Es ist Zeit für «Elternzeit und Elterngeld» in der Schweiz

(Letzte Änderung 26.10.2010)

Bern, 26.10.2010 - Die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) fordert in ihrer neuesten Publikation die Einführung einer Elternzeit und eines Elterngelds in der Schweiz. Die EKFF hat dazu ein detailliertes Modell mit Kostenfolgen und Finanzierungsvorschlägen erarbeitet. Künftig sollen Eltern über 24 Wochen Elternzeit, die sie sich gemeinsam aufteilen, verfügen können. Die EKFF erachtet die Elternzeit als eine Investition in die Familien und die Kinder. Die EKFF schätzt die Kosten für die Einführung einer Elternzeit auf 1.1 bis 1.2 Milliarden Franken. Eine Finanzierung des Elterngeldes über die Erwerbsersatzordnung (EO) würde eine Erhöhung bei den Lohnprozenten von je 0,2 Prozent für Arbeitnehmende und Arbeitgebende bedeuten. Bei einer Finanzierung über die Mehrwertsteuer müsste der Satz um 0,4 bis 0,5 Prozent angehoben werden.

Seit dem 1. Juli 2005 erhalten erwerbstätige Frauen in der Schweiz während 14 Wochen eine Mutterschaftsentschädigung, die 80 Prozent des Erwerbseinkommens deckt. Ein Vaterschaftsurlaub ist in keinem Bundesgesetz geregelt. Er gilt als «üblicher freier Tag» gemäss Obligationenrecht (OR) oder als Sonderurlaub, den Arbeitnehmende beziehen können, um persönliche Angelegenheiten während der Arbeitszeit zu regeln. Aus eigener Initiative bieten einzelne Unternehmungen und öffentliche Institutionen nach der Geburt eines Kindes einen Vaterschaftsurlaub von ein paar Tagen bis zu mehreren Wochen an.  Aus familienpolitischer Sicht genügen die aktuelle Mutterschaftsentschädigung und der in einzelnen Firmen gewährte Vaterschaftsurlaub nicht, um Familien in der ersten Phase nach der Geburt eines Kindes zu unterstützen und zu entlasten. Die EKFF fordert deshalb eine gesetzliche Regelung für die Einführung einer maximal 24-wöchigen Elternzeit und eines Elterngelds auch in der Schweiz. Um diese Forderung zu konkretisieren hat die EKFF in ihrer neuen Publikation „Elternzeit-Elterngeld. Ein Modellvorschlag der EKFF für die Schweiz“ ein detailliertes Modell ausgearbeitet, das sich am Gesetzesentwurf im Kanton Genf orientiert. Die EKFF spricht bewusst nicht von „Elternurlaub“.  Den Begriff Urlaub erachtet die EKFF nicht als treffende Bezeichnung für die Übernahme von familialen Betreuungsaufgaben.  

Das Modell der EKFF und was es kostet

Das Modell der EKFF sieht eine maximale Bezugsdauer von 24 Wochen vor. Je vier Wochen davon entsprechen einem individuellen Anspruch von Mutter oder Vater. Das heisst, sie können nur von dieser Person bezogen werden. Wie die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, ist eine solche Regelung wichtig, um eine stärkere Beteiligung der Väter an der Elternzeit zu bewirken. Die Bezugsperiode dauert von der Geburt bis zur Einschulung. Ein Bezug in Teilabschnitten soll möglich sein. Die Einkommensersatzrate wird wie bei der Mutterschaftsentschädigung auf 80 Prozent festgesetzt mit einem Plafond nach oben von 196 Franken pro Tag. Familien mit tiefen Einkommen sollen von einer Einkommensersatzrate von 100% und einer leicht verkürzten Bezugsdauer profitieren können. Im Auftrag der EKFF hat das Büro BASS die Kostenfolgen und verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten für dieses Modell berechnet. Aufgrund dieser Berechnung geht die EKFF von Kosten in der Grössenordnung von 1,1 bis 1,2 Milliarden Franken aus. Die Kosten hängen jedoch davon ab, wie hoch die Bezugsquote ist und wie die Aufteilung zwischen den Geschlechtern aussieht. Sollten die Väter mehr als die vier Wochen, auf die sie einen individuellen Anspruch haben, beziehen, wären die Kosten höher, weil die Ersatzeinkommen der Väter über denjenigen der Mütter liegen.  Die EKFF lässt offen, ob die Finanzierung des Elterngeldes über die Erwerbsersatzordnung (EO) oder über die Mehrwertsteuer erfolgt. Eine Finanzierung über die EO würde eine Erhöhung der Lohnprozente von je 0,2 Prozent für Arbeitnehmende und Arbeitgebende bedeuten. Bei einer Finanzierung über die Mehrwertsteuer müsste der Normalsatz um 0,4 bis 0,5 Prozent angehoben werden. 

Um den Bund verfassungsrechtlich zur Einführung einer Elternzeit zu verpflichten, müsste eine dem Art. 116 Abs. 3 BV (Mutterschaftsversicherung) entsprechende Bestimmung in die Verfassung aufgenommen werden.

Das Modell der EKFF ist bescheiden - Ein internationaler Vergleich

Ein Vergleich mit anderen Ländern macht deutlich, dass das von der EKFF vorgeschlagene Modell ziemlich bescheiden ist. Die meisten europäischen Länder kennen grosszügigere Regelungen. Das gilt nicht nur für die beiden in der Publikation zum Vergleich herangezogenen Länder Island und Deutschland. Island gewährt einen Elternurlaub von 9 Monaten, wovon für die Mutter und den Vater je 3 Monate reserviert sind. Damit geht Island mit dem finanziellen Anreiz für Väter bisher am weitesten. Das erweist sich als erfolgreich. 90 Prozent der Väter nehmen die Elternzeit in Anspruch. Deutschland bezahlt seit 2007 während 12 Monaten Elterngeld. Dazu kommen zwei Partnermonate als individuelles Anrecht des anderen Elternteils. Das Elterngeld beträgt 67 Prozent des Nettolohns, maximal 1800 Euro. Am grosszügigsten ist Schweden, wo den Eltern während 480 Tagen oder 16 Monaten ein Elterngeld bezahlt wird, davon 13 Monate zu 80 Prozent des Bruttolohns. Zwei Monate davon sind individuell für Vater oder Mutter reserviert.  Bei einer Beurteilung der Kostenfolgen des EKFF-Modells ist auch zu berücksichtigen, dass die öffentlichen Ausgaben für die Unterstützung von Familien in der Schweiz unter dem europäischen Durchschnitt liegen (Bundesamt für Statistik 2008). In der Schweiz beliefen sich die gesamten Sozialleistungen für Familien und Kinder im Jahr 2008 auf einen Betrag, der 1,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts entspricht. Vergleichbar tiefe Werte kennen nur noch die Niederlande, Italien, Spanien und Polen. An der Spitze stehen die skandinavischen Staaten, die bis zu drei Mal mehr für die Familien ausgeben. Aber auch in Deutschland, Österreich und Frankreich sind die Sozialausgaben für die Familien deutlich höher als in unserem Land.

Elternzeit und Elterngeld als zentrale Elemente einer nachhaltigen Familienpolitik

Mit der Geburt eines Kindes übernehmen die Eltern neue Aufgaben und eine grosse Verantwortung für das Wohl ihres Kindes. Für die gesunde Entwicklung eines Kindes ist die Beziehung zu seinen primären Bezugspersonen von zentraler Bedeutung. In den ersten Lebensjahren sind die Kinder ganz besonders auf Zuwendung und Fürsorge und auf verbindliche, zuverlässige Beziehungen angewiesen. Dafür benötigen die Eltern Zeit. Die zeitliche Belastung der Eltern für bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten ist darum in den ersten Lebensjahren eines Kindes am grössten und erreicht Wochenpensen von 70 Stunden und mehr.  Dazu kommt, dass die Kleinkinderphase in einer beruflichen Phase liegt, die für den Karriereverlauf entscheidend ist. In dieser Situation sind es vor allem die Frauen, die sich beruflich zurücknehmen. Bis zur Geburt des ersten Kindes sind Frauen sehr gut in das Erwerbsleben integriert und arbeiten meistens Vollzeit. Mit der Geburt des ersten Kindes zieht sich der grösste Teil der Frauen (vorübergehend) teilweise oder ganz aus dem Erwerbsleben zurück. Im Alter des jüngsten Kindes bis zu vier Jahren arbeiten rund zwei Drittel der Frauen mit einem Teilpensum von weniger als 50 Prozent oder sie sind gar nicht erwerbstätig. Der Berufsausstieg, aber auch Minimalpensen, zementieren die Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern und verschlechtern die beruflichen Perspektiven der Frauen. Wenn Mütter die Erwerbsarbeit grösstenteils aufgeben, ist ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit eingeschränkt. Bei einer Trennung oder Scheidung kann dies bedeuten, dass sie Mühe haben, den Lebensunterhalt selber zu bestreiten. Die EKFF ist davon überzeugt, dass die Einführung von Elternzeit und Elterngeld dem Rückzug der Frauen auf Minimalpensen oder einem (vorübergehenden) Berufsausstieg entgegenwirkt und damit auch die beruflichen Perspektiven der Frauen verbessert. Das wirkt sich auch volkswirtschaftlich aus. Eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen führt zu einem höheren Erwerbseinkommen der Haushalte und damit auch zu höheren Steuereinnahmen und zu höheren Abgaben an die Sozialversicherungen. Die Elternzeit und das Elterngeld sind Investitionen in unsere Kinder und die Zukunft unserer Gesellschaft. Die finanzielle Belastung dafür ist verkraftbar.Die Publikation ist auf der Website der Kommission unter www.ekff.admin.ch als PDF abrufbar. 


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