Die «Pfahlbauten»- Bald Unesco Weltwerbe?

Bern, 06.07.2009 - Die Schweiz hat die Initiative ergriffen für eine serielle, zwischenstaatliche Kandidatur der prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen. Die Kandidatur ist auf der vom Bundesrat 2004 genehmigten Liste indicative verzeichnet und betrifft Pfahlbaustätten in sechs verschiedenen Alpenländern: in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien, Slowenien und Österreich. Das Dossier soll dem Welterbekomitee der Unesco bis Januar 2010 offiziell überreicht und voraussichtlich an der Sitzung im Sommer 2011 behandelt werden.

Von den rund 1000 in den sechs Ländern bekannten Pfahlbauer-Fundstellen wurden 152 Stätten – 82 in der Schweiz – mit dem grössten wissenschaftlichen Potenzial ausgewählt. Das umfangreiche Nominationsdossier für die Unesco-Welterbekandidatur «Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen» soll bis Januar 2010 eingereicht werden. Nach der Prüfung der Kandidatur im Sommer 2010 ist mit einem Entscheid der Unesco im Sommer 2011 zu rechnen. Bisher sind auf der Welterbeliste der Unesco nur wenige prähistorische Stätten vertreten.

Auf internationaler Ebene wird das Projekt vom Bundesamt für Kultur in Zusammenarbeit mit dem Verein Palafittes koordiniert, der von archäologischen Kreisen zum Zweck der Erstellung des Nominationsdossiers sowie zur Koordination der Arbeitsgruppe der beteiligten 15 Kantone in der Schweiz gegründet wurde. Die Kandidatur ist komplex, da sie die verschiedenen nationalen Systeme, Behörden und Verfahren der insgesamt gegen 30 archäologischen Institutionen in den sechs Ländern berücksichtigen muss. Die nationale und zwischenstaatliche Zusammenarbeit soll die Erhaltung der Stätten, aber auch den wissenschaftlichen Austausch und die Vermittlung der Pfahlbauarchäologie an das breite Publikum fördern. So wurde vor kurzem eine Informationsbroschüre publiziert, die das Phänomen der Pfahlbauten auf über 300 farbigen Bildern in all seinen Facetten darstellt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Pfahlbauforschung wurde auch ein länderübergreifendes Inventar der Fundstellen erstellt.

Begehrte Siedlungsplätze an den Seen

Die «Pfahlbauten», Seeufer- oder Feuchtbodensiedlungen bezeichnen keine einheitliche Kultur. Insgesamt umfasst dieser Begriff rund 30 verschiedene Kulturgruppen der Jungsteinzeit, Bronzezeit und beginnenden Eisenzeit zwischen 5000 und 800 v. Chr., die in den Alpenländern Schweiz, Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien und Slowenien präsent waren.

Günstige Siedlungslagen wurden an den Ufern immer wieder besiedelt, wenn es der Seespiegelstand zuliess. So entstanden an manchen Orten über die Jahrtausende Schichtfolgen von mehreren Metern Mächtigkeit, mit den Resten von bis zu 25 übereinander liegenden Dörfern.

Die Bauweise der Dörfer und ihrer Häuser war ausgesprochen vielfältig: Es gab Reihen-, Zeilen-, Strassen- oder Haufendörfer, die Häuser selbst waren ebenerdig oder abgehoben angelegt. Jedes Gewässer hat dabei seine eigene Geschichte, so dass sich die Fundstellen heutzutage im seichten Uferbereich finden lassen (z.B. Bielersee), sich aber auch weitab vom See im verlandeten Hinterland (z.B. Zugersee) oder mitten in heutigem Stadtgebiet (z.B. Zürich) befinden können.

Ein überaus lebendiges Bild der prähistorischen Zeit

Die Seeufersiedlungen stellen für das Verständnis der Lebensweise in der Jungsteinzeit und in der Bronzezeit (ca. 5000 – 800 v. Chr.) die umfassendsten und aussagekräftigsten Quellen dar: In feuchten Böden unter Luftabschluss erhalten sich nämlich organische Materialien ausgezeichnet. Die Nutzung solcher Materialen waren in prähistorischer Zeit allgegenwärtig: Holz diente nicht nur als Brennstoff oder als Material für den Bau von Häusern, Palisaden, Wegen und Transportmitteln. Holz war auch wichtigster Werkstoff für Gefässe, Korbwaren und Geräte verschiedenster Art. Rinde wurde zur Herstellung von Schachteln und Behältern, Birkenrinde im speziellen zur Verzierung von besonderen Beilholmen oder Keramikgefässen verwendet. Das Pech der Birkenrinde war auch ein vielseitig nutzbarer Klebstoff. Aus Eichen- und Lindenbast wurden u. a. Seile, Umhänge, Hüte und Schuhe gefertigt. Auch Gewebe aus Leinen sind uns aus vielen Feuchtbodensiedlungen bekannt.

Glanzpunkte der Archäologie

In der Schweiz datieren die frühesten Feuchtbodensiedlungen um 4300 v. Chr. Sie gehören einem frühen Stadium der bäuerlichen Gesellschaft an, welches dank den Seeufersiedlungen durch Werkzeuge wie Erntemesser, Furchenstöcke und Pflüge gut dokumentiert ist. Die «Pfahlbauten» erlauben auch einen umfassenden Einblick in die Ernährungsweise der prähistorischen Gesellschaft, etwa durch systematische Analysen von Knochen, Samen und Pollen, aber auch durch verbrannte Kochreste oder die Funde ganzer Brote.

Die Seeufersiedlungen warten mit weiteren Highlights auf, mit denen wichtige Etappen der Zivilisation markiert werden: So sind unter der grossen Menge an Funden auch Zeugnisse der frühen Metallurgie zu finden und beim Stichwort «Transport» sind die ältesten erhaltenen Räder zu nennen, die um etwa 3000 v. Chr. datieren.

Zwar kann von einem eigentlichen Alpentransit noch keine Rede sein – schon gar nicht mit den damaligen Wagen – aber bereits in der Jungsteinzeit bestanden Kontakte zwischen den Menschen nördlich und südlich der Alpen. Sie lassen sich durch Funde am Bodensee nachweisen, wie etwa bestimmte Getreidearten oder Kornelkirschen, die in dieser Epoche nur südlich der Alpen vorkamen, aber auch Silexdolche, deren Rohmaterial aus Norditalien stammt.

Exakte Datierungsmöglichkeit

Der ausserordentliche Fundreichtum gewinnt durch die Möglichkeit der Jahrringdatierung (Dendrochronologie) der in den Feuchtbodensiedlungen gefundenen Hölzer enorm an Wert. Diese ermöglicht es nicht nur, den Bau der Häuser und die damit zusammenhängenden Fundschichten exakt zu datieren, sondern im Idealfall auch die ganze Dorfgeschichte und die Verlagerung der Siedlungen innerhalb einer Region zu rekonstruieren.

Die ausserordentliche Dichte der Seeufersiedlungen – sie liegen oft nur wenige Kilometer auseinander – ist ein weiterer wichtiger Trumpf der «Pfahlbauten», die mit dem wachsenden Forschungsstand in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird: So lassen sich zeitgleiche Siedlungen herausschälen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Regeln und Ausnahmen definieren, was das Bild der prähistorischen Gesellschaft in Zukunft noch erheblich bereichern wird.

Ein «endliches» Kulturgut

Vor über 150 Jahren wurden die ersten Pfahlbaufundstellen durch Laien entdeckt. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten wurden durch die Einrichtung von Fachstellen (Kantonsarchäologien) und durch die Entwicklung unterwasserarchäologischer Grabungstechniken unzählige neue Fundplätze entdeckt und partiell ausgegraben. Nicht zuletzt deswegen sowie wegen veränderter Seespiegelstände und Veränderungen in der Ufertopographie haben viele Fundplätze in ihrer Erhaltungsqualität gelitten.

Fotos und Präsentation: http://www.bak.admin.ch/bak/aktuelles/medieninformation/01948/index.html?lang=de


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