Boden und Bürgersinn - Grundeigentum im Grundsätzlichen

Bern, 05.06.2009 - Referat von Bundesrat Ueli Maurer, Chef des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS, anlässlich der Generalversammlung des Hauseigentümerverbandes Schaffhausen vom 4. Juni 2009.

Es gilt das gesprochene Wort!

Kaum etwas ist so wirklich, so greifbar, so real wie Grund und Boden.

Boden, darauf gehen wir – spüren ihn, spüren ihn weich im Wald oder asphalthart auf der Strasse, spüren ihn nach der langen Wanderung auf der Sohle brennen.

Boden, darauf stehen wir – wenn auch nicht alle fest und mit beiden Füssen, wie man in der Politik immer wieder feststellen muss.

Aber Boden ist mehr als nur die Erdschale, gegen die uns die Schwerkraft presst. Boden ist Grundlage, ist Lebensgrundlage. Zuerst im landwirtschaftlichen Sinne, gewiss. Wer den Spaten in die Erde sticht, bringt den Boden zum Blühen; ringt ihm ab, was wir zum Leben brauchen. Boden indes ist uns darüber hinaus Lebensgrundlage in einem geistig-seelischen Sinne. Boden trägt nicht nur den Körper, sondern auch Geist und Gedanken.     

Die Scholle, die im Herbst frisch gepflügt nach einem neuen Frühling, nach Vergangenheit und Vergänglichkeit ebenso wie nach Zukunft und Aufbruch riecht – Das geht ins Mystische. Denn aus dem Boden wächst alles, im Boden versinkt alles. Der Soldat gräbt sich für den Verteidigungskampf im Boden ein, der Auswanderer küsst die Heimaterde zum Abschied.

Die Erde ist das Grab der Vorgenerationen, in Erde geht man dereinst selbst über. Der Zusammenhang und der Zusammenhalt, jahrhundertüberspannend, von der alemannischen Landnahme bis in die Neuzeit, über Generationen und Geschlechter, das hat keiner so schön beschrieben wie Gottfried Keller in seinem „Lob des Herkommens“. Er schildert die Erde als das Medium, das Tradition und Kultur weiterträgt, dem Volk eine Bande gibt.

Das ist nicht nur Idylle des 19. Jahrhunderts, keine überholte Blut-und-Boden-Romantik: Max Frisch lässt im „Stiller“ die beackerte Scholle symbolschwer und wortschön in der Sonne glänzen; ganz selbstverständlich spielt er mit dem Bild der Erde, wenn es um Identität und Heimat geht – und kann sich auch in der Moderne vom Leser verstanden wissen.
 
Grundeigentum gibt Heimat
Boden ist etwas Besonderes. Immer noch. Wenige von uns bearbeiten die Scholle noch mit Pflug und Schweiss, wenige von uns versorgen sich noch mit den selbst gesäten, gezogenen, geweideten Erträgen. Aber sogar der modernste, urbanste, kosmopolitisch gesinnte Weltenbürger sehnt sich nach einem eigenen Stück Land. Ein Stück Land, das er bebauen kann, nicht als Bauer, aber als Bauherr. Und vielleicht als begeisterter Hobbygärtner. Ein Stück Land, zu welchem er nicht nur zurückkehren, sondern zu welchem er jederzeit heimkehren kann.

Wer träumt denn nicht von einem eigenen Haus, einem Heim, einem eigenen Heim, einem Eigenheim – Denn im Wort Heim klingt das Wesentliche an: Heim ist Heimat. Wir sehnen uns nach Heimat. Und ich meine: Der Heimatwunsch gehört zum Menschlichen schlechthin; keine Ideologie kann uns das vergällen, kein Modetrend davon abbringen.   

Grund und Boden sind und geben Heimat. Die kleine, ganz private Heimat der vier Wände zuerst einmal. Dann aber auch die Heimat unseres Vaterlandes. Denn Parzelle um Parzelle zusammengefügt, wird die Gesamtheit der Parzellen zu unserem Land, zu unserer Schweiz.

Ebenso, wie wir Bürgerinnen und Bürger in unseren Milizfunktionen, von der Armee über die Laiengerichte bis zur Politik, in ihrer Gesamtheit diesen Staat ausmachen. Und genau so, wie die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger zum Souverän werden, zur obersten Gewalt.

Das zeigt das Besondere des Grundeigentums an. Es ist mit dem Wesen von Staat und Gesellschaft eng verknüpft. Schicksalhaft verknüpft sogar, wie der vergleichende Blick auf Vergangenheit und Gegenwart uns zeigt. Eigentumsverhältnisse und Staatsform sind im ewigen Parallellauf gefangen; ein Richtungswechsel im einen Bereich bleibt nicht ohne Folge für den andern. 

In der Schweiz kann seit 1848 jeder frei Eigentum erwerben. Da zeigt sich unsere volksnahe und direktdemokratische Ordnung. Zusammen mit den bürgerlichen Abwehr- und Freiheitsrechten, den politischen Rechten und der Rechtsgleichheit steht die Eigentumsfreiheit am Anfang der modernen Schweiz.

Aber auch die Grundeigentumsordnung des alten Regiments ist aufschlussreich, auch wenn sie mit ihren mannigfachen Auflagen und Einschränkungen nicht unseren freiheitlichen Vorstellungen entspricht. Grundeigentum und Bürger- oder Mitspracherechte waren aneinander geknüpft. Die alten Rodel und Offnungen sahen vor, dass nur mitbestimmen konnte, wer über Grundeigentum verfügte. Eine ideologisch einseitige Geschichtsschreibung deutet dies verkürzt als Diskriminierung der Minderbemittelten, als eine Herrschaft der Vermögenden, als ein plutokratisches System. Und deckt sich daraus mit Munition ein für den heutigen Diskurs.

Grundeigentum macht selbstverantwortlich
Allein, die Zusammenhänge wirkten damals anders. Wenn die Gemeinschaft Entscheidungen für die Zukunft traf; Entscheidungen, die alle etwas angingen, dann sollten nur diejenigen mitbestimmen können, die auch in einigen Jahren noch da und mitbetroffen waren. Und nicht diejenigen, die dann ihr Glück in den Kolonien der neuen Welt oder in einem Schweizerregiment in Frankreich oder Flandern suchten.

Denn: Eigentum macht ortsgebunden. Eigentum bindet ein in die Gemeinschaft. Eigentum verbindet den Eigentümer mit dem Schicksal der Gemeinschaft, der Heimat. Darum ging es in den alten Dorfordnungen: Um Stabilität und um verantwortliches Handeln für die gemeinsame Zukunft einer Gemeinschaft.

Zeitzeugen widerlegen denn auch die Klassenkampfthese und berichten von einem Volk, welches dank Grundbesitz solide geerdet war. Als Reisender, Wirtschaftsattaché und gesellschaftspolitischer Nachrichtendienstler berichtete John Bowring in seiner analysierenden Schrift – „Bericht an das Englische Parlament über den Handel, die Fabriken und Gewerbe der Schweiz“ – im Jahr 1837 staunend an seine Auftraggeber in London, mehr als die Hälfte der Arbeiter seien hierzulande auch noch ein wenig Bauern.

Dieser Befund aus einer ersten Hochphase der Industrialisierung ist bemerkenswert. Der Zürcher Wirtschafts- und Sozialhistoriker Rudolf Braun und weitere Forscher in seiner Tradition stellten den Zusammenhang her zwischen einem breitverteilten Grundbesitz in der Schweiz, dem Freiheitswillen über die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten hinweg und der weitgehenden Immunität der Arbeiterschaft gegenüber marxistischen Revolutionsparolen.

Eigentum stabilisiert. Grundeigentum schafft Heimat. Heute wie damals. Das ist die Lehre, die uns die Geschichte vermittelt. Deshalb wäre es zu wünschen, die Politik hörte aufmerksam hin und setzte sich für Voraussetzungen ein, um möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern den Erwerb von Grundeigentum zu ermöglichen. Das beschert der Gesellschaft verantwortungsvolle, aktive, engagierte Bürger. Als Eigentümer, und als Grundeigentümer im Besonderen, fühlt man sich in gesteigertem Masse für das Gemeinwesen verantwortlich – angefangen beim Steuersatz, der Schulpolitik oder der Sicherheit der Gemeinde, wo man sich niederzulassen entschlossen hat. Diese Verantwortung braucht dem grundbesitzenden Bürger niemand vorzuschreiben, er empfindet sie, weil er seine eigene kleine Heimat in seinem eigenen Heim kennt und liebt. Und er weiss auch ganz rational um sie: Er will nicht verlieren, was er teuer erworben. Aus seiner selbstverantwortlichen Umsicht heraus handelt er mithin verantwortlich für das Gemeinwesen.

Grundeigentum schafft Wohlstand
So fördert Eigentum – entgegen der politischen Unterstellung – nicht den Egoismus, sondern den Gemeinsinn. Die Geschichte steht auch hier als Zeuge bereit: Felder und Wiesen, die nicht als Privateigentum genutzt, sondern dem kollektiven Gebrauch offenstanden, die Allmenden, wurden durch chronische Übernutzung ausgezehrt. Jeder versuchte, seinen privaten Nutzen und Gewinn zu maximieren; die Kosten und Folgen des Raubbaus trug dann die Allgemeinheit. Der ruinöse Mechanismus ging unter dem Begriff der „Tragik der Allmende“ in die Wirtschaftsgeschichte ein.

Es ist deshalb der falsche Ansatz, den Bürger in seinen Eigentumsrechten beschränken zu wollen, denn eingeschränktes Grundeigentum bedeutet ein eingeschränktes Verhältnis zur Heimat, lässt das Bürgerengagement erkalten und trifft die freiheitliche Gesellschaftsordnung im Kern. Auch wenn die grobschlächtigen Postulate der 68-Bewegung – Bodenreform und Kollektivierung – jetzt geschmeidiger als Forderung nach einer Sozialpflichtigkeit des Eigentums präsentiert werden. 

Unser Bestreben muss einem gesicherten und verbreiteten Grundeigentum gelten. Dabei ist der enge Zusammenhang zwischen Schweizer Boden, Schweizer Bürgerrecht und Bürgersinn nicht aus dem Auge zu verlieren. Es ist nicht nur im Einzelfall bedauerlich, sondern gesellschaftlich nachteilig, wenn Wohneigentum für Schweizerinnen und Schweizer unerschwinglich wird, weil es zum Jonglierobjekt ausländischer Spekulanten geworden ist. Schweizer Boden ist Heimat – Schweizer Boden soll nicht fremden Financiers und undurchsichtigen Oligarchen als Handelsware dienen.

Ich habe eingangs das Emotionale angesprochen, das in Besonderheit und Bedeutung des Bodens durchscheint: Der Boden nicht nur als Kulturland, sondern auch als Kulturträger; das Bedürfnis nach Heim und Heimat. Es geht hier um Tradition, Identität, Mentalität, die nach der angemessenen Rechtsordnung verlangen. Dem Freiheitswunsch des Bürgers entsprechen  Eigentumsfreiheit und freiheitliche Rechtsordnung. Und zusammen mit der Rechtssicherheit ermöglichen sie, Schaffenskraft und Kreativität freizusetzen, Ideenreichtum zu entfalten. So wirkt Eigentum als Triebfeder für Wachstum, als Humus für Wohlstand. Und gibt die Skala ab für die Freiheit der Gesellschaft. Wobei Grundeigentum der sensibelste Gradmesser ist, da im Boden nicht nur die Ackerfrucht, sondern auch Heimatbezug und Selbstverantwortung wurzeln.


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