Einweihung der ersten Stufe der neuen Grossforschungsanlage SwissFEL Paul Scherrer Institut (PSI) - "Dank Grossforschungsanlagen an der Weltspitze bleiben"

Villigen, 24.08.2010 - Rede von Bundesrat Didier Burkhalter - Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Rednerinnen und Redner,

Ich grüsse insbesondere die Behördenvertreter, Vertreter der Institutionen sowie der Wirtschaft,
die Forschenden und Mitarbeitenden des PSI,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Das letzte Mal, als der Bundesrat in den Aargau reiste, im Rahmen seiner sogenannten «Schulreise» im Juli, hatte er die gute Idee, das Paul Scherrer Institut zu besuchen. Die Lernenden und Studierenden boten uns eine dynamische Demonstration ihres Könnens, die uns begeisterte. Dennoch entschlossen sich kurz darauf zwei Mitglieder des Bundesrates, ihre Karriere neu auszurichten. Ich hoffe, das hat nichts mit diesem Ort zu tun, diesem Ort wo man Lichtquellen und freie Elektronen findet… Ich hoffe doch, dass nach meiner Rückkehr von diesem Besuch am PSI im Namen des Bundesrats das Kollegium noch alle seine Mitglieder zählen wird!

Oder vielleicht hat es doch etwas mit diesem Ort zu tun! Ich wäre nicht erstaunt, wenn die beiden nun eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollten. Denn ich muss zugeben, seit ich in den letzten Monaten regelmässig mit der Welt der Wissenschaft zu tun habe, merke ich: Man bekommt richtig Lust, in sie einzutau-chen und sich ins Abenteuer zu stürzen!


Ich habe mich bei Treffen mit Wissenschaftlern oft ge-fragt, was diese motiviert. Ich habe jeweils das Leuchten in ihren Augen bemerkt. Ein Leuchten, das den Eindruck vermittelt, dass sie in jedem Augenblick die Welt mit Enthusiasmus neu entdecken. Ein ansteckender und kommunikativer Enthusiasmus. In den Blicken der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler spürt man ihr totales uns selbstloses Engagement.

ich habe bei meinem gestrigen Besuch am CERN eine Antwort auf meine Frage erhalten: eine grosse Mehrheit der Studierenden hat im Rahmen einer Umfrage auf die Frage nach der Motivation für ihr wissenschaftliches Interesse geantwortet, dass sie verstehen wollen, woher die Welt kommt, wie diese entstanden ist.

Diese Antwort hat mich überrascht und war wie ein „Big Bang“. Denn ich dachte eigentlich immer, dass Wissenschaftler stets in die Zukunft, also vorwärts schauen. Aber nein: die Physiker versuchen zu verstehen, woher die Welt kommt, um besser zu verstehen, wohin sie geht.

Wer also die Welt verstehen will hat im Grunde genommen zwei Möglichkeiten: er wird Physiker oder Poet; oder beides zugleich.


Während des Zwischenhalts im Aargau widmete sich der Bundesrat einer anderen Kunst: der Malerei. Hier konnten wir allerdings alle relativ schnell feststellen, dass eine Neuausrichtung als Kunstmaler für keinen von uns als Karrierenschritt denkbar wäre. Was ich als Kulturminister letztlich nur bedauern kann! 

Heute sind wir eigentlich wiederum im Aargau, um uns mit Malerei zu beschäftigen. Ja, diesmal werden wir die Zukunft der Schweiz mit den Farben der Hoffnung malen. Oder besser gesagt: Wir werden unserer bereits prestigeträchtigen Sammlung von Forschungskapazitäten in unserem Land ein weiteres Meisterwerk einverleiben!

Bereits 2001 hat die Synchrotron-Lichtquelle Schweiz des Paul Scherrer Instituts für grosses Aufsehen weit über die Landesgrenzen hinaus gesorgt – ein erstes Meisterwerk. Und jetzt ist es wieder soweit: Auch der neue Röntgenlaser SwissFEL, dessen erste Realisierungsstufe wir heute einweihen können, ist eine zukunftsweisende Grossforschungsanlage der Spitzenklasse. Ein zweites Meisterwerk!

Wir können stolz sein: stolz auf die Forschungsgemeinde in unserem Land. Sie arbeitet auf einer sehr grossen Bandbreite von Wissensgebieten an der Spit-ze der weltweit besten Köpfe mit. Sie vermutet, sucht, sucht aber nicht nur, sondern findet oft auch und betritt damit immer wieder wissenschaftliches Neuland. Sie sorgt dafür, dass die Schweiz in internationalen Vergleichsstudien unter den besten Ländern der Welt figuriert. Manchmal erscheint es fast als normal, dass sich die Schweiz in einer solchen Position befindet, und es sorgt selten für grosse Schlagzeilen. Beinahe geht vergessen, wie sehr unsere Forschenden jeden Tag kämpfen müssen, um an der Spitze zu bleiben. Wie Sie wissen, bin ich ein grosser Fussballfan, und ich stelle fest, dass es dort dasselbe ist: Selten fragt man das Team an der Spitze der Rangliste, wieso es dort ist. Aber die Spieler und der Trainer wissen genau, wie viel Arbeit es jeden Tag kostet, nicht nur, um an die Spitze zu gelangen, sondern auch, um dort zu bleiben!

Der neue Röntgenlaser SwissFEL ist ein hervorragendes Beispiel für diesen Willen, zu kämpfen und an der Spitze zu bleiben.

Eine Forschungsinfrastruktur dieses Ausmasses und von solcher Komplexität wird erst dann denkbar, realisierbar und anschliessend sinnvoll nutzbar, wenn entsprechende wissenschaftliche Kompetenzen überhaupt vorhanden sind. Und über diese verfügt das Paul Scherrer Institut etwa in den Bereichen Materialwissenschaften, Physik, Chemie, Biologie und Medizin in Hülle und Fülle.

Der Röntgenlaser SwissFEL braucht exzellente Forschende. Aber mit Blick auf den weltweiten Wettbewerb in der Forschung und Innovation, muss man auch sagen: Forschung, die über die äussersten Ränder des Bekannten hinaus geht, also Forschung von höchster Exzellenz, braucht Infrastrukturen von höchster Exzellenz.

Investitionen in Grossforschungsanlagen, wie sie z.B. das CERN oder die European Space Observatory (ESO) besitzen, sind so kostenintensiv: Sie sind schwere Brocken, die ein eigenes Land kaum alleine stemmen kann. Entsprechend wird hier und in zahlreichen andern Wissenschaftsbereichen die Last im Rahmen internationaler Forschungsorganisationen auf mehrere Schultern verteilt. Das heisst, die Planung und Realisierung von Grossforschungsanlagen wird in Zukunft noch mehr als heute auch eine Herausforderung an die internationale Kooperation darstellen.

Der Bundesrat hat deshalb in seiner kürzlich   verabschiedeten internationalen Strategie für den Bereich Bildung, Forschung und Innovation die Forschungsinfrastrukturen gleich in zwei Zielsetzungen erwähnt.

Einerseits will er, dass Schweizer Forschende freien Zugang zu führenden Forschungsinfrastrukturen geniessen. Andererseits will er mit herausragenden nati-onalen Forschungsinfrastrukturen zur Attraktivität des Forschungsstandortes Schweiz beitragen.

Die Schweiz muss ihre internationalen Beziehungen in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation weiterentwickeln. Ein kleines Land wie das unsere, selbst wenn es auf exzellente Forschende, Institute und Hochschulen zählen kann, darf sich in einer Welt, in der sich die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Netze täglich stärker verflechten, nicht isolieren.

Deshalb ist ein Besuch, wie wir ihn morgen mit einer schweizer Delegation in Brasilien für eine Woche unternehmen werden, wichtig. Die prominent besetzte Schweizer Delegation repräsentiert die Forschung, die Bildung und die Innovation (SBF, ETH, SNF, KTI, Universitäten, CSEM). Wir werden das Fundament für eine verstärkte Zusammenarbeit mit einem Land legen, das auf bemerkenswerte Weise seinen Platz in der Welt der Wissenschaft verbessert und sein Gewicht im Konzert der Nationen gestärkt hat. Die Schweiz unterhält exzellente Beziehungen mit Brasilien. Diese können sich noch weiter entwickeln, und wir hoffen, dass dieser Besuch für die kommenden Jahre dazu beiträgt.

Bedeutung für die Entwicklung der Wissenschaft und der Hochschullandschaft

Meine Damen und Herren,
Zurück in die Schweiz. Das Paul Scherrer Institut ist eine Forschungsanstalt im ETH-Bereich. Zugleich ist das PSI auch ein nationales „User-Lab“.  Es stellt den Hochschulen mit der Spallationsquelle (SIN-Q), der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) und neu mit dem SwissFEL mehrere einzigartige Infrastrukturen zur Verfügung.

Die PSI-Infrastrukturen dienen einerseits der Stärkung der Forschung in der Schweiz zu gesellschaftlich und wirtschaftlich äusserst relevanten Fragestellungen.

Unsere Hochschulen verfügen über die Kompetenzen, neues Grundlagenwissen zum Angehen solcher Herausforderungen zu erarbeiten. Das wissen wir einmal mehr seit der Evaluation der Projektgesuche, die im Rahmen der jüngsten Ausschreibung Nationaler Forschungsschwerpunkte eingegangenen sind. Die inter-nationalen Experten erwarten, ich zitiere: „bahnbrechende Erkenntnisse“ vom neuen Nationalen For-schungsschwerpunkt Wissenschaft und Technologie ultraschneller Prozesse im molekularen Bereich – abgekürzt: MUST.

An diesem kürzlich lancierten Forschungsschwerpunkt unter der Leitung der ETH Zürich und der Universität Bern sind auch Teams der Universitäten Basel, Genf, Zürich, der ETH Lausanne sowie des PSI beteiligt. Sie werden zu den prominenten Nutzern des SwissFEL zählen und von seinen Möglichkeiten für neuartige Untersuchungsmethoden profitieren. Und weil die For-schungsschwerpunkte explizit auch den Auftrag der Nachwuchsförderung haben, entsteht hier eine künftige Wissenschaftsgeneration, die von Beginn weg an den modernsten Apparaturen hat lernen und arbeiten können. Ein Team, das langfristig an der Spitze bleiben will, muss seine Nachfolge planen und die Ausbildung der jüngeren Generationen fördern. Genau das muss die Schweiz machen.

Andererseits, und dies scheint mir ebenso wichtig, werden Forschungsinfrastrukturen wie jene des PSI  auch zu einem Motor für die Schwerpunktbildung und Kooperation unter den Hochschulen und unter den Hochschultypen.

In das PSI als bedeutendes nationales „User-Lab“ investieren heisst in doppelter Hinsicht Verantwortung übernehmen:
- Es heisst nachhaltige Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und Exzellenz der Wissenschaft in der Schweiz,
- es heisst auch Förderung der Kräftekonzentration in der Hochschullandschaft Schweiz.

Zusammenarbeit mit der Industrie

Institutionen wie das PSI haben eine andere Mission als die Universitäten. Letztere sind mit der Hochschullehre und mit der Grundlagenforschung beschäftigt. Das PSI als ausseruniversitäre Forschungsinstitution kann dagegen vergleichsweise effizienter in der angewandten Forschung und Entwicklung arbeiten und mit der Wirtschaft kooperieren. Es ist ein attraktiver Partner der Industrie aufgrund seiner eigenen For-schungskompetenzen. Es ist aber gerade auch wegen seiner einzigartigen Forschungsinfrastruktur optimal positioniert, um Wissen mit hohem Applikationspotenzial zu generieren. Sozusagen ein „must“ für den Forschungsschwerpunkt MUST zum Beispiel.

Darum ist eine von der öffentlichen Hand getragene, hoch dotierte Forschungsinfrastruktur grundsätzlich auch für die Privatwirtschaft von zentraler Bedeutung. Dies gilt insbesondere für unser Land, wo die Privatindustrie rund drei Viertel aller Forschungsinvestitionen finanziert und an der Benutzerlabor-Funktion des PSI logischerweise auch aus Kostengründen interessiert ist.

Nationale Investition und internationale Kooperation

Investitionen in grosse, ausserordentliche For-schungsinfrastrukturen haben eine primär nationale Komponente und zeitigen einen nationalen MehrWert in verschiedener Hinsicht. Darüber hinaus aber haben sie auch eine bedeutende internationale Komponente. Sie machen das Standortland als Hochschul- und Forschungsplatz insgesamt bekannt und ziehen Gastforschende aus aller Welt an. Eine Infrastruktur, wie sie der SwissFEL darstellt, ist also gleichsam ein Vehikel, um die Schweiz im Forschungs- und Innovationsbereich international zu vernetzen. Ein Projekt, das selbstverständlich im konstruktiven und fruchtbaren Dialog mit seiner « grossen internationalen Schwester » X-FEL in Norddeutschland erfolgen muss.

Eine Herausforderung: Prioritäten setzen

Die Schweiz ist ein kleines Land. Ein reiches kleines Land zwar, das seine öffentlichen Finanzen jedoch trotzdem weiterhin klug verwalten muss und das also nicht über unbeschränkte Ressourcen verfügt. Umso mehr bedeuten neue Forschungsinfrastrukturen aufgrund ihrer Kostenintensität je länger je mehr eine echte Herausforderung: Grosse Investitionsvolumen, wie die späteren Stufen des SwissFEL sie erfordern, ver-langen eine ausgeprägte Prioritätensetzung, um die Finanzierung zu Stande zu bringen.

Ich bin überzeugt, dass die Schweiz diesbezüglich ihren Weg machen wird. Im Rahmen der BFI-Planung 2013-2016 werden Bundesrat und Parlament über die-ses Projekt befinden müssen. Das neue Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz (HFKG) wird zudem eine rechtliche Grundlage liefern für eine gesamt-schweizerische hochschulpolitische Planung und Auf-gabenteilung in besonders kostenintensiven Bereichen, wozu die Forschungsinfrastrukturen zählen.

Der Bund wird seine Führungsrolle bezüglich Forschungsinfrastrukturen insbesondere auch im internationalen Kontext der Kooperation wahrnehmen und stärken; eine diesbezüglich klarere rechtliche Verankerung ist unter anderem Gegenstand der laufenden Totalrevision des Forschungs- und Innovationsförderungsgesetzes (FIFG). Nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch finanzierbar, das wird jedem einleuchten. Darum muss auch unsere Fähigkeit, auf nationaler Ebene die richtigen Prioritäten zu wählen, gestärkt werden. Wählen wir die besten jungen Spieler mit dem grössten Potenzial, damit unser Team auch morgen stark ist!

Ein grosses Potenzial schliesslich sehe ich in der wei-teren Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Staat und Industrie. Forschungsinfrastrukturen leisten einen eminenten Beitrag zur Entwicklung des Standorts Schweiz auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Jedenfalls mittelfristig auch neue, gemischte Trägerformen im Geiste der Public-Private-Partnership zu entwickeln, sollte zum Nutzen aller möglich sein. Damit sie stabil sind, müssen solche Partnerschaften auf starken Werten gründen: Vertrauen und Respekt. Vertrauen in den Beitrag des Partners zum Projekt und Respekt für die Rolle eines jeden, die anders, aber komplementär ist. Dadurch soll von Anfang an die Anerkennung der un-erlässlichen Unabhängigkeit der Grundlagenforschung gefestigt werden.


Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir sind dabei, die kommende Periode der bundesseitigen Förderung von Bildung, Forschung und Innovation vorzubereiten. Dem Themenkreis der Forschungs-infrastrukturen wird dabei ein besonderes Augenmerk gelten müssen. Als Diskussionsgrundlage dafür ist erstmals eine Roadmap zur Schweizer Beteiligung an internationalen Forschungsinfrastrukturen am Entstehen. Dabei handelt es sich um eine mittels mehrerer Konsultationen der Schweizer Wissenschaftsgemeinschaft generierte Auslegeordnung, die der Politik in den kommenden Jahren gute Dienste leisten wird. Ein erfolgreiches Team muss eine Strategie haben, von der jeder überzeugt ist und die jeder umzusetzen versucht.

Diese Roadmap ist allerdings noch Zukunftsmusik. Die erste Stufe des SwissFEL hier am PSI dagegen ist Ge-genwart. Die Schweiz hat ein Meisterwerk mehr in ihrer wissenschaftlichen Sammlung. Ich wünsche seinen Betreiberinnen und Betreibern und seinen künftigen nationalen wie internationalen Nutzerinnen und Nutzern aus Wissenschaft und Wirtschaft von ganzem Herzen viel Erfolg, sprich: bahnbrechende neue Erkenntnisse.

 


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