermittlers „Diemer" in diesem Zusammenhang sachverhaltlich verwertet werden. Auch ohne vorgängigen Einsatz des verdeckten Ermittlers „Diemer" hätten indessen die angeordneten Beweissicherungsmassnahmen - Hausdurchsuchungen bzw. die Vernehmungen von Mitarbeiter/innen des Beschuldigten - die Verdachtslage begründet, die Anlass zur Ausdehnung des Verfahrens bezüglich möglichen Delikten im Zusammenhang mit Alstom war.

Auf weitere strittige Punkte geht die Bundesanwaltschaft nicht ein, da sie aus den einleitend erwähnten Gründen auf die Einreichung einer Beschwerde verzichtet.


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