Sicherheit Schweiz: Jahresbericht 2010 des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB)

Bern, 02.05.2011 - Terrorismus, Gewaltextremismus, Proliferation und Spionage sind im Berichtsjahr die aktuellsten und prioritären Bedrohungen für die Schweiz. Die Bedrohung durch den Terrorismus ist heute nicht staatsgefährdend, ein Anschlag in der Schweiz ist aber möglich. 2010 stand vor allem der Linksextremismus im Fokus. Gewaltextremistische Aktivitäten können generell die innere Sicherheit der Schweiz gefährden. Proliferationsaktivitäten, aber auch die Umtriebe von terroristischen oder kriminellen Organisationen sowie staatlichen Akteuren in der Schweiz gefährden den Werk- und Finanzplatz. Angriffe auf kritische Informationsinfrastrukturen können andere Bedrohungsformen verstärken und ganze Systeme potenziell gefährden. Zudem können Gefahren aus dem strategischen Umfeld die Schweiz langfristig bedrohen.

Dies stellt der Jahresbericht 2010 des NDB zusammenfassend fest. Die umfassende Bedrohungsbeurteilung, wie sie das Bundesgesetz über Zuständigkeiten im Bereich des zivilen Nachrichtendienstes (ZNDG) fordert, beschränkt sich nicht auf den engeren Bereich der Sicherheitspolitik, sondern umfasst auch andere Bedrohungen, die der Schweiz bedeutend schaden können. Somit enthält die Beurteilung auch negative Entwicklungen in der Wirtschaft und schädliche Folgen der Interessenpolitik fremder Staaten.

Die Bedrohungslage hat sich im Vergleich zum Jahr 2009 in Teilaspekten verändert. Die Gesamtbeurteilung 2010 berücksichtigt die Ereignisse bis zum Redaktionsschluss Mitte Februar 2011. Aufgrund der Bedrohungsbeurteilung des Vorjahres werden die wichtigsten Veränderungen aufgezeigt. Nicht berücksichtigt wurden somit die Umwälzungen im arabischen Raum, die durchaus epochalen Charakter haben und je nach weiterem Verlauf in Zukunft auch grössere Auswirkungen auf die Schweiz haben können.

Gefahren aus dem strategischen Umfeld
Die Verminderung der Handlungsfreiheit der Schweiz in Bezug auf das geopolitische Umfeld ist eine reale Gefahr und hat langfristig strategisches Schadenspotenzial. Die traditionell starke Stellung der Schweiz als Wirtschafts- und Finanzstandort wird geschwächt und ihre politische Handlungsfreiheit vor allem in Bezug auf das engere Umfeld eingeschränkt.
Die Folgen der aktuellen Weltwirtschaftskrise sind unverändert vorhanden und können den Zusammenhalt in der Gesellschaft beeinträchtigen. Grosse Haushaltsdefizite und finanzielle Schwierigkeiten auch in Ländern im engeren Umfeld der Schweiz werden das internationale Finanzsystem weiter belasten.
Regionalkonflikte und der Zerfall staatlicher Strukturen können in mehreren Bereichen wie Migration, Terrorismus oder Proliferation vielfältige Auswirkungen auf die Schweiz haben. Die Aussage hat mit den Umwälzungen im arabischen Raum gegenüber dem Vorjahresbericht noch an Aktualität gewonnen.
Proliferationstätigkeiten - auch in der Schweiz - können sich künftig in Form von Massenvernichtungswaffen und weitreichenden Trägersystemen direkt auch gegen die Schweiz richten. Iran bleibt aus heutiger Sicht weiterhin das einzige Land, das in den nächsten Jahren neu über Trägersysteme verfügen dürfte, welche die Schweiz erreichen könnten.
Proliferationsaktivitäten, aber auch die Umtriebe von terroristischen oder kriminellen Organisationen und staatlichen Akteuren in der Schweiz gefährden den Werk- und Finanzplatz und setzen die Schweiz zusätzlich internationalem Druck aus.
Als Folge der zunehmenden Mobilität sind immer mehr Schweizer im Ausland Gefährdungen durch Attentate, Entführungen, Unruhen oder Naturkatastrophen ausgesetzt.
Die Abhängigkeit von Rohstoff- und Energieimporten macht die Schweiz auch künftig anfällig für Druckversuche durch die Interessenpolitik anderer Staaten. Die laufende Entwicklung in der arabischen Welt hat bisher bei den Energieimporten zwar zu Preissteigerungen, nicht aber zu Lieferengpässen geführt.

Direkte Bedrohungen
Die Bedrohung durch den Terrorismus ist heute nicht staatsgefährdend. Ein Anschlag in der Schweiz ist möglich. Insbesondere können Anschläge durch radikalisierte Einzeltäter nicht ausgeschlossen werden. Allfällige Überreaktionen darauf könnten das längerfristige Schadensausmass allerdings stärker bestimmen als der Anschlag selber. 2010 wurden gehäuft Terrorwarnungen in Europa ausgesprochen. Die Schweiz wurde im Rahmen der Anschlagsdrohungen nicht als Zielland genannt, und es ergab sich aus dem nachrichtendienstlichen Aufkommen kein Hinweis, dass die Schweiz von allfälligen Terrorakten direkt betroffen sein könnte.

Politische und wirtschaftliche Druckversuche aus dem Ausland sind Teil staatlicher und zwischen- respektive überstaatlicher Interessenpolitik. Sie können die Handlungsfreiheit der Schweizer Behörden einschränken und den nationalen Interessen schaden. Die Lage hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert.
Der verbotene Nachrichtendienst untergräbt die Souveränität des Staates. Wirtschaftsspionage kann aber auch die Konkurrenzfähigkeit von in der Schweiz angesiedelten Unternehmen schwächen und den Finanz- und Werkplatz gefährden.
Diese Bedrohung ist anhaltend hoch. Präventions- und Schutzmassnahmen im Bereich der Informations- und Informatiksicherheit, aber auch die klassische Vorsorge gegen verbotenen Nachrichtendienst bleiben damit wichtig.
Der Gewaltextremismus in der Schweiz führt zu lokalen Sicherheitsproblemen und gefährdet insbesondere im Bereich des gewalttätigen Links- und Rechtsextremismus die öffentliche Ruhe und Ordnung. 2010 stand vor allem der Linksextremismus im Fokus. Im April 2010 verhaftete die Polizei drei Linksextreme, die mutmasslich einen Anschlag gegen das Forschungslabor der IBM in Rüschlikon ZH geplant hatten. Die Folge waren linksextreme Solidaritätsaktionen mit Paketbombenanschlägen gegen verschiedene Botschaften in Athen (Griechenland) und Rom (Italien), darunter jeweils auch die schweizerische. Zu den Anschlägen bekannten sich lokale anarchistische Gruppierungen und gaben an, unter anderem aus Solidarität mit den im Zusammenhang mit dem Anschlagsversuch auf die Firma IBM in der Schweiz Inhaftierten gehandelt zu haben. Nach der Annahme der Ausschaffungsinitiative am 28. November 2010 entwendeten Vermummte eine Wahlurne und setzten sie in Brand, und ein Abstimmungslokal wurde Ziel eines Brandanschlags. Wie bei den Aktionen gegen die Ausschaffungsinitiative waren die Schweizerische Volkspartei (SVP) oder ihre Exponenten mehrmals im Visier von Linksextremen.
Kriminalität und Gewalt nehmen in der Schweiz auch im Berichtsjahr kein staatsgefährdendes Ausmass an. Die organisierte Kriminalität könnte strategische Bedeutung erlangen.
Die Schweiz ist weiterhin militärisch nicht bedroht. Ein Krieg in Europa, bei dem auch Schweizer Territorium berührt würde, ist bis auf Weiteres unwahrscheinlich. Dagegen kann sich eine Bedrohung aus entfernteren Regionen durch Massenvernichtungswaffen und weitreichende Trägersysteme bereits mittelfristig entwickeln.
Angriffe auf kritische Informationsinfrastrukturen (Cyberattacken) können andere Bedrohungsformen verstärken und potenziell systemgefährdende Ausmasse annehmen.
Am Beispiel des Computerwurms Stuxnet ist in den Medien im Jahr 2010 eine Problematik breit behandelt worden, die in Fachkreisen schon seit geraumer Zeit diskutiert wird. Seit 2005 weist die Melde- und Analysestelle Informationssicherung (MELANI) auf diese Bedrohung hin. Es geht dabei darum, dass über manipulierte Informatikprogramme, sogenannte Schadsoftware, nicht nur Computer, sondern ganze industrielle Steuerungen und damit unter Umständen auch lebenswichtige Prozesse und Abläufe manipuliert werden können. Es ist davon auszugehen, dass sich ähnliche Angriffe in Zukunft häufiger ereignen werden und auch die Schweiz betreffen könnten.
In diesem Zusammenhang hat der Bundesrat am 10. Dezember 2010 entschieden, Schutzmassnahmen gegen solche Angriffe auf die Schweiz zu verstärken. Eine Expertengruppe, in der auch der NDB vertreten ist, soll bis Ende 2011 eine gesamtheitliche Strategie des Bundes gegen Cyberbedrohungen ausarbeiten.


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Chef Kommunikation NDB
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