Schweizer Wirtschaft vor Konjunkturabkühlung

Bern, 14.12.2010 - Konjunkturtendenzen und Prognosen der Expertengruppe - Konjunkturprognosen des Bundes – Winter 2010/2011*. Trotz der bislang noch lebhaften Wachstumsdynamik der Schweizer Wirtschaft verdichten sich die Anzeichen einer Verschlechterung der Exportentwicklung und einer damit verbundenen Konjunkturabkühlung im nächsten Jahr. Dank einer anhaltend robusten Konjunktur im Inland dürfte die Abschwächung aber relativ mild verlaufen. Die Expertengruppe des Bundes prognostiziert eine Verlangsamung des BIP-Wachstums von 2,7% 2010 auf 1,5% 2011. Unter der Voraussetzung einer allmählichen Verbesserung der aussenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen dürfte das Wachstum 2012 langsam wieder an Schwung gewinnen (+1,9%). Die wenig gefestigte weltwirtschaftliche Situation, die weiterhin angespannte Lage an den Finanzmärkten und die ungelöste Verschuldungsproblematik vieler Industrieländer bergen indes erhebliche Risiken für die Konjunkturentwicklung 2011 und 2012.

Internationale Konjunktur
Die weltwirtschaftliche Erholung nach der grossen Rezession verläuft bislang sehr heterogen. Während vor allem zahlreiche Schwellenländer 2010 eine hohe Wachstumsdynamik erzielten, kommt in den Industrieländern die konjunkturelle Erholung mehrheitlich nur langsam voran. In den USA kam das Wachstum im Jahresverlauf 2010 zwar nicht, wie zeitweilig befürchtet, wieder zum Erliegen, doch ist die Wirtschaftserholung bislang zu schwach, um eine Verbesserung der desolaten Arbeitsmarktlage herbeizuführen. Für die EU kann gesamthaft von einer moderaten Konjunkturerholung gesprochen werden, bei allerdings markanten Divergenzen zwischen den einzelnen Ländern. Insbesondere die Wirtschaft Deutschlands erholt sich bislang kräftig und übernimmt die Rolle der Konjunkturlokomotive im Euroraum. Demgegenüber wird in den von der Staatschuldenkrise besonders betroffenen Peripherieländern des Euroraums (Griechenland, Irland, Portugal sowie Spanien) die Wirtschaftsentwicklung durch stark gestiegene Zinsen und einschneidende fiskalische Konsolidierungsmassnahmen stark belastet.

Die Staatsschuldenkrise im Euroraum hat sich in den letzten Wochen weiter zugespitzt. Irland sah sich angesichts der desolaten Situation seines Bankensystems und seiner Staatsfinanzen zur Inanspruchnahme des EU/IWF-Rettungsschirms veranlasst, und an den Finanzmärkten nahm das Misstrauen in die Peripherieländer generell wieder zu. Eine nachhaltige Entspannung der Krise ist nicht in Sicht. Dies nicht zuletzt, weil in den betroffenen Ländern zumeist auch die wirtschaftlichen Wachstumsperspektiven für die nächsten Jahre ungünstig sind, wodurch eine Bewältigung der Schuldenprobleme aus eigener Kraft massiv erschwert wird. Von daher ist zu befürchten, dass das Vertrauen der Finanzmärkte in die Staatsfinanzen der Euro-Peripherie angekratzt bleiben wird und selbst ein Übergreifen der Krise auf weitere Länder nicht ausgeschlossen werden kann. Jedoch würde wohl die europäische Wirtschaftspolitik gegebenenfalls einer weiteren Ausbreitung der Krise durch starke Gegenmassnahmen begegnen, um den unkalkulierbaren Risiken einer weiteren Eskalation der Spannungen im Euroraum mit der Gefahr eines Revivals der Finanzkrise vorzubeugen. Nach Ansicht der Expertengruppe ist deshalb eine gewisse Eindämmung der europäischen Staatsschuldenkrise in den nächsten Jahren, ungeachtet der langfristig ungelösten Probleme, relativ wahrscheinlich. Damit dürften auch die negativen Effekte auf die Konjunkturentwicklung des Euroraums 2011-2012 insgesamt relativ begrenzt bleiben, sieht man von den direkt betroffenen Krisenländern ab.

Die Expertengruppe geht für 2011 von einer Fortsetzung der mässigen Wachstumsdynamik in der EU bei weiterhin grossen Länderdivergenzen aus. Die US-Wirtschaft dürfte angesichts der anhaltenden Schwäche des Immobilienmarktes und der gedämpften Aussichten für den privaten Konsum im kommenden Jahr ebenfalls nur moderat wachsen. Eine anziehende Konjunkturdynamik und eine beginnende Verbesserung der Arbeitsmarktlage kann sowohl für die USA als auch für die EU bestenfalls erst im Verlauf von 2012 erwartet werden. Deutlich positive Impulse für die Weltwirtschaft dürften dagegen weiterhin von den Schwellenländern ausgehen, wenngleich auch hier die Risiken für eine instabilere Wirtschaftsentwicklung zugenommen haben; so verzeichnen viele Schwellenländer starke Kapitalzuflüsse, welche zu einer übermässigen, exportschädigenden Währungsaufwertung oder (im Fall einer Wechselkursstabilisierung) einer Blasenbildung auf den heimischen Finanzmärkten führen können.

Konjunkturprognose Schweiz
Die Schweizer Wirtschaft kam relativ glimpflich durch die Rezession 2009 und verzeichnete 2010 eine kräftige Erholung. Für das Gesamtjahr 2010 zeichnet sich ein starkes Wirtschaftswachstum von 2,7% ab. Gleichwohl sind erste Tendenzen für eine Abschwächung auszumachen. Zwar wuchs die Wirtschaft zwar auch im 3. Quartal 2010 nochmals lebhaft (+0,7% gegenüber Vorquartal resp. +3,1% gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal), allerdings zeigten sich nicht unerwartet erste Rückschläge beim Export. So ist bei den Warenexporten bereits eine klare Tendenz nach unten (Rückgang im 3. Quartal) auszumachen. Die Konjunkturumfragen zeigen seit einigen Monaten erste Signale einer leichten Stimmungsverschlechterung bei den Unternehmen und Konsumenten. Bislang sind die negativen Tendenzen bei den Frühindikatoren aber noch wenig ausgeprägt, was gegen einen schnellen ausgeprägten Abschwung spricht.

Die im internationalen Vergleich relativ gute makroökonomische Situation der Schweiz (bezüglich Wachstum, Staatsfinanzen, Arbeitslosigkeit) hat zu einer deutlichen Höherbewertung des Schweizer Frankens an den Devisenmärkten beigetragen. Betraf die Aufwertung anfänglich vor allem den Euro, hat sie sich seit dem Sommer auf weitere wichtige Währungen (namentlich den US-Dollar) ausgedehnt. Der handelsgewichtete reale Wechselkursindex des Frankens befindet sich im Herbst 2010 auf dem höchsten Stand seit Mitte der 1990er-Jahre. Zwischen August 2008 und November 2010 beträgt die Aufwertung gemessen an den handelsgewichteten realen Wechselkursindex gut 14%, davon fast die Hälfte seit Anfang 2010. Diese starke Aufwertung dürfte nach den Erfahrungen der Vergangenheit in den kommenden Quartalen noch verstärkt bremsend auf das Exportwachstum durchschlagen, zumal sich auch die internationalen Konjunkturperspektiven relativ verhalten präsentieren.

Als Folge der aussenwirtschaftlichen Dämpfung rechnet die Expertengruppe, wie bereits in der letzten Prognose von September, für 2011 mit einer spürbaren Konjunkturabkühlung in der Schweiz. Dank einer anhaltend robusten Konjunktur im Inland dürfte die Abschwächung insgesamt aber in relativ mildem Rahmen verlaufen. Für das BIP-Wachstum im Jahr 2011 wird neu eine Verlangsamung auf 1,5% prognostiziert, was leicht über der bisherigen Prognose (+1,2%) liegt. Der private Konsum, bei dem in den letzten Quartalen eine leichte Verlangsamungstendenz festzustellen war, dürfte durch höhere Löhne und die weiterhin - wenn auch langsamer - stattfindende Zuwanderung gestützt werden. Die Bauinvestitionen dürften auch weiterhin von den tiefen Zinsen profitieren können, ihren Wachstumszenit aber überschritten haben. Bei den Ausrüstungsinvestitionen könnten die eingetrübten Absatz- und Ertragsaussichten der (exportorientierten) Unternehmen im kommenden Jahr zu einer Verlangsamung führen.

Der weitere Ausblick für das Jahr 2012 hängt vor allem an der weltwirtschaftlichen Verfassung und an der Wechselkursentwicklung. Unter den Annahmen erstens einer langsam Fahrt aufnehmenden internationalen Konjunktur sowie zweitens keines neuerlichen Aufwertungsschubs des Frankens wird das Schweizer Exportwachstum wieder an Schwung gewinnen können. Die positiven Impulse schlagen allerdings gewöhnlich erst mit Verzögerung auf die Binnenkonjunktur durch. Somit dürfte sich die Beschleunigung des BIP-Wachstums 2012 auf 1,9% in Grenzen halten. Vor dem Hintergrund der grossen Unsicherheiten an den internationalen Finanzmärkten erscheint es zudem fraglich, ob der Finanzsektor in der Schweiz in den nächsten Jahren auch nur annähernd an die hohen Wertschöpfungszuwächse der Boom-Jahre vor der Krise (2004-2007) anknüpfen können wird.

Die Arbeitsmarktsituation hat sich in der Schweiz im bisherigen Jahresverlauf langsam aber stetig verbessert. Die Beschäftigung nahm in den ersten drei Quartalen jeweils zu, und die (saisonbereinigte) Arbeitslosenquote sank seit Anfang 2010 von 4,1% auf 3,6% Ende November. In den kommenden Monaten könnte der Rückgang bei der Arbeitslosigkeit noch weiter anhalten, im Verlauf von 2011 dürfte aber die Luft für eine weitere Verbesserung am Arbeitsmarkt angesichts des erwarteten tieferen BIP-Wachstums zunehmend dünn werden. Für die Arbeitslosenquote werden Jahresdurchschnittswerte von 3,8% für 2010, 3,4% für 2011 und ebenfalls 3,4% für 2012 prognostiziert.

Konjunkturrisiken
Negative Prognoserisiken bestehen vor allem für das internationale Konjunkturumfeld; diese haben sich in den letzten Monaten eher noch erhöht. An erster Stelle sind hier die Unwägbarkeiten über eine weitere Eskalation der europäischen Schuldenkrise zu nennen. Daneben aber auch der fragile Zustand der US-Konjunktur. Dieser hat die amerikanische Zentralbank zu einer weiteren geldpolitischen Expansion ("Quantitative Easing II") veranlasst, die jedoch potenzielle Gefahren birgt - wie z.B. neue Spekulationsblasen an den Finanzmärkten oder zunehmende Währungskonflikte zwischen den Ländern. Die zahlreichen weltwirtschaftlichen Schwachpunkte bergen für die Schweiz das Risiko für einen anhaltenden Aufwertungsdruck auf den Franken. Besonders ungünstig wäre eine fortgesetzte Frankenaufwertung in Verbindung mit einer starken Verschlechterung der internationalen Konjunktur (z.B. Rückfall des Euroraums oder der USA in die Rezession).

Demgegenüber besteht ein gewisses positives Risiko, für eine besser als erwartete Konjunkturentwicklung, weiterhin bei der Inlandkonjunktur. Insbesondere der private Konsum und die Bauinvestitionen konnten in den letzten Jahren mehrfach positiv überraschen, nicht zuletzt wegen der stärker als erwarteten Zuwanderung und der sehr tiefen Zinsen. Nicht auszuschliessen ist daher, dass sich die Schweizer Binnenkonjunktur auch in den nächsten beiden Jahren weiterhin über den Erwartungen entwickeln könnte, was die aussenwirtschaftlich bedingte Konjunkturdelle noch mehr abfedern würde.


* Die Expertengruppe des Bundes publiziert viermal pro Jahr eine Prognose der konjunkturellen Entwicklung in der Schweiz. Die aktuelle Prognose von Dezember 2010 wird in dieser Medienmitteilung kommentiert. Die "Konjunkturtendenzen", eine vierteljährliche Publikation des SECO, erscheinen in gedruckter Form als Beilage der Februar-, April-, Juli-, und Oktobernummern der Zeitschrift "Die Volkswirtschaft" (www.dievolkswirtschaft.ch). Sie sind auch im Internet (http://www.seco.admin.ch/themen/00374/00375/00381/index.html?lang=de) als pdf-Datei abrufbar.


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