INSAI oder offside?

Bern, 13.10.2008 - Fürstenau, 13.10.2008 (BK) - Referat von Frau Bundeskanzlerin Corina Casanova Informationsanlass der Suva-Agentur-Chur vom 13. Oktober 2008 auf Schloss Schauenstein in Fürstenau

Sehr geehrter Herr Standespräsident
Sehr geehrte Frau Regierungsrätin
Sehr geehrte Mitglieder des eidgenössischen und kantonalen Parlaments
Sehr geehrte Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung
Werte Anwesende

Ich freue mich, heute mit Ihnen hier auf Schloss Schauenstein im Domleschg zu sein.

Bevor ich zum eigentlichen Thema meines Referats komme, erlaube ich mir, ganz kurz in die Vergangenheit zurückzuschauen.

Fürstenau war bis im 17. Jahrhundert das Zentrum eines der wichtigsten Verwaltungsbezirke der churbischöflichen Herrschaft. Hier residierte ein bischöflicher Dienstmann (Ministeriale) als Gerichtsherr und Inhaber des Zolls an der Rheinbrücke – die Domleschger Strasse führte damals in Fürstenau über den Rhein nach Thusis und zur Viamala. Der Name "Fürstenau" leitet sich denn auch ab von der "Au" des geistlichen Oberherrns. Das heutige Schloss Schauenstein wurde in der Barockzeit (1670) gebaut.

Jetzt, wo wir genau wissen, wo wir uns befinden, komme ich zum eigentlichen Thema meines Referats. Ausgangspunkt wird wie bei meinem Vorredner die bevorstehende Änderung des Unfallversicherungsgesetzes (UVG) sein. Aus naheliegenden Gründen – ich bin keine Spezialistin für sozialversicherungsrechtliche Fragen – werde ich aber keine Ausführungen zur Revisionsvorlage machen. Mein Anliegen ist ein anderes. Ich möchte darlegen, welche Rolle der Bundeskanzlei im Hinblick auf die Mehrsprachigkeit zukommt. Und weil damit die Sprachen angesprochen sind, sei auf Folgendes hingewiesen.

Das Domleschg war noch um 1900 weitgehend romanischsprachig, wenngleich mit Einführung der obligatorischen Volksschule Mitte des 19. Jahrhunderts eine starke Germanisierung einherging, weil die Gemeinden das Deutsche und nicht Romanische als Schulsprache einführten. Gemeinden wie Feldis (Veulden), Scheid und Trans (Sched e Traun) sowie Präz am Heinzenberg (Prez) waren noch bis um 1950 grossmehrheitlich romanischsprachig. Diese rätoromanische kulturelle Vergangenheit prägen bis heute die Flurnamen, wie zum Beispiel "Runca", "Quadra" oder "Curscheglias". Und einzelne, vornehmlich ältere Personen sprechen noch heute Romanisch.

Diese Bündnerinnen und Bündner gehören damit zu jenem halben Prozent der Romanischsprechenden unseres Landes. Im Übrigen sprechen in der Schweiz 64% Deutsch, 20% Französisch und 6% Italienisch. Diese vier Sprachen gelten bekanntlich als "Landessprachen". Die Viersprachigkeit bedeutet im Wesentlichen, dass die vier Sprachgemeinschaften kulturell und formell gleich berechtigt sind. Damit aber die Viersprachigkeit nicht bloss "Etikette" ist, muss sie tatsächlich gelebt werden. Nur so stellt sie ein Wesensmerkmal der Schweiz dar.

In quanto grigionese, e soprattutto di lingua madre romancia, ma anche in veste di Cancelliera della Confederazione, il plurilinguismo mi sta particolarmente a cuore. La Cancelleria federale è responsabile della pubblicazione dei testi ufficiali, vale a dire degli atti normativi (leggi e ordinanze federali), dei decreti federali e dei messaggi e rapporti che il Consiglio federale presenta al Parlamento. È nostro compito assicurarci che le versioni di questi testi nelle tre lingue ufficiali (italiano, francese e tedesco) siano equivalenti e vengano pubblicate contemporaneamente. Il romancio ha lo statuto di lingua semiufficiale ("lungatg semi-uffizial").

Decrets e leschas da certa impurtonza vegnan translatai era per romontsch. La Canzlia federala decretescha tgei che vegn translatau e publicau en romontsch suenter haver palesau quei cun la Canzlia cantunla Grischuna. Convischins romontschs han il dretg da sedrizzar ad autoritads federalas en romontsch ed els han il dretg da retscheiver ina risposta romontscha. Leutier saudan rispostas dil Cussegl federal, da Cussegliers federals ed era dall’administraziun federala, denton era dallas dertgiras federalas. Quei che vegn adina translatau en romontsch ein las explicaziuns dil Cussegl federal per las votaziuns popularas.

Nun fragen Sie sich zu recht, was die Mehrsprachigkeit nun mit der SUVA und der Teilrevision des Unfallversicherungsgesetzes (UVG) zu tun hat. Nun ja, mehr als sie denken. Denn seit 1996 tritt die SUVA in allen vier Landesteilen einzig mit dem Namen und dem Schriftzug "Suva" auf (gross S, klein u, v und a). Diese Kurzbezeichnung soll weder deutsch noch französisch und weder italienisch noch rätoromanisch sein, sondern eine Art "Logo" oder Marke. Im geltenden UVG gibt es zwar noch die "Schweizerische Unfallversicherungsanstalt", abgekürzt "SUVA" (mit Grossbuchstaben), sowie französisch die "Caisse nationale d’assurances en cas d’accidents" (abgekürzt CNA) und italienisch das "Istituto nazionale svizzero di assicurazione contro gli infortuni" (INSAI). Allerdings sollen diese Abkürzungen – nachdem sie von der SUVA wie schon erwähnt bereits seit 1996 nicht mehr verwendet werden – mit der bevorstehenden UVG-Revision gänzlich aus dem UVG gestrichen werden. Neu soll in allen Amtssprachen einheitlich die Kurzbezeichnung "Suva" (gross S, klein u, v und a) zur Anwendung kommen, pikanterweise mit der Begründung, diese Bezeichnung habe sich seit mehreren Jahren in allen Regionen durchgesetzt.

Vielleicht fragen Sie sich nun: Wo ist das Problem? Selbstverständlich ist die SUVA als öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit frei festzulegen, wie sie sich als Unternehmung nennen will. Aus markenstrategischer Sicht dürfte es auch angezeigt sein, mit einem einzigen einheitlichen Zeichen gegen aussen aufzutreten. Aus sprachpolitischen Gründen fragt sich allerdings, ob es angebracht war, sich bei der gewählten Kurzbezeichnung "Suva" einzig an die deutschsprachige "Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt" anzulehnen.

Heute sind Sie ja auch hier in die Region gekommen. Es soll die Position der SUVA im Bereich der UVG-Revision dargelegt werden. Ähnliche Veranstaltungen finden in anderen Regionen der Schweiz statt. Ich will nun nicht so weit gehen und meinen, dass ein solcher Anlass mehr – beziehungsweise wenn ich in die Runde schaue, noch mehr – Erfolg hätte, wenn die SUVA in der Westschweiz als CNA oder in der italienischsprachigen Schweiz als INSAI auftreten würde. Indes ist es doch vorstellbar, dass sich etwa die Westschweizerinnen und Westschweizer eher angesprochen fühlten, wenn die CNA aufträte.

Ähnliche Fragen wie im Zusammenhang mit der eben erwähnten Abkürzung stellen sich im Übrigen hinsichtlich der Anglizismen, das heisst der Wörter, die von ihrer Wortgestalt her erkennbar aus dem Englischen stammen. Auch hier kommt der Bundeskanzlei eine besondere Aufgabe zu. Wir sorgen dafür, dass die zur Veröffentlichung bestimmten Texte allgemein verständlich sind. Zur Verständlichkeit gehört nicht nur eine übersichtliche Satzstruktur oder ein logischer Textaufbau, sondern auch eine adäquate Wortwahl. Bei Anglizismen besteht nun das Problem, dass wer nicht Englisch kann, nicht selten Mühe hat, die neuen Wörter zu verstehen (z.B. "facilitator" für Moderatorin oder Schulungsleiter). Dies umso mehr, als die Anglizismen bei uns oft eine andere Bedeutung haben als ihnen im Englischen zukäme (z.B. "Handy" für das "mobile" Telefon) und teilweise mit Elementen aus anderen Sprachen kombiniert werden, wie beispielsweise "Ticketeria". Ein weiteres Problem der Anglizismen ist ihre Aussprache, sei es, weil beispielsweise gewisse Laute im Deutschen gar nicht vorkommen (z.B. das "dg" bei "Hedge Fund") oder weil die Aussprache von der eigenen Sprache abweicht. Aus diesen Gründen ist es für die Bundesverwaltung ein stetes Anliegen, dass Texte, die sich an die breitere Öffentlichkeit richten, adressatengerecht, begreiflich und klar formuliert sind. Anstelle von Anglizismen sollte deshalb wenn immer möglich auf allgemein verständliche Begriffe abgestellt werden. Das heisst zum Beispiel, dass man anstatt von "attachment" besser von "Anhang" und anstatt von "corporate governance" besser von "angemessener Unternehmensorganisation" oder "guter Unternehmensführung" spricht. Das gilt selbstverständlich nicht nur für die Bundesverwaltung, sondern auch für die Bundesunternehmen. Was versteckt sich beispielsweise hinter "PostMail", "PostLogistics" und "PostFinance"? Gemeint sind hier die Brief- und Paketpost, güterlogistische Dienstleistungen der Post sowie Dienstleistungen der Post in privaten Geldangelegenheiten und für geschäftliche Finanzbedürfnisse. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass gerade bei der Post die Tendenz wieder dahin geht, Anglizismen zu vermeiden. Erste Umbenennungen haben bereits stattgefunden: So wurde etwa "Corporate Development" zu "Konzernentwicklung" und "Information Technology Services" zu "Informationstechnologie". Und die vorerwähnten Marken "PostMail" und "PostLogistics" werden künftig unter der Dachmarke "Die Post" zusammengefasst. Schliesslich heisst auch unser Telefonbuch nicht mehr nur "directories", wie dies bis vor kurzem noch der Fall war.

Sowohl die Ausführungen zu den Abkürzungen als auch die Beispiele zu den Anglizismen zeigen eindrücklich, dass diese für die Kundinnen und Kunden oder die Bürgerinnen und Bürger nicht ohne weiteres von Vorteil sind, nämlich dann nicht, wenn es für die Angesprochenen kaum mehr erkennbar ist, wofür die Bezeichnung eigentlich steht und sie die zu übermittelnden Botschaften nur mit Mühe verstehen. Auch um bei den Adressatinnen und Adressaten keine Minderwertigkeitsgefühle zu wecken, sollten möglichst die Landes- bzw. Amtssprachen verwendet werden.

Bei der Frage der Mehrsprachigkeit geht es im Übrigen nicht bloss um abstrakte, übergeordnete staats- oder sprachpolitische Ziele. Diese sind zwar auch wichtig, dient Sprache doch der Verständigung und bedeutet Mehrsprachigkeit folglich die Verständigung über verschiedene kulturelle, gesellschaftliche und individuelle Identitäten hinaus. Ebenso wichtig ist die Erkenntnis, dass hinter der Mehrsprachigkeit auch ganz konkrete Bedürfnisse der Angehörigen der Sprachregionen stehen, im Speziellen natürlich der Angehörigen von Sprachminderheiten – nämlich: auch gehört und verstanden zu werden und als Kundin oder Bürger folglich nicht im Abseits – im Offside – zu landen.

Bei der Mehrsprachigkeit handelt es sich schliesslich auch nicht bloss um ein kulturelles Gut, das für sich besteht, sondern – zu meiner Freude kann ich betonen – noch um eine schweizerische Realität. Deshalb stellt die Mehrsprachigkeit auch eine dauernde Verpflichtung und Herausforderung dar. Und zwar nicht nur für die Bundeskanzlei, welche – sozusagen als "Hüterin der Amtssprachen" – der Mehrsprachigkeit wie erwähnt besonders Rechnung zu tragen hat und dies auch sehr gerne tut, sondern für uns alle – für den Bund, die Kantone, Gemeinden, Unternehmen und nicht zuletzt auch für uns Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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