17. Rheintaler Wirtschaftsforum - "Arbeit, Leben, Leidenschaft: Eine Definition der Schweiz"

Widnau, 21.01.2011 - Rede von Bundesrat Didier Burkhalter - Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich danke Ihnen für Ihre Einladung ins St. Galler Rheintal zu kommen. Wir erhalten sehr viele Einladungen. Es gibt zwei Gründe, weshalb ich Ihre angenommen habe:

Erstens kommt es mir so vor, als wäre ich hier zu Hause. Im Fussball-Jargon würde man sagen, es sei ein „Heimspiel“. Meine Frau Friedrun Sabine, die mich heute begleitet, stammt ja aus dem nahen Vorarlberg und wir bilden zusammen eine «austro-helvetische» Familie, die einen Teil ihrer Wurzeln ein paar Kilometer von hier hat. Und ähnlich wie der Rhein, der hier durchfliesst, wissen wir nicht immer genau, wo die Grenze zwischen unseren beiden Ländern, unseren beiden Kulturen verläuft: mal zieht sie sich dem Fluss entlang, mal in etwas Entfernung auf der einen oder anderen Seite. Wir erleben diese Grenze − wie Sie sicher auch − weniger als Kluft denn als Naht.

Meine Frau und ich haben uns zwar nicht am Rhein, aber an den Ufern eines anderen „Kanals“ kennen gelernt, am Ärmelkanal. Wir trafen uns dort – wie es im Titel der heutigen Veranstaltung heisst – für die Arbeit (oder genauer gesagt, für die Vorbereitung auf das Arbeitsleben mittels eines Sprachkurses); es wurde daraus eine Begegnung fürs Leben mit Leidenschaft.
Übrigens ist eine «austro-helvetische » Familie ein klarer Vorteil wenn man gerne Ski fährt. Man kann praktisch fest damit rechnen, dass jemand von den eigenen Leuten auf dem Podest steht: am letzten Wochenende am Lauberhorn waren es sogar drei! Letzten Winter sah ich in Neuchâtel überall «Hopp Didier!»-Transparente. Ich freute mich, dass sich die Bevölkerung so stark mit ihrem neuen Bundesrat identifiziert. Meine Frau hat mich dann auf den Boden zurückgeholt: Die Transparente dienten zur Unterstützung von Didier Cuche bei der Olympiade. Und Didier hat auch gewonnen, allerdings nicht der Neuenburger Didier, sondern der Walliser Didier Defago!
Wie Sie vielleicht wissen, bin ich ein Fussball-Fan … Allerdings spreche ich hier im Rheintal, im Kanton St. Gallen lieber vom Skifahren, wie Sie bemerkt haben. Zwar liegen Ihr Club, der FC St. Gallen, und der FC Neuchâtel Xamax, den ich unterstütze, in hartem Wettstreit … aber leider geht es (zumindest in diesem Jahr) nicht um den Titel, sondern gegen den Abstieg. Das ist allerdings ein ehrenhafter Kampf, geht es doch um den Verbleib in der Fussballelite der Schweiz.

Der zweite Grund, weshalb ich Ihrer Einladung gerne gefolgt bin, um das Einleitungsreferat zu halten, ist der Folgende: Der Titel ihrer Tagung bezieht sich auf ein zentrales Element der Sozialpolitik unseres Landes, lässt aber gleichzeitig verschiedene Interpretationen zu. Ich hoffe nun nicht, dass Sie von mir erwarten, dass ich eine Wahl zwischen Arbeit, Leben und Leidenschaft für meine persönliche oder unsere kollektive Zukunft treffe.
 
Arbeit, Leben und Leidenschaft beschreibt das Leben eines Bundesrates sehr treffend! Das trifft natürlich auch auf viele andere Berufe zu, in denen man täglich, Arbeit und Leidenschaft erlebt. Schliesslich ist es aber auch eine gute Umschreibung unseres Landes: Arbeit ist ein wichtiger Wert in der Schweiz. Unser Land lebt und ist ein lebendiges Land, weil es mit Leidenschaft und mit viel Arbeit „konstruiert“ wurde!
Der Titel Ihrer Veranstaltung beschreibt die Schweiz, jene von gestern, die heutige und jene von morgen. Und jene Schweiz, die keine Angst vor den Herausforderungen der Zukunft hat.

Ich möchte heute deshalb über die Herausforderungen unseres Sozialsystems sprechen, über den Wandel seines nationalen und internationalen Umfeldes und über die notwendigen Reformen. Weil die soziale Sicherheit immer wieder überprüft und an neue wirtschaftliche und soziale Gegebenheiten angepasst werden muss, gilt das berühmte Diktum des französischen Publizisten Emile de Girardin „Gouverner c'est prévoir“ für die Weiterentwicklung dieses Systems in ganz besonderen Masse.

1. Das Sozialsystem hat einen lange, von Leidenschaft und Arbeit geprägte Geschichte erlebt

Wirtschaft, Gesellschaft, Demografie und soziale Sicherheit sind in ihren Entwicklungen stark miteinander verflochten und beeinflussen sich gegenseitig. Historisch gesehen führten die Agrarrevolution und die Industrialisierung im 19. Jahrhundert zu tief greifenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen.

 Landbesitz und eigene Nahrungsmittelproduktion konnten für die neu entstandene Arbeiterschaft die Existenz nicht mehr sichern. Zunächst übernahmen private Institutionen oder die Heimatgemeinden die Fürsorge für Menschen, welche durch ihre Arbeit oder ihre Familie ihre Existenz nicht sichern konnten.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts erliessen fast alle Kantone Fürsorgegesetze. Kinder, deren Familien nicht mehr für ihren Unterhalt aufkommen konnten, wurden „verdingt“, d.h. in fremden Familien platziert, wo sie häufig als billige Arbeitskräfte ausgebeutet wurden.

Auch die Sozialversicherungen waren eine Antwort auf die Situation der Industriearbeiterschaft, welche sich mit der Industrialisierung zu einer – auch in politischer Hinsicht – bedeutenden Bevölkerungsgruppe entwickelt hatte.

Der deutsche Reichskanzler von Bismarck führte Ende des 19. Jahrhunderts minimale Sozialversicherungen ein. In den USA baute Präsident Roosevelt nach der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre ein System der sozialen Sicherheit auf, das bereits bestehende öffentliche und private Versicherungen integrierte und ergänzte. In Grossbritannien schliesslich wurde während des zweiten Weltkriegs der «Beveridge-Plan» ausgearbeitet, auf dem die britische Sozialversicherungsgesetzgebung ab 1946 basiert.
Die Entwicklung in der Schweiz war zeitlich verzögert dazu. Das hat auch damit zu tun, dass unser Land − zum grossen Glück − von vielen Kriegen verschont blieb, die Europa und die Welt Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwüsteten. Ja, die Definition der Schweiz ist Arbeit – Leben – Leidenschaft, aber auch Frieden. Zwar wurden die Verfassungsgrundlagen für die Sozialwerke bereits in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschaffen (Militärversicherung als erste bereits 1874, die berufliche und private Vorsorge (2. und 3. Säule) als letzte 1972). In der Grundkonzeption übernahm die Schweiz verschiedene Grundelemente der ausländischen Vorbilder.

So wurde beispielsweise die AHV als Sozialversicherung im Sinne Bismarcks konzipiert, der für jedes Risiko eine eigene Sozialversicherung vorsah, gleichzeitig aber unter dem Eindruck des britischen Beispiels auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt und mit einer Grundsicherung in Form der Minimalrente ausgestattet.

Wesentlich ausgebaut wurde das System vor allem während der „Boomjahre“ der Nachkriegszeit. Es war eine Zeit stetigen Wirtschaftwachstums und  steigenden Wohlstands für alle Schichten der Bevölkerung.
 
Es herrschte Aufbruchstimmung und man machte sich an den Aufbau der schweizerischen sozialen Sicherheit in einem Umfeld, das von rosigen Zukunftsperspektiven geprägt war.

Die erste Erdölkrise Mitte der 70er-Jahre stellte einen ersten Einschnitt dar, der die Erwartung an eine ständige Verbesserung der Lebensumstände etwas in Frage stellte. Allerdings wurde sie mehr als Betriebsunfall denn als grundlegende Zäsur verstanden. Doch trotz der verschiedenen wirtschaftlichen Einbrüche seither wurden die Sozialversicherungen weiter reformiert und teilweise auch ausgebaut. Erwähnt sei hier die Einführung des Krankenversicherungsgesetzes, der Mutterschafts-Versicherung sowie der Familienzulagen auf Bundesebene.

 2. Wandel des nationalen und internationalen Umfeldes

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mehrere Beispiele aus jüngerer Zeit zeigen uns, wie wichtig es für ein Land ist, auf ein stabiles wirtschaftliches, finanzielles und soziales Umfeld zählen zu können. Ein Land funktioniert nicht mehr, wenn es zu wenig Arbeit hat, das Leben dadurch erschwert ist und die Leidenschaft sich unkontrolliert entlädt.

Der Bundesrat verfolgt mit Unterstützung des Parlaments und der Bevölkerung eine strikte Finanz- und Haushaltspolitik. Man hört manchmal – und glauben Sie mir: als Minister für Soziales, Gesundheit, Kultur und erst noch Bildung und Forschung höre ich es öfter als mir lieb ist! – man hört hie und da, die Schweiz übertreibe es mit der finanzpolitischen Zurückhaltung und würde besser, beinahe unbesehen, Ausgaben oder Investitionen in diesem oder jenem für prioritär erachteten Bereich tätigen. Ich höre oft sagen, dies seien „nicht Ausgaben, sondern Investitionen sind…

 Die aktuelle Lage in Europa zeigt uns, dass die Schweiz ihren sorgsamen Umgang mit den öffentlichen Finanzen nicht zu bedauern braucht. Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, welche die bekannten Kriterien von Maastricht erfüllen, die sich die Länder der Euro-Zone selbst auferlegt haben. Während andere Staaten, die gestern noch als Tiger oder Wirtschaftsmotoren galten, heute mehr als drastische Budgetkürzungen oder sogar finanzielle Rettungsaktionen durchführen müssen, kann sich die Schweiz den Luxus einer Diskussion über den 3 Milliarden hohen Überschuss in der Bundeskasse 2010 und dessen Verwendung leisten.

Diese Stabilität, auf die wir stolz und glücklich sein dürfen, hat nicht nur mit der Verwaltung der Staatsfinanzen zu tun. Der Blick auf andere Länder zeigt uns, wie wichtig die soziale Stabilität für die Stabilität eines ganzen Landes und für dessen Wirtschaft ist. Im Grunde hat sich die Schweizer Wirtschaft seit nahezu hundert Jahren ohne grössere Reibungen entwickeln können, gerade weil diese Entwicklung dem ganzen sozialen Gefüge zu Gute kam und nicht bloss einer kleinen «Elite». Und umgekehrt konnte die Schweiz ihr Sozialversicherungssystem ausbauen, weil eine flexible und dynamische Wirtschaft die finanziellen Grundlagen dafür schuf.

Die Zusammenstösse – manchmal schwerwiegender, manchmal gewalttätiger Natur – die in den letzten Monaten bzw. in den letzten Tagen in mehreren Ländern stattfanden, teils auf dem europäischen Kontinent, teils in Asien oder zuletzt im Maghreb: Diese Entwicklungen unterstreichen – oft auf grausame Weise – die Bedeutung einer Wirtschaft, die jedem eine Chance geben kann – ohne dass der Staat sich einzumischen hat  –  und die Rolle eines Staates, der mit seinem sozialen Netz dafür sorgt, dass niemand auf der Strecke bleibt. Unser «Arbeitsfriede» und unser «Gesellschaftsvertrag» sind die grossen Stärken  der Schweiz, die es zu bewahren gilt. Besser noch: unsere Aufgabe ist es, sie zu konsolidieren!

In der aktuellen Diskussion über die Weiterentwicklung der Sozialversicherungen werden verschiedene Entwicklungstrends angesprochen, die eine Herausforderung für die heutige und künftige Ausgestaltung der sozialen Sicherheit darstellen. Ich möchte einige Elemente aufgreifen, die mir besonders zentral erscheinen.
 

- Die Schweiz ist eines der „globalisiertesten“ Länder der Erde – dies zeigt der Globalisierungs-index der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Die Schweiz zieht daraus viele Vorteile und diese Öffnung muss weitergehen, das wissen Sie besonders gut hier in dieser Region, die so offen auf das benachbarte Österreich aber auch auf die übrige Welt blickt. Die Schweiz und ihre Unternehmen können weltweit nur bestehen, wenn sie weiterhin offen sind für den Austausch mit der ganzen Welt und auf Innovation, herausragende Qualität und hohe Wertschöpfung setzen. Dies bedeutet, dass auf dem Arbeitsmarkt weiterhin vor allem hochqualifizierte Arbeitskräfte gefragt sein werden. Dies ist eine Herausforderung für unser Bildungs- und Forschungssystem, das weiter mit der Weltspitze mithalten und junge Leute ausbilden muss, die hochqualifiziert und gleichzeitig äusserst flexibel sind. Vor diesem Hintergrund werden gut ausgebildete Fachleute auch weiterhin auf stabile Anstellungs-verhältnisse zählen können. Angesichts dieser Trends gilt es jedoch darauf zu achten, dass die weniger qualifizierten Personen nicht auf der Strecke bleiben. Jedermann darf  Arbeiten können und dadurch Leidenschaft ereben.

- In den vergangenen Jahrzehnten hat auch ein markanter Wandel in den Formen des Zusammenlebens stattgefunden. Hier sind zunächst die Abnahme der Heiraten und die Zunahme der Scheidungen zu erwähnen. Aus liberaler Sicht geht es nicht darum, die Lebensweise der Menschen zu beeinflussen. Jeder hat das Recht, sein Leben und seine Leidenschaften leben, auch ausserhalb der Arbeit. Es ist zu wünschen, dass die Leidenschaft möglicht lange anhält, aber dem ist nicht immer so. Allerdings hat diese Entwicklung erhebliche Konsequenzen für die soziale Sicherung. Zum einen muss die soziale Absicherung auch gewährleistet sein, wenn sich Paare scheiden lassen. In den letzten Jahrzehnten wurden die Sozialversicherungen diesem Umstand angepasst und zunehmend zivilstandsunabhängig ausgestaltet. Zum andern steigt mit einer Scheidung in der Regel der finanzielle Bedarf, da nun zwei Haushalte vom selben Einkommen leben müssen. Noch wenig beachtet wird die Tatsache, dass auch die zunehmende geografische Mobilität zu einer Veränderung familiärer Strukturen führt. Heute ist die praktische Unterstützung und im Bedarfsfall die Pflege der betagten Eltern durch ihre Kinder weit verbreitet.


Mit steigender räumlicher Distanz der Wohnorte von Eltern und Kindern wird die konkrete Unterstützung zunehmend erschwert, wenn nicht verunmöglicht. Diese räumliche Entfernung zu den Eltern und mithin zu den Grosseltern beeinflusst auch die Frage der Kinderbetreuung. Auch das sind Herausforderungen für unser Sozialsystem.

- Aufgrund der demografischen Entwicklung hat sich unsere Gesellschaft verändert und wird sich weiter verändern. Auf der einen Seite ist sie bedingt durch den deutlichen Geburtenrückgang. Obwohl die Entwicklung nicht linear verläuft, ist die Tendenz klar und weit verbreitet in Westeuropa. Auf der anderen Seite steigt unsere Lebenserwartung kontinuierlich an, was natürlich erfreulich ist, umso mehr als wir bei guter Gesundheit älter werden! Die demografische Alterung wird in der Schweiz deutlich durch eine starke Einwanderung gebremst. Vor allem sind dies hoch qualifizierte Arbeitskräfte, auf welche unsere Unternehmen angewiesen sind und die Nota Bene vom ersten Tag an unsere Sozialwerke mitfinanzieren.

Die demografische Alterung hat vielfältige Auswirkungen, von welchen hier lediglich drei erwähnt seien:
o Das Durchschnittsalter der Erwerbsbevölkerung steigt, was Auswirkungen auf die Art zu Arbeiten in den Unternehmen hat.
o In der AHV steigt das Verhältnis zwischen Rentenbeziehenden und Beitragszahlenden, was Reformen notwendig macht.
o Die Zahl der pflegebedürftigen Hochbetagten wird deutlich ansteigen.

Was die Entwicklung im Gesundheitswesen betrifft, so ist innerhalb des Systems eine Kostendynamik angelegt, die wir besser in den Griff bekommen müssen:

- Die medizinische Entwicklung führt zu immer neuen Diagnose- und Interventionsmöglichkeiten, welche in der Regel teurer, aber auch effizienter sind als die bisherigen.
- Die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen steigt. Wir gehen heute häufiger zum Arzt als früher und unsere Gesellschaft „konsumiert“ viele und immer mehr Leistungen im Gesundheitsbereich – nicht nur im Rahmen der obligatorischen Versicherung, deren Bedarf sich auf rund 25 Milliarden pro Jahr beläuft: der gesamte Gesundheitsmarkt in der Schweiz weist ein Volumen von ungefähr 60 Milliarden Franken auf.
- Ältere Personen benötigen häufiger medizinische Leistungen als jüngere. Die demografische Alterung führt deshalb zu einem Anstieg der Kosten.

Die Faktoren sind schwer zu kontrollieren, denn sie hängen einerseits von der medizintechnischen Entwicklung – und wir wollen, dass weiterhin alle Einwohner unseres Landes Zugang zu den besten und modernsten Behandlungen haben – und andererseits von der Entwicklung der Gesellschaft ab. Der Hebel muss anderswo angesetzt werden, namentlich bei der Effizienz des Gesundheitssystems. Es ist unbestritten, dass unser Gesundheitssystem qualitativ hochstehend ist, die Effizienz aber deutlich verbessert werden kann. Mit anderen Worten, eine bessere Versorgung ist ohne höhere Kosten, oder sogar zu tieferen Kosten möglich. Dies wird es uns erlauben, den Mehraufwand aufgrund der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts zu absorbieren, ohne dass die Gesundheitsausgaben zu einer unerträglichen Last für die Familien werden. Das Ziel wären Aufschläge, die zwischen 2 und 4% variieren, aber nicht von Jahr zu Jahr explosionsartig steigen.
 
 
4. Antworten auf die Herausforderungen

Die Existenzsicherung muss – wie erwähnt – in erster Linie durch Erwerbsarbeit erfolgen. Vorgelagert vor der eigentlichen sozialen Sicherheit sind deshalb alle Massnahmen, welche dazu dienen, möglichst allen eine solche Erwerbsarbeit zu ermöglichen.

Zu allererst muss natürlich das Bildungssystem erwähnt werden, das jeden jungen Menschen befähigen soll, in der Folge eine qualifizierte Anstellung zu finden. Wir müssen deshalb in den Bereichen höhere Berufsbildung, Forschung und Entwicklung unseren Platz im globalen Spitzenfeld behaupten. Unsere Hochschulen, Universitäten und ETH sind im internationalen Wettstreit sehr gut positioniert: 50% der Schweizer Studierenden besuchen eine der 200 besten Universitäten weltweit! Dieser Wert liegt weit über jenem der USA, der bei 20% liegt. Wir alle wissen – und der F.C. St. Gallen wie auch Neuchâtel Xamax wissen es noch besser! – es ist sehr schwierig, an die Spitze des Klassements vorzudringen – egal, ob es sich dabei um die Super League oder die weltweit besten Bildungs- und Forschungszentren handelt! Noch schwieriger ist es allerdings, ganz oben zu bleiben: Dies erfordert tagtäglich neue Anstrengungen, den Kampf mit sich selbst, um jeden Tag den Willen zu steigern, noch besser zu sein, wenn man bereits an der Spitze seht.

Das ist es, was die Schweiz tun muss; sie hat die Mittel dazu, wenn sie es will, aber sie wird kämpfen und investieren müssen, um sich gegenüber neuen Schwellenmächten wie Brasilien oder China ( um nur diese zu nennen) zu positionieren und damit unter den 10 innovativsten Ländern mit der weltweit besten Forschung und Bildung zu bleiben! Dies ist der Grund, weshalb der Bundesrat den Investitionen im Bereich Bildung, Forschung und Innovation den Vorrang geben will.

Das liberale Wirtschaftssystem der Schweiz bietet einen sehr dynamischen und hochflexiblen Arbeitsmarkt: Dies ist ein Plus, weil wir damit die Unternehmensgründung und die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern. Es ist kein Zufall, dass die Länder mit der höchsten Arbeitslosigkeit – insbesondere unter Jugendlichen – auch jene mit den am stärksten reglementierten Arbeitsmärkten sind. Nicht so in der Schweiz, wo die Wirtschaft stark integrierend wirkt. Den Menschen eine Beschäftigung zu bieten, ist im Grunde die beste Art von Sozialpolitik! Diese Errungenschaften gilt es zu erhalten.
 
Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen von uns und wir müssen wieder lernen – durch die Partnerschaft innerhalb der Sektoren oder durch Eigenverantwortung – Entscheide zur Selbstregulierung zu treffen, insbesondere in der Wirtschaft. Wir müssen uns dem Trend widersetzen, der nach immer mehr Regulierung, Beschränkung, Kontrolle, Gesetzgebung oder Risikoabfederung durch den Staat verlangt: in vielen Bereichen ist eine Selbstregulierung viel flexibler, wirkungsvoller und kostengünstiger. Voraussetzung dafür ist ein Klima des Vertrauens zwischen den Partnern: zwischen Sozialpartnern oder zwischen Partnern des öffentlichen und privaten Sektors.

Ungeachtet der Effizienz eines Wirtschaftssystems, das seine Dynamik unter Beweis gestellt hat, ist es Sache des Staates zu intervenieren, damit jene, die am Rande der Gesellschaft stehen, sich nach Möglichkeit wieder eingliedern können.

Ich möchte drei Massnahmen erwähnen, die mir wichtig scheinen und die mit Arbeit, Leben und Leidenschaft zu tun haben:


1. Familien erzielen manchmal selbst bei Erwerbstätigkeit kein genügendes Einkommen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und Kinder – an sich etwas Wunderbares – treiben die Lebenskosten weiter in die Höhe und die damit verbundenen Betreuungspflichten setzen einer möglichen Berufstätigkeit Grenzen. Das ist das Phänomen der Working Poor. Diesbezüglich sind verschiedene Massnahmen getroffen worden oder im Gespräch: Das Bundesgesetz über die Familienzulagen ist am 1. Januar 2009 in Kraft getreten. Eine Vorlage zur Ausweitung der Familienzulagen auf Selbständigerwerbende ist in Diskussion. Die Kantone sind bereit, für die Einführung von ergänzenden Leistungen für armutsgefährdete Familien besorgt zu sein. Ziel ist es zu verhindern, dass Armut «vererbt» wird und sicherzustellen, dass die Kinder aus diesen Familien sich ausbilden und in den Arbeitsmarkt integrieren können.

2. Die zweite zentrale Massnahme zielt auf die verbesserte Reintegration von armutsgefährdeten und armutsbetroffenen Personen in den Arbeitsmarkt ab. Der Bundesrat hat entschieden, bei der Umsetzung der nationalen Strategie zur Bekämpfung der Armut hierauf das Schwergewicht zu legen und setzt sich ausdrücklich auch für eine verstärkte interinstitutionelle Zusammenarbeit ein.

Wir wollen die Schnittstellen von Arbeitslosenversicherung, Invalidenversicherung und Sozialhilfe stärken. Es braucht individuelle, auf die Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnittene Lösungen, egal ob diese der Arbeitslosenversicherung, der IV oder der Sozialhilfe unterstellt sind.

3. Es ist sehr wichtig, dass auch für Jugendliche ohne Berufsabschluss ein geeignetes Angebot bereitgestellt wird, welches ihnen hilft, später doch noch einen Abschluss zu erwerben. Denn ohne einen solchen haben sie eine höhere Wahrscheinlichkeit, über längere Zeit auf Unterstützungsleistungen angewiesen zu sein oder in späteren Lebensphasen armutsgefährdet zu bleiben. Es ist deshalb wichtig, die Idee einer zweijährigen Grundbildung zu fördern. Jugendliche mit schulischen, sozialen oder sprachlichen Schwierigkeiten brauchen eine Chance um in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

Soziale Sicherheit
Was unser Sozialversicherungssystem angeht, so gilt es dieses an die Herausforderungen unserer Zeit anzupassen. Wir haben dieses Sozialsystem, das klug konzipiert, solide und praktisch vollständig ist, ohne erdrückend zu sein, über mehrere Jahrzehnte hinweg aufgebaut. Heute obliegt es uns, dieses Werk im Lichte der erwähnten sozialen und demografischen Entwicklungen zu konsolidieren.
Unsere Gesellschaft lebt und entwickelt sich. Auf die Zeit des Aufbaus folgt nun die Zeit der Konsolidierung: Eine Arbeit, die mit Leidenschaft anzugehen ist.

Dabei müssen wir nicht nur den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung tragen, sondern müssen in den Sozialversicherungen Mechanismen einbauen, welche Veränderungen selbständig auffangen können. Dabei denke ich an zwei Dinge: Zum einen müssen die Sozialversicherungen so ausgestaltet werden, dass sie bei vielfältigen Lebens- und Arbeitsformen einen genügenden Schutz bieten. Entsprechende Anpassungen wurden bereits vorgenommen, beispielsweise die bereits erwähnte zivilstandsneutrale Ausgestaltung vieler Leistungen.
Zum andern muss in den Sozialversicherungen ein Mechanismus eingebaut werden, welcher eine mindestens teilweise finanziell stabilisierende Wirkung hat: eine Art Schuldenbremse.

Seit langem ist klar, dass in der Altersvorsorge sowohl die AHV wie auch die Berufliche Vorsorge an die demografische Entwicklung angepasst werden müssen. Das Parlament hat nach langen Beratungen letztes Jahr in der Schlussabstimmung die 11. AHV-Revision abgelehnt. Sie ist letztlich an der Allianz zwischen jenen gescheitert, denen die Revision zu weit ging und jenen, denen die Revision nicht weit genug ging.
Um die reibungslose Durchführung der Versicherung zu gewährleisten, hat der Bundesrat sofort die unbestrittenen und technischen Aspekte der Revision als neue Vorlage dem Parlament unterbreitet.

Wir wissen aber mit Sicherheit, dass es aufgrund der demografischen Entwicklung grundlegende Anpassungen in der AHV braucht. Klar ist, dass sich die finanzielle Situation der AHV in den kommenden Jahren verschlechtern wird. Wir dürfen allerdings nicht mit Handeln zuwarten, bis diese Verschlechterung eintritt: In der «Flotte» der Sozialversicherungen ist das Schiff AHV von seiner Grösse her mit einem „Supertanker“ zu vergleichen: das lässt sich nicht steuern wie eine leichte Fregatte, man muss die Hindernisse antizipieren und das Ruder weit im Voraus drehen, um den Kurs zu korrigieren. Will man verhindern, dass die AHV einen Schuldenberg anhäuft, der in wenigen Jahren auf 50 Milliarden anwachsen könnte,  gilt es in naher Zukunft zu handeln.

Den Prognosen zufolge werden die Probleme Ende dieses Jahrzehnts einsetzen. Es bleiben uns also einige Jahre, um mit den Sozialpartnern Bilanz zu ziehen, unsere Prognosen zu verfeinern und uns bezüglich der Analyse zu einigen, damit wir dem Parlament und gegebenenfalls dem Stimmvolk bis Mitte des Jahrzehnts Massnahmen vorschlagen können.
Ich freue mich, dass sich die Parteien und insbesondere die Sozialpartner bereit erklärt haben, bei diesen vorbereitenden und zukunftsorientierten Arbeiten mitzuwirken, die noch dieses Jahr beginnen werden.

In der beruflichen Vorsorge (BVG) sind ebenfalls Massnahmen erforderlich, denn das heutige System kann die Deckung der Renten durch das vorhandene Kapital früher oder später nicht mehr gewährleisten. Hier besteht das Risiko einer zunehmenden Umverteilung von den jüngeren Beitragszahlenden zu den älteren Rentnerinnen und Rentner. Dies ist besonders heikel in einem System, welches durch das Kapitaldeckungssystem finanziert ist. Das Parlament hat dieses Jahr eine Strukturreform in diesem Bereich des BVG verabschiedet, die es erlaubt, Massnahmen zu treffen, welche Risiken im System abbauen und damit das Vertrauen der Bevölkerung stärken sollen. Dazu gehört die Stärkung der Aufsicht, die Schaffung einer Oberaufsichtskommission auf Bundesebene, die Verstärkung der Transparenz- und Gouvernanz-bestimmungen sowie eine Kodifizierung der Anlagestiftungen.

 Der Bundesrat wird Ende dieses Jahres einen umfassenden Bericht zum Zustand der 2. Säule und zu den erforderlichen Reformen vorlegen, für diesen Sommer ist somit eine Vernehmlassung zum Entwurf des Berichts geplant. Mit der letztjährigen Volksabstimmung hat die Bevölkerung signalisiert, welches Vorgehen sie nicht wünscht und welche Verbesserungen erwartet werden. Wir haben die Botschaft verstanden und die Strukturreform nimmt einen Teil dieser Anliegen auf, indem Aufsicht und Transparenz verstärkt werden. Allerdings bleiben die Probleme des BVG mit dieser Abstimmung ungelöst und das Projekt muss neu aufgegleist werden.

Die Invalidenversicherung endlich ist seit längerem das Sorgenkind unter den Sozialversicherungen. Während Jahren verzeichnete dieser Sozialversicherungszweig bedeutende Defizite, welche sich per Ende 2010 auf rund 15 Mrd. Fr. kumuliert haben. Mit der 5. IV-Revision konnte nun das Defizit stabilisiert und die Anzahl neuer Renten deutlich reduziert werden. Ich kann Ihnen heute die Zahl der Neurenten 2010 mitteilen, die rund 14'900 beträgt.

Das bedeutet, dass die Zahl der neuen Renten dank der Wiedereingliederungsmassnahmen im Rahmen der 4. und 5. IV-Revision seit dem «Rekordjahr» 2003 um 47% gesenkt werden konnte.
Mit der befristeten Erhöhung der Mehrwertsteuer, welche am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist und bis 2017 weiter bestehen soll, weist die Versicherung eine ausgeglichene Rechnung aus. Dies schafft den Raum für eine nachhaltige Sanierung der IV im Rahmen der 6. IV-Revision. Der Bundesrat hat diese Vorlage in zwei Teile gesplittet. Teil 6a wurde mittlerweile von beiden Kammern verabschiedet und die Differenzbereinigung dürfte in der nächsten Session stattfinden, so dass das Vorhaben, unter Vorbehalt des Referendums, 2012 in Kraft gesetzt werden kann.

Diese Revision beinhaltet eine Reihe von Massnahmen, welche die Leistungs- und Erwerbsfähigkeit der Rentenbezügerinnen und –bezüger erhöhen und damit die Wiedereingliederung fördern sollen. Dazu erhalten die IV-Stellen ein Massnahmenpaket, welches sie angepasst auf die individuelle Situation der Rentnerinnen und Rentner einsetzen können. Für Arbeitgeber ist dabei wesentlich, dass sie bei einer Anstellung einer Person, welche bis jetzt eine IV-Rente bezogen hat, keine Nachteile erleiden, wenn die Wiedereingliederung letztlich scheitern sollte. Auch die versicherte Person erhält die Gewähr, dass sie auf keinen Fall schlechter gestellt wird, wenn sie den Versuch wagt, eine Stelle anzutreten. Des Weiteren gibt der Assistenzbeitrag den Menschen eine grössere Autonomie: Sie bekommen eine Hilfe, um zu Hause zu leben, statt in ein Heim zu müssen. Weitere Massnahmen zielen u.a. darauf ab, die Kosten für Hilfsmittel für die IV zu senken, welche die Versicherung künftig in Vergabeverfahren beschaffen können soll.

Zum Teil 6b ist das Vernehmlassungsverfahren abgeschlossen worden. Im Rahmen dieser Revision schlägt der Bundesrat unter anderem die Einführung eines stufenlosen Rentensystems vor. IV-Rentnerinnen und –Rentner müssen damit nicht mehr eine Reduktion des verfügbaren Einkommens gewärtigen, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit ausdehnen oder sich ihr Lohn erhöht. Weiter soll die Eingliederung durch verschiedene Massnahmen weiter verstärkt werden.

In 14 Tagen werden wir den Regierungsparteien im Rahmen der Von-Wattenwyl-Gespräche die finanzielle Situation dieser wichtigen Versicherung erläutern. Es geht darum, eine Zwischenbilanz der getroffenen Hauptmassnahmen zu ziehen. Auch soll bei dieser Gelegenheit die Bedeutung der künftigen Reformen unterstrichen werden, um diese Versicherung in die richtigen Bahnen zu lenken. Alle tragen Verantwortung dafür, die IV wieder ins Lot zu bringen, und die Unternehmen sind besonders gefordert, aktive Massnahmen zu treffen, damit  invaliditätsgefährdete Personen, mit der Unterstützung durch die IV-Stellen, ihren Arbeitsplatz behalten können. Ihre Anstrengungen braucht es auch, um bereits verrentete Personen, die Aussicht auf Wiedereingliederung haben, in den Arbeitsprozess einzugliedern.

Die IV-Revision 6a sieht ein ganzes Arsenal von Massnahmen vor, die es den Unternehmen erlauben, dies ohne Risiko ihrerseits oder seitens der betroffenen Personen zu tun. Aber auch die Verwaltung muss ihren Beitrag leisten: Das Departement des Innern hat ein Konzept entwickelt und wird spezifische Massnahmen ergreifen, um mehr Menschen mit Behinderung zu integrieren. Auch hier ist die Verantwortung jedes Einzelnen gefordert, wie das in unserem Land so erfolgreich Tradition hat.

Lassen Sie mich bevor ich zum Schluss komme noch ganz kurz auf das Gesundheitswesen eingehen. Auch hier steht der Mensch im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Die Herausforderung besteht darin, die Menschen besser zu versorgen und besser zu behandeln. Wir wollen die Qualität des Gesundheitssystems systematisch verbessern. Wir wollen die Transparenz, die Effizienz und das Vertrauen steigern. So werden wir auch die Kosten eindämmen, dank erhöhter Effizienz und einer besseren Organisation des Systems. Die Strategie, um dies zu erreichen, basiert auf drei Achsen.

1. Achse: Zur Stärkung der Aufsicht: Der Bundesrat ist sich einig, dass die Aufsicht über die soziale Krankenversicherung zu stärken ist, denn der bisherige rechtliche Rahmen ist ungenügend. Ziel ist es, die Transparenz zu erhöhen und damit auch das Vertrauen in die soziale Krankenversicherung wieder herzustellen.

2. Achse: Kurzfristige Sparmassnahmen: Als Beispiel sei hier der Spitalbeitrag erwähnt. Patienten zahlen neu bei einem Spitalaufenthalt für die Verpflegung 15 statt 10 Franken. Durch diese moderate Erhöhung – der Beitrag wurde seit Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes 1996 nie angepasst und bisher nur bei Ledigen erhoben – kann die soziale Krankenversicherung um rund 120 Millionen Franken entlastet werden. Diese Massnahme scheint mir insofern gerechtfertigt, als Personen bei einem Spitalaufenthalt weniger Haushaltsausgaben haben, vor allem fürs Essen. Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen sind ausgenommen. Diese Massnahme ist − wie auch die teilweise Erstattung der Kosten für Sehhilfen – keine isolierte Massnahme, sondern Teil eines ganzen Pakets, das Einsparungen in der Höhe von nahezu 700 Millionen ab diesem Jahr und von fast einer Milliarde bis 2015 ermöglichen soll.

3. Achse: Kurzfristigen Massnahmen sind wichtig. Am wichtigsten sind aber die mittel- und langfristigen Reformen im Gesundheitswesen. Nur tiefgreifende Reformen werden es ermöglichen, die Kostenentwicklung einzudämmen und dabei die Qualität dennoch weiter zu verbessern. Kurz erwähnt seien hier der Risikoausgleich, den wir verbessern und verfeinern werden, und „Managed Care“ – eine verbesserte Qualität der Behandlung dank integrierten Versorgungsnetzen mit geführten Behandlungspfaden und Qualitätskontrollen.

 Unser Ziel ist es, das System besser zu lenken, um eine bessere Versorgung zu erreichen und die Kostenspirale in den Griff zu bekommen. Der Wille, die Telefonkaltwerbung und die Maklergebühren zu beschränken, ist ein Beispiel für diese Strategie. Wie Sie wissen, hat santésuisse gestern eine entsprechende Vereinbarung vorgestellt, die vom EDI inspiriert wurde. Durch diese Massnahme versprechen wir uns Einsparungen für die Versicherten im Umfang von 60 bis 100 Millionen Franken.

In den drei ersten Quartalen 2010 wurden eine Stabilisierung der Preise für Arzneimittel und ein starker Rückgang der Kosten für Analysen in den Arztpraxen verzeichnet. Der starke Rückgang der Kosten für Analysen in den Arztpraxen ist eine Folge der revidierten Analyseliste. Im Vergleich zur Vorjahresperiode sind diese Ausgaben um fast 16% gesunken. Der sehr tiefe Anstieg der Arzneimittelkosten ist ebenfalls auf das entsprechende Massnahmenpaket des Bundes zurückzuführen. Bei den Arzneimitteln haben wir kürzlich weitere Massnahmen verabschiedet, die ab diesem Jahr – und vermehrt noch in den kommenden Jahren – einen zusätzlichen Druck auf die Preise ausüben werden. Anhaltend stark sind die Erhöhungen 2010 dagegen im ambulanten Bereich und bei der Spitex, was die Notwendigkeit betont, die Reformen fortzuführen. Im dritten Quartal 2010 betrug die durchschnittliche Kostensteigerung gegenüber 2009 2,6%.
5. Schluss
Sie sehen, die Herausforderungen sind in allen Bereich sowohl mittel- als auch längerfristig gross und komplex. Die Diskussionen um die Lösungen werden dabei sicher nicht einfach sein. Unsere Verantwortung ist es, dieses System zu steuern, zu reformieren und zu konsolidieren.

Die soziale Sicherheit und unser Gesundheitssystem verkörpern eine Solidarität zwischen wirtschaftlich besser und wirtschaftlich schlechter Gestellten, zwischen Personen, die vom Glück begünstigt sind und solchen, bei denen das Risiko eingetreten ist, und zwischen der jüngeren und der älteren Generation. Sie baut auf dem breiten gesellschaftlichen Konsens auf, dass spezifische Lebensrisiken sozial abgedeckt werden sollen. Diese Solidarität gilt es aufrecht zu erhalten. Man kann da und dort noch etwas ergänzen oder verschieben, weil sich die Gesellschaft verändert, aber im Grossen und Ganzen ist unser Sozialsystem gebaut. Unsere Verantwortung ist es, das System zu konsolidieren, nicht, es immer weiter auszubauen.

Wir wissen, dass unser System aufgrund des demografischen Wandels Reformen braucht. Wir müssen Antworten auf diese Herausforderungen finden, sonst verschieben wir die Probleme bloss in die Zukunft.

Ich bin überzeugt, dass das Erfolgsmodell Schweiz seinen Erfolg wesentlich dem Grundkonsens und der Solidarität in diesem Land verdankt. Die Soziale Sicherheit auf die neuen Herausforderungen auszurichten, ist in diesem Sinne eine Verantwortung gegenüber unserem Land und unseren Kindern. Denn ja: „Gouverner c’est prévoir“ und Vorausschauen heisst, seine Verantwortung wahrnehmen.

Ich habe im Rahmen meiner Ausführungen verschiedene – sehr schweizerische – Werte angesprochen: Verantwortung, persönliche Freiheit, Vertrauen, Partnerschaft, Leistungsbereitschaft. Ich bin überzeugt: wenn wir uns an diese Werte halten, die der Kitt der Schweiz sind, wird dies weiterhin ein wunderschöner Ort sein, wo es sich gut leben lässt, wo alle eine Arbeit finden und wo man weiter mit Leidenschaft leben kann!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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