Mikroverunreinigungen: Anpassungen in der Abwasserbehandlung erforderlich

Bern, 01.10.2009 - Rund 100 Abwasserreinigungsanlagen (ARA) müssen mit Systemen zur Elimination von Mikroverunreinigungen aufgerüstet werden. Zu dieser Einschätzung gelangt das Bundesamt für Umwelt BAFU nach Abschluss der 2006 begonnenen Untersuchungen. Die im Abwasser vorhandenen Mikroverunreinigungen werden in den ARA nicht in ausreichendem Masse eliminiert. Sie wirken sich schädlich auf Pflanzen sowie auf aquatische Lebewesen aus und belasten Trinkwasserressourcen. Die festgestellten Konzentrationen stellen zwar für die Bevölkerung keine Gefahr dar, aber aus vorsorglichen Gründen bei Trinkwasserressourcen sowie zum Schutz der Ökosysteme sind Massnahmen unverzichtbar.

Dank dem guten Ausbau der Siedlungsentwässerung und der Abwasserreinigungsanlagen (ARA) hat sich der Zustand der Schweizer Gewässer in den vergangenen 30 Jahren deutlich verbessert. Allerdings werden im behandelten Abwasser aus den ARA noch immer Spuren von Chemikalien nachgewiesen, die durch herkömmliche Behandlungstechniken nicht eliminiert werden können. Bei diesen Mikroverunreinigungen handelt es sich um Rückstände von Bioziden (Herbizide, Fungizide), Medikamenten, Kosmetika und Reinigungsmitteln. Sie können bereits bei sehr geringen Konzentrationen schädliche Wirkungen entfalten. So wurde beispielsweise festgestellt, dass hormonaktive Stoffe für die Verweiblichung männlicher Fische verantwortlich sind. Über Abwasserreinigungsanlagen und Fliessgewässer gelangen Mikroverunreinigungen auch in die Seen und ins Grundwasser, wodurch sich die Qualität der Trinkwasserreserven unseres Landes verschlechtert. Diese Befunde werden im Ausland bestätigt.

Um die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen zusammenzutragen und eine Strategie zur Verminderung des Eintrags von Mikroverunreinigungen aus der Siedlungsentwässerung in die Gewässer zu erarbeiten, hat das Bundesamt für Umwelt BAFU im Jahr 2006 das Projekt «Strategie MicroPoll» ins Leben gerufen. Anlässlich der Präsentation der laufenden Pilotversuche in der Lausanner Abwasserreinigungsanlage Vidy (siehe Kasten 2) hat BAFU-Vizedirektor Willy Geiger den Synthesebericht zum Projekt vorgestellt.

Massnahmen in den Abwasserreinigungsanlagen haben Priorität

Angesichts der beobachteten Auswirkungen, der in Zukunft zu erwartenden Zunahme von Mikroverunreinigungen im Abwasser und der noch immer sehr lückenhaften Kenntnisse über die Tausende solcher Schadstoffe, gelangt das BAFU zur Ansicht, dass Handlungsbedarf besteht. 

Unter den verschiedenen geprüften Massnahmen (siehe Kasten 1) muss die Aufrüstung der ARA durch spezifische Behandlungsverfahren prioritär vorangetrieben werden. Die technischen Möglichkeiten bestehen bereits und sind wirtschaftlich tragbar. Das in der ARA Regensdorf (ZH) getestete Ozonungsverfahren lieferte gute Resultate. Weitere Pilotprojekte werden in Lausanne sowie am Wasserforschungsinstitut Eawag des Bundes durchgeführt.

Rund 100 ARA müssen aufgerüstet werden

Eine Synthese von über 13'000 in der ganzen Schweiz durchgeführten Messungen von Mikroverunreinigungen und die Modellierung, die im Rahmen des Projekts «Strategie MicroPoll» für über 10 ausgewählte Mikroverunreinigungen durchgeführt wurde, hat bestätigt, dass Arzneimittelrückstände nachteilige Einwirkungen auf Wasserlebewesen haben, wie es bereits im Rahmen des Nationalen Forschungsprogrammes NFP 50 für die hormonaktiven Stoffe festgestellt wurde. Die Problematik der Mikroverunreinigungen betrifft die Regionen der Schweiz in unterschiedlichem Masse. Vor allem grosse ARA, ARA an Gewässerabschnitten mit einer ungenügenden Verdünnung des gereinigten Abwassers im Fliessgewässer sowie ARA an Gewässern, die für die Trinkwassergewinnung genutzt werden, müssen durch geeignete Systeme aufgerüstet werden. Aufgrund dieser Kriterien schätzt das BAFU die Zahl der aufzurüstenden ARA in der Schweiz auf rund 100 von insgesamt über 700; dazu zählen neben den grössten Anlagen des Landes auch etwa 90 mittelgrosse ARA.

Finanzierung wird geprüft

Der wirtschaftliche Wert der Abwasserbehandlungsinfrastruktur in der Schweiz beträgt gegenwärtig rund 100 Milliarden Franken. Der Betrieb und die durch den technischen Fortschritt bedingten Anpassungen der Systeme schlagen in der Regel mit rund 1,7 Milliarden Franken pro Jahr zu Buche. Die Zusatzinvestitionen für die mittelfristige Aufrüstung von rund 100 ARA werden auf ungefähr 1,2 Milliarden Franken geschätzt. Die zusätzlich anfallenden jährlichen Gesamtkosten belaufen sich auf schätzungsweise 130 Millionen Franken, das entspricht einem Anstieg um 6 Prozent gegenüber heute. Diese zusätzlichen Kosten sind bei grossen Anlagen verhältnismässig geringer als bei kleinen. Die technischen Anpassungen könnten im Zuge der natürlichen Erneuerung der ARA vorgenommen werden, die in näherer Zukunft anfallen werden. Gegenwärtig bereitet das BAFU eine Änderung der Gewässerschutzverordnung vor, um diese neue Aufgabe des Gewässerschutzes in die Wege zu leiten und zu regeln. 

KASTEN 1:
Möglichkeiten zur Verminderung der Mikroverunreinigungen

Da in näherer Zukunft zahlreiche Abwasserreinigungsanlagen (ARA) renoviert werden müssen, hat das BAFU im Rahmen des Projektes «Strategie MicroPoll» verschiedene Möglichkeiten geprüft, um den Eintrag von Mikroverunreinigungen aus der Siedlungsentwässerung in die Gewässer zu verringern.

  • Organisatorische Massnahmen: Die Effizienz der Siedlungsentwässerung liesse sich verbessern, indem kleine ARA aufgehoben und an eine grössere ARA angeschlossen würden. Dadurch könnte die Abwasserreinigung professionalisiert und ein günstigeres Qualitäts-Kosten-Verhältnis erzielt werden.
  • Technische Massnahmen: Untersucht wurden sowohl dezentrale Lösungen als auch zentrale Massnahmen in den ARA. Analog zu den Industriestandorten, die bereits eigene (Vor-)Behandlungsanlagen errichtet haben, ist die dezentrale Abwasserbehandlung - beispielsweise für Spitäler oder Alters- und Pflegeheime - nur dann gerechtfertigt, wenn ein bedeutender Teil der Fracht von Medikamentenrückständen aus diesen Quellen stammt. Weitere Möglichkeiten wie beispielsweise die getrennte Sammlung und Behandlung von Urin zur Elimination von Arzneimittelrückständen oder in einzelne Gebäude integrierte Abwasserbehandlungsanlagen wurden ebenfalls untersucht.

Das BAFU gelangt zum Schluss, dass die Aufrüstung der Abwasserreinigungsanlagen die effizienteste Lösung darstellt. Ergänzend dazu müssen organisatorische Massnahmen sowie Massnahmen zur Verringerung der Verschmutzung an der Quelle (z.B.über die bestehende Chemikaliengesetzgebung, Information der Bevölkerung) getroffen werden.

KASTEN 2:
Tests mit Ozonung und Aktivkohlefilterung in der ARA Vidy (Lausanne)

Mit Unterstützung des BAFU und des Kantons Waadt testet die Stadt Lausanne seit dem 1. Oktober 2009 die Wirksamkeit der Aktivkohlefilterung zur Elimination von Mikroverunreinigungen im Siedlungsabwasser. Ergänzend dazu sind verschiedene Versuche im Gange, um das Potenzial des Ozonungsverfahrens zu bestätigen.

Wie der Lausanner Gemeinderat Olivier Français an der Pressekonferenz vom 1. Oktober 2009 erklärte, bilden die Arbeiten zu diesen Tests den Auftakt zu einer umfassenden Renovierung der Abwasserreinigungsanlage Vidy. In der 1964 erbauten ARA wird das Abwasser der Stadt Lausanne und von 15 angrenzenden Gemeinden behandelt. Die Waadtländer Staatsrätin Jacqueline de Quattro kündigte an, dass der Kanton Waadt eine kantonale Strategie zur Bekämpfung der Mikroverunreinigungen erarbeiten will. Demnächst soll dem Kantonsparlament ein Antrag für einen spezifischen Kredit über 1,85 Millionen Franken für die ARA Vidy sowie für die Abklärungsphase, für die Ausarbeitung der Zielsetzungen für die kantonalen ARA sowie für die Kostenabschätzung vorgelegt werden. In einer weiteren Etappe wird es darum gehen, die Massnahmen zu definieren, die auf der Ebene der ARA ergriffen werden müssen (Zusammenlegung, Aufrüstung durch Verfahren zur Elimination von Mikroverunreinigungen).


Adresse für Rückfragen

Willy Geiger, Vizedirektor des BAFU, Tel. 079 371 62 82
Michael Schärer, Abteilung Wasser, BAFU, Tel. 031 324 79 43



Herausgeber

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
https://www.uvek.admin.ch/uvek/de/home.html

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-29317.html