Tourismus in einer sich wandelnden Umwelt

Luzern, 22.04.2009 - Bundesrätin Doris Leuthard | World Tourism Forum 2009

President,
Director,
Cantonal Councillors,
Ladies and gentlemen.

Ganz besonders in schwierigen Zeiten muss man sich an Schönem erfreuen - an unseren herrlichen Berglandschaften, an beruhigenden Seen, an kulturellen und städtebaulichen Sehenswürdigkeiten. Tourismus soll aber mehr sein als nur die Flucht vor dem Alltag; Ferien bedeutet Stress abbauen, Batterien aufladen und Kulturen und Menschen kennenlernen.

Die einen zieht es in die Berge, andere ans Meer oder in die Wüste.

Tourismus ist längst nicht mehr ein nationales Geschäft, sondern ein globales.

Tourismus ist für viele Staaten ein wichtiger Wirtschaftspfeiler, der vielen Menschen ein gutes Einkommen bietet.

Daher begrüsse ich es, wenn sich Fachleute aus aller Welt hier am 1. World Tourism Forum in Luzern austauschen und Netzwerke knüpfen. Für eine prosperierende Tourismusbranche sind aus meiner Sicht folgende Fragen zu beantworten:

  1. Wo steht der Tourismus in der aktuellen Weltwirtschaftskrise?
  2. Wie präsentiert sich die Situation in der Schweiz?
  3. Gibt es kurz- und langfristige Rezepte für einen erfolgreichen und nachhaltigen Tourismus?
  4. Wie sieht die Zukunft aus?

Der Welttourismus ist ein Musterbeispiel für eine Wachstumsbranche. Seit dem 2. Weltkrieg stiegen die internationalen Ankünfte jährlich um 4% von 25 Millionen auf 900 Millionen Ankünfte. Die Tourismusnachfrage verdoppelt sich alle 12 Jahre; in den letzten drei Jahren hatte sich das Wachstum noch beschleunigt.

Das überrascht nicht - Konsumenten waren bester Laune und verfügten über das nötige Geld. Ich gehe davon aus, dass sich dieses Wachstumsmuster langfristig nicht ändert. Zwar sind die kurzfristigen Aussichten des Welttourismus eher düster. Die Wirtschaftskrise führt dazu, dass auch der Tourismus weltweit schrumpft. Die Experten erwarten im laufenden Jahr einen Rückgang von minus 2% und auch die Aussichten für 2010 sind wenig optimistisch.

Weil aber der Wunsch nach Ferien ungebrochen bleibt, wird auch die Lust auf Reisen, Entdeckungen und Erholung anhalten. Daher erwartet die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) im Jahr 2020 1,5 Milliarden Ankünfte in Beherbergungsbetrieben.

Auf die UNWTO darf man bauen - zumindest ihre Prognosen stimmten bisher ziemlich genau.

Ein ähnliches Abbild zeigte sich auch in der Schweiz - 2008 war für uns ein Rekordjahr. Die Hotelübernachtungen übertrafen die 37 Millionen Grenze - ein Allzeithoch. Anderseits wird die Weltwirtschaftskrise auch am Schweizer Tourismus nicht spurlos vorbeigehen. Wir erwarten 2009 einen Rückgang der Hotelübernachtungen in der Grössenordnung von 3% und 2010 noch einmal einen Rückgang von gut 1%. Dabei kumulieren sich gleich mehrere negative Einflüsse, die vor allem die Tourismusdestinationen in Europa zu spüren bekommen:

  • Die Finanzkrise hat den Kreditmarkt ausgetrocknet und die Wirtschaft zum Stillstand gebracht.
  • Die grossen Schwankungen der Wechselkurse schaden dem Tourismus.

Anderseits haben wir Grund für Optimismus. Die vergangenen Krisen zeigten: Der Tourismus ist stabiler als andere Branchen. Von rezessiven Phasen etwa in den 70er-Jahren mit der Erdölkrise hat sich der Tourismus immer rasch erholt; rascher als andere Wirtschaftszweige. Die Schweiz und der Schweizer Tourismus präsentieren sich in guter Verfassung.

  • Neben Natur und einer intakten Umwelt haben wir eine exzellente Verkehrsinfrastruktur (ranked first worldwide) und hohe Sicherheitsstandards.
  • Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in ihrem Bereich, namentlich die renommierten Hotelfachschulen, sind unser Markenzeichen und auch hier ist Qualität entscheidend.
  • Wir sind das Zentrum von Europa (auch ohne EU-Mitgliedschaft) und von überall her leicht zu erreichen - aus Paris, London, Berlin oder Rom. Das gilt für Ferien wie für Business und internationale Kongresse.
  • Im Seilziehen zwischen Massen und Individualisten setzt die Schweiz ganz klar auf den Individualtourismus - klein und fein.
  • Wir bieten echte Werte statt Scheinwelten; wir bieten Natur, Authentizität und Kultur statt Glitzer und künstliche Welten.
  • Nicht umsonst belegen wir - vor Österreich, Deutschland und Frankreich - (immer wieder) den ersten Platz im renommierten Travel and Tourism Competitivness Index.

Dank dieser Ausgangslage dürfte unsere Tourismusindustrie von der Krise nicht so stark gebeutelt werden. Denn wir können auf diesem guten Ruf aufbauen.

  • Jean-Jacques Rousseau haben wir es zu verdanken, dass im autoritären Europa weit herum bekannt war: In Schweizer Gasthöfen konnte man ungestraft gegen „Die-da-oben" schimpfen - auch heute noch.
  • Einem Sonnenaufgang auf der Rigi konnte sich auch Königin Viktoria nicht entziehen.
  • Sogar jener Winston Churchill kletterte auf die Dufourspitze, der später einmal sagte: „never do sports."

Doch Natur allein genügt nicht. Preis und Leistung - sprich der Service - müssen noch besser stimmen. Dann wird sich auch der derzeit von Touristikern befürchtete Rückgang der Aufenthaltsdauer in Grenzen halten.

Beim Know-how, bei der Gastfreundschaft und beim naturnahen Tourismus gilt es anzuknüpfen. Der Staat ist dabei verpflichtet, die Rahmenbedingungen zu optimieren und dafür zu sorgen, dass die politische Lage stabil bleibt, die Verkehrsinfrastrukturen funktionieren, Landschaften gepflegt oder attraktive Kulturdenkmäler erhalten werden.

Die Touristiker ihrerseits müssen sich noch mehr an den Wünschen der Gäste orientieren:

  • Jeder Tourist muss als König behandelt werden.
  • In die Bildung muss investiert werden; Berufsbildung und Hotelfachschulen sind die Basis für eine erfolgreiche Zukunft der Hotellerie - nicht nur in der Schweiz.
  • Protektionistische Reflexe sind zu vermeiden: Tourism must continue to go both ways!
  • Der Klimawandel ist auch von touristischer Seite her aktiv anzugehen - beispielsweise mit ressourcenschonenden Aktivitäten.

Gerade bezüglich Klimawandel ist der Tourismus Schädiger und Geschädigter.

Schädiger, weil der Tourismus durch die steigende Mobilität heute etwa 5% der schädlichen Emissionen mit verursacht; die Luftfahrt ist dabei Sorgenkind Nummer 1. Der Luftverkehr, die Lust an der Fliegerei, lassen sich dabei kaum eindämmen. Aber die Flugindustrie sollte in die Technologie investieren und die Flugpassagiere, wir alle sollten unsere CO2-Emissionen wenigstens kompensieren.

Der Tourismus ist Geschädigter, weil Inselstaaten wie die Malediven durch den steigenden Meeresspiegel bedroht oder Berggebiete durch das Schrumpfen der Gletscher beeinträchtigt werden. Griffige Resultate im Rahmen des Kopenhagener-Prozesses in diesem Jahr für das Post-Kyoto-Regime nach 2012 sind vital für den Tourismus. Dabei müssen alle Staaten einbezogen werden.

Der Tourismus hat Möglichkeiten, seinen Anteil an der Klimabelastung zu reduzieren.

  • Der neue B787 „Dreamliner" von Boeing ist 20% treibstoffeffizienter als die Flugzeuge der 1990er Jahre.
  • Das Badrutt‘s Palace Hotel in St. Moritz wird statt mit Erdöl durch Wärmeaustausch mit 4-grädigem Wasser aus dem St. Moritzersee beheizt. So werden CO2-Emissionen eingespart.
  • Arosa hat die Klimaneutralität zum Ziel gemacht - mit Elektroautos.
  • Die Schweizer Jugendherbergen haben eingewilligt, Kompensationszahlungen bei „myclimate" von rund 200‘000 Franken jährlich zu leisten.

Wir haben also die Möglichkeit, zum ambitiösen Ziel Towards Zero Emission wesentlich beizutragen. Ob in Thailand, Südafrika oder Brasilien; wir alle können einen Beitrag leisten.

Das Verhältnis zwischen Tourismus und Mobilität ist aber nicht nur wegen der Klimabelastung zunehmend konfliktbeladen. Die Besucherströme können stören und das Gleichgewicht einer Gesellschaft verändern.Wenn Touristen in grosser Zahl auftreten, sind Staus, Wartezeiten, Stress und Umweltprobleme nicht weit. Toleranzgrenzen der einheimischen Bevölkerung gegenüber den Besuchern sinken. Das moderne „Massenphänomen" ist nicht kompatibel mit den Idealen des Tourismus, weshalb immer wieder auf die Zerstörung des Tourismus durch den Tourismus hingewiesen wird. Man spricht vom Aufstand der Bereisten.

Kritische Tourismusexperten forderten schon vor Jahren: Bleiben sie zu Hause! Machen sie Ferien auf Balkonien! Wie wir wissen, fanden die Leute keinen Gefallen an dieser Idee.

Das heisst nicht, dass wir den Tourismus in all seinen Ausprägungen einfach hinnehmen müssen.Der Gast kann für die Probleme der Mobilität sensibilisiert werden. Er kann zur Problemlösung beitragen, wenn er mithilft, die Umwelt zu schonen und Kulturen zu respektieren - Klimaanlagen sind oft unnötig oder dann zu tief eingestellt; Badetücher kann man ruhig 2 Tage nutzen. Die Tourismus- und Verkehrswirtschaft steht vor der Aufgabe, die Besucherströme zu bewältigen. Es gibt Belastungsgrenzen.Wir dürfen es nicht soweit kommen lassen, dass Kulturstätten Gäste abweisen müssen. Das ist keine erstrebenswerte Lösung.

Es ist deshalb wichtig, dass gerade in umweltsensiblen Bereichen ein professionelles Management von Attraktionen aufgebaut wird. Die Fachhochschule Luzern ist auf dem Gebiet eine Vorreiterin.

Meine Damen und Herren, wir stehen vor grossen touristischen Herausforderungen, denn der Wunsch zu Reisen bleibt ungebrochen und der Welttourismus wird zum Wachstum zurückkehren.

Heute unterscheiden wir noch zwischen Tourismusländern und übrigen Ländern. Die wird sich durch die Globalisierung ändern. Morgen wird die Welt eine Tourismusdestination ohne weisse Flecken sein. Jede Region hat ihre Reize und wird versuchen, diese möglichst attraktiv zu bewerben. Die damit verbundene Mobilität führt zu Problemen für den Menschen, seine Umwelt und für die Erde.

Langfristige müssen wir dafür sorgen, dass parallel zum Tourismuswachstum die Umwelt - konkret das Klima - nicht im gleichen Ausmass weiter belastet wird. Tourismus soll wachsen, aber ohne zusätzliche Umweltverschmutzung.

Dafür gibt es verschiedene Ansatzpunkte:

  • Wir können den Touristen überzeugen, dass er seine Ferien nachhaltig gestaltet, indem er auf ÖV oder auf Hybridauto umsteigt.
  • Wir können Druck auf die Flugzeug-, die Auto-, Klimaanlagen- und Bahnkonstrukteure ausüben, noch intensiver an ressourcenschonenden Motoren und Materialen zu arbeiten.
  • Wir können die Beherbergungswirtschaft auffordern, die neue Umwelttechnologie rasch zu nutzen, um umweltfreundlicher zu kühlen, zu kochen, zu isolieren und zu heizen.
  • Und der Staat, der Handel, etwa über die WTO, könnten solche umweltfreundlichen Geräte und Methoden mit Anreizen fördern.

Die weltweite Rezession wird den Strukturwandel im Tourismus beschleunigen. Sie ist eine Chance, richtig und nachhaltig zu investieren und so eine bessere Welt mitzugestalten. Modernisieren wir die Strukturen auf intelligente Weise, steigern wir die Produktivität durch Kostensenkungen, verbessern wir die Zusammenarbeit und die Ausbildung - über alle Grenzen hinweg.

Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg.


Es gilt das gesprochene Wort !


Herausgeber

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
http://www.wbf.admin.ch

https://www.admin.ch/content/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-26533.html