Das Herz von Härkingen

Bern, 20.03.2009 - Rede von Bundesrat Moritz Leuenberger an der Eröffnung des Briefzentrums Härkingen

Als Infrastrukturminister weihe ich immer wieder Bauwerke ein: Brücken und Strassen, Pisten und Tunnels, Bahnhöfe und Elektrizitätswerke. Postgebäude habe ich bis jetzt eigentlich keine eröffnet; hingegen habe ich öfters solche besucht, die von der Schliessung bedroht waren. Daher ist diese Einweihung eine ganz besondere.

Das Mittelland erhält heute ein neues Wahrzeichen. Bisher war es der Kühlturm von Gösgen, neu ist es das Briefzentrum Härkingen. Das Mittelland hat ein neues Herz.

Und weil alle auf dieses Herz angewiesen sind, weil immer mehr Briefe durch dieses Herz geschleust werden, nimmt der Verkehr noch mehr zu und es kommt zu Engpässen. Deshalb unternimmt mein Departement alles, um diese Engpässe zu beseitigen: Extra wegen des Briefzentrums wird nun der sechsspurige Ausbau der A1 bei Härkingen / Wiggertal um zwei Jahre vorgezogen; voraussichtlich kann noch dieses Jahr mit den Bauarbeiten angefangen werden.

Auf Rekurse müssen wir seit dem Präjudiz der Aktenherausgabe an die USA nicht mehr besonders Rücksicht nehmen.

An Einweihungsfeiern schlagen unsere Herzen höher, wir lobpreisen und rühmen. Wir wollen uns aber vor glühender Begeisterung nicht ins Feuer reden, wir wissen ja, wie schnell hier alles in Flammen aufgeht.

(Auch deswegen ist diese Einweihung eine Première, weil ich noch nie eine Infrastruktur einweihte, die bereits einmal abgebrannt ist.)

Halten wir zunächst also fest:

Infrastrukturen wandeln sich

Infrastrukturbetriebe stehen für Solidität, für Stabilität, für Langfristigkeit. Schon seit jeher haben wir eine Beziehung zu unserer SBB, zu unserer PTT, aus welcher die heutige Post hervorging.

Und doch unterliegen auch Infrastrukturen einem steten Wandel.

Sie müssen immer wieder erneuert und modernisiert werden, auch die Post.

Die legendäre Gotthardpost z.B. wurde 1921 eingestellt. 1961 ging die Ära der Schweizer Pferdepost definitiv zu Ende, als auch die letzte Pferdepost zwischen Avers und Juf schnelleren Verkehrsmitteln weichen musste.

Der Wandel im Infrastrukturbereich ist zum einen eine direkte Folge des technischen Fortschritts, der Mobilität, der digitalen Revolution.

In den letzten Jahren stand dieser Wandel zudem im Zeichen des politischen Wandels, der Liberalisierung und Marktöffnung. Aus staatlichen Monopolbetrieben wurden Unternehmen mit zunehmender Autonomie, die sich für den Wettbewerb zu rüsten begannen. Die Devise war ganz im Trend der Moden und der Models: schlanker und noch schlanker werden. Wer schlank ist, ist beweglicher, aber auch anfälliger für Anorexie und deswegen sollten wir bei allen nötigen Reformen nicht einem Schlankheitswahn erliegen.

Der Wandel der Post hat viele Gesichter:

  • Ein erstes Element des Wandels: Die Post wird immer automatischer

Die neuen Sortiermaschinen in Zentren wie Härkingen können Briefe automatisch für den Gang des Postboten vorsortieren, d.h. der Pöstler muss sie nicht mehr selber bündeln. Das erhöht die Produktivität und leistet einen Beitrag dazu, dass die Post weiterhin Erträge an den Bund abliefern kann.

Der Bund ist auf diese Erträge derzeit in der Tat angewiesen, denn wir brauchen dringend Geld für andere Unternehmen, die ebenfalls im Zahlungsverkehr tätig sind.

Allerdings denkt die Post trotz dieser automatisierten Sortierung darüber nach, uns die Briefe künftig erst am Nachmittag zuzustellen.

Wir lernen also: Je effizienter und automatischer die Post sortiert wird, desto später ist sie bei uns im Briefkasten.

Früher war das ganz anders: Der Pöstler auf der Pferdekutsche von Avers sortierte von Hand seine drei Briefe und fand, das gehe ja ganz automatisch.

  • Ein zweites Element des Wandels: Die Post wird immer pünktlicher

Sich für den Wettbewerb rüsten heisst auch: noch pünktlicher werden.

Bereits werden über 95% der Briefe pünktlich abgeliefert, und dank Härkingen soll dieser Wert weiter steigen.

Ich gebe zu: Es fällt mir leichter, diesen Wert in Prozent und nicht in absoluten Zahlen anzugeben. Denn das hiesse: Letztes Jahr kamen 110 Millionen Briefe zu spät an.

Ich weiss das genau, denn genauso so viele Reklamationen erhalte ich als an mich persönlich adressierte Protestbriefe.

Daher kenne ich auch die Antwort: 110 Millionen Mal zu spät gilt immer noch als pünktlich, denn über 2.6 Milliarden Briefe wurden rechtzeitig zugestellt.

Darin inbegriffen meine Antworten auf die Proteste.

Der abtretende CEO der Post wird sich an seiner neuen Arbeitsstelle dennoch etwas umstellen müssen. Bei den SBB gelten schon 2 Minuten Verspätung als Skandal.

Zählt man allerdings sämtliche Verspätungen der Cisalpino-Züge zusammen, schaffen wir es auch auf Millionenwerte.

  • Ein drittes Element des Wandels: Die Post spricht immer englischer

Auch am Gebrauch der Sprache zeigt sich, wie sehr Härkingen den globalen Wandel der Mode symbolisiert: die Post spricht immer englischer.

Härkingen bildet den Abschluss des Projekts REMA, eine Abkürzung für Reenineering Mailprocessing.

Was ein PostPac ist, kann ich mir gerade noch vorstellen.

Mit etwas Phantasie mache ich mir auch einen Reim auf den Begriff Webstamp. Bei IncMail gerate ich aber ins Grübeln, die PickPost macht mich ratlos und wenn Yellowworld eine Mobile-Tagging-Solution zur Verfügung stellt, ist der Postminister vollends am Ende seines klassischen Lateins.

Auch in diesem Gebäude ist Englisch angesagt: Weil es so gross ist, wurden Kader und Unterhaltsdienst mit Kickboards ausgestattet, um schneller voranzukommen. Früher hätte man statt Kickboard Trotinett gesagt, aber das ist halt zu gemütlich.

Und heisst es eigentlich englisch PostFinance oder französisch PostFinance? Ich empfehle die französische Variante, denn wir wissen ja, was geschah, als aus Banquiers Banker wurden.

Auf die Hälfte dieser englischen Begriffe könnte man wohl tatsächlich verzichten. Aber die Anglizismen sind auch Ausdruck von politischen Veränderungen. Durch die Öffnung der europäischen Postmärkte werden die nationalen Postbetriebe zu internationalen Akteuren, also Players.

Aber immerhin bemüht sich die Post selber, diesen Trend zu immer mehr Anglizismen etwas zu bremsen und hat dafür in Deutschland sogar einen Preis für den Erhalt der deutschen Sprache erhalten.

Ob der Pferdepöstler von Avers englisch konnte, weiss ich nicht. Sicher ist aber: Gäbe es die Pferdepost noch, würde sie sofort umbenannt, heute hiesse sie: Horsemail.

Manche gewöhnen sich an die vielen Anglizismen, andere ärgern sich grün und gelb darüber. Und wenn wir schon bei grün und gelb sind: Der Wandel der Post zeigt sich sogar bei den Farben, denn das ist ein viertes Element des Wandels:

  • Die gelbe Post wird immer grüner

Nichts verkörpert die Post so sehr wie das Gelb der Postautos. Und doch bemüht sich die Post, fortan etwas grüner zu werden. Neuerdings können Kunden den CO2-Ausstoss ihres Postversandes kompensieren lassen, indem sie einen kleinen Zuschlag bezahlen (1 Rp. im Inland, bis zu 10 Rp. für Auslandbriefe, je nach Zielland). Die Post erwirbt damit Emissionszertifikate.

Die Post übernimmt selbst eine Vorbildfunktion und kompensiert sämtliche CO2-Emissionen, die ihre eigene Korrespondenz verursacht. Auch mit anderen Massnahmen im Bereich der Nachhaltigkeit beweist die Post, dass sie weiss, wo sie angesiedelt ist: im Umweltdepartement.

Blenden wir dennoch nicht aus, dass die Produktivitätssteigerungen der Post auf den ersten Laienblick nicht immer besonders nachhaltig erscheinen:

Wenn heute in Avers ein B-Post-Brief aufgegeben wird, der nach Juf soll, so reist der Brief zuerst in ein Briefzentrum im Mittelland, von wo er wieder in die Bündner Berge verfrachtet wird.

Immerhin ist er dann aber schon vollautomatisch sortiert.

Ein weiteres Mittel zur Steigerung der Produktivität besteht darin, Dienstleistungen out zu sourcen und das ist ein fünftes Element des Wandels:

  • Die Post lagert Dienstleistungen aus

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Poststellen geschlossen. Auch diese Massnahme hat Vor- und Nachteile: Einerseits können mit den Postagenturen gerade in kleineren Dörfern die Öffnungszeiten verlängert werden.

Anderseits gehen Arbeitsplätze verloren und als Kunden müssen wir unsere Gewohnheiten ändern.

Auch das hat seine Vorteile. Als Beispiel habe ich schon öfter die neue Poststelle an meinem Wohnort genannt. Sie befindet sich in einer herzigen Apotheke, wo ich bei jedem Paket, das ich abhole, auch noch meine Bobos zeigen und mich beraten lassen kann.

Trotzdem löst jedes Outsourcing stets auch Befürchtungen aus: Vor kurzem warnten besorgte Stimmen, die Post lagere nun auch noch das Postgeheimnis aus, weil neuerdings Private die Briefkästen leeren, z.B. in Bern. Dadurch sehen manche das Postgeheimnis in Gefahr, denn Kuriere von privaten Unternehmen könnten beim Leeren der Briefkästen Postkarten lesen und so das Postgeheimnis verletzen, etwas, was ein staatlich angestellter Pöstler niemals tun würde.

(So wie es ja auch aus der Verwaltung niemals zu Indiskretionen kommt.)

Übrigens las der Pferdepöstler auf dem Weg von Avers nach Juf selbstverständlich auch Postkarten. Aber er wusste: Wenn ich für mich behalte, was ich gelesen haben, bleibt das Postgeheimnis gewahrt, da fällt mir das Herz noch lange nicht in die Hosen. Es gab damals auch noch keine direkten Leitungen in die USA und von dort zu uns.

Weil also die Post weiss, was ein Geheimnis ist und damit seit jeher umgehen kann, wollen wir das Bankgeheimnis ihr anvertrauen und deswegen streben wir eine Postbank an.

Nie würde sie Daten an die USA weitergeben, selbst nicht mit einer Bewilligung des Bundesrates.

Ja, die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in ihnen.

Service Public bedeutet nicht, dass er immer in der gleichen Form wahrgenommen werden muss, sondern dass er in seiner Substanz erhalten bleibt. Und das bedeutet zuweilen, dass neue Formen gesucht werden müssen. Veränderungen der Schweizer Infrastrukturunternehmen sind heutzutage immer auch Folgen der europäischen Entwicklung, auf die wir uns einstellen müssen und wollen.

Das Briefzentrum Härkingen zeigt dabei, dass der Wandel von Infrastrukturen mehr beinhaltet als Effizienz und Produktivitätssteigerung.

Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird deutlich: Unternehmen können ihren Fortbestand nur sichern, wenn sie langfristig und nachhaltig ausgerichtet sind.

Veränderungen dürfen unser Gleichgewicht zwar kurzzeitig etwas beeinträchtigen, sie dürfen uns aber nicht aus der Bahn werfen. Veränderungen sind nur nachhaltig, wenn sie die Kunst der richtigen Geschwindigkeit und des richtigen Masses beachten.

Ulrich Gygi hat es bereits erwähnt: Ursprünglich wollte die Post mit dem Projekt REMA aus 18 Briefzentren, die in der ganzen Schweiz verteilt waren, deren drei machen, alle im Mittelland.

Diese Pläne der Post wurden als masslos empfunden, als nicht sozial und daher als nicht nachhaltig. Breiter Widerstand erwuchs, in der Politik, in den Kantonen und Regionen, bei den Gewerkschaften. Sie haben der Post ihr Herz ausgeschüttet.

Und die Post zeigte ihr weites Herz und machte aus diesem keine Mördergrube: Sie mässigte die masslosen Pläne, man einigte sich auf einen Kompromiss:

aus 18 Zentren wurden nicht drei, sondern drei plus sechs, also neun.

Anfänglich hatte die Post Mühe mit dieser Mässigung, und rein wirtschaftlich betrachtet, ist dies verständlich: Mit nur drei Zentren hätte sie noch mehr Kosten sparen können, wäre sie noch produktiver geworden.

Aber es wären noch mehr Entlassungen nötig gewesen, und die Post hätte ein Kapital aufs Spiel gesetzt, das immer wieder unterschätzt wird: Die Akzeptanz, das Vertrauen, die Bindung der Mitarbeitenden und Kunden. Aber die Post ist eben mehr als nur eine Dienstleistung, die Post ist das Symbol und das Herz des Service public überhaupt.

Die Post soll kein kalter Mittellandkonzern werden, sondern ein warmes gelbes Schweizer Unternehmen bleiben, mit einer Seele und einem Herz.

Die Post nahm sich diese Botschaft zu Herzen und hat sie verstanden. Es ist ihr gelungen, diesen anspruchsvollen Veränderungsprozess so zu gestalten, dass er akzeptiert wurde. Allen, die dazu beigetragen haben, gebührt unser Dank.

Unternehmen brauchen ein Herz

Das Herz ist nicht nur eine Pumpe. Unter Herz verstehen wir auch das ganze Wesen eines Menschen, die Seele.

In unserem Körper fliesst alles Blut ins Herz und aus diesem wieder hinaus, in die Arme und Beine, in die äussersten Zehenspitzen und Fingerbeeren. Sie können nur dank dem Herz arbeiten. Doch auch das Herz lebt von all diesen Extremitäten. Ohne Hände, ohne Füsse, die den ganzen Körper, auch das Herz nähren, könnte es seinerseits nicht pochen.

Ähnlich funktioniert ein Briefzentrum. Stets fliessen neue Briefe hinein, in das pulsierende Zentrum, und aus diesem wieder hinaus, ins Mittelland, in die Voralpen, in die äussersten Seitentäler der Bergkantone.

Die Post ist nicht nur eine mechanische Pumpe, welche Briefe und Pakete sammelt und neu verteilt, sie ist das Herz des ganzen Körpers Schweiz, wie wir sie verstehen.

Und all die Herzen in den Poststellen, Agenturen, den 58'000 Angestellten und den Millionen von Kunden schlagen für die Idee, an die wir alle glauben, an eine solidarische Schweiz mit vielen Sprachen, Regionen und Kulturen.

Heute weihen wir dieses neue Herz ein, ein Herz am rechten Fleck, das Herz von Härkingen.


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