Kloster St. Johann in Müstair: Zusammentreffen mit der Bevölkerung

Bern, 28.02.2006 - Rede von Bundesrat Pascal Couchepin

Sehr geehrter Herr Präsident der Corporaziun Regiunala Val Müstair
Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident
Liebe Freunde

Vor zwei Jahren habe ich Müstair persönlich entdeckt. Natürlich wusste ich, dass Müstair existiert. Ich wusste sogar, dass sich hier im Kloster bedeutende karolingische Wandmalereien befinden. Aber meine Erwartungen wurden bei weitem übertroffen, als ich dieses Tal persönlich durchschritt und physisch vor den mächtigen Mauern des Klosters stand.

Erst mit diesem Augenblick wurde ich mir der wirtschaftlichen und politischen Wichtigkeit dieses Ortes richtig bewusst. Die bestehende Klosterkirche ist ein lebendiges Zeugnis der Bedeutung, welche von diesem Kloster während der vergangenen Jahrhunderte ausgegangen ist.

Liebe Freunde,

Sie sind die Erben dieses ehemals strategisch sowie wirtschaftlich und politisch wichtigen Stützpunktes Müstair. Von hier aus konnte der Nord-Süd-Verkehr und damit auch die politischen Veränderungen in den Nachbarregionen beobachtet werden. Hier trafen die Kaufleute und Handwerker aus dem Norden auf die Handelsleute aus dem mediterranen Süden.
Durch Müstair führte schon während der Römerzeit ein Weg, welcher gleichsam für Warentransporte, für die Jagd und den Viehtrieb als auch für Kriegszüge genutzt worden ist. Das Münstertal war über Jahrhunderte ein Kampfplatz fremder Truppen und der Ort von Auseinandersetzungen und Machtkämpfen in Glaubensfragen.

2003 hatte ich ein weiteres persönliches Erlebnis, das mich seither eng mit Müstair verbindet: Ich konnte anlässlich meines Staatsbesuches in der Bundesrepublik als Bundespräsident dem deutschen Bundespräsidenten Rau ein ganz besonderes Geschenk überreichen: Den Abguss einer lebensgrossen Stuck-Statue Karls des Grossen aus dem 12. Jahrhundert. Das Original steht – wie Sie wissen - seit 1492 unter dem steinernen Baldachin im Chor des Klosters St. Johann. Seit 2003 steht die Kopie dieser Statue des „europäischen Kaisers“ als Teil der Ausstellung Idee Europa im Deutschen Historischen Museum. Die Bedeutung des Klosters St. Johann strahlt also noch heute weit über die Schweizer Grenzen hinaus.

Trotz der relativ geringen geographischen Ausbreitung ist das Münstertal ein wichtiger Teil Europas. Sie dürfen zurecht stolz auf Ihre Geschichte und die kulturellen Güter sein.

Die politischen und militärischen Erfolge der Regierungszeit Karls des Grossen haben der Hochkultur den Weg bereitet. Zahlreiche der nachfolgenden Herrscher bezogen sich mit ihrer Politik auf das Handeln Karls des Großen.

Aber mehr noch: Diese Kulturgüter sind nicht gestorben. Sie leben Dank des Benediktinerinnenklosters und der Verbundenheit der umliegenden Dörfer mit der Geschichte heute weiter.
Ich freue mich deshalb ausserordentlich, Sie heute so zahlreich in Müstair begrüssen zu dürfen. Mit Ihrer Anwesenheit bekräftigen Sie die gemeinsame Verantwortung, die Erhaltung der Baudenkmäler Graubündens auch in Zukunft entschlossen wahrzunehmen.
Ich freue mich vor allem, dass der Direktor des Welterbezentrums der UNESCO in Paris, Herr Francesco Bandarin, heute unter uns weilt. Herr Bandarin ist gemeinsam mit der hier versammelten Delegation in den Kanton Graubünden gereist, um sich vor Ort ein Bild über die herrliche Kulturlandschaft dieser Region zu machen.

Cher Monsieur Bandarin

Je viens de rappeler l’importance de notre patrimoine culturel et l’attention toute particulière que nous lui apportons.
Je me réjouis que vous ayez trouvé le temps d’effectuer ce voyage dans les Grisons. Votre présence aujourd’hui nous encourage à poursuivre nos efforts, qu’il s’agisse de la candidature au Patrimoine mondial des Chemins de fer rhétiques et de leur paysage culturel ou de la conservation du cloître St. Johann de Müstair.
Je vous remercie chaleureusement de votre visite au nom de la population de Müstair et de toutes les personnes présentes ici aujourd’hui.

Das Kloster in Müstair erscheint auf den ersten Blick wohl etwas weniger spektakulär als beispielsweise die Pyramiden von Gizeh in Ägypten. Aber die Klosteranlage ist Teil unserer Geschichte und Persönlichkeit und damit für uns ebenso wichtig wie die Pyramiden in Ägypten. Bemerkenswert sind insbesondere die einzigartigen Wandgemälde aus der Zeit Karls des Grossen.

Über Karl den Grossen gibt es viele Überlieferungen. Unter anderem soll sich Karl der Grosse auch dafür eingesetzt haben, mit der Einführung des allgemeinen Schulzwanges die Bildung zum Volks- und Allgemeingut werden zu lassen. Er gründete um 800 Hofakademien, Hofschulen und Stiftschulen.

Es wäre jetzt sicher etwas übertrieben, im Hinblick auf die kommende Volksabstimmung vom Mai an Karl den Grossen zu appellieren, um bei Ihnen für ein Ja zu den neuen Verfassungsbestimmungen zur Bildung zu werben... Aber ein Blick auf die Geschichte und der Vergleich mit Karl dem Grossen machen deutlich, dass in jeder Gesellschaft die politische Diskussion über Bildung, die Erziehung und die Kultur ausserordentlich wichtig ist.

Der zukunftsgerichteten Ausgestaltung des Schweizer Bildungssystems kommt eine zentrale Bedeutung zu. Die neuen Verfassungsbestimmungen sind die ideale Grundlage, damit der Bund und die Kantone gemeinsam die Weiterentwicklung des Schweizer Bildungssystems in einem internationalen Umfeld an die Hand nehmen können.

Liebe Freunde,
Nun zurück zum Baudenkmal:

Der Unterhalt dieses Kulturschatzes stellt eine Herausforderung dar: Die Erhaltung, die Restaurierung und die zweckmässige Erneuerung dieser Anlage bedarf einer immensen Arbeit.

Im Einvernehmen mit dem Konvent führt die Stiftung Pro Kloster St. Johann in Müstair seit 1969 diese Arbeiten aus. Es ist dies für die Schweiz ein ausserordentliches Projekt.
Es stellt ein Musterbeispiel der Zusammenarbeit zwischen privaten Geldgebern sowie den Behörden von Bund und Kanton dar.

Es ist mir ein besonderes Anliegen, an dieser Stelle der Stiftung für ihr grosses Engagement zu danken. Anerkennung gebührt dem abtretenden Präsidenten, Herrn Johannes Fulda sowie seinem designierten Nachfolger, Herrn Walter Anderau.

Danken möchte ich dem Verein der Freunde mit seinem Präsidenten Herrn Guido Condrau. Ein grosses Dankeschön gebührt auch den Sponsoren, so dem hier anwesenden früheren Nationalratspräsidenten, Herrn Ueli Bremi.

Bereits im Jahre 1983 wurden Ihre Bemühungen – meine sehr verehrten Damen und Herren - mit der Aufnahme des Koster St. Johann ins UNESCO-Verzeichnis belohnt. Die wunderbare Klosteranlage wurde damit als historisches Erbe der Menschheit anerkannt.

Wenn wir heute zurückblicken, wird uns das Ausmass des Geleisteten und der damit verbundene Erfolg klar: Für das Münstertal und dessen Tourismus hat das Welterbe eine herausragende Bedeutung.

Doch wir wollen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Die Arbeit geht weiter: Im Dezember 2004 verabschiedete der Bundesrat die Vorschlagsliste der Schweiz für potentielle Welterbestätten, die sogenannte "liste indicative". Damit ist die Voraussetzung für eine weitere Welterbestätte im Kanton Graubünden geschaffen worden:

Es ist dies die "Rhätische Bahn in der Kulturlandschaft Albula/Bernina", deren Kandidatur gegenwärtig erarbeitet wird. Ich bin überzeugt, dass unter der Führung des hier anwesenden Lenkungsausschusses, der Herren

· Regierungsrat Hansjörg Trachsel
· Erwin Rutishauser, dem Direktor der Rhätischen Bahn sowie
· Johann Mürner, Chef der Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege im Bundesamt für Kultur

ein hervorragendes Dossier entsteht.

Verläuft alles nach Programm, wird das Welterbekomitee der UNESCO im Jahre 2008 über die Kandidatur entscheiden.

Neben dem Welterbe soll auch das geplante Projekt "Biosfera Val Müstair - Parc Naziunal" dazu beitragen, die Basis für die Zukunft der Region zu verstärken.

Auch der Bund unterstützt seit Jahren die verschiedenen Projekte und ist bereit, dies auch weiterhin zu tun. Im Übrigen habe ich gehört, dass bereits mit dem neuen Klostermuseum die Zahl der Besucher und Besucherinnen und damit die Wertschöpfung im Tal erhöht werden konnte.

Nicht vergessen möchte ich die 40'000 Einzelspender, welche das ihre zur Erhaltung des Klosters beitragen. Diese haben das öffentliche Engagement mit beträchtlichen Mitteln ergänzt. Ich nutze die Gelegenheit, für die Vorbildlichkeit dieses Gemeinsinns zu danken und für eine Nachahmung kräftig zu werben.

Sehr verehrte Damen und Herren

Der aussergewöhnliche Wert des kulturellen Erbes bedeutet für uns eine grosse Verpflichtung: Wir müssen die uns anvertrauten Kulturschätze pflegen und erhalten.

Ich wünsche der Bevölkerung und allen Verantwortlichen für die Zukunft alles Gute. Die Konzentration von hochrangigen Objekten im Kanton Graubünden bildet eine wichtige Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung dieser Region.

Mit Ihrer heutigen Anwesenheit setzen Sie ein wichtiges Zeichen: Sie offenbaren, dass Sie sich Ihrer Verantwortung gegenüber den uns nachfolgenden Generationen und der Erhaltung des Weltkulturerbes bewusst sind. - Dafür danke ich Ihnen!


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