Schweizerischer Gewerbeverband

(Letzte Änderung 28.05.2010)

Lugano, 28.05.2010 - Ansprache von Bundesrat Didier Burkhalter - Es gilt das gesprochene Wort.

Signor Presidente
Signora Consigliera di Stato
Signore e signori

Sono particolarmente lieto di essere stato invitato a Lugano. Questa è la mia seconda visita in Ticino in veste di consigliere federale, dopo quella del 17 aprile scorso in occasione del Dies Academicus dell’Università della Svizzera italiana. Inoltre è alle porte la 63esima edizione del Festival internazionale del film di Locarno alla quale presenzierò in qualità di ministro della cultura.

Es freut mich, Ihrem Gewerbekongress 2010 beiwohnen und einige Worte an Sie richten zu können. Ich bin sehr gerne zu Ihnen gekommen, weil Ihr Verband ein wichtiger Partner ist, nicht nur in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern auch in der Sozialpolitik.

Die Kennzahlen des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) sind beeindruckend: der SGV vertritt über 280 Organisationen (kantonale Gewerbeverbände, Berufs- und Branchenverbände) und 300'000 Unternehmen. Ihr Slogan, „Schweizerischer Gewerbeverband, die Nummer 1 der Schweizer KMU-Wirtschaft“, ist angesichts dieser Eckwerte fürwahr gerechtfertigt.

Apropos Nummer 1: Sie verabschieden heute Ihren Präsidenten Edi Engelberger, der von 2004 bis heute Ihre Nummer 1 war. Er ist der Prototyp eines schweizerischen Milizpolitikers und Unternehmers: Er hat Bodenhaftung und kennt die Sorgen der Menschen sehr genau. Er politisiert mit offenem Visier, steht für seine Überzeugung ein und vertritt klare Positionen.
Als verantwortungsvoller Politiker und Unternehmer sucht Edi Engelberger aber nicht die persönliche Profilierung, sondern mehrheitsfähige Lösungen. Denn er weiss, dass im schweizerischen System der Kompromiss gesucht werden muss. Hierbei kommt ihm zugute, dass er ein begabter Netzwerker und Brückenbauer ist, der auf Menschen zugehen und Lösungen erarbeiten kann.

Diese Qualitäten hat Ihr Präsident auch in die Arbeit des Gewerbeverbandes eingebracht. Hart in der Sache, aber immer verantwortungsvoll, konstruktiv und lösungsorientiert. Die strategische Neupositionierung, die der SGV anlässlich des letzten Gewerbekongress 2008 in Freiburg vorgenommen hat, unterstreicht dies: Bündelung der Kräfte und Fokussierung auf prioritäre Themen bei gleichzeitiger Betonung der gesellschafts- und staatspolitischen Verantwortung des Verbandes.

Ich beglückwünsche Edi Engelberger für seine erfolgreiche Arbeit an der Spitze des Gewerbeverbandes und wünsche ihm für die Zukunft alles Gute.

Sie wählen heute einen neuen Präsidenten. Ohne Ihrer Wahl vorgreifen oder Sie beeinflussen zu wollen, kann ich wohl schon jetzt sagen: Auf Edi folgt „Zuppi“! Ich wünsche Bruno Zuppiger alles Gute für sein neues Amt und freue mich auf weiterhin konstruktive Zusammenarbeit mit dem SGV unter seiner Führung.


KMU übernehmen Verantwortung

Sehr geehrte Damen und Herren
Die Weltwirtschaft wird seit Monaten kräftig durchgeschüttelt. Auf die Finanzkrise folgte die Wirtschaftskrise und auf die Rettungsmassnahmen für Grossbanken folgte in den letzten Wochen ein Stabilisierungsprogramm für Griechenland und den Euro-Raum. Aufgrund der internationalen Vernetzung blieb und bleibt die Schweiz von diesen Turbulenzen nicht verschont.

Obwohl man den Tag bekanntlich nicht vor dem Abend loben sollte und die aktuellen Entwicklungen im Europa neue konjunktur- und währungspolitische Unsicherheit schaffen, kann man dennoch festhalten, dass die Schweiz die Krise bisher besser gemeistert hat als die meisten Industriestaaten.

Politik und Wirtschaft haben gemeinsam dazu beigetragen. Zum einen haben Bund, Kantone und die Nationalbank rasch und mit Augenmass reagiert. Zum anderen haben sich wichtige Teile der Exportindustrie als recht robust erwiesen. Und „last but not least“ haben die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) als beschäftigungsstabilisierend erwiesen. Die KMU, die rund zwei Drittel der Arbeitsplätze anbieten und 70 Prozent der Lehrlinge ausbilden, haben trotz einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld Arbeitsplätze erhalten und so mitgeholfen, die Binnenkonjunktur zu stützen.

Die KMU haben einmal mehr den Beweis erbracht, eine wichtige Stütze der schweizerischen Volkswirtschaft zu sein. Oder anders gesagt: die Unternehmer in den kleinen und mittleren Betrieben haben Ihre gesellschaftspolitische Verantwortung wahrgenommen und damit einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes geleistet.


Die Säulen der Wettbewerbsfähigkeit

Meine Damen und Herren
Wettbewerbsfähigkeit ist für einzelne Unternehmen von zentraler Bedeutung. Wenn Sie als Unternehmer nicht wettbewerbsfähig sind, werden Sie über kurz oder lang vom Markt verdrängt. Der SGV setzt sich als Interessenvertretung der KMU für gute Rahmenbedingungen ein, die Ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Auch eine Volkswirtschaft als Ganzes muss wettbewerbsfähig sein, um im internationalen Standortwettbewerb bestehen zu können. Die Schweiz ist, wie bereits angedeutet, besser in Form als manch anderes Land und hat gute Chancen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Verschiedene Studien belegen es immer wieder: die Schweiz ist eines der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt – jüngstes Beispiel ist der vierte Platz der Schweiz im „World Competitiveness Yearbook 2010“ der Lausanner Business School IMD, das vor 10 Tagen publiziert wurde.

Solche Vergleiche, die man natürlich nicht überbewerten darf, sind ein Kompliment an die Wirtschaft, an die Unternehmerinnen und Unternehmer in un¬serem Land. Denn es sind die Menschen in den Unternehmen, die durch ihre Anstrengungen die Volkswirtschaft voranbringen.

Die Wettbewerbskraft eines Landes beruht auf verschiedenen Faktoren, wie der Stabilität der Institutionen, der Infrastruktur, der Arbeitsmarkteffizienz, dem Bildungssystem oder der Innovation. Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Säulen der Wettbewerbsfähigkeit eingehen, die das Departement des Innern betreffen, die Gesundheitspolitik und die Sozialpolitik.


Gesundheitspolitische Strategie

Ich habe das aktuelle gesundheitspolitische Gesundheitspapier des Gewerbeverbandes mit Interesse gelesen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir das Gesundheitssystem reformieren und Massnahmen ergreifen müssen, um das Kostenwachstum zu dämpfen. Ich glaube, dass wir dies erreichen können, wenn wir in der Gesundheitspolitik den Menschen in den Mittelpunkt rücken und unsere Bemühungen darauf ausrichten, mehr Menschenleben zu retten und die Menschen noch besser zu pflegen.

Die Reformagenda in der Gesundheitspolitik verfolgt genau dieses Ziel, nämlich die Qualitäts- und Effizienzsteigerung. Ich möchte an dieser Stelle drei Elemente der Strategie erwähnen:

Erstens die Manged Care Vorlage. Ich bin fest davon überzeugt, dass die integrierte Versorgung für die Patienten, die Ärzte und die Versicherer von Vorteil ist. Die Patienten werden dank systematischen Pflegepfaden besser gepflegt, die Ärzte profitieren von Qualitätszirkeln und dem damit verbundenen Erfahrungsaustausch und die Versicherer können sich mit innovativen Produkten profilieren, statt sich gegenseitig gute Risiken abzujagen; diesem Zweck dient die weitere Verfeinerung des Risikoausgleichs, die von der Kommission im Rahmen der Managed Care Vorlage vorgeschlagen wird.

Zweitens müssen wir eine nationale Gesundheitsstrategie etablieren und die Spielregen und Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Kantonen klären. Zu diesem Zweck haben Kantone und Bund beschlossen die Diskussionen im Rahmen des „Dialogs nationale Gesundheitspolitik“ zu intensivieren und zu vertiefen. Die einheitliche Finanzierung der ambulanten und stationären Pflege ist dabei von grosser Wichtigkeit. Denn ohne eine solche wird es nicht möglich sein, die notwendige Kostentransparenz im Gesundheitswesen herzustellen. Die Forderung nach mehr Kostentransparenz figuriert jedenfalls zu Recht im gesundheitspolitischen Positionspapier des SGV.

Ein wichtiges Thema, das der SGV in seinem Positionspapier ebenfalls aufnimmt, ist hierbei die die einheitliche Finanzierung der ambulanten und stationären Pflege, ohne die es nicht möglich sein wird, die notwendige Kostentransparenz im Gesundheitswesen zu erreichen.

Drittes Element der Gesundheitsstrategie ist die Prävention. Die Diskussion darüber, wie viel und welche Prävention wir brauchen, muss sachlich geführt werden. Dabei müssen wir meines Erachtens zwei einfache Fragen beantworten:
1. müssen wir im Bereich der Prävention handeln?
2. Wenn der Handlungsbedarf bejaht wird, kann dies auf der Basis des Entwurfs für ein Präventionsgesetz geschehen?

Zur ersten Frage: Wir sind uns sehr wahrscheinlich einig, dass Prävention auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist. Nur gesunde Menschen sind produktiv. Wer krank ist, fehlt am Arbeitsplatz und die Produktivität des Unternehmens sinkt. Somit hat jedes Unternehmen ein vitales Interesse an gesunden Mitarbeitenden.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass im Bereich der Prävention gehandelt werden muss. Es ist viel menschliches Leid verbunden mit chronischen Krankheiten, wie z. B. Diabetes, Osteoporose, Herz-Kreislauferkrankungen oder Demenzerkrankungen. Zudem ist zu bedenken, dass 70 bis 80 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben durch chronische Erkrankungen verursacht werden.

Die Alterung der Bevölkerung wird diese Problematik noch akzentuieren und wir sind mit dem Problem stetig steigender Gesundheitskosten im Alter konfrontiert. So müssen wir - ausgehend vom Jahr 2000 - beispielsweise von einer Zunahme von 25 Prozent bei den Osteoporose-Kranken und von über 28 Prozent bei den Herzinfarkten bis 2020 ausgehen. Wir haben angesichts dieser Zahlen nicht nur ein gesundheits-, sondern auch ein volkswirtschaftliches Interesse, dass die Menschen möglichst gesund altern.


Meine Damen und Herren
Wir müssen darum gezielter in unsere Gesundheit in¬vestieren, damit wir es uns morgen überhaupt noch leisten können, krank zu sein. Hier tickt eine Zeitbombe, die es zu entschärfen gilt! Nun ist es aber so, dass der Bund nicht aktiv werden kann in diesem Bereich, weil ihm die gesetzlichen Grundlagen fehlen. Dem Bund ist es heute beispielsweise verwehrt, sich in der Früherkennung von chronischen Krankheiten wie Krebs oder Diabetes zu engagieren.

Hierfür braucht es das Präventionsgesetz. Mit diesem wollen wir zusammen mit unseren Partnern (Kantone, Gesundheitsorganisationen, Wirtschaft) eine nationale Präventionsstrategie mit Zielen und Prioritäten entwickeln. Das Gesetz bezweckt überdies eine bessere Koordination der Massnahmen sowie eine Effizienzsteigerung. Das Ziel ist somit nicht mehr Prävention, sondern eine effizientere und gezieltere Prävention.

Mit dem Gesetz soll im Übrigen niemand entmündigt werden und es werden auch keine neuen Verbote begründet. Denn die Selbstverantwortung steht auch bei der Prävention an erster Stelle. Hier übernimmt namentlich die Erziehung in der Familie eine zentrale Rolle, die der Staat nicht übernehmen kann und soll.

Im Übrigen leisten die Unternehmen in der Prävention wertvolle Arbeit. So engagieren sich immer mehr Unternehmen freiwillig im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung. Als Beispiel möchte ich das Projekt „Bike to work“ erwähnen. Dieses funktioniert insbesondere bei KMU gut, denn es zeigt sich, dass wenn der Chef mitmacht, viele Mitarbeitende dem guten Beispiel folgen. Ein zweites Beispiel ist das Präventionsprogramm „Alkohol am Arbeitsplatz“, bei dem bereits 1350 Unternehmen mitmachen. Für dieses Engagement möchte ich Ihnen herzlich danken!

Diese wertvollen Bemühungen soll durch das Gesetz nicht in Frage gestellt werden. Auch nicht durch das vorgesehene Institut, das stark kritisiert wird. Aufgrund eines Auftrags der zuständigen Kommission sind wir diesbezüglich daran, Alternativen zum Institut zu prüfen.

Lassen Sie es mich deutlich sagen: Entscheidend ist nicht die Organisationsform, entscheidend ist die Zielsetzung, die Präventionsbemühungen effizienter und zielgerichteter zu gestalten, um die Gesundheit der Menschen – und die es letztlich geht – zu stärken. Und dieses gesellschafts- und volkswirtschaftlich erstrebenswertes Ziel kann nur durch Kooperation aller Akteure (Private, Wirtschaft, Staat) erreicht werden.


Nachhaltige Sozialpolitik

Meine Damen und Herren
Ein Schlüsselfaktor der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ist die soziale Sicherheit. Ich bin fest überzeugt, dass jene Länder, die über stabile Sozialwerke verfügen und in denen sozialer Friede herrscht, einen Wettbewerbsvorteil haben gegenüber Ländern, die ihre finanz- und sozialpolitischen Hausaufgaben vernachlässigen. Die aktuellen Ereignisse in Europa unterstreichen das eindrücklich.

Die nachhaltige Sicherung der Sozialwerke ist ein gemeinsames Anliegen und ich teile Ihre diesbezüglichen Sorgen. Unsere Gesellschaft entwickelt sich von einer Drei-Generationen- zu einer Vier-Generationen-Gesellschaft. Kommen heute auf einen Rentner knapp vier Erwerbstätige, werden es im Jahr 2040 nur noch rund zwei Erwerbstätige sein. Angesichts dieser Zahlen ist es evident, dass das Festhalten am Status Quo keine Lösung ist, sondern eine Gefahr für unsere soziale Sicherheit darstellt.

Die Wirtschaftsverbände, darunter der SGV, schlagen in diesem Zusammen eine Nachhaltigkeitsregel vor, wonach sich die Leistungen der Sozialversicherungen an den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln orientieren sollen.

Das ist ein interessanter und konstruktiver Vorschlag. Der Bundesrat hat entschieden, bei bevorstehenden Sozialversicherungsreformen eine Regelbindung der Sozialwerke zu prüfen. Damit soll sicherstellt werden, dass die Ausgaben und Einnahmen langfristig im Gleichgewicht bleiben.

Wenn wir wollen, dass unsere Kinder und Kindeskinder noch in den Genuss einer Altersversicherung kommen, müssen wir angesichts dieser Zahlen handeln und die Rentensysteme den neuen Realitäten anpassen. Nichthandeln wäre unverantwortlich und würde dem Prinzip der Generationengerechtigkeit widersprechen.


11. AHV-Revision: erster Schritt in die richtige Richtung

In der kommenden Sommersession wird das Parlament die 11. AHV-Revision weiterberaten. Diese Reform erhebt nicht den Anspruch, die schwerwiegenden strukturellen Probleme zu lösen, die in den nächsten Jahrzehnten auf die AHV zukommen. Das Reformvorhaben ist aber ein erster, wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Mit der Revision soll das Rentenalter der Frauen an dasjenige der Männer angepasst werden. Gleichzeitig soll die Frühpensionierung gezielt für jene Personen abgefedert werden, die dies benötigen. Die Einsparungen der Revision betragen rund 510 Millionen Franken jährlich.

Meine Damen und Herren
Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass die 11. AHV-Revision als reine Sparvorlage ausgestaltet und auf eine Abfederung der Frühpensionierung ganz verzichtet werden sollte.

Diesbezüglich gebe ich aber erstens zu bedenken, dass die Abfederung im Modell der Kommission zielgerichtet ist. Es sollen jene Menschen profitieren, die eine solche Abfederung wirklich benötigen. Das sind Menschen, mit niedrigen Einkommen, die aber keine Ergänzungs- und sonstigen Sozialleistungen erhalten. Gemäss dem Vorschlag der Kommission sind das Personen – überwiegend Frauen – mit einem Einkommen zwischen rund 41'000 und 61'000 Franken.

Zweitens ist mit der 11. AHV-Revision bereits eine gewisse Nachhaltigkeitsregel, wie vom SGV gefordert, vorgesehen. So muss der Bundesrat zwingend Massnahmen ergreifen, wenn der Deckungsgrad des AHV-Fonds unter 70 Prozent fällt. Im geltenden Recht fehlt eine solche Pflicht zum Handeln.

Drittens besteht die Chance, dass die 11. AHV-Revision rasch in Kraft treten kann und somit rasch Wirkung erzielt. Wenn das gelingt, können innerhalb von 10 Jahren 5 Milliarden Franken eingespart und die AHV damit sicherer gemacht werden. Wenn die Vorlage dagegen scheitert, verlieren wir Zeit und Geld.

Viertens sind Reformen im Allgemeinen und in der Sozialpolitik im Besonderen nur möglich, wenn sie breit abgestützt sind. Es braucht hierfür Kompromissbereitschaft. Wie soll es gelingen, im Rahmen einer 12. AHV-Revision, unsere Altersvorsorge nachhaltig zu sichern und an die demografische Entwicklung anzupassen, wenn es uns nicht geling, mit der 11. Revision einen ersten Schritt zu machen.

Es ist wie beim Bergsteigen: Man kann in einer Steilwand keine Sprünge machen, sondern man muss einen Schritt nach dem anderen tun. Andernfalls stürzt man unweigerlich ab.

Sehr geehrte Damen und Herren
Wir können es uns nicht leisten, abzustürzen oder aufzugeben. Und wir haben auch keine Zeit für endlose Bergwanderungen. Wir müssen die Berghütte erreichen, bevor es Dunkel wird. Und mit der 11. AHV-Revision sind wir in der Tat schon auf einer genug langen Wanderung.


IV-Revision: Reintegration statt Verrentung

Fortschritte sind möglich, wenn man schrittweise vorgeht. Das beweist das Beispiel der Invalidenversicherung (IV). Mit der 4. und 5. IV-Revision gelang es die Anzahl der Neurenten seit 2003 um 45 Prozent zu senken. Und mit der vom Volk angenommenen temporären Zusatzfinanzierung wird die Aushöhlung von IV und AHV bis 2018 gestoppt.

Um die IV aber dauerhaft zu sanieren braucht es aber weitere Sparmassnahmen im Umfang von mindestens 1 Milliarde Franken. Ein erstes Massnahmenpaket – die Revision 6a – im Umfang von rund 500 Millionen Franken wurde letzte Woche ohne Gegenstimme von der ständerätlichen Kommission verabschiedet. Oberstes Ziel der Revision ist es, die IV-Rentnerinnen und -Rentner wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern.

Diesem ersten Teil folgt ein zweiter Revisionsteil – die Revision 6b – die im Sommer in die Vernehmlassung geht und der weitere Sparmassnahmen im Umfang von mindestens 600 Millionen beinhalten wird.

Sehr geehrte Damen und Herren
Abgesehen von den nackten Zahlen, müssen wir uns immer vor Augenhalten, dass es bei diesen Fragen um Menschen geht. Darum müssen wir wegkommen vom Paradigma „einmal Rente, immer Rente“. Denn eine solche Haltung ist nicht nur finanz- und gesellschaftspolitisch falsch, sondern auch menschlich falsch.

Wir dürfen uns natürlich nichts vormachen und glauben, dass alle Betroffenen in den Arbeitsprozess reintegriert werden können. Das wäre eine naive Illusion. Im Rahmen dessen, was vernünftig und möglich ist, sind wir als Gesellschaft aber in der Pflicht, den betroffenen Menschen eine Perspektive auf eine Rückkehr in die Arbeitswelt zu geben. Die lebenslange Verrentung ist keine Perspektive, sondern eine Sackgasse. Die IV darf nicht länger lediglich ein Instrument der Rentenauszahlung sein. Wir müssen der IV ihre ursprüngliche Bedeutung zurückgegeben und das ist die Reintegration.

Damit diese Eingliederung gelingt, braucht es die Unterstützung der Wirtschaft. Die KMU leisten im Bereich der Prävention und Früherkennung sowie der Reintegration bereits heute gute Arbeit. So zeigte beispielsweise eine Studie aus dem Jahre 2009, dass KMU prozentual mehr gesundheitlich beeinträchtige Menschen integrieren als Grossunternehmen. Ebenso wird das mit der fünften IV-Revision eingeführte Instrument der Früherfassung rege genutzt: 3'000 entsprechende Meldungen von Arbeitgebern gingen im Jahr 2009 bei den IV-Stellen ein. Als Unternehmer nehmen Sie damit Ihre gesellschaftliche Verantwortung war, wofür ich Ihnen im Namen des Bundesrates herzlich danken möchte.

Diese Anstrengungen zur Reintegration müssen verstärkt werden. Dafür sind wir auf die Bereitschaft der Unternehmen angewiesen behinderte Personen anzustellen. Die Einführung von Arbeitsversuchen sowie die dreijährige Auffangregelung im Fall eines Scheiterns einer Wiedereingliederung, die in der Revision 6a vorgesehen sind, schaffen hierbei wichtige Grundlagen.

Die Unternehmen können damit erstens testweise eine Person anstellen. Sie erhalten während der Anstellung zweitens Beratung und Unterstützung von den Behörden. Drittens tragen die Unternehmen kein Risiko, falls die Reintegration scheitert. Test, Beratung und Übernahme des Risikos sind drei wesentliche Verbesserungen, die es erlauben sollten, zusammen mit der Wirtschaft mehr Betroffene zu reintegrieren.

Es ist mir bewusst, dass es leichter ist, die Reintegration zu fordern, als diese in der Praxis umzusetzen. Aber ich bin überzeugt, dass sich die Mühe lohnt: Für die Betroffenen, für die Unternehmen, für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für die langfristige Sicherung unserer Sozialwerke.

Nicht nur die Wirtschaft, auch der Staat ist als Arbeitgeber gefordert. Auf Stufe EDI haben wir eine ganze Reihe eingliederungsorientierter Massnahmen ergriffen. An dieser Stelle möchte ich nur erwähnen, dass bei Stellenbesetzungen systematisch die Möglichkeit geprüft wird, die Stelle an eine Person mit Behinderung zu vergeben. Zudem sind die Bundesämter gehalten, bei den Stellenausschreibungen darauf hinzuweisen, dass Menschen mit Behinderung willkommen sind.


Gemeinsame Verantwortung von Politik und Wirtschaft

Sehr geehrte Damen und Herren
Der SGV ist ein Verband, der sich seiner gesellschafts- und staatspolitischen Verantwortung immer bewusst war und diese wahrgenommen hat. Ihr Verband ist in diesem Sinne eine staatstragende, konstruktive und verlässliche Kraft. Für dieses Rollenverständnis gebührt Ihnen Anerkennung und Dank. Führen Sie diese erfolgreiche Verbandspolitik weiter, denn sie verspricht Erfolg.

Das bedeutet nicht, dass Sie nicht Ihre Interessen konsequent und manchmal auch gegen den Bundesrat vertreten sollen. Im Gegenteil, das ist Ihre Aufgabe! Aber vergessen Sie nicht, dass im schweizerischen System der Kompromiss gesucht werden muss, um voran zu kommen.

Kompromissbereitschaft ist keine Schwäche, sondern eine Stärke unseres politischen Systems. Denn es geht bei der Kompromisssuche nicht um darum, Kompromisse in Bezug auf Überzeugungen zu machen, sondern in Bezug auf Projekte.

In den von mir erwähnten Bereichen der Gesundheitspolitik der AHV oder der IV werden wir nur erfolgreich sein, wenn wir erstens schrittweise vorgehen, zweitens gemeinsam voranschreiten und drittens Probleme gezielt angehen und lösen. Wenn es uns nicht gelingt, gemeinsam tragfähige Lösungen für die anstehenden Herausforderungen zu finden, drohen politische Blockaden. Das wäre insbesondere für die Wirtschaft gefährlich und schädlich. Ich weiss, dass Sie das nicht wollen, weil Sie eine verantwortungsvolle Verbandspolitik verfolgen und das Gemeinwohl nicht aus den Augen verlieren. Darum zähle ich auf Ihre Unterstützung für die anstehenden Reformvorhaben.

Vi formulo i miei migliori auguri per il vostro congresso qui a Lugano e vi ringrazio per l’attenzione.


Herausgeber

Generalsekretariat EDI
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